TE OGH 2017/10/25 8Ob116/17t

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Veröffentlicht am 25.10.2017
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Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner, den Hofrat Dr. Brenn, die Hofrätin Mag. Korn und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Dr. Francisco Rumpf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S***** B*****, vertreten durch Dr. Kurt Ludwig Breit und Dr. Thomas Mayr, Rechtsanwälte in Wien, wegen Aufkündigung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 14. Juni 2017, GZ 39 R 79/17g-22, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 3. Februar 2017, GZ 9 C 401/16z-17, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 831,36 EUR (darin enthalten 138,56 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Im Anlassfall stellt sich die Frage, ob die klagende Partei das Mietverhältnis zur Beklagten vereinfacht aufkündigen kann, weil der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 2 Z 5 MRG (Ein- oder Zweifamilienhaus) vorliegt.

An die Beklagte ist ein Geschäftslokal (Werkstatträumlichkeiten) im Bereich des Hofes des Hauses vermietet. Konkret stellt sich die Frage, wie viele selbständige Mietobjekte auf der Liegenschaft der klagenden Partei vorhanden sind.

2.1 Gemäß § 1 Abs 2 Z 5 MRG sind vom Anwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes Mietgegenstände in einem Gebäude mit nicht mehr als zwei selbständigen Wohnungen oder Geschäftsräumlichkeiten ausgenommen (Ein- und Zweifamilienhäuser); nachträglich neu geschaffene Dachbodenausbauten sind nicht zu zählen (7 Ob 87/16v).

2.2 In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sind die Beurteilungskriterien für Ein- und Zweifamilienhäuser seit langem geklärt. Das Gleiche gilt für die Bedeutung von Bauunterlagen zur Beurteilung dieser Frage. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt damit nicht vor.

Als selbständige Wohnung ist ein selbständiger und in sich baulich abgeschlossener Teil eines Gebäudes zu verstehen, der geeignet ist, der Befriedigung eines individuellen Wohnbedürfnisses von Menschen zu dienen (RIS-Justiz RS0069338). Die Annahme von Wohnräumen ist dabei nur dann gerechtfertigt, wenn diese aufgrund ihrer bautechnischen und rechtlichen Gegebenheiten für die Verwendung zur Unterkunft und Haushaltsführung geeignet sind (RIS-Justiz RS0069440). Die Beurteilung hat nach der Verkehrsauffassung zu erfolgen (RIS-Justiz RS0079853; 10 Ob 2/15i). Entscheidend ist dabei der tatsächliche Zustand im Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags (RIS-Justiz RS0112564; 1 Ob 73/17t). Grundsätzlich ist auf die Liegenschaft, also auf den Grundbuchskörper abzustellen, sodass in der Regel mehrere auf einem Grundbuchskörper befindliche Häuser zusammenzuzählen sind (5 Ob 55/17z).

2.3 In Bezug auf sämtliche in Betracht kommenden Mietobjekte (Wohnungen und Geschäftsräume) kommt es demnach auf die Zahl getrennt zugänglicher (abgeschlossener) Raumeinheiten an, die selbständig vermietbar sind, wobei typische Nebenräume eines Hauses oder eines Bestandobjekts (zB Abstellräume, Kellerräume oder Garagen) nicht zu berücksichtigen sind (RIS-Justiz RS0069389), außer der Charakter als Nebenraum wurde durch tatsächliche Vermietung aufgehoben (1 Ob 73/17t). Maßgebend ist der objektive bauliche Zustand im Zeitpunkt der Vermietung nach Maßgabe der Verkehrsauffassung. Die konkrete Beurteilung hängt dabei typisch von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0079853).

2.4 Entgegen der Ansicht der klagenden Partei kommt es nicht auf die tatsächliche Benützung bzw Widmung durch den Vermieter an. Soweit von „tatsächlichem Zustand“ die Rede ist, ist nicht die tatsächliche Verwendung gemeint, sondern der objektive bauliche Zustand, also die objektive Verwendbarkeit nach den tatsächlichen baulichen Gegebenheiten.

2.5 Die bauliche Abgeschlossenheit einer der Vermietung zugänglichen Raumeinheit richtet sich somit nach dem tatsächlichen baulichen Zustand. Da der objektive bauliche Zustand in der Regel mit der Baubewilligung übereinstimmt, wird in der Judikatur mitunter auf die Baubewilligung oder die rechtlichen Gegebenheiten verwiesen (vgl RIS-Justiz RS0069412; RS0069440). Die Bauunterlagen sind daher ein geeignetes (Beweis-)Mittel zur Feststellung des baulichen Zustands.

Soweit das Berufungsgericht den Begriff „Baukonsens“ verwendet, nimmt es auf den baulichen Zustand laut Bauverfahren Bezug. Wird behauptet, dass der tatsächliche bauliche Zustand nicht mit den für das Bauverfahren maßgebenden Unterlagen übereinstimmt, so muss dies auch bewiesen werden. Ganz allgemein ist der Vermieter für das Vorliegen des Ausnahmetatbestands des § 1 Abs 2 Z 5 MRG behauptungs- und beweispflichtig (8 Ob 87/05i). Als weiteres Beweismittel kommt in dieser Hinsicht vor allem das vom Berufungsgericht erwähnte bautechnische Sachverständigengutachten in Betracht.

3.1 Nach den Feststellungen befindet sich hinter der vom Erstgericht so bezeichneten „Eingangstüre“ linksseitig der Hauseinfahrt ein so bezeichneter „Vorraum“, von dem aus man in zwei Lagerräume sowie – über eine Doppelflügeltüre – in einen Eingangsbereich mit weiteren Räumlichkeiten im Erdgeschoß (zB Sitzungszimmer, Teeküche) und zudem zu der in das Obergeschoß führenden Stiegenhaustreppe gelangt. Auch im Obergeschoß befindet sich ein so bezeichneter „Vorraum“, von dem aus man ebenfalls über eine Doppelflügeltüre zu den Büroräumlichkeiten der klagenden Partei gelangt. Das Erstgericht bezeichnet die beschriebene Doppelflügeltüre im Obergeschoß als „doppelflügelige Eingangstüre“. Dies spricht auf den ersten Blick für ein eigenes, baulich abgeschlossenes und vermietbares Objekt im Obergeschoß, wo sich auch gesonderte Sanitäranlagen befinden (vgl 10 Ob 2/15i).

3.2 Die vom Erstgericht für die Beurteilung herangezogenen Umstände, wonach die von ihm beschriebene Eingangstüre linksseitig der Hauseinfahrt nur von Mitarbeitern der klagenden Partei gesperrt werden könne und die Räumlichkeiten im Obergeschoß ausschließlich von der klagenden Partei benützt würden, sodass Erdgeschoß und Obergeschoß nur für die klagende Partei zugänglich seien, stellen auf die tatsächlichen Benützungsverhältnisse ab, die allerdings nicht maßgeblich sind.

3.3 Das Berufungsgericht hat somit zu Recht die Beurteilung des Erstgerichts korrigiert, wobei das Berufungsgericht – unter Berücksichtigung der hier vorgenommenen Klarstellungen zum „Baukonsens“ – von den zutreffenden Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist.

Erachtet das Berufungsgericht ausgehend von einer zutreffenden Rechtsansicht den Sachverhalt für noch klärungsbedürftig, so kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem grundsätzlich nicht entgegentreten (RIS-Justiz RS0042179; RS0043414).

Das Berufungsgericht hat seinen Beurteilungsspielraum in dieser Hinsicht nicht überschritten. Den Feststellungen lässt sich nicht entnehmen, ob die Lagerräumlichkeiten im Erdgeschoß vom so bezeichneten „Vorraum“ baulich abgegrenzt sind, sowie ob es sich um typische Nebenräume handelt. Außerdem ergibt sich aus den Feststellungen nicht klar, wie sich die vom Erstgericht so bezeichneten „Vorräume“ darstellen, konkret, ob es sich dabei nach dem objektiven baulichen Zustand um Hausgänge bzw um Zugangsflächen außerhalb abgeschlossener und selbständig vermietbarer Mietobjekte handelt.

4. Die im Rekurs behauptete Aktenwidrigkeit liegt nicht vor. Eine Aktenwidrigkeit besteht ausschließlich in einem Widerspruch zwischen dem Inhalt eines bestimmten Aktenstücks einerseits und dessen Wiedergabe durch das Gericht (RIS-Justiz RS0043284).

Die klagende Partei bezieht sich auch in diesem Zusammenhang auf die rechtliche Würdigung durch das Berufungsgericht und geht unrichtig von den tatsächlichen Benützungsverhältnissen aus, auf die es jedoch nicht ankommt.

5. Insgesamt gelingt es der klagenden Partei nicht, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Der Rekurs war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen.

Textnummer

E119925

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:0080OB00116.17T.1025.000

Im RIS seit

05.12.2017

Zuletzt aktualisiert am

12.11.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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