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L9200 Sozialhilfe, Grundsicherung, MindestsicherungNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Entzug des gesetzlichen Richters durch eine - von einem unzuständigen richterlichen Kollegialorgan gefällte - Entscheidung über Beschwerden gegen die Versagung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung im Hinblick auf die vorliegende EinzelrichterzuständigkeitSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Das Land Salzburg ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten zuhanden seines Rechtsvertreters binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer stellte am 23. Dezember 2015 und am 22. Februar 2016 jeweils einen Antrag auf Gewährung von Bedarfsorientierter Mindestsicherung als Hilfe für den Lebensunterhalt und den Wohnbedarf gemäß §10 Abs1 des Gesetzes vom 7. Juli 2010 über die Bedarfsorientierte Mindestsicherung im Bundesland Salzburg, LGBl für Salzburg 63/2010 idF LGBl für Salzburg 57/2012, (im Folgenden: Sbg. MSG) für die Monate Jänner bzw. Februar 2016.
2. Mit Bescheid vom 25. Februar 2016 und mit einem weiteren Bescheid vom 7. Juni 2016 des Bürgermeisters der Stadt Salzburg wurde der Antrag des Beschwerdeführers jeweils abgewiesen. Dazu stellte die Behörde fest, dass der Beschwerdeführer und sein minderjähriger Sohn die österreichische Staatsbürgerschaft besäßen und damit die persönlichen Voraussetzungen gemäß §4 Abs2 Z1 Sbg. MSG Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zu erhalten, erfüllten. Gemäß §6 Abs1 Sbg. MSG sei bei der Bemessung der Leistungen das Einkommen der Hilfesuchenden zu berücksichtigen. Der Beschwerdeführer verfüge über ein Einkommen von monatlich € 1.406,66. Die Berechnung habe somit ergeben, dass derzeit kein Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung bestehe. Da die Ehegattin des Beschwerdeführers und deren Tochter die bulgarische Staatsbürgerschaft besäßen, müssten die Voraussetzungen gemäß §4 Abs2 Z2 Sbg. MSG vorliegen, um ihnen Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung gewähren zu können. Da sowohl für die Ehegattin als auch für deren Tochter weder ein Aufenthaltsrecht gemäß §§51 Abs1, 52 oder 53a NAG bestehe, lägen diese Voraussetzungen nicht vor und daher könnten der Ehegattin und deren Tochter keine Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung gewährt werden.
3. Gegen diese Bescheide erhob der Beschwerdeführer jeweils Beschwerde an das Verwaltungsgericht Salzburg. Die Beschwerde gegen den Bescheid vom 25. Februar 2016 wurde der Gerichtsabteilung des Richters Mag. R.S. (zu Zahl 405-9/44) und jene gegen den Bescheid vom 7. Juni 2016 der Gerichtsabteilung der Richterin Mag. M.S. (zu Zahl 405-9/99), zugeteilt. Mit einem gemeinsamen, in zwei Spruchpunkten (unter Erwähnung des Richters bzw. der Richterin) gegliederten, aber einheitlich begründeten und gemeinsam unterfertigten Erkenntnis vom 14. September 2016, Zlen. 405-9/44/1/35-2016 sowie 405-9/99/1/27-2016, wiesen die beiden genannten Einzelrichter des Verwaltungsgerichtes Salzburg beide Beschwerden als unbegründet ab.
4. Dagegen richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
5. Der Bürgermeister der Stadt Salzburg hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.
6. Das Verwaltungsgericht Salzburg hat die Gerichtsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der es den Beschwerdebehauptungen entgegentritt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, in eventu die Behandlung der Beschwerde abzulehnen.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
1. §10 des Gesetzes vom 7. Juli 2010 über die Bedarfsorientierte Mindestsicherung im Bundesland Salzburg (Sbg. MSG), LGBl für Salzburg 63/2010 idF LGBl für Salzburg 57/2012, lautet:
"Hilfe für den Lebensunterhalt und den Wohnbedarf
§10
(1) Der monatliche Mindeststandard für die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs beträgt:
1. für Alleinstehende oder Alleinerziehende 744,01 €;
2. für Ehegatten, eingetragene Partner, in Lebens-
gemeinschaft lebende Personen oder volljährige
Personen, die mit anderen Volljährigen im
gemeinsamen Haushalt leben, je Person 75 % des Betrages gemäß Z1;
3. für minderjährige Personen, die mit zumindest
einer ihnen gegenüber unterhaltspflichtigen
oder volljährigen Person im gemeinsamen Haushalt
leben und für die ein Anspruch auf Familienbeihilfe
besteht 21 % des Betrages gemäß Z1.
(2) Die Mindeststandards nach Abs1 gebühren zwölfmal pro Jahr. Zusätzlich ist für minderjährige Personen gemäß Abs1 Z3 in den Monaten März, Juni, September und Dezember eine Sonderzahlung in Höhe von 50 % des Mindeststandards gemäß Abs1 Z3 zu gewähren, soweit diese am Stichtag der Sonderzahlung bereits seit mindestens drei Monaten Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung bezogen haben; eine Unterbrechung des Bezugs der Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zufolge Erhalt von Sonderzahlungen bleibt dabei außer Betracht. Allfällige 13. und 14. Monatsbezüge minderjähriger Personen sind auf diese Sonderzahlung anzurechnen.
(3) Von den Mindeststandards gemäß Abs1 Z1 und 2 beträgt der Anteil zur Deckung des Wohnbedarfs 25 % (Wohngrundbetrag). Besteht kein oder ein geringerer Wohnbedarf oder ist dieser anderweitig gedeckt, sind die jeweiligen Mindeststandards um diese Anteile entsprechend zu reduzieren, höchstens jedoch um 25 %. Keine Hilfe für den Wohnbedarf gebührt für Hilfesuchende, die im gemeinsamen Haushalt mit zumindest einem Elternteil leben, wenn dieser Eigentümer oder Mieter der Unterkunft ist, selbst keine Leistungen nach dem 3. Abschnitt dieses Gesetzes bezieht und ein Anspruch auf Familienbeihilfe für die Hilfe suchende Person besteht.
(4) Der Mindeststandard nach Abs1 Z1 verändert sich jährlich um den gleichen Prozentsatz wie der Ausgleichszulagenrichtsatz für Alleinstehende nach §293 Abs1 ASVG. Die jährlichen Anpassungen erfolgen auf der Grundlage des Betrages, der sich aus der Anpassung für den Vorzeitraum ergeben hat, und werden jeweils mit 1. Jänner wirksam. Geringfügige Betragsanpassungen bis zu 50 Cent zur Gewährleistung österreichweit einheitlicher Mindeststandards sind zulässig. Die Landesregierung hat die sich daraus ergebenden Mindeststandards gemäß Abs1 im Landesgesetzblatt kundzumachen."
2. Art135 Abs1 Satz 1 und Satz 2 B-VG, BGBl 1/1920 idF BGBl I 51/2012, lautet:
"Artikel 135. (1) Die Verwaltungsgerichte erkennen durch Einzelrichter. Im Gesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte oder in Bundes- oder Landesgesetzen kann vorgesehen werden, dass die Verwaltungsgerichte durch Senat entscheiden. [...]"
3. §2 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG) ist seit der Stammfassung BGBl I 33/2013 unverändert in Kraft und lautet:
"Ausübung der Verwaltungsgerichtsbarkeit
§2. Soweit die Bundes- oder Landesgesetze nicht die Entscheidung durch den Senat vorsehen, entscheidet das Verwaltungsgericht durch Einzelrichter (Rechtspfleger)."
4. §12 Abs1 des Gesetzes vom 6. Februar 2013 über die Organisation des Landesverwaltungsgerichtes in Salzburg (Salzburger Landesverwaltungsgerichtsgesetz – S.LVwGG), LGBl für Salzburg 16/2013 idF LGBl für Salzburg 101/2016,, lautet wie folgt:
"3. Unterabschnitt
Geschäftsgang
Einzelrichter, Senate
§12
(1) Das Landesverwaltungsgericht entscheidet durch Einzelrichter, soweit in diesem Gesetz, im Gesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte oder in den Verwaltungsvorschriften nicht eine Entscheidung durch Senate vorgesehen ist."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
2. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts ua. dann verletzt, wenn das Verwaltungsgericht eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise seine Zuständigkeit ablehnt, etwa indem es zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001, 16.737/2002).
Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird insbesondere auch dann verletzt, wenn ein an sich zuständiges, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetztes Verwaltungsgericht entschieden hat (vgl. zB zur Zusammensetzung von Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag: VfSlg 8.731/1980, 10.022/1984, 11.350/1987; vgl. weiters zur unrichtigen Zusammensetzung des Spruchkörpers des Asylgerichtshofes: VfGH 12.3.2013, U1674/2012).
Ein solcher Fehler ist dem Verwaltungsgericht Salzburg unterlaufen:
2.1. Mit der bekämpften Entscheidung haben die für die jeweilige Beschwerde zuständigen Einzelrichter des Verwaltungsgerichtes in einer gemeinsamen Entscheidung die beiden Beschwerden als unbegründet abgewiesen.
2.2. Im vorliegenden Fall liegt aber bei beiden, in dem angefochtenen Erkenntnis verbundenen Beschwerdesachen mangels anders lautender bundes- oder landesrechtlicher Regelungen eine Einzelrichterzuständigkeit gemäß Art135 Abs1 B-VG iVm §2 VwGVG vor. Es wäre daher nur der jeweils zuständige Einzelrichter zur Entscheidung berufen gewesen. Der Einzelrichter kann zwar mehrere bei ihm anhängige Rechtssachen verbinden; es ist aber unzulässig, wenn mehrere Richter gemeinsam mehrere Verfahren, in denen jeweils nur einer von ihnen der zuständige Richter ist, verbinden und eine beide Rechtssachen übergreifende, gemeinsam begründete Entscheidung fällen, die als Folge der gemeinsamen Genehmigung auch beiden genehmigenden Richtern kollegial zugerechnet werden muss. Die beiden, die Entscheidung in den beiden verbundenen Rechtssachen genehmigenden Richter bilden keinen zulässigen Spruchkörper für diese Rechtssachen (vgl. sinngemäß VfGH 10.10.2016, G165/2016).
2.3. Die angefochtene Entscheidung wurde demnach von einem dafür unzuständigen richterlichen Kollegialorgan gefällt.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Verwaltungsgericht, Verwaltungsgerichtsverfahren, Landesverwaltungsgericht, Zuständigkeit, MindestsicherungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:E2456.2016Zuletzt aktualisiert am
05.12.2017