TE Vwgh Erkenntnis 2017/10/24 Ro 2017/10/0007

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Veröffentlicht am 24.10.2017
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Index

L92002 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung Kärnten;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;

Norm

B-VG Art133 Abs6 Z2;
MSG Krnt 2007 §12 Abs1;
MSG Krnt 2007 §5;
MSG Krnt 2007 §6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §47 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer, Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kacic-Löffler, LL.M., über die Revision der Bürgermeisterin der Stadt Klagenfurt in 9020 Klagenfurt, Bahnhofstraße 35, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten vom 18. Oktober 2016, Zl. KLVwG- 1497/8/2016, betreffend Mindestsicherung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeisterin der Stadt Klagenfurt; mitbeteiligte Partei: H B in V), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag der Revisionswerberin auf Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

I.

1 1. Mit Bescheid der belangten Behörde (der Revisionswerberin) vom 1. Juni 2016 wurde dem Mitbeteiligten gemäß §§ 5, 6 und 12 Kärntner Mindestsicherungsgesetz (K-MSG) soziale Mindestsicherung für den Zeitraum vom 4. bis 31. Mai 2016 in der Höhe von EUR 50,57 zuerkannt. Im zugrunde liegenden Antrag vom 1. Juni 2016 hatte der Mitbeteiligte unter "Miete" Folgendes angegeben: "EUR 0,00 Caritas Tagesstätte, kein Mietaufwand".

2 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 18. Oktober 2016 gab das Verwaltungsgericht - nach Durchführung einer Verhandlung - der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten Folge und änderte den Bescheid dahin ab, dass dem Mitbeteiligten für den genannten Zeitraum soziale Mindestsicherung in der Höhe von EUR 460,69 zuerkannt wurde.

3 Das Verwaltungsgericht begründete seine Entscheidung - soweit für das vorliegende Revisionsverfahren von Relevanz - damit, dass der belangten Behörde nicht gefolgt werden könne, wenn diese dem Mitbeteiligten die soziale Mindestsicherung zur Deckung des angemessenen Wohnbedarfs in Höhe von 25 % des Mindeststandards infolge der Obdachlosigkeit des Mitbeteiligten im Mai 2016 nicht zuerkenne. Von der sozialen Mindestsicherung sei ein Wohnbedarf dann zu decken, wenn "dieses Bedürfnis" nicht von anderer Seite gedeckt werde. Beim Mitbeteiligten sei im Mai 2016, als er obdachlos und "an der Adresse des Kärntner Caritasverbandes gemeldet" gewesen sei, der Bedarf zur Deckung eines dringenden Wohnbedürfnisses jedenfalls vorhanden gewesen, wenn auch "tatsächlich kein Aufwand zur Deckung dieses Bedürfnisses" entstanden sei. Bei Obdachlosigkeit bestehe ein Anspruch auf Deckung des Wohnbedarfs nach dem K-MSG.

4 Der Anspruch des Mitbeteiligten auf Notstandshilfe belaufe sich auf EUR 22,96 täglich. Da die Hälfte dieses Betrages zur Begleichung einer offenen Forderung des Arbeitsmarktservice (AMS) von diesem einbehalten würde, sei dem Mitbeteiligten nur ein Betrag von EUR 11,48 täglich zugekommen. Gemäß § 6 Abs. 2 K-MSG könne - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - bei der Berechnung der Mindestsicherung als Einkommen nur berücksichtigt werden, was dem Mitbeteiligten tatsächlich zugeflossen sei (das seien EUR 11,48 x 28 Tage). Zudem sei von der belangten Behörde in diesem Zusammenhang die Bestimmung des § 6 Abs. 4 K-MSG nicht beachtet worden. Demnach seien bei der Ermittlung des zu berücksichtigenden Einkommens Zahlungen Hilfesuchender in einem Ausmaß in Abzug zu bringen, das zur Überwindung der sozialen Notlage erforderlich sei. "Auch aus diesem Grund" sei die Rückzahlung an das AMS nicht in das Einkommen des Mitbeteiligten einzubeziehen gewesen.

5 Die Revision gegen dieses Erkenntnis ließ das Verwaltungsgericht mit der Begründung zu, dass es keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Fragen gebe, ob Obdachlosen ein Wohnbedarf zustehe und ob bei der Bemessung der Mindestsicherung nur das tatsächliche Einkommen oder auch "fiktive Einkommensansprüche" zu berücksichtigen seien.

6 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision der belangten Behörde, die das Verwaltungsgericht samt den Akten des Verfahrens vorgelegt hat.

7 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in welcher er die Abweisung, in eventu die Zurückweisung der Revision beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 1. Die im vorliegenden Fall in den Blick zu nehmenden Bestimmungen des Kärntner Mindestsicherungsgesetzes - K-MSG, LGBl. Nr. 15/2007 idF LGBl. Nr. 14/2015, lauten auszugsweise wie folgt:

"§ 5

Subsidiarität, Leistungen Dritter

(1) Soziale Mindestsicherung darf nur soweit geleistet werden, als der jeweilige Bedarf nicht oder nicht ausreichend durch den Einsatz eigener Mittel und Kräfte gedeckt werden kann und auch nicht oder nicht ausreichend durch Leistungen Dritter gedeckt ist. (...)

(...)

§ 6

Einsatz der eigenen Mittel, Kostenbeitrag

(1) Die eigenen Mittel umfassen das gesamte Einkommen (Abs. 2 bis 5) und das verwertbare Vermögen (Abs. 7) der Hilfe suchenden Person.

(2) Als Einkommen gelten, soweit dieses Gesetz nicht anderes bestimmt, alle Einkünfte, die der Hilfe suchenden Person zufließen.

(...)

(4) Bei der Ermittlung des zu berücksichtigenden Einkommens sind Zahlungen Hilfe Suchender in einem Ausmaß in Abzug zu bringen, das zur Überwindung der sozialen Notlage erforderlich ist.

(...)

§ 12

Soziale Mindestsicherung zum Lebensunterhalt,

Mindeststandards

(1) Soziale Mindestsicherung zum Lebensunterhalt gewährleistet die Deckung des Lebensbedarfs und des angemessenen Wohnbedarfs. Der Lebensbedarf umfasst den regelmäßig wiederkehrenden Aufwand für Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und Strom sowie andere persönliche Bedürfnisse wie die angemessene soziale und kulturelle Teilhabe. Der Wohnbedarf umfasst den für die Gewährleistung einer angemessenen Wohnsituation erforderlichen regelmäßig wiederkehrenden Aufwand für Miete, allgemeine Betriebskosten und Abgaben.

(...)"

9 2. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

12 3. Auch in der ordentlichen Revision hat ein Revisionswerber von sich aus die unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision darzulegen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht, oder er eine andere Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 2015, Ro 2014/10/0125, oder den hg. Beschluss vom 29. September 2017, Zl. Ro 2016/10/0012, jeweils mwN).

13 Die vorliegende ordentliche Revision stellt eine konkrete Rechtsfrage, der grundsätzliche Bedeutung zukäme, nicht dar. Die Zulässigkeit der Revision ist daher ausschließlich anhand der Zulassungsbegründung des angefochtenen Erkenntnisses zu beurteilen.

14 4. Mit Blick auf die vom Verwaltungsgericht in der Zulassungsbegründung (unter anderem) angeführte Rechtsfrage hinsichtlich der Deckung des Wohnbedarfs ist die Revision zulässig. Sie erweist sich in dieser Hinsicht auch als begründet.

15 5. Dem vorliegenden Fall liegt - unstrittig - zugrunde, dass der Mitbeteiligte im Mindestsicherungsverfahren angesichts seiner Unterbringung in einer Einrichtung der Caritas für den Leistungszeitraum im Mai 2016 keinen Wohnaufwand geltend gemacht hat.

16 Ausgehend von diesem Sachverhalt hat das Verwaltungsgericht dem Mitbeteiligten zu Unrecht Mindestsicherung zur Deckung des Wohnbedarfs zuerkannt (vgl. § 12 Abs. 1 K-MSG).

17 6. Dadurch hat das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen eingegangen werden muss.

18 Gemäß § 47 Abs. 4 VwGG hat der Revisionswerber (unter anderem) in dem hier vorliegenden Fall einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 6 Z. 2 B-VG keinen Anspruch auf Aufwandersatz. Der Antrag der Revisionswerberin, der Verwaltungsgerichtshof möge ihr Aufwandersatz zuerkennen, war daher abzuweisen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. April 2016, Ra 2015/06/0096).

Wien, am 24. Oktober 2017

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RO2017100007.J00

Im RIS seit

04.12.2017

Zuletzt aktualisiert am

05.12.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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