Entscheidungsdatum
18.09.2017Index
L92009 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung WienNorm
WMG §16 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Landesrechtspflegerin Schussek über die Beschwerde des Herrn C. H. vom 27.8.2017 gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, Soziales, Sozial- und Gesundheitsrecht, Sozialzentrum ..., vom 21.8.2017, Zahl MA 40 - SZ ... SH/2017/01934643-001,
zu Recht e r k a n n t:
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
Entscheidungsgründe
Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, hat mit Bescheid vom 21.08.2017, zur Zl. MA 40 – SZ ... SH/2017/01934643-001, die zuletzt mit Bescheid vom 27.04.2017, Zl. MA 40 - SH/2017/01553449-001 zuerkannte Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs (Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs und Mietbeihilfe) gemäß §§ 7, 9, 10, 12 und 16 des Wiener Mindestsicherungsgesetzes (WMG) in der geltenden Fassung mit 31.08.2017 eingestellt.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass mit Schreiben vom 27.04.2017 unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 16 Abs. 2 WMG (Einstellung der Leistung wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht) die Aufforderung ergangen sei, bis spätestens 11.05.2017 die unterschriebene PVA-Zustimmungserklärung für die Zuweisung zur ärztlichen Untersuchung bei der PVA (Abklärung der Arbeitsfähigkeit) zu übermitteln und in weiterer Folge den Untersuchungstermin wahrzunehmen. Die unterschriebene PVA-Zustimmungserklärung sei zwar fristgerecht übermittelt, der Termin zur ärztlichen Untersuchung jedoch nicht wahrgenommen worden. Da das Gutachten zum Zwecke der Feststellung der Arbeitsfähigkeit zur Beurteilung des Anspruches „unerlässlich“ im Sinne des § 16 WMG gewesen sei, sei die Behörde ohne die verpflichtende Mitwirkung praktisch außerstande gesetzt, die für die Bemessung der Leistung rechtserheblichen Tatsachen festzustellen. Die Leistung sei daher einzustellen.
In der dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerde vom 27.08.2017 führt der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass er im April aufgefordert worden sei, die PVA-Zustimmungserklärung zukommen zu lassen. Er habe dieses Formular ausgefüllt und termingerecht gefaxt. Dort sei auch gestanden, er erhalte von der PVA eine schriftliche Einladung zum Untersuchungstermin. Er habe bis heute keinen Termin von der PVA erhalten und erhebe daher Einspruch gegen die Einstellung der Mindestsicherung. Er ersuche um nochmalige Prüfung und Rücksprache mit der PVA.
Die Magistratsabteilung 40 legte die Beschwerde mit dem Bezug habenden Akt dem Verwaltungsgericht Wien vor.
Mit Schreiben vom 12.09.2017 erging eine Anfrage des Verwaltungsgerichts Wien an die PVA.
In Beantwortung wurde dem erkennenden Gericht mit Schreiben vom 14.09.2017 eine Kopie des Einladungsschreibens vom 12.06.2017 für den Untersuchungstermin am 10.07.2017 von der PVA übermittelt. Überdies wurde mitgeteilt, dass es einen weiteren Termin nicht gegeben habe und müsse sich der Kunde bei Nichterscheinen nochmals an die MA 40 wegen eines neuen Untersuchungstermins wenden. Dem Einladungsschreiben ist zu entnehmen, dass es an Herrn C. H., K.-Gasse, Wien adressiert war. Eine telefonische Rückfrage hat ergeben, dass das Schreiben ohne Zustellnachweis versendet wurde.
Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Wiener Mindestsicherungsgesetzes (WMG) lauten auszugsweise wie folgt:
§ 1.
Ziele und Grundsätze
(1) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung hat zum Ziel, Armut und soziale Ausschließung verstärkt zu bekämpfen und zu vermeiden sowie die dauerhafte Eingliederung oder Wiedereingliederung in das Erwerbsleben weitest möglich zu fördern.
(2) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung erfolgt durch Zuerkennung von pauschalierten Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs sowie von den bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung erforderlichen Leistungen. Auf diese Leistungen besteht ein Rechtsanspruch.
(3) Die Zuerkennung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ist subsidiär. Sie erfolgt nur, wenn der Mindestbedarf nicht durch Einsatz eigener Arbeitskraft, eigener Mittel oder Leistungen Dritter gedeckt werden kann.
(4) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung dient der Beseitigung einer bestehenden Notlage. Sie erfolgt auch vorbeugend, wenn dadurch einer drohenden Notlage entgegengewirkt werden kann. Eine Fortsetzung ist solange möglich, als dies notwendig ist, um die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Hilfeleistung zu sichern. Die Mindestsicherung hat rechtzeitig einzusetzen. Eine Zuerkennung von Leistungen für die Vergangenheit ist nicht möglich.
§ 6.
Pflichten der Hilfe suchenden oder empfangenden Personen
Hilfe suchende oder empfangende Personen haben nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen
1. zur Abwendung und Beseitigung der Notlage ihre Arbeitskraft einzusetzen,
2. an arbeitsintegrativen Maßnahmen teilzunehmen,
3. eigene Mittel vorsorglich und zweckmäßig einzusetzen,
4. Ansprüche, die der Deckung der Bedarfe nach diesem Gesetz dienen, nachhaltig zu verfolgen, soweit dies nicht offensichtlich aussichtslos, unzumutbar oder mit unverhältnismäßigem Kostenrisiko verbunden ist,
5. zuerkannte Leistungen zweckentsprechend, das heißt zur Abdeckung der Bedarfe für die sie zuerkannt wurden, zu verwenden und
6. ihre Mitwirkungspflichten im Verfahren und während des Bezuges von Leistungen zu erfüllen.
§ 14.
Einsatz der Arbeitskraft
Mitwirkung an arbeitsintegrativen Maßnahmen
(1) Hilfe suchende oder empfangende Personen sind verpflichtet, zumutbare Beschäftigungen anzunehmen, sich nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen und von sich aus alle zumutbaren Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen. Diese Pflichten bestehen insbesondere auch dann, wenn mit einer ausgeübten Beschäftigung der Lebensunterhalt und Wohnbedarf nicht gedeckt werden kann oder das volle Beschäftigungsausmaß nicht erreicht wird. Wenn die Hilfe suchende oder empfangende Person nach angemessener Frist keinen geeigneten Arbeitsplatz erlangen kann, ist sie verpflichtet, auch Arbeitsmöglichkeiten zu ergreifen, die nicht unmittelbar ihrer beruflichen Eignung und Vorbildung entsprechen, die ihr jedoch im Hinblick auf diese zugemutet werden können. Bei weiter andauernder Arbeitslosigkeit ist sie verpflichtet, andere Arbeitsmöglichkeiten zu ergreifen, auch wenn sie nicht der beruflichen Eignung und Vorbildung entsprechen.
(2) Der Einsatz der eigenen Arbeitskraft darf nicht verlangt werden von Personen, die
1. das Regelpensionsalter nach dem ASVG erreicht haben,
2. erwerbsunfähig sind,
3. Betreuungspflichten gegenüber Kindern haben, welche das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet haben und keiner Beschäftigung nachgehen können, weil keine geeigneten Betreuungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen,
4. pflegebedürftige Angehörige, welche ein Pflegegeld mindestens der Stufe 3 beziehen, überwiegend betreuen,
5. Sterbebegleitung oder Begleitung von schwersterkrankten Kindern (§§ 14a, 14b Bundesgesetz, mit dem arbeitsvertragsrechtliche Bestimmungen an das EG-Recht angepasst, Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz– AVRAG, und das Angestelltengesetz, das Gutsangestelltengesetz und das Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetz geändert werden) leisten,
6. in einer bereits vor Vollendung des 18. Lebensjahres begonnenen und zielstrebig verfolgten Erwerbs- oder Schulausbildung stehen, sofern sie noch keine abgeschlossene Erwerbsausbildung oder Schulausbildung auf Maturaniveau haben.
§ 16.
Ablehnung und Einstellung der Leistungen
(1) Wenn eine Hilfe suchende oder empfangende Person trotz Aufforderung unter Setzung einer angemessenen Frist und nachweislichem Hinweis auf die Rechtsfolgen ohne triftigen Grund nicht rechtzeitig mitwirkt, indem sie
1. die zur Durchführung des Verfahrens von der Behörde verlangten Angaben nicht macht oder
2. die von der Behörde verlangten Unterlagen nicht vorlegt oder
3. soweit nicht für die Anrechnung die statistisch errechneten Durchschnittsbedarfssätze herangezogen werden können, gesetzliche oder vertragliche Ansprüche, die der zumindest teilweisen Deckung der Bedarfe nach § 3 dienen, nicht nachhaltig, auch behördlich (gerichtlich), verfolgt, wobei eine offenbar aussichtslose, unzumutbare oder mit unverhältnismäßigem Kostenrisiko verbundene Geltendmachung von Ansprüchen nicht verlangt werden kann,
ist die Leistung einzustellen oder abzulehnen. Eine Nachzahlung für die Zeit der Einstellung oder Ablehnung unterbleibt. Ein triftiger Verhinderungsgrund ist von der Hilfe suchenden oder empfangenden Person glaubhaft zu machen und entsprechend zu bescheinigen.
(2) Die im Rahmen der Bemessung auf eine Hilfe suchende oder empfangende Person entfallende Leistung ist einzustellen oder abzulehnen, wenn sie unter den in Abs. 1, erster Halbsatz genannten Voraussetzungen nicht mitwirkt, indem sie der Aufforderung zu einer ärztlichen Untersuchung nicht nachkommt.
(3) Bei einer Einstellung oder Ablehnung nach Abs. 2 ändert sich der auf die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft anzuwendende Mindeststandard nicht.
Im Verfahren war zu prüfen, ob die Einstellung der zuletzt zuerkannten Leistungen rechtens war. Der Beschwerdeführer hat diesbezüglich bestritten eine Einladung zu einem Untersuchungstermin bei der PVA erhalten zu haben.
Aus dem vorliegenden Akteninhalt sowie den durchgeführten Ermittlungen ergibt sich folgender als erwiesen festgestellter Sachverhalt:
Mit Schreiben vom 27.04.2017 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 16 Abs. 2 WMG aufgefordert, zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit bis spätestens 11.05.2017 beiliegende PVA-Zustimmungserklärung unterschrieben zu übermitteln.
Mittels Telefax wurde die PVA-Zustimmungserklärung unterschrieben retourniert und ist am 08.05.2017, innerhalb der festgesetzten Frist, bei der Behörde eingelangt.
Mit Schreiben vom 12.06.2017 wurde der nunmehrige Beschwerdeführer für den Untersuchungstermin am 10.07.2017 von der PVA eingeladen. Das Schreiben war an Herrn C. H., K.-Gasse, Wien adressiert.
Laut aktuellem Auszug aus dem Zentralen Melderegister ist der Beschwerdeführer in Wien, H.-Gasse, mit Hauptwohnsitz gemeldet und wurde diese Adresse auch in der PVA-Zustimmungserklärung als Wohnsitz angeführt.
Dazu wird festgestellt:
Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 26 Abs. 2 Zustellgesetz hat die Behörde bei Zustellungen ohne Zustellnachweis die Folge zu tragen, dass der Behauptung der Partei, sie habe ein Schriftstück nicht empfangen, nicht wirksam entgegengetreten werden kann. Bei bestrittenen Zustellungen ohne Zustellnachweis hat die Behörde die Tatsache der Zustellung nachzuweisen. In diesem Fall muss - mangels Zustellnachweises - der Beweis der erfolgten Zustellung auf andere Weise von der Behörde erbracht werden. Gelingt dies nicht, muss die Behauptung der Partei über die nicht erfolgte Zustellung als richtig angenommen werden (VwGH 20.12.2007, 2007/16/0175).
Daraus resultiert, dass die Zustellung der Ladung an den Beschwerdeführer zur ärztlichen Untersuchung zum Zweck der Begutachtung seiner Arbeitsfähigkeit bei der PVA am 10.07.2017 auch keinerlei Rechtswirkung entfalten konnte, zumal das Schreiben offensichtlich auch nicht an den Wohnsitz des Beschwerdeführers adressiert wurde.
Es liegen daher die Voraussetzungen des § 16 WMG für die Einstellung der bescheidmäßig zuerkannten Leistungen nicht vor und war der angefochtene Bescheid spruchgemäß zu beheben. Damit lebt der Bescheid vom 27.04.2017, zur Zl. MA 40 – SH/2017/01553449-001, wieder auf und ist dem Beschwerdeführer die ihm zustehende Mindestsicherung nachzuzahlen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Verfahrensrecht; Mindestsicherung, Mitwirkungspflicht, Untersuchungstermin; Zustellung ohne ZustellnachweisEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.242.002.RP12.12480.2017Zuletzt aktualisiert am
04.12.2017