TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/24 I415 1429341-2

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Veröffentlicht am 24.11.2017
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Entscheidungsdatum

24.11.2017

Norm

B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
VwGVG §27
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I415 1429341-2/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Marokko, vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Irene Oberschlick, Weyrgasse 8/6, 1030 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.07.2015, Zl. 467400002, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Marokko, muslimischen Glaubens und arabischer Ethnie. Er stellte erstmals am 04.10.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.10.2009, Zl. 08 09.464-BAE, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von internationalem Schutz vom 04.10.2008 gemäß § 3 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihm wurde gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Marokko nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Marokko ausgewiesen (Spruchpunkt III).

3. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 09.12.2010, Zl. PLS3-F-10, wurde gegen den Beschwerdeführer wegen Verstoßes gegen das Ausländerbeschäftigungsgesetz ein für die Dauer von fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

4. Am 23.08.2012 stellte der Beschwerdeführer eine neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag § 2 Abs. Z 23 AsylG). Bei der noch am 23.08.2012 durchgeführten Erstbefragung brachte der Beschwerdeführer auf das Wesentliche zusammengefasst vor, dass er Vater eines zehn Monate alten Kindes und seine Lebensgefährtin keine Muslime sei und er sein Kind nicht mitnehmen könne. Er wolle nicht, dass sein Kind allein aufwachse. Befragt zu den Rückkehrbefürchtungen replizierte der Beschwerdeführer, dass ihm nichts passiere aber sein Kind alleine hier bleiben müsse. Am 29.08.2012 wurde der Beschwerdeführer von einem Organwalter des Bundesasylamtes einvernommen. Dabei brachte der Beschwerdeführer auf Fragen des Organwalter vor, dass er seit drei Jahren mit der Österreicherin XXXX in XXXX, zusammenlebe und aus dieser Beziehung der gemeinsame Sohne XXXX, geb. am XXXX hervorgegangen sei. Die Lebensgefährtin arbeite in einem Call-Center und er werde von ihr finanziell unterstützt.

Auf den Vorhalt des Organwalters, dass der Beschwerdeführer bereits am 04.10.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht und dieser mit 18.11.2009 rechtskräftig negativ entschieden worden sei, entgegnete er, dass er seine Lebensgefährtin, mit der er einen gemeinsamen Sohn habe, heiraten wolle und er mit ihr nicht in Marokko leben könne, da er Moslem und sie Christin und es dort sehr gefährlich sei. Die Angaben im ersten Asylverfahren halte er weiter aufrecht. Eine Niederlassungsbewilligung habe er bereits beantragt. Deutschkurs habe er keinen besucht, aber von Freunden habe er Deutsch gelernt. Er sei unbescholten. Bezüglich des Vorhalts der Länderfeststellungen zu Marokko merkte der Beschwerdeführer an, dass das alles nur in der Verfassung stehe, es aber im richtigen Leben nicht zutreffe. Es sei nur auf Papier geschrieben. Er habe in Marokko gelebt und wisse das. Er möchte nicht von seiner Familie getrennt werden und mit seiner zukünftigen Frau und dem Kind in Frieden zusammenleben. Das sei in Marokko nicht möglich.

Eine Kopie des Reisepasses der Lebensgefährtin sowie eine Kopie der Geburtsurkunde und des Reisepasses des gemeinsamen Sohnes wurden zum Akt genommen.

5. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.09.2012 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 23.08.2012 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) und der Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Marokko ausgewiesen (Spruchpunkt II.). In den Feststellungen des bekämpften Bescheides führte das Bundesasylamt im Wesentlichen aus, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe und gegen ihn ein Aufenthaltsverbot bestehe. Unter Berücksichtigung aller bekannten Tatsachen würden keine Umstände existieren, die einer Ausweisung aus dem Bundesgebiet entgegenstehen. Das Asylverfahren mit der Zahl 08 09.464 sei rechtskräftig abgeschlossen. In diesem Verfahren seien alle bis zur Entscheidung des gegenständlichen Asylverfahrens entstandenen Sachverhalte berücksichtigt worden, sodass darüber nicht mehr neuerlich zu entscheiden sei. Vom Bundesasylamt könne insgesamt kein neuer entscheidungserheblicher Sachverhalt festgestellt werden.

Die Begründung des neuerlichen Asylantrages reiche nicht aus einen neuen, gegenüber dem früheren Asylantrag wesentlich geänderten entscheidungserheblichen Sachverhalt entstehen zu lassen. Der Beschwerdeführer verfüge mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Sohn über familiäre Anknüpfungspunkte. Er lebe mit seiner Lebensgefährtin seit 21.12.2011 in einem gemeinsamen Haushalt. Der gemeinsame Sohn sei am XXXX geboren.

Betreffend des Privat- und Familienlebens führte die belangte Behörde beweiswürdigend aus, dass diese Feststellungen auf den plausiblen Angaben und der vorgelegten Meldebestätigung und Geburtsurkunde basieren würden.

Im Spruchpunkt II. stellte die belangte Behörde ihre rechtliche Beurteilung dahingehend dar, dass der Beschwerdeführer über etwaige familiäre Bindungen bzw. berücksichtigungs-würdige private Interessen im Bundesgebiet nichts berichtet habe und solche auch nicht festgestellt worden seien. Der Aufenthaltsstatus sei im gesamten Verfahren ein auf das Asylverfahren gestützter und vorübergehender gewesen. Der Beschwerdeführer gehe keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und sei von der Unterstützung Dritter abhängig. Besondere Merkmale einer integrativen Aufenthaltsverfestigung seien nicht festgestellt worden. Der Beschwerdeführer sei illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe unter Vorspiegelung offenkundig falscher Tatsachen, einen Asylantrag gestellt. Das ergebe sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus der Beweiswürdigung.

6. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 25.09.2012, Zl. B11 429.341-1/2012/2Z gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

7. Mit Schriftsatz vom 26.03.2013 übermittelte der Beschwerdeführer eine Heiratsurkunde sowie eine Auszug aus dem Heiratseintrag, wonach er am 07.12.2012 mit XXXX, nunmehrige XXXX, in Bad Vöslau die Ehe geschlossen habe.

8. Gemäß § 75 Abs. 19 AsylG sind alle mit Ablauf des 31.12.2013 Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren ab 01.01.2014 beim Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des Abs. 20 leg. cit. zu Ende zu führen.

9. Mit Schriftsatz vom 19.05.2014 wurden der Beschwerdeführer sowie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA, Rechtsnachfolgebehörde des Bundesasylamtes) zur mündlichen Verhandlung vor das Bundesverwaltungsgericht (Verhandlungstermin 02.07.2014, 13:00 Uhr) geladen. Die Ladung wurde dem Beschwerdeführer am 26.05.2014 durch Hinterlegung zugestellt. Während das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung zeitgerecht absagte, blieb der Beschwerdeführer der mündlichen Verhandlung am 02.07.2017 entschuldigt fern.

10. Mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 09.10.2014, Zl. LVwG-AV-13-3018 wurde das von Bezirkshauptmannschaft St. Pölten am 09.12.2010, Zl. PLS3-F-10, erlassene Aufenthaltsverbot behoben.

11. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.10.2014, Zl. I408 1429341-1/9E, wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. als unbegründet abgewiesen. In Erledigung der Beschwerde wurde Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides aufgehoben und das Verfahren gemäß § 75 Abs 20 AsylG idgF zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das BFA zurückverwiesen.

12. Mit Fax seiner Rechtsvertretung vom 10.11.2014 brachte der Beschwerdeführer zur Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK nachfolgende Unterlagen in Vorlage: Auskunft aus der KSV1870-Privatinformation betreffend seine Ehefrau, die aus dem Arabischen übersetzte Geburtsurkunde des Beschwerdeführers, eine aktuelle Bestätigung seitens der WGKK betreffend die Mitversicherung des Beschwerdeführers bei seiner Ehegattin, die Geburtsurkunde des gemeinsamen Sohnes, die Lohnabrechnung Juli/August/September 2014 der Ehefrau des Beschwerdeführers, ZMR Bestätigung über den gemeinsamen Wohnsitz seit 2011, österreichischen Staatsbürgerschaftsnachweis sowie Geburtsurkunde betreffend die am

XXXX in Wien geborene Gattin des Beschwerdeführers, österreichischen Staatsbürgerschaftsnachweis des gemeinsamen Sohnes, Auszug aus dem Strafregister des Königreiches Marokko betreffend den Beschwerdeführer zum Nachweis seiner Unbescholtenheit, Mietvertrag betreffend die gemeinsam bewohnte Wohnung ausgestellt auf die Gattin des Beschwerdeführers sowie die vom 07.12.2012 datierte Heiratsurkunde des Beschwerdeführers und seiner Gattin.

13. Mit Fax der Rechtsvertretung vom 15.04.2015 brachte der Beschwerdeführer u.a. die britische Geburtsurkunde seiner Gattin, die nunmehr (auch) österreichische Staatsbürgerin sei, in Vorlage. Womöglich liege laut Rechtsvertretung ein Sachverhalt der Freizügigkeit vor (Doppelstaatsbürgerschaft), weshalb um eine Anberaumung der Einvernahme des Beschwerdeführers ersucht werde.

14. Am 16.07.2015 wurde der Beschwerdeführer in Anwesenheit seiner Rechtsvertretung niederschriftlich zur Prüfung eines Ausweisungsverfahrens gem. § 75 Abs 20 AsylG 2005 einvernommen. Die britische Staatsbürgerschaft der Ehegattin wurde in der Einvernahme nicht thematisiert und auch von der Rechtsvertretung nicht beanstandet.

15. Mit angefochtenem Bescheid des BFA vom 20.07.2015, Zl. 467400002, wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG 2005 erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Marokko gemäß § 46 FPG 2005 zulässig ist. Als Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG 2005 zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt.

16. Am 03.08.2015 wurde in offener Frist Beschwerde in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens erhoben. Vor der BH Mödling als für den Beschwerdeführer zuständige Niederlassungsbehörde sei ein Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels als Familienangehöriger seiner österreichischen Familie anhängig. Die belangte Behörde habe bei ihrer Entscheidung nicht beachtet, dass dem Beschwerdeführer aufgrund Eheschließung mit einer britisch-österreichischen Doppelstaatsbürgerin die Eigenschaft als begünstigtem Drittstaatsangehörigem zukomme, gegen ihn daher keine Rückkehrentscheidung erlassen werden dürfe, sondern lediglich bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 66 FPG eine Ausweisung zulässig wäre. Derartige Voraussetzungen lägen aber nicht vor. Die Rückkehrentscheidung sei aber auch dann rechtswidrig, wenn dem Beschwerdeführer die Eigenschaft als begünstigtem Drittstaatsangehörigen nicht zukäme. Die belangte Behörde lege nämlich in ihrem Bescheid nicht dar, warum die familiäre Verankerung des Beschwerdeführers nicht ausreiche, um nach den Bestimmungen der RückführungsRL keine Rückkehrentscheidung zu erhalten. Schließlich können die Mitgliedsstaaten nach Art 6 Abs 4 RückkehrRL "jederzeit beschließen, illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen wegen Vorliegen eines Härtefalls oder aus humanitären oder sonstigen Gründen einen eigenen Aufenthaltstitel oder eine sonstige Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. In diesem Fall wird keine Rückkehrentscheidung erlassen." Im Zusammenhang mit dem Erwägungsgrund 22 der RückführungsRL: "In Übereinstimmung mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes von 1989 sollten die Mitgliedsstaaten bei der Durchführung dieser Richtlinie insbesondere das "Wohl des Kindes" im Auge behalten. In Übereinstimmung mit der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und der Grundfreiheiten sollte bei der Umsetzung dieser Richtlinie der Schutz des Familienlebens besonders beachtet werden." Richtigerweise hätte die belangte Behörde nicht nur auf die seit drei Jahren bestehende Ehe mit der Österreicherin, sondern vor allem auch auf die Beziehung zum Kind bzw. des Kindes zum Vater Rücksicht nehmen müssen, weil nunmehr nach Art 24 Abs 2 GRC bei allen Kindern betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein müsse. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge

* in Abänderung des angefochtenen Bescheides die Rückkehrentscheidung als auf Dauer unzulässig feststellen

* in eventu einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG erteilen

* und jedenfalls auch eine mündliche Verhandlung durchführen

17. Auf Grund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 24.03.2016 wurde die gegenständliche Rechtsache der Gerichtsabteilung I407 abgenommen und der Gerichtsabteilung I410 neu zugewiesen.

18. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.02.2017 wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung dieses Schreibens dem Bundesverwaltungsgericht entsprechende Nachweise über die britische Staatsbürgerschaft seiner Ehegattin vorzulegen.

19. Mit ergänzendem Schriftsatz vom 22.03.2017 brachte die rechtsfreundliche Vertreterin zur Vorbereitung der für den 29.03.2017 anberaumten mündlichen Verhandlung vor, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers gemäß § 2 Abs 1 lit. A der British Nationality Act 1981 durch Abstammung die britische Staatsbürgerschaft erworben habe, da ihr Vater XXXX britischer Staatsbürger sei. Weiters habe der damalige rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers anlässlich der Urkundenvorlage vom 15.04.2015 der belangten Behörde bekanntgegeben, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers "Doppelstaatsbürgerin" sei und beantragte die Einvernahme des Beschwerdeführers. Anlässlich der Einvernahme des Beschwerdeführers am 16.07.2015 habe es die belangte Behörde jedoch unterlassen, den Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang zu befragen und habe diese auch keine weiteren Ermittlungsschritte hinsichtlich der Klärung des Sachverhaltes gesetzt und habe sie in weiterer Folge im Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen. Weiters verwies die rechtsfreundliche Vertreterin auf die EuGH Urteile "Zambrano" (ECLI:EU:C:2011:124) sowie "Dereci" (ECLI:EU:C:2011:734). Die belangte Behörde habe somit die Rechtslage unrichtig beurteilt und dadurch den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Darüber hinaus sei auf die Rechtstellung der Ehegattin als britische Staatsbürgerin und aus dieser erwachsenen Rechtsansprüche hinzuweisen. Als Staatsangehörige mindestens eines Mitgliedstaats genieße eine Person wie die Ehegattin des Beschwerdeführers den Unionsbürgerstatus gemäß Art. 20 Abs 1 AEUV und könne sich daher auch gegenüber ihrem Herkunftsmitgliedstaat auf die mit diesem Status verbundenen Rechte berufen, insbesondere auf das Recht aus Art. 21 AEUV, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (vgl. Urteil vom 10. Juli 2008, Jipa, C-33/07, Slg. 2008, I-5157, Randnr. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zwar habe der EuGH in seinem Urteil "McCarthy" (ECLI:EU:C:2011:277) entschieden, dass Art. 21 AEUV auf einen Unionsbürger, der noch nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, der sich stets in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufgehalten hat und der sich im Übrigen im Besitz der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats befindet, nicht anwendbar ist, dieses Urteil sei jedoch zu einem Sachverhalt ergangen, wonach die dortige "Doppelstaatsbürgerin" im Vereinigten Königreich geboren ist und stets dort gelebt hat, ohne jemals geltend gemacht zu haben, eine Arbeitnehmerin, Selbständige oder wirtschaftlich unabhängige Person zu sein. Sie bezog staatliche Sozialleistungen (Randnr. 14 des Urteils). Somit unterscheide sich der verfahrensgegenständliche Sachverhalt grundlegend, da die Ehegattin des Beschwerdeführers sehr wohl im Bundesgebiet eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, sodass die vom EuGH im Urteil "McCarthy" ausgearbeiteten Grundsätze auf das beschwerdegegenständliche Verfahren nicht übertragbar seien.

Vielmehr sei es zutreffend, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers dadurch, dass sie im Bundesgebiet als Arbeitnehmerin erwerbstätig gewesen sei, von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe (Beweis: Sozialversicherungsdatenauszug der Ehegattin des BF). Aus diesem Grund komme dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltsrecht unmittelbar kraft Unionsrecht zu, sodass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, selbst dann, wenn diese unbeschadet der obigen Ausführungen zulässig wäre, nicht denkmöglich sei.

In ständiger Rechtsprechung habe der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung zu GZ 2009/22/0030 unter Verweis auf weitere Erkenntnisse klar ausgeführt:

Aus den dort genannten Erwägungen war auch im vorliegenden Fall der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, wobei ergänzend anzumerken ist, dass ungeachtet dessen, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers (auch) über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügt, infolge ihrer britischen Staatsangehörigkeit ein innerhalb der Europäischen Union grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt, der die Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts, insbesondere auch der Bestimmungen über die jedem Unionsbürger zuerkannte Freiheit, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten, begründet (vgl. dazu das Urteil des EuGH vom 2. Oktober 2003, C-148/02, Rs. Garcia Avello, Rz 24 ff, insbesondere Rz 27 und 28).

Aus oben genannten Gründen sei daher eine Rückkehrentscheidung des Beschwerdeführers auf Dauer unzulässig.

20. Am 29.03.2017 führte das Bundesverwaltungsgericht in der Außenstelle Innsbruck eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Ehegattin als Zeugin und seiner Rechtsvertretung durch. Ein Vertreter des BFA war entschuldigt nicht erschienen. Von der Richterin befragt, ob die Ehefrau des Beschwerdeführers einen Nachweis habe, der ihre britische Staatsbürgerschaft belegen könne, gab der Beschwerdeführer an, dass diese nur über einen abgelaufenen britischen Reisepass verfüge, diesen aber nicht mehr finde. Sie habe die britische Staatsbürgerschaft aber nie zurückgelegt. Diese sei ihr auch nicht entzogen worden. Von der Richterin befragt, wieso er die britische Staatsangehörigkeit seiner Frau erst so spät im Verfahren angegeben habe, obwohl dies ein sehr zentraler Punkt sei, führte der Beschwerdeführer aus, dass ihm diese Frage nie gestellt worden und er bei verschiedenen Anwälten gewesen wäre, aber immer verschiedene Informationen erhalten hätte. Der gemeinsame Sohn habe die österreichische Staatsbürgerschaft, sonst keine. Der Beschwerdeführer habe seine Frau Ende August 2009 kennengelernt und zwei Monate später seien sie zusammengezogen. Seine Frau beziehe ein regelmäßiges Einkommen und komme sie für ihn auf. Weiters würden die Eltern seiner Frau und ihr Bruder sie unterstützen. Selbst habe er jedenfalls kein Einkommen. Der Beschwerdeführer bringe seinen Sohn regelmäßig in den Kindergarten und kümmere sich um den Haushalt. Er unterstütze zudem seine Schwiegereltern, wenn sie etwas brauchen. Auch österreichische Freunde habe er. Er unterhalte sich mit seinem Sohn auf Arabisch, mit seiner Frau auf Deutsch. Der Schwiegervater spreche mit seinem Sohn auf Englisch, damit er die Sprachen lerne. Seine Frau kommuniziere mit dem Sohn auf Deutsch. Zu seiner in Marokko lebenden Familie halte er Kontakt über Skype. Gegen eine Rückkehr nach Marokko spreche auf Nachfrage der Richterin seine Frau und sein Kind. Seine Frau wolle bei ihren Eltern bleiben. Die Frau des Beschwerdeführers gab als Zeugin befragt an, die britische und österreichische Staatsangehörigkeit zu besitzen. Sie finde zwar ihren (britischen) Reisepass nicht mehr, könne aber natürlich einen neuen beantragen. Dies würde sechs bis acht Wochen dauern. Sie habe bei einer englischen Behörde bereits um einen Staatsbürgerschaftsnachweis angesucht. Dies gebe es aber in der Form nicht. Weiters sei ihr auf Nachfrage der Richterin nicht bewusst gewesen, dass sich ihr Ehegatte nur auf Grundlage eines (aussichtslosen) Asylantrages in Österreich aufhalten dürfe. Sie lebe eigentlich seit kurz nachdem sie den Beschwerdeführer kennengelernt habe mit diesem zusammen. Anfangs noch gemeinsam mit ihrer Schwester und deren Partner. Für den Lebensunterhalt der Familie komme sie gemeinsam mit der Unterstützung ihrer Eltern auf. Nachgefragt sprechen nachfolgende Gründe dagegen, mit ihrem Ehemann gemeinsam in Marokko zu leben: "Ich spreche kein Arabisch, ich mache ein Fernstudium. Die Prüfung muss ich in Wien ablegen. Mein Kind ist hier. Es ist mittlerweile fünf Jahre alt. Meine Familie ist auch hier. Wir haben einen engen Zusammenhalt. Für meine Schwestern wäre das psychisch eine Belastung. Meine Eltern haben natürlich zu meinem Sohn ein enges Verhältnis. Sie kümmern sich auch finanziell um ihn und um uns. Meine Oma ist pflegebedürftig. Wir alle, auch mein Mann, helfen ihr viel. Mein Vater kommt langsam in ein Alter, wo er vielleicht pflegebedürftig wird. Für mich wäre das unmöglich, meine Familie hier zurückzulassen." Befragt, ob sie in Zukunft ihren Ehemann in Marokko mit ihrem Sohn besuchen könnte (Urlaub), gab die Zeugin an, dass ihr Betreuung für ihren Sohn fehle und sie nicht so oft besuchen könne. Das würde sicherlich nicht so oft gehen, wie es das Kind nötig hätte. Weiters hänge das aktuelle Studium, Master of Business and Administration, mit ihrer jetzigen Arbeit zusammen, da sie Führungskraft sei. Sie habe sich für das Studium entschieden, weil für sie die Möglichkeit bestehe, dass sie mal nach England zu ihren Familienangehörigen gehe. Weiters schätze sie, dass sind ca. einem Jahr mit dem berufsbegleitenden Studium fertig sei. Weiters sei sie Christin und es sei für die ganze Familie ein großes Anliegen, dass ihr Mann dableiben dürfe. Es wäre eine Katastrophe für die Familie, wenn er in seinen Heimatstaat zurückkehren müsste.

Die Richterin gewährte eine Frist von zwei Monaten zur Vorlage eines britischen Reisepasses oder Personalausweises der Ehefrau des Beschwerdeführers, um die britische Staatsbürgerschaft derselben zweifelsfrei feststellen zu können.

21. Mit Schreiben der rechtsfreundlichen Vertreterin vom 19.05.2017 wurde der britische Reisepass der Ehefrau des Beschwerdeführers in Vorlage gebracht.

22. Mit Schreiben vom 26.05.2017 verständigte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführer und die belangte Behörde vom Ergebnis der Beweisaufnahme dahingehend, dass aufgrund der dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Dokumente in Verbindung mit den bereits im Akt der belangten Behörde enthaltenen Dokumenten und den Aussagen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau in der mündlichen Verhandlung das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers nicht nur österreichische, sondern auch britische Staatsbürgerin ist. Wie sich aus den glaubhaften Aussagen der Ehefrau und den damit übereinstimmenden Angaben im vorgelegten Sozialversicherungsdatenauszug ergibt, ist sie Angestellte der Firma XXXX, befindet sich aktuell (seit September 2016) in Bildungskarenz zur Absolvierung eines Fernstudiums (Master of Business and Administration), das mit ihrer beruflichen Tätigkeit zusammenhängt und nimmt ihre Arbeit im September 2017 wieder auf. Aktuell bezieht die Beschwerdeführerin Weiterbildungsgeld nach dem ALVG 1977. Es ist daher davon auszugehen, dass der Ehefrau des Beschwerdeführers während ihrer Zeit in Bildungskarenz die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmerin erhalten bleibt (§ 51 Abs. 2 Z 4 NAG). Diese Ermittlungsergebnisse lassen darauf schließen, dass der Beschwerdeführer begünstigter Drittstaatsangehöriger iSv § 2 Abs. 4 Z 11 FPG ist. Es wurde den Parteien im Rahmen des Parteiengehörs zwei Wochen Frist zur Stellungnahme eingeräumt, welche der Beschwerdeführer und die belangte Behörde jedoch ungenützt verstreichen ließen.

23. Auf Grund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 19.09.2017 wurde die gegenständliche Rechtsache der Gerichtsabteilung I410 abgenommen und der Gerichtsabteilung I415 zum Stichtag 02.10.2017 neu zugewiesen.

24. Am 03.10.2017 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung eines Fristsetzungsantrags ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Sachverhalt:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Dieser ergibt sich bedenkenlos aus dem vorgelegten Verwaltungsakt.

1.2. Zur Person und zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Marokkos und muslimischen Glaubens. Er befindet sich seit Oktober 2009 im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer ist seit 07.12.2012 mit der österreichischen Staatsangehörigen XXXX, nunmehrige XXXX, welche auch über die britische Staatsbürgerschaft verfügt, verheiratet. Diese Ehe ist noch aufrecht. Am XXXX wurde der gemeinsame Sohn XXXX geboren. Die Ehegattin des Beschwerdeführers ist Angestellte der Firma XXXX XXXX und kommt gemeinsam mit der Unterstützung ihrer Eltern für den Lebensunterhalt ihrer Familie auf.

Der Beschwerdeführer ist damit begünstigter Drittstaatsangehöriger iSv § 2 Abs. 4 Z 11 FPG.

Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Der Beschwerdeführer befindet sich in einem arbeitsfähigen Alter und leidet an keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesasylamtes und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität und zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen auch in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Die Feststellungen betreffend die persönlichen Verhältnisse und die Lebensumstände des Beschwerdeführers in Österreich beruhen auf den Aussagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 29.03.2017 und den vorgelegten Dokumenten betreffend die Eheschließung mit einer österreichisch-britischen Doppelstaatsbürgerin sowie die Geburtsurkunde des gemeinsamen Sohnes. Die britische Staatsangehörigkeit der Ehegattin ergibt sich aus dem vorgelegten Reisepass United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, XXXX, ausgestellt am 26.04.2017, sohin gültig bis 26.04.2027.

Die Feststellung bezüglich der strafgerichtlichen Unbescholtenheit entspricht dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

Die Feststellung zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich aus den Aussagen des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung des Bundesverwaltungsgerichtes. Auch aus der Aktenlage sind keinerlei Hinweise auf gesundheitliche Beeinträchtigungen ableitbar.

2.3. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers:

In der mündlichen Verhandlung am 29.03.2017 erklärte der Beschwerdeführer, mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet zu sein, welche auch britische Staatsbürgerin und in Österreich in einem Angestelltenverhältnis tätig sei. Er würde seine Frau seit etwa September 2009 kennen, seit ca. November 2009 würden sie zusammenwohnen, seit 07.12.2012 seien sie verheiratet. Der Beschwerdeführer konnte dies anhand des Meldezettels belegen und legte zudem auch eine Heiratsurkunde vom 07.12.2012 vor. Nachdem das Faktum der britischen Staatsbürgerschaft im erstinstanzlichen Verfahren seitens der belangten Behörde nicht thematisiert worden und der Nachweis in Form eines britischen Reisepasses seitens der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers erst nach der mündlichen Verhandlung erfolgt war, verständigte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführer und die belangten Behörde vom Ergebnis der Beweisaufnahme dahingehend, dass aufgrund der dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Dokumente in Verbindung mit den bereits im Akt der belangten Behörde enthaltenen Dokumenten und den Aussagen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau in der mündlichen Verhandlung das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers nicht nur österreichische, sondern auch britische Staatsbürgerin und der Beschwerdeführer daher begünstigter Drittstaatsangehöriger iSv § 2 Abs. 4 Z 11 FPG ist. Es wurde den dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde im Rahmen des Parteiengehörs zwei Wochen Frist zur Stellungnahme eingeräumt, welche der Beschwerdeführer und die belangte Behörde jedoch ungenützt verstreichen ließen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Verfahrensbestimmungen:

3.1.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

3.1.2. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.1.3. § 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

3.1.4. Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

3.1.5. Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen. Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A)

3.2. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids):

3.2.1. Der mit "Rückkehrentscheidung" betitelte § 52 Abs. 2 FPG lautet:

"§ 52. (1) (2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige."

Im gegenständlichen Fall wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Allerdings stellt sich die Frage, ob dem Beschwerdeführer nicht ein Aufenthaltsrecht nach einem anderen Bundesgesetz zukommt.

Das Bundesamt hatte zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung keinen Anlass gesehen, von einer Rückkehrentscheidung abzusehen, weil es seinen Ermittlungspflichten betreffend den Hinweis des Vorliegens (auch) der britischen Staatsbürgerschaft der Ehegattin des Beschwerdeführers nicht nachgegangen und daher von einem anderen Sachverhalt ausgegangen ist. Vor dem erkennenden Richter sind aber nunmehr die zum aktuellen Zeitpunkt vorliegenden Voraussetzungen für die etwaige Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu prüfen. Im konkreten Fall kann aber eine Prüfung unterbleiben, ob durch eine Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Schutzes des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK zu erwarten wäre.

Die Rückkehrentscheidung ist nämlich alleine schon aufgrund der Eheschließung mit einer österreichisch-britischen Doppelstaatsbürgerin, die in Österreich von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch macht, für unzulässig zu erklären. § 54 Abs. 1 NAG stellt fest, dass Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern sind, zum Aufenthalt berechtigt sind. Damit setzt Österreich die Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG) um, die in diesem Zusammenhang näher zu betrachten ist: Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen sich ein drittstaatszugehöriger Familienangehöriger eines Unionsbürgers auf die RL 2004/38/EG berufen kann, stellte der EuGH im Urteil vom 25.07.2008, Metock, C-127/08, fest, dass sich ein Drittstaatsangehöriger, der mit einem Unionsbürger, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, verheiratet ist, vor seiner Einreise in den Aufnahmemitgliedstaat nicht rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten haben muss, um sich auf die Bestimmungen der RL 2004/38/EG berufen zu können. Vielmehr kann sich dieser Drittstaatsangehörige, der diesen Unionsbürger begleitet oder ihm nachzieht, auf die Bestimmungen der Richtlinie berufen, unabhängig davon, wo und wann die Ehe geschlossen wurde oder wie der betreffende Drittstaatsangehörige in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist ist. Darüber hinaus präzisierte der EuGH im Beschluss vom 19.12.2008, Sahin, C-551/07, die Voraussetzungen, unter denen sich ein Drittstaatsangehöriger auf die RL 2004/38/EG berufen kann, dahingehend, dass die RL 2004/38/EG auch jene Familienangehörigen erfasst, die unabhängig vom Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat gelangt sind und erst dort die Angehörigeneigenschaft erworben oder das Familienleben mit diesem Unionsbürger begründet haben, wobei es keine Rolle spielt, dass sich der Familienangehörige zum Zeitpunkt des Erwerbs dieser Eigenschaft oder der Begründung des Familienlebens nach den asylgesetzlichen Bestimmungen des Aufnahmemitgliedstaates vorläufig in diesem Staat aufhält.

Einzige Voraussetzung für die Erstellung einer Aufenthaltskarte ist das Vorliegen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts des mit einer Unionsbürgerin verheirateten drittstaatsangehörigen Antragstellers. Zum unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen, dass Drittstaatsangehörigen, ohne dass es auf den Zeitpunkt der Begründung des Familienlebens mit seiner Ehefrau ankäme, gemäß Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie unter den dort normierten Voraussetzungen jedenfalls ein gemeinschaftlich begründetes Recht auf Aufenthalt für einen Zeitraum von über drei Monaten zusteht, womit nach den Art. 9 und 10 der Richtlinie der Anspruch auf Ausstellung einer "Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers" verknüpft ist (siehe etwa VwGH vom 22.1.2009, 2008/21/0671).

Somit war gegenständlich zu prüfen, ob die Ehegattin des Beschwerdeführers als britisch/österreichische Doppelstaatsbürgerin in Österreich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigt ist. Dazu hat der VwGH im Fall eines mit einer britisch/österreichischen Doppelstaatsbürgerin verheirateten Drittstaatsangehörigen mit Erkenntnis vom 3.4.2009, 2009/22/0030, ausgesprochen, dass ungeachtet dessen, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers (auch) über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügte, infolge ihrer britischen Staatsangehörigkeit ein innerhalb der Europäischen Union grenzüberschreitender Sachverhalt vorliege, der die Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts, insbesondere auch der Bestimmungen über die jedem Unionsbürger zuerkannte Freiheit, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten, begründe. Dabei verwies der VwGH auf das Urteil des EuGH vom 2. Oktober 2003, C-148/02, Rechtssache Garcia Avello, Rz 24 ff, insbesondere Rz 27 und 28.

Der VwGH geht somit unter Berufung auf die aus dem Jahr 2003 datierende Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Garcia Avello allein schon aufgrund der Tatsache, dass der zusammenführende Unionsbürger Staatsbürger von zwei Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist, davon aus, dass ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt und der Drittstaatsangehörige als Ehegatte des Doppelstaatsbürgers unionsrechtlich aufenthaltsberechtigt ist, ohne der Frage, ob der Ehegatte des Drittstaatsangehörigen seine Freizügigkeit tatsächlich jemals in Anspruch genommen hat, weiter nachgehen zu müssen.

Diese Rechtsansicht ist vor dem Hintergrund der von der Behörde ins Treffen geführten (späteren) Entscheidung des EuGH in der Rechtssache McCarthy vom 5.5.2011, C-434/09, nicht mehr aufrecht zu erhalten. In dieser Rechtssache hat der EuGH das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Ehegatten einer englisch/irischen Doppelstaatsbürgerin (Frau McCarthy) mit der Argumentation verneint, dass Frau McCarthy, die Großbritannien nie verlassen und die irische Staatsbürgerschaft erst nach ihrer Eheschließung mit einem Drittstaatsangehörigen beantragt hatte, ihr Recht auf Freizügigkeit nie ausgeübt hätte.

Gegenständlich hat jedoch im Unterschied zu Frau McCarthy die Ehegattin des Beschwerdeführers, die britisch/österreichische Doppelstaatsbürgerin XXXX, ihr Recht auf Freizügigkeit insofern ausgeübt, als sie in Österreich in einem Angestelltenverhältnis tätig ist. Frau XXXX ist somit nicht nur in ihrer Eigenschaft als österreichische Staatsbürgerin, sondern auch unionsrechtlich zum Aufenthalt in Österreich berechtigt.

Daher ändert die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache McCarthy nichts daran, dass dem mit einer österreichisch/britischen Doppelstaatsbürgerin, welche in Österreich beschäftigt ist, verheirateten Beschwerdeführer das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zukommt. Daher ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unzulässig. Es fehlt an einer Grundvoraussetzung für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nämlich an dem nicht rechtmäßigen Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen.

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesamtes ist daher stattzugeben und dieser ersatzlos zu beheben.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ehe, ersatzlose Behebung, EU-Bürger,
internationale Judikatur, Rückkehrentscheidung behoben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:I415.1429341.2.00

Zuletzt aktualisiert am

05.12.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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