Entscheidungsdatum
17.11.2017Norm
AsylG 2005 §10 Abs2Spruch
I414 2176056-1/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Marokko, vertreten durch die Kinder- und Jugendhilfe, XXXX, Stadtmagistrat XXXX, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, ARGE Rechtsberatung, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.09.2017, Zl. XXXX, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der minderjährige Beschwerdeführer wurde am 23.03.2016 erstmalig von den Organen der öffentlichen Sicherheit nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet angehalten.
2. Am 28.06.16 wurde den Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs Gelegenheit gegeben zu seiner Dauer des Aufenthaltes, seiner persönlichen Verhältnisse, seiner aktuellen Wirtschaftlichen Lage, zu seinem Privat- und Familienleben, zu seiner sozialen und kulturellen Integration, zu Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat sowie zu seinem aktuellen Gesundheitszustandes binnen einer Frist von zwei Wochen, Stellung zu nehmen. Dieses Schriftstück wurde dem Beschwerdeführer nachweislich persönlich ausgehändigt. Aus diesem Schreiben ergeht im Wesentlichen hervor, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beabsichtigt eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot zu erlassen. Dieses Schreiben blieb unbeantwortet.
3. Am 31.03.2017 wurde dem Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs Gelegenheit gegeben, binnen einer Frist von 14 Tagen Stellung zu nehmen. Dieses Schriftstück wurde ebenfalls dem Beschwerdeführer nachweislich persönlich ausgehändigt. Dieses Schreiben blieb jedoch unbeantwortet.
4. Am 25.05.2017 wurde den Beschwerdeführer zum dritten Mal im Rahmen des Parteiengehörs eingeladen, eine Stellungnahme abzugeben. Auch dieses Schriftstück wurde dem Beschwerdeführer nachweislich persönlich ausgehändigt, und blieb unbeantwortet.
5. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.09.2017, Zl. XXXX, wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG i.V.m § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Marokko zulässig ist (Spruchpunkt II.). Mit Spruchpunkt III. wurde gemäß § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Z. 1, 3 und 6 FPG ein auf vier Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen, zudem wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.) und die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde aberkannt (Spruchpunkt V.). Dieser Bescheid wurde nachweislich der Kinder- und Jugendhilfe, XXXX, Stadtmagistrat
XXXX zugestellt.
6. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben. Begründend führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass er von der Behörde kein einziges Mal einvernommen worden sei und ein Parteiengehör die Einvernahme nicht ersetzen würde. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer 16 Jahre alt und daher wäre eine besondere Sorgfaltspflicht im Ermittlungsverfahren geboten. Das Ermittlungsverfahren entspreche somit nicht den Anforderungen des Grundsatzes der materiellen Wahrheit und der amtswegigen Ermittlungspflicht, insbesondere deshalb, weil bei einem Minderjährigen die Behörde eine gesonderte Sorgfaltspflicht im Ermittlungsverfahren treffe.
7. Gleichzeitig mit der Beschwerdevorlage wurde vom Bundesamt für Fremdenrecht und Asyl eine Stellungnahme abgegeben. Dabei wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Vorwurf des mangelhaften Ermittlungsverfahren nicht zugestimmt werden könne, weil der Beschwerdeführer dreimal im Rahmen des Parteiengehörs die Möglichkeit hätte, zum Ergebnis der Beweisaufnahme eine Stellungnahme abzugeben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Marokko zulässig ist. Weiters wurde ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt.
Im Verwaltungsstrafregister scheinen zehn rechtskräftige Übertretungen nach dem Sicherheitspolizeigesetz auf und vier rechtskräftige Übertretungen nach dem Fremdenpolizeigesetz auf.
Am 24.02.2017 wurde der Beschwerdeführer vom Landesgericht XXXX, Zl. XXXX, nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und § 27 Abs 2a erster Fall SMG (Jugendstraftat) zu einer Freiheitsstrafe in der von 2 Monaten, bedingt und unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.
Der Beschwerdeführer wurde niemals von der Behörde einvernommen.
Der Beschwerdeführer ist durch den Kinder- und Jugendhilfeträger vertreten.
2. Beweiswürdigung
Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zur anzuwendenden Rechtslage:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu Spruchpunkt A)
Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung
§ 28 VwGVG lautet:
Erkenntnisse und Beschlüsse
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
(4) Hat die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben, hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht gemäß Abs. 2 in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
(5) Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.
(6) Ist im Verfahren wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG eine Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen, so hat das Verwaltungsgericht die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und gegebenenfalls aufzuheben. Dauert die für rechtswidrig erklärte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt noch an, so hat die belangte Behörde unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Zustand herzustellen.
(7) Im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG kann das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Behörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Kommt die Behörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet das Verwaltungsgericht über die Beschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst, wobei es auch das sonst der Behörde zustehende Ermessen handhabt.
(8) Durch die Aufhebung der angefochtenen Weisung tritt jener Rechtszustand ein, der vor der Erlassung der Weisung bestanden hat; infolge der Weisung aufgehobene Verordnungen treten jedoch dadurch nicht wieder in Kraft. Die Behörde ist verpflichtet, in dem betreffenden Fall mit den ihr zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.
§ 21 ABGB lautet:
Personenrechte der Minderjährigen und der sonst in ihrer Handlungsfähigkeit Beeinträchtigten
§ 21. (1) Minderjährige und Personen, die aus einem anderen Grund als dem ihrer Minderjährigkeit alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten selbst gehörig zu besorgen nicht vermögen, stehen unter dem besonderen Schutz der Gesetze.
(2) Minderjährige sind Personen, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben; haben sie das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet, so sind sie unmündig.
§ 207 ABGB lautet:
Aufgaben des Jugendwohlfahrtsträgers
§ 207. Wird ein minderjähriges Kind im Inland gefunden und sind dessen Eltern unbekannt, so ist kraft Gesetzes der Kinder- und Jugendhilfeträger mit der Obsorge betraut. Dies gilt für den Bereich der Vermögensverwaltung und der Vertretung auch, wenn ein Kind im Inland geboren wird und in diesem Bereich kein Elternteil mit der Obsorge betraut ist.
§ 9 AVG lautet:
Rechts- und Handlungsfähigkeit
§ 9. Insoweit die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten in Frage kommt, ist sie von der Behörde, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen.
§ 10 BFA-VG lautet:
Handlungsfähigkeit
§ 10. (1) Für den Eintritt der Handlungsfähigkeit in Verfahren vor dem Bundesamt, vor den Vertretungsbehörden gemäß dem 11. Hauptstück des FPG und in einem Verfahren gemäß § 3 Abs. 2 Z 1 bis 6 vor dem Bundesverwaltungsgericht ist ungeachtet der Staatsangehörigkeit des Fremden österreichisches Recht maßgeblich.
(2) In Verfahren vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht ist jeder Elternteil für sich zur Vertretung des Kindes befugt. Widerstreiten die Erklärungen beider Elternteile bei ehelichen Kindern, ist die zeitlich frühere Erklärung relevant; ein Beschwerdeverzicht kann nicht gegen den erklärten Willen eines Elternteils abgegeben werden. Die Vertretung für das uneheliche Kind kommt bei widerstreitenden Erklärungen der Elternteile der Mutter zu, soweit nicht der Vater alleine mit der Obsorge betraut ist.
(3) Ein mündiger Minderjähriger, dessen Interessen von seinem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können, ist berechtigt einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen und einzubringen sowie Verfahrenshandlungen gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu seinem Vorteil zu setzen. Solche Fremde sind in die Erstaufnahmestelle zu verbringen (§ 43 BFA-VG). Gesetzlicher Vertreter für Verfahren vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht ist ab Ankunft in der Erstaufnahmestelle der Rechtsberater (§ 49), nach Zulassung des Verfahrens und nach Zuweisung an eine Betreuungsstelle eines Bundeslandes der örtlich zuständige Jugendwohlfahrtsträger jenes Bundeslandes, in dem der Minderjährige einer Betreuungsstelle zugewiesen wurde. Widerspricht der Rechtsberater (§ 49) vor der ersten Einvernahme im Zulassungsverfahren einer erfolgten Befragung (§ 19 Abs. 1 AsylG 2005) eines mündigen Minderjährigen, ist diese im Beisein des Rechtsberaters zu wiederholen.
(4) Wird gegen einen Minderjährigen, dessen Interessen von seinem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können und der einen Antrag auf internationalen Schutz nicht eingebracht hat, ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG eingeleitet, so ist ab diesem Zeitpunkt für alle weiteren Verfahrenshandlungen vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht der Jugendwohlfahrtsträger, in dessen Sprengel sich der Minderjährige aufhält, gesetzlicher Vertreter.
(5) Entzieht sich der mündige Minderjährige dem Verfahren gemäß § 24 Abs. 1 AsylG 2005 oder lässt sich aus anderen Gründen nach Abs. 3 kein gesetzlicher Vertreter bestimmen, ist der Jugendwohlfahrtsträger, dem die gesetzliche Vertretung zuletzt zukam, gesetzlicher Vertreter bis nach Abs. 3 wieder ein gesetzlicher Vertreter bestimmt wurde. Hatte im bisherigen Verfahren nur der Rechtsberater (§ 49) die gesetzliche Vertretung inne, bleibt dieser gesetzlicher Vertreter, bis die gesetzliche Vertretung nach Abs. 3 erstmals einem Jugendwohlfahrtsträger zufällt.
(6) Ein unmündiger Minderjähriger, dessen Interessen von seinem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können, ist berechtigt einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen sowie Verfahrenshandlungen gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu seinem Vorteil zu setzen. Abweichend von § 17 Abs. 2 AsylG 2005 gilt der Antrag auf internationalen Schutz solcher Fremder als eingebracht, wenn die Antragstellung im Beisein des Rechtsberaters (§ 49) in der Erstaufnahmestelle (§ 4 BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G), BGBl. I Nr. 87/2012) bestätigt wird. Bei einem unmündigen Minderjährigen, dessen Interessen von seinen gesetzlichen Vertretern nicht wahrgenommen werden können, ist der Rechtsberater ab Ankunft in der Erstaufnahmestelle gesetzlicher Vertreter. Solche Fremde dürfen nur im Beisein des Rechtsberaters befragt (§ 19 Abs. 1 AsylG 2005) werden. Im Übrigen gelten die Abs. 3 und 5.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z. 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z. 2).
Nach § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Beschwerdevorlage unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dabei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheids und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde folgt konzeptionell dem des § 66 Abs. 2 AVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2013] § 28 VwGVG Anm. 11). Bei der Ausübung des Ermessens nach § 66 Abs. 2 f AVG sind auch die Bedeutung und die Funktion der Rechtmittelbehörde ins Kalkül zu ziehen. Die Einräumung eines Instanzenzugs darf nicht "zur bloßen Formsache degradiert" werden, indem sich das Asylverfahren mangels sachgerechten Eingehens und brauchbarer Ermittlungsergebnisse [in erster Instanz] "einem eininstanzlichen Verfahren [ ] nähert", in dem eine ernsthafte Prüfung des Antrages erst bei der zweiten und letzten Instanz beginnt und auch endet (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084).
Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. Als Sachverhalt hat sie daher alle Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 28.07.1994, 90/07/0029 mwH).
Dennoch kommt eine Aufhebung des Bescheids nach § 28 Abs. 2 Z. 1 f VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen, besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (§ 37 AVG) "lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden" (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Z. 1 f VwGVG verneint und von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG keinen Gebrauch macht, dessen ungeachtet selbst zu entscheiden. Die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Zurückverweisungsmöglichkeit ist nämlich eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte.
Nach § 9 AVG sind Fragen der persönlichen Rechts- und Handlungsfähigkeit von am Verwaltungsverfahren Beteiligten nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist. § 10 BFA-VG sieht (nach denen bestimmte von Minderjährigen oder deren gesetzlichen Vertretern vorgenommene Verfahrenshandlungen als beachtlich oder unbeachtlich anzusehen sind) in diesem Zusammenhang in seinem Abs. 1 vor, dass für den Eintritt der Handlungsfähigkeit in Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor den Vertretungsbehörden gemäß dem 11. Hauptstück des FPG und in einem Verfahren gemäß § 3 Abs. 2 Z 1 bis 6 BFA-VG vor dem Bundesverwaltungsgericht ungeachtet der Staatsangehörigkeit des Fremden österreichisches Recht maßgeblich ist.
Danach bestimmt sich die Geschäftsfähigkeit eines Menschen primär nach seinem Alter. Mit der Volljährigkeit (=Vollendung des 18. Lebensjahres) erreicht der geistig gesunde österreichische Staatsbürger die volle Geschäftsfähigkeit und ist daher jedenfalls auch prozessfähig (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG I2, § 9 Rz 14). Dies gilt zufolge § 10 Abs. 1 BFA-VG auch für Fremde, die sich in einem in dieser Bestimmung genannten Verfahren befinden.
Hingegen stehen Minderjährige, also Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 21 Abs. 2 ABGB), unter dem besonderen Schutz der Gesetze (§ 21 Abs. 1 ABGB) und können daher an sich ohne ausdrückliche oder stillschweigende Einwilligung des gesetzliches Vertreters rechtsgeschäftlich weder verfügen noch sich verpflichten. Sie sind also grundsätzlich geschäftsunfähig und damit auch prozessunfähig (vgl. Hengstschläger/Leeb, aaO).
Mangelt es einem Adressaten einer Verfahrenshandlung (insbesondere auch eines Parteiengehörs) in Bezug auf den Verfahrensgegenstand an der Prozessfähigkeit, so geht die Verfahrenshandlung insofern ins Leere, als sie diesem Adressaten gegenüber keinerlei Rechtswirkungen entfaltet (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG I2, § 9 Rz 5, sowie die dort zitierte Rechtsprechung). Die Behörde kann diesfalls Verfahrenshandlungen rechtswirksam nur gegenüber dem gesetzlichen Vertreter setzen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG I2, § 9 Rz 16).
Personen, die nicht prozessfähig sind, nehmen durch ihren gesetzlichen Vertreter am Verwaltungsverfahren teil. Wer gesetzlicher Vertreter ist, richtet sich gemäß § 9 AVG primär nach den Verwaltungsvorschriften und subsidiär nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Minderjährige werden grundsätzlich durch ihre Eltern oder den Obsorgebetrauten vertreten (vgl. den hg. Beschluss vom 23. September 2014, 2013/01/0179, mwN). Zudem enthält das BFA-VG betreffend die gesetzliche Vertretung Minderjähriger sowie die von einem oder mehreren gesetzlichen Vertretern gesetzten Prozesshandlungen weitere Regelungen, insbesondere auch für jenen Fall, in dem die Interessen eines Minderjährigen von seinem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können (vgl. dazu in erster Linie die Bestimmungen des § 10 BFA-VG).
Das Ermittlungsverfahren des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl beschränkte sich darin den minderjährigen Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs über die beabsichtigte Rückkehrentscheidung und über das beabsichtige Einreiseverbot zu informieren und gleichzeitig wurde der minderjährige Beschwerdeführer zu Stellungnahme bezüglich seiner Dauer des Aufenthaltes, seiner persönlichen Verhältnisse, seiner wirtschaftlichen Lage, seines aktuellen Privat- und Familienlebens, seiner sozialen und kulturellen Integration, zum Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftslandes, sowie seines aktuellen Gesundheitszustandes, eingeladen. Diese Schreiben (Parteiengehör) wurden zwar nachweislich den Minderjährigen zugestellt, jedoch nicht seinem gesetzlichen Vertreter. Erst mit der Zustellung der Rückkehrentscheidung erfuhr der gesetzliche Vertreter, dass das gegenständliches Verfahren anhängig ist.
Im gegenständlichen Fall ist der minderjährige Beschwerdeführer durch die Kinder- und Jugendhilfe, XXXX, vertreten. Gemäß den Bestimmungen des § 10 BFA-VG können Minderjährige, die rechtmäßig vertreten sind, weder Verfahrenshandlungen gemäß den 8. Hauptstück des FPG zu ihrem Vorteil setzen, noch im laufenden Verfahren Rechtshandlungen setzen. Somit hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die erforderlichen Ermittlungen zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts unterlassen.
Zudem sprach der Verwaltungsgerichtshof wiederholt aus, dass bei Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer Einvernahme besondere Bedeutung zukommt, und zwar in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände und in Bezug auf eine zu prüfende Gefährdungsprognose bei Straffälligen. Der minderjährige Beschwerdeführer wurde noch nie vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen.
Im vorliegenden Fall hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erforderliche Ermittlungen zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts unterlassen, und zwar konkret betreffend das Privat- und Familienleben des minderjährigen Beschwerdeführers.
Die Prüfung, ob durch eine Rückkehrentscheidung, Anordnung zur Außerlandesbringung, Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in die durch Art 8 EMRK gewährleisteten Rechte eingegriffen wird, hat amtswegig stattzufinden. Bei der Feststellung des Privat- und Familienlebens handelt es sich zweifellos um eine zentrale Frage bei einer Rückkehrentscheidung, die deshalb grundsätzlich bereits von der Verwaltungsbehörde zu klären ist, da ansonsten durch die Klärung des tatsächlichen Privat- und Familienlebens erst im gerichtlichen Verfahren eine Verlagerung des gesamten an diese Feststellung geknüpften Ermittlungsverfahrens in das Beschwerdeverfahren verlagert stattfände.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird daher alle zur Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes erforderlichen Ermittlungen vorzunehmen und allenfalls – je nach Ausgang des Ermittlungsverfahrens – einen neuen Bescheid zu erlassen haben, in dessen Begründung es darlegt, auf Grund welchen Sachverhalts es zu der den Spruch tragenden rechtlichen Beurteilung gekommen ist. Nur auf diese Weise wird die im Beschwerdefall folgende verwaltungsgerichtliche Kontrolle des Bescheids möglich.
Es hat sich nicht ergeben, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen wäre, zumal nichts darauf hindeutet, dass die erforderlichen Feststellungen durch das Gericht selbst, verglichen mit Feststellungen durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nach Zurückverweisung der Angelegenheit mit einer wesentlichen Zeitersparnis oder Verkürzung der Verfahrensdauer verbunden wären.
Da somit die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorliegen, war der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Im Hinblick darauf konnte eine Behandlung des übrigen Beschwerdevorbringens und der weiteren in der Beschwerde gestellten Anträge unterbleiben.
Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Da auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zu den amtswegigen Ermittlungspflichten oder zu den Voraussetzungen der Zurückverweisung aus verwaltungsökonomischen und Gründen des Rechtsschutzes nach § 28 Abs. 3 VwGVG im Fall der mangelhaften Sachverhaltsermittlung.
Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.
Schlagworte
Einreiseverbot, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelndeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2017:I414.2176056.1.00Zuletzt aktualisiert am
04.12.2017