TE Vwgh Erkenntnis 2000/7/11 2000/16/0266

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Veröffentlicht am 11.07.2000
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Index

E3L E09301000;
E3L E09302000;
E6J;
L34009 Abgabenordnung Wien;
L37019 Getränkeabgabe Speiseeissteuer Wien;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art33 Abs1;
31992L0012 Verbrauchsteuer-RL Art3 Abs2;
31992L0012 Verbrauchsteuer-RL Art3 Abs3;
61997CJ0437 Evangelischer Krankenhausverein Wien VORAB;
BAO §248;
GetränkesteuerG Wr 1992;
LAO Wr 1962 §193 Abs3;

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren:* Ausgesetztes Verfahren: 99/16/0394 B 16. Dezember 1999 * EuGH-Entscheidung: EuGH 61997CJ0437 9. März 2000

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner und Dr. Fellner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerde der B GmbH & Co KG in W, vertreten durch Grohs-Hofer-Schicht-Stern, Rechtsanwälte in Wien I, Feyung 6/11, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Stadt Wien vom 9. September 1999, Zl. MD-VfR-B 35/98, betreffend Haftung für eine Getränkesteuerschuld (März 1997 bis April 1998), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Stadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Haftungsbescheid vom 14. Oktober 1998 zog die MA 4, Referat 7, die Beschwerdeführerin gemäß § 4 des Wr. GetränkesteuerG 1992 iVm §§ 2 und 5 WAO zur Zahlung der Getränkesteuerschuld von S 96.815,-- der ehemaligen Pächterin ("Zipe", Peter Zizelsberger KEG, Wien 3, Landstraßer Hauptstraße 99-101) betreffend den Zeitraum März 1997 bis April 1998 heran. Die Abgabenbehörde erster Instanz ging dabei vom Vorliegen eines bis April 1988 bestandenen Pachtverhältnisses zwischen der Beschwerdeführerin und der Primärschuldnerin aus und folgte der Darstellung der Beschwerdeführerin nicht, es hätte nur eine Geschäftsraummiete vorgelegen.

Dabei stützte sich die Abgabenbehörde erster Instanz auf die in Pkt II 4 der als "Untermietvertrag" bezeichneten Vereinbarung vom 27./28.3.97 festgelegte Betriebspflicht sowie auf den Umstand, dass das Objekt schon zuvor (bis 12.3.98) von einem anderen Bestandnehmer (nämlich der Dagres & Partner GmbH) zum Zwecke des Betriebs eines griechischen Restaurants unter der Bezeichnung "Restaurant Athen" benützt worden sei.

Gegen diesen Bescheid berief die Beschwerdeführerin, wobei sie in der Sache die Meinung vertrat, es habe keine Unternehmenspacht sondern eine Geschäftsraummiete vorgelegen. Dazu stellte die Beschwerdeführerin auch den Antrag, ihr den Abgabenbescheid zur Kenntnis zu bringen und behielt sich eine Berufung dagegen vor.

Mit Eingabe vom 28. April 199 brachte die Beschwerdeführerin vor, der Vertrag, den die Beschwerdeführerin mit der Vorgängerin der Peter Ziselsberger KEG, nämlich der Dagres & Partner GesmbH, abgeschlossen hatte, sei vom BG Innere Stadt Wien und vom LG f ZRS Wien als Rekursgericht als Mietvertrag anerkannt worden. Dieser Vertrag sei mit dem hier in Rede stehenden Vertrag im Wesentlichen ident. Dazu berief sich die Beschwerdeführerin auf die Akten 46C 49/96i des BG Innere Stadt Wien und 40R 746/96v des LG f. ZRS Wien. Des Weiteren wies die Beschwerdeführerin darauf hin, dass auch betreffend andere vergleichbare Rechtsverhältnisse an derselben Liegenschaft das Vorliegen von dem MRG unterliegenden Mietverhältnissen anerkannt worden sei und beantragte ua die Beischaffung der Akten 46C 85/96, 44C 312/92w, 44C 425/92p, 49 MSch 18/92 des BG Innere Stadt Wien, 41R 919/93 des LG f ZRS Wien und 50b 1083/94 des OGH.

Die belangte Behörde wies die Berufung als unbegründet ab, wobei sie rechtlich die Position der Beschwerdeführerin als Organisator eines Einkaufszentrums in den Vordergrund stellte und dazu ua Folgendes ausführte:

"Das wirtschaftliche Interesse des Betreibers eines Einkaufszentrums liegt nicht nur in der Erzielung eines Bestandzinses für die beigestellten Räume; vielmehr besteht ein besonderes eigenes Interesse an dem Betrieb der einzelnen Unternehmen in den für den erwünschten "Branchenmix" erforderlichen Geschäftszweigen.

Vor dem Hintergrund dieser Unternehmensstrategie des Bestandgebers (Inhaber des Einkaufszentrums) stellte die Auferlegung einer brachengebundenen Betriebspflicht, wie diese im Punkt II.2. und II.4. des Bestandvertrages ausdrücklich festgelegt wurde, keinesfalls eine bloße formelle Hülle bzw. Leerformel dar, sondern sorgt der Betreiber des Einkaufszentrums vielmehr dafür, dass sein eigenes Unternehmen in den einzelnen Sparten betrieben wird. Darin liegt auch das eigene wirtschaftliche Interesse der Berufungswerberin an der Führung des Betriebes der Bestandnehmerin, trägt doch einerseits ein entsprechendes Angebot an gastronomischen Einrichtungen wesentlich zum wirtschaftlichen Gesamterfolg eines Einkaufszentrums bei, andererseits hat sie am wirtschaftlichen Ertrag der Bestandnehmerin durch Einnahmen aus dem vereinbarten Zins ebenso teilgehabt. Die Bestandnehmerin wiederum zog die Vorteile nicht nur aus den ihr beigestellten Räumen und den Gemeinschaftsflächen, sondern auch aus der Existenz des Einkaufszentrums und dessen good will, kamen doch viele Kunden nur deshalb zu ihr, weil sie bei Besorgung anderer Erledigungen im Einkaufszentrum auch die gastronomischen Leistungen der Bestandnehmerin in Anspruch nehmen konnten.

Unter diesen Verhältnissen trat das Interesse an den bloßen Räumlichkeiten zurück; von einer Geschäftsraummiete kann bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise (§ 19 WAO) hier nicht mehr gesprochen werden.

Dass nicht ausdrücklich die Rückstellung eines lebenden Unternehmens bedungen wurde, spricht nicht gegen die Annahme eines Pachtvertrages, bleibt doch im Falle eines Einkaufszentrums dieses selbst bei Beendigung eines Bestandverhältnisses als Unternehmen bestehen, sodass dessen Betreiber schon aus wirtschaftlichem Interesse bestrebt sein wird, zur Erhaltung des idealen "Branchenmix" mit einem anderen Unternehmen der gleichen Branche einen Vertrag zu schließen, welcher ebenfalls den Nutzen aus dem good will des Einkaufszentrums aber auch seines Vorgängers im Bestandverhältnis (etwa durch Übernahme des Kundenstocks) zieht. In diesem Sinne überlässt der Bestandnehmer - als Teil des Gesamten - dem Bestandgeber doch ein lebendes Unternehmen, auch wenn dieses - bei Einzelbetrachtung - nicht nahtlos fortgeführt werden kann.

Die Erstbehörde hat demnach zu Recht das Vorliegen eines Pachtverhältnisses dem Haftungsbescheid zu Grunde gelegt."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die am 16. November 1999 zur Post gegebene Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Nichtvorschreibung der Getränkesteuer gemäß § 4 des Wr. GetränkesteuerG (also in dem Recht darauf, nicht zur Haftung herangezogen zu werden) verletzt, aber auch in ihrem Recht darauf, dass ihr gegenüber nicht gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßende Normen angewendet werden. Im Rahmen der Ausführung der Beschwerdegründe legt die Beschwerde primär die ihrer Ansicht nach gegebene Gemeinschaftswidrigkeit dar, wendet sich aber auch gegen das von der belangten Behörde angenommene Vorliegen einer Unternehmenspacht.

Die belangte Behörde machte von der ihr gebotenen Möglichkeit einer Klaglosstellung keinen Gebrauch, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Wer zur Berufung gegen einen Haftungsbescheid (§ 171 WAO) befugt ist, kann nach § 193 Abs. 1 WAO innerhalb der für die Einbringung der Berufung gegen den Haftungsbescheid offen stehenden Frist auch gegen den Abgabenbescheid (§ 146 WAO) berufen, wenn ein solcher bereits ergangen ist oder die Abgabe erstmals durch den Haftungsbescheid festgesetzt wurde.

Wurde die Abgabe durch Selbstbemessung (§§ 149 und 150 WAO) festgesetzt, so steht gemäß § 193 Abs. 3 WAO auch dann, wenn die Verjährungsfrist bereits abgelaufen ist, dem zur Berufung gegen den Haftungsbescheid befugten noch innerhalb der Berufungsfrist das Recht zur Berichtigung der Abgabenerklärung zu. Durch eine solche Berichtigungserklärung wird die Verjährung neu in Lauf gesetzt.

§ 191 Abs. 2 und 4 WAO gilt sinngemäß.

Um den Rechtsschutzgedanken des § 193 Abs. 3 WAO voll wirksam Rechnung zu tragen, muss dem Haftungspflichtigen von der Behörde über den haftungsgegenständlichen Abgabenanspruch Kenntnis in einer Weise verschafft werden, dass die Prüfung der Richtigkeit der Abgabenfestsetzung möglich ist und die Positionen der Rechtsverteidigung des herangezogenen Haftenden gegen den Anspruch nicht schwächer sind als diejenigen, die der Abgabepflichtige gegen den Abgabenbescheid einzunehmen in der Lage ist (vgl. Stoll, BAO Kommentar zu § 248 BAO, 2553 und 2554).

Wenn der Gesetzgeber normiert, der Haftungspflichtige habe im Fall der Selbstbemessungsabgabe das Recht zur Berichtigung der Abgabenerklärung, dann ist ihm auch in der Weise Kenntnis von den Abgabenerklärungen, den Revisionsberichten und den erforderlichen Unterlagen zu verschaffen, um ihn in die Position des damaligen Steuerschuldners zu versetzen und ihm die Möglichkeit der Abgabe einer berichtigten vom damaligen Steuerschuldner abgegebenen Abgabenerklärung zu geben. Ist er auf Grund der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht in der Lage eine solche Berichtigung vorzunehmen, dann kann ihm nicht mit Recht der Vorwurf der Unterlassung einer solchen Berichtigung gemacht werden.

Obgleich sich die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren nicht auf den Konflikt des österreichischen Getränkesteuerrechtes mit dem Gemeinschaftsrecht berufen hat, darf sie sich doch im Lichte des hg. Erkenntnisses vom 25. Mai 2000, Zl. 2000/16/0238, auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 9. März 2000 in der Rechtssache C-437/97 berufen, weil sie sich im Verwaltungsverfahren den Weg offen gehalten hat, den Abgabenanspruch selbst dem Grunde und der Höhe nach zu bekämpfen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinen auf Grund des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 9. März 2000 in der Rechtssache C-437/97 ergangenen Erkenntnissen vom 30. März 2000, Zl. 2000/16/0117 (vormals: Zl. 97/16/0221), und Zl. 2000/16/0116 (vormals: Zl. 97/16/0021), ausgeführt, dass die belangte Behörde, wenn sie auf Basis des von ihr angewendeten innerstaatlichen Rechts die Vorschreibung der Getränkesteuer auf alkoholische Getränke billigte, ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet habe. Dies ist auch im hier zu beurteilenden Fall erfolgt, weshalb der angefochtene Bescheid aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Im Hinblick auf die Frage, inwieweit durch rückwirkend erlassene landesgesetzliche Bestimmungen die sich aus Punkt 3 des EuGH-Urteils ergebende Rückzahlungspflicht davon abhängig gemacht wird, wer die Abgabe wirtschaftlich getragen hat, wird auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, dass es für den anzuwendenden Prüfungsmaßstab unbeachtlich ist, wenn der Gesetzgeber das von der Behörde angewendete Gesetz nach Erlassung des angefochtenen Bescheides, aber vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes rückwirkend ändert.

Für das betreffend nichtalkoholische Getränke fortzusetzende Verfahren ist zu bemerken, dass diejenigen Argumente, mit denen die belangte Behörde das Vorliegen eines Pachtverhältnisses bejaht hat, nicht zu überzeugen vermögen. Allein der Umstand, dass die Beschwerdeführerin Organisator eines Einkaufszentrums ist und deshalb für sie eine Betriebspflicht des Bestandnehmers wesentlich ist, besagt noch nicht, dass seitens der Beschwerdeführerin an die Prämienschuldnerin ein Restaurant als organisierte Erwerbsgelegenheit in Bestand gegeben wurde (vgl. dazu Würth in Rummel, ABGB I2 Rz 2 zu § 1091 ABGB) und dass daher nicht bloß eine Geschäftsraummiete vorlag. Zur Klärung dieser Frage wird sich die belangte Behörde an Hand der zivilrechtlich maßgeblichen Kriterien für die Abgrenzung von Geschäftsraummiete und Unternehmenspacht (vgl. dazu insbesondere Würth in Rummel, a.a.O. aber auch die hg. Judikatur; und zwar z.B. das ohnehin von der belangten Behörde zitierte Erkenntnis vom 27. September 1994, Zl. 93/17/0066) unter anderem auch mit der Frage zu befassen haben, ob die von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten Fälle, in denen die Zivilgerichte das Vorliegen von dem MRG unterliegenden Mietverhältnissen angenommen haben, mit dem hier in Rede stehenden Vertragsverhältnis vergleichbar sind.

Mit Rücksicht auf die durch die angeführte Judikatur klargestellte Rechtslage konnte die Entscheidung in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat getroffen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VO BGBl. 416/1994.

Wien, am 11. Juli 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:2000160266.X00

Im RIS seit

23.01.2001

Zuletzt aktualisiert am

05.03.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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