Entscheidungsdatum
29.09.2017Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AVG §13 Abs3Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seinen Landesrechtspfleger Ortner über die Beschwerde der Frau F. A. und des Herrn I. M. gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, vom 24.7.2017, Zl. MA 40 - Sozialzentrum ... - SH/2017/01846296-001, betreffend Abweisung der Mindestsicherung, zu Recht:
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang und festgestellter Sachverhalt:
Am 04.05.2017 stellten die Beschwerdeführer beim Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, persönlich einen Antrag auf Mindestsicherung und auf Mietbeihilfe. Dem Antrag ist zu entnehmen, dass die beiden Antragsteller gemeinsam mit vier Kindern, alle syrische Staatsbürger, in einer Bedarfsgemeinschaft in Wien, M.-Platz, wohnhaft sind. Dem Antrag wurden sechs Aufenthaltsberechtigungskarten gemäß § 51 AsylG 2005 für alle Bewohner der Bedarfsgemeinschaft, ein Mietvertrag von Wiener Wohnen sowie für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Bescheide über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Asylgesetz durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beigefügt.
Unmittelbar bei Antragsteller wurden den Beschwerdeführern eine Aufforderung gemäß § 16 WMG übergeben und in dieser die Vorlage des Nachweises über die Beantragung von Kinderbetreuungsgeld aufgetragen. Dieser Aufforderung wurde fristgerecht nachgekommen.
Mit verfahrensgegenständlichem Schreiben vom 06.07.2017 wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 16 WMG, mit einer Frist bis 20.07.2017, aufgefordert Karten für die Asylberechtigung oder Konventionsreisepässe der gesamten Bedarfsgemeinschaft sowie eine aktuelle Mietvorschreibung vorzulegen.
Die Aufforderung, welcher zu entnehmen ist, dass bei fruchtlosem Ablauf der Frist die Leistung gemäß § 16 Abs. 1 WMG abgelehnt oder eingestellt wird, wurden der Beschwerdeführerin nachweislich am 13.07.2017 zugestellt.
Am 20.07.2017 wurden die verlangten Nachweise hinsichtlich der Mietvorschreibung und nochmals alle (6) Bescheide vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorgelegt. Die verlangten Ausweiskarten oder Reisepässe wurden nicht übermittelt.
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40 (belangte Behörde) vom 24.07.2017, zur Zahl MA 40 – Sozialzentrum ... SH/2017/01846296-001 wurde der Antrag vom 04.05.2017 auf Zuerkennung einer Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs (Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs und Mietbeihilfe) abgewiesen. Begründend wurde nach Wiedergabe der hier maßgeblichen Bestimmungen des WMG ausgeführt, dass der Beschwerdeführer dem § 16 WMG Auftrag vom 06.07.2017 für die Beurteilung des Anspruches unerlässliche Angaben zu machen bzw. erforderliche Unterlagen zu erbringen, nicht zur Gänze nachgekommen sei, da keine Karten für Asylberechtigte oder Konventionsreisepässe von den Beschwerdeführern und deren vier Kindern vorgelegt worden waren.
Am 03.08.2017 brachten die Beschwerdeführer neuerlich einen Antrag auf Mindestsicherung und auf Mietbeihilfe ein. Diesem Antrag wurde mit Bescheid vom 30.08.2017 zur Zahl MA 40 – Sozialzentrum ... SH/2017/01967412-001 statt gegeben und Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung für den Zeitraum August 2017 bis Juli 2018 zuerkannt. Im Rahmen dieses Verfahrens erging an die Beschwerdeführer ein Verbesserungsauftrag nach § 32 WMG. In Erledigung dieses Auftrages wurden von den Beschwerdeführern Reisepässe aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft mit Ausstellungsdatum 07.08.2017 vorgelegt.
Am 10.08.2017 erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid vom 24.07.2017 und brachten in dieser im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass der Aufforderung gemäß § 16 WMG gänzlich nachgekommen worden sei. Die Vorlage der verlangten Reisepässe sei nicht möglich gewesen. Die Mitwirkungspflicht sei durch Vorlage von Vorladungen zum Passcenter erfüllt worden. Anspruch auf Mindestsicherung hätte jedoch auch ohne Vorlage der verlangten Ausweisdokumente bestanden.
Die Einsichtnahme ins Fremdenregister durch das Verwaltungsgericht Wien hat ergeben, dass den Beschwerdeführern und deren Kindern nach bescheidmäßiger Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft keine Karten für Asylberechtigte ausgestellt wurden, sondern nur am 07.08.2017 Konventionsreisepässe.
Mit Schreiben vom 27.09.2017 teilte die belangte Behörde als Stellungnahme zum Beschwerdevorbringen mit, dass für die Gewährung von Mindestsicherung ein gültiges Ausweisdokument erforderlich sei. Die vorgelegten Bescheide und Ausweiskarten seien nicht als Ausweisdokumente anzusehen. Die die verlangten Karten für Asylberechtigte oder Konventionsreisepässe nicht vorgelegt worden waren, war der Antrag mangels Mitwirkungspflicht abzuweisen.
II. Rechtlich folgt daraus:
§ 16 WMG lautet wie folgt:
(1) Wenn eine Hilfe suchende oder empfangende Person trotz Aufforderung unter Setzung einer angemessenen Frist und nachweislichem Hinweis auf die Rechtsfolgen ohne triftigen Grund nicht rechtzeitig mitwirkt, indem sie
1.
die zur Durchführung des Verfahrens von der Behörde verlangten Angaben nicht macht oder
2.
die von der Behörde verlangten Unterlagen nicht vorlegt oder
3.
soweit nicht für die Anrechnung die statistisch errechneten Durchschnittsbedarfssätze herangezogen werden können, gesetzliche oder vertragliche Ansprüche, die der zumindest teilweisen Deckung der Bedarfe nach § 3 dienen, nicht nachhaltig, auch behördlich (gerichtlich), verfolgt, wobei eine offenbar aussichtslose, unzumutbare oder mit unverhältnismäßigem Kostenrisiko verbundene Geltendmachung von Ansprüchen nicht verlangt werden kann,
ist die Leistung einzustellen oder abzulehnen. Eine Nachzahlung für die Zeit der Einstellung oder Ablehnung unterbleibt. Ein triftiger Verhinderungsgrund ist von der Hilfe suchenden oder empfangenden Person glaubhaft zu machen und entsprechend zu bescheinigen.
(2) Die im Rahmen der Bemessung auf eine Hilfe suchende oder empfangende Person entfallende Leistung ist einzustellen oder abzulehnen, wenn sie unter den in Abs. 1, erster Halbsatz genannten Voraussetzungen nicht mitwirkt, indem sie der Aufforderung zu einer ärztlichen Untersuchung nicht nachkommt.
(3) Bei einer Einstellung oder Ablehnung nach Abs. 2 ändert sich der auf die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft anzuwendende Mindeststandard nicht.
§ 32 WMG mit der Überschrift „Antragstellung“ lautet:
(1) Antragsberechtigt sind volljährige Personen. Besteht die Bedarfsgemeinschaft aus mehreren anspruchsberechtigten Personen muss der Antrag gemeinsam gestellt werden und eine gemeinsame zustellungsbevollmächtigte Person namhaft gemacht werden. Unterbleibt die Nennung einer zustellungsbevollmächtigten Person, gilt die an erster Stelle genannte Person als gemeinsame zustellungsbevollmächtigte Person.
(2) Der Antrag muss von allen anspruchsberechtigten oder zu deren Vertretung befugten Personen unterfertigt sein. Dem Antrag sind folgende Unterlagen aller Antrag stellenden und ihnen gegenüber unterhaltsberechtigten oder -verpflichteten Personen anzuschließen:
1.
ein Nachweis über die Identität;
2.
ein Nachweis über das Einkommen.
(3) Mängel im Sinne des Abs. 2 ermächtigen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann den Antrag stellenden Personen die Behebung der Mängel innerhalb angemessener Frist mit der Wirkung auftragen, dass der Antrag nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist als zurückgezogen gilt. Die Antrag stellenden Personen sind auf diese Rechtsfolge nachweislich hinzuweisen. Bei rechtzeitiger Behebung beginnt die Entscheidungsfrist mit dem Zeitpunkt des Einlangens des verbesserten Antrages zu laufen. Wird der Mangel verspätet vollständig behoben, ist dies als neuer Antrag zu werten.
Der verfahrensgegenständliche Antrag wurde von den Beschwerdeführern für sich und deren minderjährige Kinder persönlich gestellt. Hiebei wurden Aufenthaltsberechtigungskarten mit Lichtbild aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft vorgelegt.
Aus der Chronologie der Verfahrensführung der belangten Behörde lässt sich – entgegen der Stellungnahme vom 27.09.2017 - nicht erkennen, dass die vorgelegten Karten als Nachweis für die Identität nicht ausreichend sind. Vielmehr wurden den Beschwerdeführern am gleichen Tag der Einbringung der Anträge ein Auftrag gemäß § 16 WMG erteilt, welchem die Beschwerdeführer auch nachgekommen sind. Erst nach Erfüllung des ersten Auftrages gemäß § 16 WMG hat die belangte Behörde die Vorlage von anderen Ausweisdokumenten verlangt, jedoch wieder im Rahmen einer Aufforderung gemäß § 16 WMG.
Aus § 32 Abs. 2 WMG, wo besondere verfahrensrechtliche (formelle) Vorschriften für die Antragstellung in Abweichung von der Bedarfsgesetzgebung des Bundes (nämlich von § 13 Abs. 3 AVG) enthalten sind, ergibt sich, dass die taxativ (also erschöpfend und nicht bloß beispielhaft/demonstrativ) in § 32 Abs. 2 Z 1 und 2 WMG aufgezählten Unterlagen (u.a. ein Nachweis über die Identität) schon dem Antrag auf Gewährung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung vom Antragsteller initiativ anzuschließen sind und daher der Antrag mit einem Mangel behaftet ist, wenn diese Unterlagen nicht oder nicht vollständig beigeschlossen werden.
§ 73 Abs. 1 AVG ordnet unmissverständlich an, dass die Frist für die Entscheidungspflicht der Behörde mit dem Einlangen des Antrages der Parteien beginnt. Ist ein Antrag mangelhaft, so beginnt die Entscheidungspflicht erst mit dem Einbringen des verbesserten Antrages zu laufen (VwGH vom 29.04.2015, GZ 2013/06/0140).
Die belangte Behörde hätte daher, wenn sie der Meinung gewesen wäre, dass die mit dem Antrag vorgelegten Aufenthaltsberechtigungskarten für einen Identitätsnachweis der Antragsteller nicht ausreichend ist, hinsichtlich der Identitätsfeststellung der Antragsteller gemäß § 32 Abs. 3 WMG vorgehen und den Hilfesuchenden unverzüglich die Behebung des Mangels innerhalb angemessener Frist mit der Wirkung auftragen müssen, dass der Antrag nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist als zurückgezogen gilt und hätte sie nachweislich auf diese Rechtsfolge hinweisen müssen.
Die belangte Behörde hat hingegen noch am Tag der Einbringung des Antrages die ersten Schritte des Ermittlungsverfahren in der Sache selbst und nicht zuerst auf der formalen Ebenen eingeleitet. Es ist daher für das entscheidende Gericht nicht erkennbar, warum im Laufe des Ermittlungsverfahrens plötzlich Zweifel hinsichtlich der wahren Identität der Antragsteller aufgetreten seien sollen.
Für das entscheidende Gericht erscheint die Identität der Antragsteller ausreichend nachgewiesen. Die verlangten aber nicht vorgelegten Ausweisdokumente, sind für die Feststellung des Leistungsspruches nicht maßgeblich. Die Feststellung des Leistungsanspruches gemäß § 5 WMG ist durch die vorgelegten Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ohne weiteres möglich. Den anderen Aufträgen zur Mitwirkung am Verfahren gemäß § 16 WMG sind die Beschwerdeführer gänzlich nachgekommen.
Abgesehen davon liegen triftige Gründe vor, welche es den Beschwerdeführern unmöglich gemacht hätten, die verlangten Ausweisdokumente vorzulegen, da die Beschwerdeführer bis dato nicht über die geforderten Ausweiskarten verfügen und die Konventionsreisepässe erst im August 2017, somit nach dem 20.07.2017 ausgestellt worden sind.
Die Beschwerdeführer sind somit ihrer Mitwirkungspflicht gemäß § 16 WMG ausreichend nachgekommen, sodass der Beschwerde statt zu geben und der angefochtene Bescheid spruchgemäß ersatzlos zu beheben war.
Schlagworte
Mindestsicherung; Antragstellung, Mängelbehebung, Verbesserungsauftrag, Identitätsnachweis, Ausweiskarten, Entscheidungspflicht, Einlassung; MitwirkungspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.242.035.RP02.11925.2017Zuletzt aktualisiert am
04.12.2017