Index
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" für Fachkräfte in Mangelberufen mangels Durchführung eines eigenen Ermittlungsverfahrens (wegen vermeintlicher Bindung an eine Stellungnahme des Arbeitsmarktservices) sowie mangels Berücksichtigung witterungs- bzw betriebsbedingter Lohnschwankungen bei Prüfung des geforderten MindestentgeltsSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Das Land Steiermark ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
1.1. Die Bezirkshauptmannschaft Liezen erteilte dem Beschwerdeführer – einem Staatsangehörigen von Bosnien und Herzegowina – auf dessen Antrag für den Zeitraum 3. August 2015 bis 2. August 2016 einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot–Karte" (Fachkraft in Mangelberufen; Spengler).
1.2. Am 1. Juni 2016 stellte der Beschwerdeführer bei der Bezirkshauptmannschaft Liezen einen Antrag auf Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot–Karte plus". Mit Bescheid vom 4. August 2016 wies die Bezirkshauptmannschaft den Antrag ab. Begründend führte die Behörde aus, dass mit Schreiben des Arbeitsmarktservices Steiermark vom 1. August 2016 mitgeteilt worden sei, "dass eine Beschäftigung von 10 Monaten als Schlüsselkraft (innerhalb der letzten 12 Monate) [...] nicht bestätigt werden könne. Die Entlohnung von Jänner bis März 2016 habe nicht der Genehmigung entsprochen, der Antrag sei daher abzuweisen".
2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an das Verwaltungsgericht Steiermark. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Erkenntnis vom 22. September 2016 ab. Aus der Entscheidung geht hervor, dass eine Mitteilung des Arbeitsmarktservices gemäß §20e Abs1 Z2 AuslBG, wonach der Inhaber einer "Rot-Weiß-Rot–Karte innerhalb der letzten zwölf Monate zehn Monate unter den für die Zulassung maßgeblichen Voraussetzungen beschäftigt war, im Verfahren nicht erfolgt sei; ebenso wenig sei ein, für den Fall des Nichtvorliegens der Voraussetzungen gemäß Abs3 leg.cit. vorgesehener Bescheid des Arbeitsmarktservices ergangen, welcher der nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zuständigen Behörde zur Zustellung an den Ausländer zu übermitteln gewesen wäre.
In der rechtzeitig eingebrachten Beschwerde sei vom nunmehrigen Beschwerdeführer u.a. ausgeführt worden, dass in den Wintermonaten die Auftragslage witterungsbedingt nicht gut gewesen sei und man sich nach Rücksprache mit dem Arbeitsmarktservice Liezen und Arbeitsmarktservice Gröbming gemeinsam (der Arbeitgeber und der Beschwerdeführer) dazu entschlossen habe, den Beschwerdeführer für die Wintermonate von Jänner bis März 2016 in Teilzeit zu beschäftigen und das Stundenausmaß auf 20 Stunden zu reduzieren. In dieser Zeit habe der Beschwerdeführer € 700,– verdient. Dies sei jedes Jahr so, da man im Winter nicht auf den Dächern arbeiten könne. Die für die Lohnverrechnung zuständige Person habe auch aus diesem Grund Rücksprache mit dem Arbeitsmarktservice Liezen und dem Arbeitsmarktservice Gröbming gehalten und es sei dort klar gesagt worden, dass eine Herabsetzung der Wochenarbeitsstunden des Beschwerdeführers auf 20 Stunden in Ordnung sei, da es lediglich darum gehe, dass der Beschwerdeführer beschäftigt sei und es nicht darauf ankomme, wie hoch das Stundenausmaß seiner Beschäftigung sei. Betreffend das Gehalt des Beschwerdeführers sei auch festzuhalten, dass dieser seit Beginn seiner Beschäftigung bis dato stets mehr als das kollektivvertragliche Mindestentgelt ins Verdienen gebracht habe.
Das Landesverwaltungsgericht Steiermark ist bei seiner Entscheidung von folgenden Erwägungen ausgegangen:
"[...]
Sachverhalt:
Dem Beschwerdeführer ******* ***** wurde von der Bezirkshauptmannschaft Liezen eine 'Rot-Weiß-Rot-Karte' – Fachkraft in Mangelberufen, gültig vom 03.08.2015 bis 02.08.2016 erteilt. Am 01.06.2016 stellte der Beschwerdeführer persönlich bei der Bezirkshauptmannschaft Liezen einen Antrag auf Erteilung einer 'Rot-Weiß-Rot-Karte plus'. Die zur Beurteilung erforderlichen persönlichen Unterlagen wurden vom Beschwerdeführer vorgelegt. Unmittelbar nach Einlangen des Antrages, nämlich am 01.06.2016, stellte die Bezirkshauptmannschaft Liezen eine Anfrage gemäß §41a Abs1 NAG iVm §20e Abs1 Z2 AusIBG an das Arbeitsmarktservice Graz-West und Umgebung, Ausländerinnenfachzentrum (Ersuchen um Mitteilung gemäß §20e Abs1 Z1 bis 3 AusIBG). Am 01.08.2016 retournierte das Arbeitsmarktservice diese Anfrage und teilte mit, dass eine Beschäftigung von ******* ***** von 10 Monaten als Schlüsselkraft (innerhalb der letzten 12 Monate) nicht bestätigt wird. Begründend wurde ausgeführt, dass die Entlohnung von Jänner bis März 2016 nicht der Genehmigung entsprochen habe. Seitens der Bezirkshauptmannschaft Liezen wurde aufgrund der negativen schriftlichen Stellungnahme des Arbeitsmarktservice am gleichen Tag noch ein Telefonat mit dem zuständigen Bearbeiter geführt. Dieser erklärte dass sich der Arbeitgeber des Herrn ***** nicht an die Arbeitgebererklärung vom 03.08.2015 gehalten habe, da die Entlohnung von Jänner bis März nicht der Genehmigung entsprochen habe. Weiters wurde seitens des AMS mitgeteilt, dass auch für den Fall, dass ******* ***** nochmals einen Antrag auf eine 'Rot-Weiß-Rot-Karte' stellen würde, die Stellungnahme negativ wäre. Zudem sei 'Spengler' zukünftig kein Mangelberuf mehr.
[…]
Die 'Rot-Weiß-Rot-Karte Plus' ist ein befristeter Aufenthaltstitel, der die Inhaber zur Niederlassung in Österreich berechtigt. Drittstaatsangehörige können in einem Zweckänderungsverfahren gemäß §24 Abs4 NAG einen Titel 'Rot-Weiß-Rot-Karte Plus' in Anschluss an eine 'Rot-Weiß-Rot-Karte' erhalten. Das gilt für alle Säulen der 'Rot-Weiß-Rot-Karte'. Dieser Zweckänderungsantrag kann ausschließlich mit einem Verlängerungsantrag verbunden werden (§24 Abs4 NAG). In materieller Hinsicht müssen die allgemeinen Voraussetzungen (insbesondere §11 NAG) erfüllt werden und es muss eine Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß §20e Abs1 Z2 AusIBG vorliegen.
Implizit wird klargestellt, dass die Einholung dieser Mitteilung von Amts wegen geschehen muss (Abs11 stellt klar, wann die Behörde eine solche Mitteilung nicht einholen muss). Zuständig ist die nach dem Betriebssitz des Arbeitgebers zuständige regionale Geschäftsstelle des AMS. Diese muss gemäß §20e Abs1 Z2 AusIBG der Niederlassungsbehörde bestätigen, dass der Drittstaatsangehörige als Inhaber einer 'Rot-Weiß-Rot-Karte' innerhalb der letzten 12 Monate 10 Monate unter den 'für die Zulassung maßgeblichen Voraussetzungen' beschäftigt war. Da gemäß §41a Abs1 NAG eine Zulassung lediglich in einem mit einem Zweckänderungsantrag verbundenen Verlängerungsverfahren und erst nach 12 Monaten möglich ist, ist ein Umstieg auf eine 'Rot-Weiß-Rot-Karte plus' auch dann erst nach 12 Monaten möglich, wenn nach 10 Monaten bereits die erforderliche Beschäftigungszeit vorliegt. Die für die Zulassung maßgeblichen Voraussetzungen müssen während der ganzen Dauer erfüllt sein; dies betrifft insbesondere das Mindestentgelt (vgl. BVwG, 24.02.2015, W2012017426-1) bzw. die ausgeübte Tätigkeit. Die in §20e Abs1 AusIBG genannten Zeiten (insbesondere Erholungsurlaub, Wochengeld, Elternkarenz) gelten als Beschäftigungszeiten des §20e Abs1 Z2 AusIBG. Vor Ausstellung einer solchen Bestätigung ist der Regionalbeirat (§20f AMSG) anzuhören. Diesem kommt aber keine Entscheidungsbefugnis zu. Dem AMS ist kein Ermessen eingeräumt: Liegen die Voraussetzungen vor, muss die Bestätigung ausgestellt werden. Bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen hat die zuständige regionale Geschäftsstelle des AMS gemäß §20e Abs3 AusIBG diese Bestätigung zu versagen und den diesbezüglichen Bescheid der nach dem NAG zuständigen Behörde zur Ausstellung an den Ausländer zu übermitteln. Wie im Verfahren zur Erteilung einer 'Rot-Weiß-Rot-Karte' ist davon auszugehen, nach einem Antrag an die Niederlassungsbehörde einen Bescheid einer anderen Behörde (regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice) zu erhalten. Gegen einen abweisenden Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des AMS kann der Drittstaatsangehörige Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erheben, gegen einen ab- oder zurückweisenden Bescheid der Niederlassungsbehörde ist eine Beschwerde an das zuständige Landesverwaltungsgericht möglich.
Aus den obigen Ausführungen ergibt sich bezogen auf den gegenständlichen Fall, dass eine negative Stellungnahme der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice nach der Bestimmung des §20e Abs1 Z2 AusIBG vorliegt. Damit fehlt die zwingende Voraussetzung des §41a Abs1 Z3 NAG für die Erteilung des Aufenthaltstitels 'Rot-Weiß-Rot-Karte plus'. Die belangte Behörde hat somit zu Recht den Antrag des Beschwerdeführers vom 01.06.2016 abgewiesen. Die zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice hat, wie sich aus dem gegenständlichen Akt ergibt, eine positive Bestätigung versagt. Gemäß den Bestimmungen des §20e AusIBG hätte die regionale Geschäftsstelle einen Bescheid erlassen und der belangten Behörde zur Zustellung an den Beschwerdeführer übermitteln müssen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Voraussetzungen für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels nicht vorliegen. Sämtliche Vorbringen in der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Liezen wären demnach gegen den zu erlassenden Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des AMS vorzubringen. Im gegenständlichen Fall ist es dem Landesverwaltungsgericht Steiermark nicht möglich auf die Vorbringen einzugehen, da das Landesverwaltungsgericht Steiermark diesbezüglich nicht zuständig ist, sondern das Bundesverwaltungsgericht im Zuge einer Anfechtung des Bescheides der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice.
Auch wenn die übrigen Voraussetzungen für die Erteilung des Aufenthaltstitels offensichtlich vorliegen, war die Beschwerde abzuweisen und spruchgemäß zu entscheiden.
[…]"
3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird. Der Beschwerdeführer behauptet ein willkürliches Verhalten der Behörde infolge einer gehäuften und maßgeblichen Verkennung der Rechtslage.
4. Die Bezirkshauptmannschaft Liezen hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Beschwerdebehauptungen entgegentritt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
5. Das Verwaltungsgericht hat die Gerichtssakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.
II. Rechtslage
1. Die für den vorliegenden Fall relevanten Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG), BGBl I 100/2005 in der maßgeblichen Fassung BGBl I 122/2015, lauteten auszugsweise wie folgt:
"2. TEIL
BESONDERER TEIL
1. Hauptstück
Niederlassung von Drittstaatsangehörigen
Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte'
§41. (1) Drittstaatsangehörigen kann ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte' erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und eine schriftliche Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß §20d Abs1 Z1 AuslBG vorliegt.
(2) Drittstaatsangehörigen kann ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte' erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und
1. eine schriftliche Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß §20d Abs1 Z2 AuslBG,
2. eine schriftliche Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß §20d Abs1 Z3 AuslBG,
3. eine schriftliche Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß §20d Abs1 Z4 AuslBG, oder
4. ein Gutachten der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß §24 AuslBG
vorliegt.
(3) – (4) [...].
Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus'
§41a. (1) Drittstaatsangehörigen kann in einem Verfahren gemäß §24 Abs4 ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' erteilt werden, wenn
1. sie bereits zwölf Monate einen Aufenthaltstitel gemäß §41 Abs1 oder 2 besitzen,
2. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und
3. eine Mitteilung gemäß §20e Abs1 Z2 AuslBG vorliegt.
(2) Drittstaatsangehörigen kann in einem Verfahren gemäß §24 Abs4 ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' erteilt werden, wenn
1. sie bereits zwei Jahre einen Aufenthaltstitel gemäß §42 besitzen,
2. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und
3. eine Mitteilung gemäß §20e Abs1 Z3 AuslBG vorliegt.
(3) Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' zu erteilen, wenn eine Mitteilung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß §59 Abs4 AsylG 2005 vorliegt. Der Aufenthaltstitel ist unverzüglich, längstens jedoch binnen acht Wochen ab Zustellung der Mitteilung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, zu erteilen. §20 Abs2 gilt sinngemäß.
(4) Drittstaatsangehörigen kann in einem Verfahren gemäß §24 Abs4 oder §26 ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' erteilt werden, wenn sie
1. die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und
2. mindestens zwei Jahre über eine Aufenthaltsbewilligung gemäß §67 verfügt haben.
(5) Der Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' ist an Drittstaatsangehörige im Fall der Rückstufung gemäß §28 zu erteilen, wenn die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllt sind.
(6) Drittstaatsangehörigen kann ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' erteilt werden, wenn sie
1. die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und
2. über einen Aufenthaltstitel gemäß §45 verfügt haben und dieser gemäß §20 Abs4 oder 4a erloschen ist oder gemäß §10 Abs3 Z3 oder Z4 gegenstandslos wurde.
(7) Drittstaatsangehörigen kann in einem Verfahren gemäß §24 Abs4 ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' erteilt werden, wenn
1. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen,
2. sie über eine 'Niederlassungsbewilligung' verfügen und
3. eine schriftliche Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß §20e Abs1 Z1 AuslBG vorliegt.
(8) – (10) [...]
(11) In den Fällen der Abs1 und 7 ist von der Einholung einer schriftlichen Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle oder eines Gutachtens der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice abzusehen, wenn der Antrag
1. wegen eines Formmangels oder Fehlens einer Voraussetzung gemäß §§19 bis 24 zurück- oder abzuweisen ist oder
2. wegen zwingender Erteilungshindernisse gemäß §11 Abs1 abzuweisen ist.
Erwächst die negative Entscheidung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice über die Zulassung in den Fällen des §20e Abs1 AuslBG in Rechtskraft, ist das Verfahren ohne weiteres einzustellen."
2. §12a des Bundesgesetzes vom 20. März 1975, mit dem die Beschäftigung von Ausländern geregelt wird (Ausländerbeschäftigungsgesetz – AuslBG), BGBl 218/1975 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl I 25/2011, lautete wie folgt:
"Fachkräfte in Mangelberufen
§12a. Ausländer werden in einem in der Fachkräfteverordnung (§13) festgelegten Mangelberuf zu einer Beschäftigung als Fachkraft zugelassen, wenn sie
1. eine einschlägige abgeschlossene Berufsausbildung nachweisen können,
2. die erforderliche Mindestpunkteanzahl für die in Anlage B angeführten Kriterien erreichen,
3. für die beabsichtigte Beschäftigung das ihnen nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehende Mindestentgelt zuzüglich einer betriebsüblichen Überzahlung erhalten und sinngemäß die Voraussetzungen des §4 Abs1 mit Ausnahme der Z1 erfüllt sind. Die Arbeitsmarktprüfung im Einzelfall entfällt.
2.1. §20e AuslBG, BGBl 218/1975 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl I 113/2015, lautete wie folgt:
"Rot-Weiß-Rot – Karte plus
§20e. (1) Vor Erteilung einer 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' (§§41a Abs1, 2 und 7, 47 Abs4, 56 Abs3 NAG) hat die nach dem Wohnsitz des Ausländers, im Falle der Z2 und 3 die nach dem Betriebssitz des Arbeitgebers zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice der nach dem NAG zuständigen Behörde zu bestätigen, dass der Ausländer
1. die Voraussetzungen gemäß §15 erfüllt oder
2. als Inhaber einer 'Rot-Weiß-Rot – Karte' innerhalb der letzten zwölf Monate zehn Monate unter den für die Zulassung maßgeblichen Voraussetzungen beschäftigt war oder
3. als Inhaber einer 'Blauen Karte EU' innerhalb der letzten 24 Monate 21 Monate unter den für die Zulassung maßgeblichen Voraussetzungen beschäftigt war.
Im Falle der Z1 ist vor der Bestätigung der Regionalbeirat anzuhören.
(2) Als Beschäftigung im Sinne des Abs1 Z2 und 3 gelten auch Zeiten
1. eines Erholungsurlaubes,
2. des Wochengeldbezugs,
3. einer Karenz nach dem Mutterschutzgesetz 1979 – MSchG, BGBl Nr 221, dem Väter-Karenzgesetz – VKG, BGBl Nr 651/1989, oder dem Landarbeitsgesetz 1984,
4. einer Bildungskarenz gemäß §11 AVRAG,
5. eines sonstigen, für eine verhältnismäßig kurze Dauer vereinbarten Karenzurlaubes und
6. einer Krankheit, für deren Dauer das Entgeltfortzahlungsgesetz – EFZG, BGBl Nr 399/1974, das Angestelltengesetz, BGBl Nr 1921, oder §1154b des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB), JGS Nr 946/1811, gilt.
(3) Bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen hat die zuständige regionale Geschäftsstelle die Bestätigung zu versagen und den diesbezüglichen Bescheid unverzüglich der nach dem NAG zuständigen Behörde zur Zustellung an den Ausländer zu übermitteln."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein solcher Fehler ist dem Verwaltungsgericht Steiermark unterlaufen:
2.1. Das Verwaltungsgericht begründet die angefochtene Entscheidung damit, dass eine Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservices gemäß §20e Abs1 Z2 AuslBG darüber vorliegen müsse, dass der Drittstaatsangehörige als Inhaber einer "Rot-Weiß-Rot–Karte" innerhalb der letzten 12 Monate 10 Monate unter den "für die Zulassung maßgeblichen Voraussetzungen" beschäftigt gewesen sei. Die maßgeblichen Voraussetzungen müssen während der gesamten Dauer erfüllt sein; dies betreffe insbesondere das Mindestentgelt bzw. die ausgeübte Tätigkeit. Dem Arbeitsmarktservice komme dabei kein Ermessen zu; wenn die Voraussetzungen gegeben seien, müsse die Bestätigung ausgestellt werden. Bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen habe das Arbeitsmarktservice gemäß §20e Abs3 AuslBG diese Bestätigung zu versagen und den diesbezüglichen Bescheid der nach dem NAG zuständigen Behörde zur Ausstellung an den Ausländer zu übermitteln. Im vorliegenden Fall liege eine "negative Stellungnahme der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice" vor und damit fehle die zwingende Voraussetzung des §41a Abs1 Z3 NAG für die Erteilung des Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot–Karte plus". Der Umstand, dass das Arbeitsmarktservice keinen Bescheid erlassen habe, ändere "nichts daran, dass die Voraussetzungen für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels nicht vorliegen. Sämtliche Vorbringen in der Beschwerde [...] wären demnach gegen den zu erlassenden Bescheid des [...] AMS vorzubringen." Dem Verwaltungsgericht sei es nicht möglich, auf dieses Vorbringen einzugehen, da es diesbezüglich nicht zuständig sei, sondern das Bundesverwaltungsgericht im Zuge einer Anfechtung dieses Bescheides.
2.2. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 22.9.2017, E503/2016 ausgesprochen hat, hat das Verwaltungsgericht gemäß §27 VwGVG grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden, ohne dabei an die von der Behörde im erstinstanzlichen Verfahren einzuholende Stellungnahme des Arbeitsmarktservices gebunden zu sein. Im vorliegenden Fall hätte das Verwaltungsgericht daher selbst zu ermitteln gehabt, ob beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Erteilung des Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot–Karte plus" gemäß §41a NAG vorlagen.
2.3. Soweit das Verwaltungsgericht ungeachtet dessen, dass der Beschwerdeführer während der Wintermonate Teilzeit gearbeitet hat, vor dem Hintergrund der Feststellungen des Arbeitsmarktservices die Meinung vertritt, dass die für die Zulassung maßgeblichen Voraussetzungen "während der ganzen Dauer" der Mindestfrist von 10 Monaten erfüllt sein müsste, was "insbesondere das Mindestentgelt" betreffe, so unterstellt es §12a Z3 AuslBG überdies einen verfassungswidrigen Inhalt: diese Bestimmung zielt zwar auf das "nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehende Mindestentgelt" und damit auf den Brutto-Monatslohn ab, ohne dass damit aber eine starre Grenze der täglichen Mindestbeschäftigungsdauer vorgegeben wäre. Monatliche und witterungs- bzw. betriebsbedingte wirtschaftliche Lohnschwankungen sind daher auf diese Weise zu berücksichtigen, dass in solchen Fällen vom Verwaltungsgericht zu prüfen ist, ob der Dienstgeber auch während des Zeitraumes verkürzter Arbeitszeit den kollektivvertraglichen oder vertraglich zugesagten höheren Stundenlohn entrichtet hat (vgl. VfGH 3.3.2015, E1521/2014).
2.4. Das Verwaltungsgericht hat sowohl durch die Beachtung einer vermeintlichen Bindung an die formlose Äußerung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservices, als auch in der Auslegung des §12a Z3 AuslBG dem Gesetz einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt.
2.5. Das Verwaltungsgericht hat bei der Erlassung der Entscheidung Willkür geübt.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.
3. Die Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Fremdenrecht, Aufenthaltsrecht, Ausländerbeschäftigung, Auslegung verfassungskonforme, Ermittlungsverfahren, Zusammenwirken von BehördenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:E2936.2016Zuletzt aktualisiert am
05.12.2017