Entscheidungsdatum
15.11.2017Norm
BBG §40Spruch
I404 2129868-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Vorsitzende sowie und den Richter Mag. Gerhard AUER sowie den fachkundigen Laienrichter Johann Philipp als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch den Verein "CHRONISCH KRANK", gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Vorarlberg, vom 31.05.2016 betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses nach dem Bundesbehindertengesetz (BBG) nach nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 iVm Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) Folge gegeben und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses aufgrund des festgestellten Grades der Behinderung von 60 v.H. befristet bis 31.10.2019 vorliegen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Mit formularmäßigem Vordruck, beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Vorarlberg (in der Folge: belangte Behörde), eingelangt am 18.04.2016, beantragte XXXX (in der Folge: Beschwerdeführerin) die Ausstellung eines Behindertenpasses. Als Gesundheitsschädigungen gab die Beschwerdeführerin Nierenleiden, Lipödem, Bluthochdruck, Schilddrüsenunterfunktion, Depression, "Rücken und Becken" an.
2. In der Folge wurde im Auftrag der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten von Dr. T L, einem Arzt für Allgemeinmedizin, vom 30.05.2016 erstellt, in welchem folgende Funktionseinschränkungen festgestellt wurden:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkung, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden
Pos. Nr.
GdB %
1
Lipödem, St. p. mehrfacher Liposuktionen (entsprechend Beeinträchtigung und Notwendigkeit einer andauernden Kompressionstherapie, keine Bewegungseinschränkung, keine nennenswerte kosmetische Beeinträchtigung)
05.08.01
30
2
Art. Hypertonie, Schrumpfniere rechts (entsprechend GFR und Kreatinin sowie entsprechend Medikation)
05.04.01
20
3
Leichtgradige depressive Störung (lfd. Gesprächstherapie, Bedarfsmedikation, leichtgradige Symptomatik)
03.06.01
20
4
Chron. LWS-Schmerzen/ISG-Syndrom (entsprechend leichtgradiger Schmerzen, die im Intervall von Monaten auftreten, keine neurologischen Ausfälle, keine andauernde Therapie)
02.01.01
10
Gesamtgrad der Behinderung 40 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Die führende Position 1 beträgt 30 v.H.. Unter Berücksichtigung der Leiden 2 und 3 erfolgt eine Stufenerhöhung um 1. Das Leiden 4 erhöht den Gesamt GbB in Folge Geringfügigkeit nicht.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Hypothyreose unter Substitution (Euthyreose lt. Laborbefund)
3. Mit Bescheid vom 31.05.2016 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass das medizinische Beweisverfahren ergeben habe, dass der Grad der Behinderung 40 % betrage. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien dem ärztlichen Sachverständigengutachten vom 30.05.2016 zu entnehmen, das als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden sei.
4. Gegen diesen Bescheid erhob die durch den Verein "CHRONISCH KRANK" vertretene Beschwerdeführerin rechtzeitig und zulässig das Rechtsmittel einer Beschwerde. Der Beschwerde legte die Beschwerdeführerin drei Befunde bei und führte begründend aus, dass aufgrund der neuen Befunde zumindest in ihrer Gesamtheit ein Einstufungsgrad in der Höhe von 50 % ergebe.
5. Mit Schreiben vom 07.07.2016 legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
6. In der Folge erstellte Dr. T S, ein Facharzt für Psychiatrie und Neurologie ein ärztliches Sachverständigengutachten vom 28.06.2017, in welchem er die psychische Funktionseinschränkung wie folgt einschätzte:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkung, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden
Pos. Nr.
GdB %
1
Depressive Störung mittleren Grades Mehr oder minder anhaltende gedrückt – niedergeschlagene Stimmungslage mit Antriebshemmung und mit Interessenverlust sowie mit Freud- und Lustlosigkeit, mit Schlaf- und Appetitstörungen sowie mit einer kognitiven Beeinträchtigung.
03.06.02
50 %
7. Im Rahmen
einer ergänzenden Stellungnahme vom 21.07.2017 teilte Dr. T S mit, dass er eine Nachuntersuchung in 18 - 24 Monaten empfehle.
8. In der Folge erstellte Dr. T L ein medizinisches Gesamtgutachten vom 13.09.2017, in welchem er folgende Funktionseinschränkungen feststellte:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkung, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden
Pos. Nr.
GdB %
1
Anpassungsstörung mit länger dauernder depressiver Reaktion, derzeit mittelgradig depressive Symptomatik, St.p. Medikamentenintoxikation Ende März 2017 – am ehesten im Sinne einer akuten Überlastungsreaktion (entsprechend psychiatrischen Fachgutachten vom 28.06.2017)
03.06.02
50 %
2
Lipödem, St. p. mehrfacher Liposuktionen, zuletzt im Jahr 2017, Notwendigkeit einer andauernden Kompressionstherapie, keine Bewegungseinschränkung)
05.08.01
30 %
3
Chron. Nierenerkrankung im Stadium G2A1, Schrumpfniere rechts bei St. p. iatrogener Harnleiterverletzung mit Hydronephrose 2003, art. Hypertonie (entsprechend Stadieneinteilung und GFR, art. Hypertonie gut eingestellt, Singel-Medikation mit Zanipril)
05.04.01
20 %
4
chron. LWS-Schmerzen/ISG-Syndrom (entsprechend leichtgradiger Schmerzen, die im Intervall von Monaten auftreten, keine neurologischen Ausfälle, keine andauernde Therapie
02.01.01
10
Gesamtgrad der Behinderung: 60 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Die führende Position 1 beträgt 50 vH. Eine ungünstige Leidensbeeinflussung erfolgt durch die Leiden 2 und 3. Lt. Gutachten von Dr. S steht die reduzierte psychische Verfassung in ursächlichem Zusammenhang mit dem chron. Lipödem sowie auch mit dem chron. Nierenleiden. In Folge dessen erfolgt eine Stufenerhöhung um 1. Das Leiden 4 erhöht den GdB nicht in Folge Geringfügigkeit.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Hypothyreose unter Substitution (keine fassbare Beeinträchtigung vorliegend)
9. Mit Schreiben vom 05.10.2017 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht das Sachverständigengutachten von Dr. T S vom 28.06.2017 sowie seine ergänzende Stellungnahme vom 21.07.2017 und das medizinische Sachverständigengutachten von Dr. T L vom 13.09.2017 der Beschwerdeführerin und der belangten Behörde und räumte beiden Parteien die Möglichkeit zur Stellungnahme ein. Des Weiteren forderte das Bundesverwaltungsgericht beide Parteien auf, bekanntzugeben, ob die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt oder ob darauf verzichtet werde.
Von der ihnen eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme machten beide Parteien in der Folge keinen Gebrauch.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz im Inland und stellte am 18.04.2016 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bei der belangten Behörde.
1.2. Bei der Beschwerdeführerin liegen derzeit folgende Funktionseinschränkungen vor:
-
Anpassungsstörung mit länger dauernder depressiver Reaktion und derzeit mittelgrad depressiver Symptomatik, daher mit einem Grad der Behinderung von 50 % laut Pos. Nr. 03.06.02 (Leiden 1)
-
Lipödem, St.p. mehrfacher Liposuktionen, mit der Notwendigkeit einer andauernden Kompressionstherapie, keine Bewegungseinschränkung, daher mit einem Grad der Behinderung von 30 % laut Pos. Nr. 05.08.01 (Leiden 2)
-
chronische Nierenerkrankung im Stadium G2A1 mit arterieller Hypertonie, daher mit einem Grad der Behinderung von 20 % laut Pos. Nr. 05.04.01 (Leiden 3)
-
chronische LWS-Schmerzen/ISG Syndrom mit leichtgradigen Schmerzen, welche im Intervall von Monaten auftreten, mit keinen neurologischen Ausfällen verbunden und keiner Notwendigkeit einer andauernden Therapie, daher mit einem Grad der Behinderung von 10 % laut Pos. Nr. 02.01.01 (Leiden 4)
1.3. Die führende funktionelle Einschränkung 1 wird durch die funktionellen Einschränkungen 2 und 3 negativ wechselseitig beeinflusst und daher um eine Stufe erhöht. Das Leiden 4 erhöht wegen Geringfügigkeit nicht weiter. Bei der Beschwerdeführerin liegt daher ein Gesamtgrad der Behinderung von 60 % vor.
1.4. Eine Besserung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin ist möglich und ist daher eine Nachuntersuchung in 18 bis 24 Monaten erforderlich.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen bezüglich des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses sowie zum Wohnsitz der Beschwerdeführerin ergeben sich aus dem Akteninhalt.
2.2. Die festgestellten Funktionseinschränkungen basieren auf dem Sachverständigengutachten von Dr. T S vom 28.06.2017 sowie dessen ergänzenden Stellungnahme vom 21.07.2017 und auf dem Sachverständigengutachten von Dr. T L vom 13.09.2017.
Ein Gutachten ist auf seine Vollständigkeit (also, ob es Befund und Gutachten im engeren Sinn enthält) und Schlüssigkeit zu überprüfen. Weitere Gutachten sind nur dann einzuholen, wenn sich die vorliegenden Gutachten als nicht vollständig oder nicht schlüssig und damit als nicht ausreichend erweisen; will eine Partei außer dem vorliegenden schlüssigen und vollständigen Gutachten noch ein weiteres in das Verfahren einbezogen wissen, steht es ihr frei, selbst ein Gutachten eines privaten Sachverständigen zu beschaffen und vorzulegen.
Im vorliegenden Verfahren wurden das Gutachten von Dr. T S vom 28.06.2017 sowie dessen ergänzende Stellungnahme vom 21.07.2017 und das Gutachten von Dr. T L vom 13.09.2017 als vollständig und schlüssig erachtet.
Die getroffenen Einschätzungen basieren auf dem erhobenen klinischen Befund und den vorgelegten medizinischen Beweismitteln und entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen nach der Einschätzungsverordnung.
Hinsichtlich des psychischen Leidens (Leiden 1) führt Dr. T S in seinem Gutachten begründend zur gewählten Positionsnummer 03.06.02 aus, dass bei der Beschwerdeführerin eine mittelgradige depressive Symptomatik vorliegt, welche mit einer nahezu anhaltenden gedrückt – niedergeschlagenen Stimmungslage mit Antriebshemmung und mit Interessenverlust sowie mit Freud – und Lustlosigkeit, mit Schlaf- und Appetitstörungen sowie mit einer kognitiven Beeinträchtigung verbunden ist. Des Weiteren führt der Gutachter aus, dass die Beschwerdeführerin trotz qualifizierter Schul- und Berufsausbildung bisher keine länger anhaltende zufriedenstellende Arbeitstätigkeit aufrecht erhalten konnte.
Bezüglich des Leidens 2 führt Dr. T L nachvollziehbar aus, dass es sich um eine Lipödem mit der Notwendigkeit einer andauernden Kompressionstherapie handelt, sowie dass keine Bewegungseinschränkungen gegeben sind.
Hinsichtlich der chronischen Nierenerkrankung (Leiden 3) führt Dr. T L insbesondere begründend aus, dass eine chronische Nierenerkrankung im Stadium G2A1 mit einer Schrumpfniere rechts vorliegt, sowie dass die arterielle Hypertonie gut eingestellt ist.
Auch den für die chronischen LWS-Schmerzen (Leiden 4) herangezogenen Grad der Behinderung von 10 % begründet Dr. T L schlüssig und umfassend und führt insbesondere aus, dass die Schmerzen lediglich leichtgradig sind sowie, dass keine andauernde Therapie erforderlich ist.
Insgesamt ist festzuhalten, dass der Gutachter auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausreichend eingegangen ist, und die Beeinträchtigungen im Sinne der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft wurden.
2.3. Hinsichtlich des Gesamtgrades führt der Gutachter Dr. T L schlüssig aus, dass das Leiden 1 durch die Leiden 2 und 3 negativ wechselseitig beeinflusst und somit um eine Stufe erhöht wird und begründet dies umfassend und widerspruchsfrei. Des Weiteren weist der Gutachter darauf hin, dass das Leiden 4 aufgrund von Geringfügigkeit nicht weiter erhöht.
2.4. Des Weiteren wurde vom Sachverständigen Dr. T S nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, dass eine Änderung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin durchaus möglich ist und sprach sich daher für eine Nachuntersuchung in 18 bis 24 Monaten aus.
2.5. Die Gutachten sowie die ergänzende Stellungnahme wurden der Beschwerdeführerin sowie der belangten Behörde zur Stellungnahme übermittelt. Diese sind den Gutachten sowie der ergänzenden Stellungnahme in der Folge jedoch nicht entgegengetreten.
Die Gutachten sowie die ergänzende Stellungnahme stehen mit den allgemeinen Gesetzen der Logik in Einklang, sind schlüssig und vollständig und ihnen wurde nicht entgegen getreten. Aus diesen Gründen legt der erkennende Senat diese Gutachten unter freier Beweiswürdigung seiner Entscheidung zu Grunde.
2.6. Gemäß § 24 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur vergleichbaren Regelung des § 67d AVG (vgl. VwGH vom 24.4.2003, 2002/07/0076) wird die Durchführung der Verhandlung damit ins pflichtgemäße Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die Wendung "wenn es dies für erforderlich hält" schon iSd rechtsstaatlichen Prinzips nach objektiven Kriterien zu interpretieren sein wird (vgl. VwGH vom 20.12.2005, 2005/05/0017). In diesem Sinne ist eine Verhandlung als erforderlich anzusehen, wenn es nach Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 Abs. 2 GRC geboten ist, wobei gemäß Rechtsprechung des VfGH der Umfang der Garantien und des Schutzes der Bestimmungen ident sind.
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).
Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über die Ausstellung eines Behindertenpasses sind die Art und das Ausmaß der bei der Beschwerdeführerin festgestellten Gesundheitsschädigungen. Zur Klärung des Sachverhaltes wurden daher zwei ärztliche Sachverständigengutachten sowie eine ergänzende Stellungnahme eingeholt. Wie bereits ausgeführt, wurden diese als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet.
Im Rahmen des Parteiengehörs hatten die Verfahrensparteien die Möglichkeit sich zu äußern. Dem Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens wurde jedoch nicht entgegen getreten. Es liegen keine Beweismittel vor, welche mit der gutachterlichen Beurteilung der Funktionseinschränkungen nicht in Einklang stehen. Die vorgebrachten Argumente und vorgelegten Beweismittel wurden in den eingeholten Sachverständigengutachten berücksichtigt und resultiert daraus die geänderte Beurteilung. Sohin ist der Sachverhalt geklärt. Daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
Des Weiteren ist auf den Umstand hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin sowie die belangte Behörde ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen wurden, einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu stellen und haben beide Parteien dies in der Folge nicht getan. Auch aus diesem Grund konnte daher die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht
§§ 6 und 7 Abs. 1 BVwGG lauten wie folgt:
Einzelrichter
§ 6. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Senate
§ 7. (1) Die Senate bestehen aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Für jeden Senat sind mindestens ein Stellvertreter des Vorsitzenden und mindestens zwei Ersatzmitglieder (Ersatzbeisitzer) zu bestimmen.
§ 45 Abs. 3 und 4 Bundesbehindertengesetz (BBG) lautet wie folgt:
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
Über die vorliegende Beschwerde war daher durch einen Senat, bestehend aus zwei Berufsrichtern und einem fachkundigen Laienrichter, zu entscheiden.
Die §§ 1, 17, 28 Abs. 1 und 2 und 58 Abs. 1 und 2 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG) BGBl I 2013/33 in der geltenden Fassung lauten wie folgt:
§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.
§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
§ 58. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit 1. Jänner 2014 in Kraft.
(2) Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt.
3.2. Zu Spruchpunkt A) – Stattgebung der Beschwerde
3.2.1. Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten wie folgt:
BEHINDERTENPASS
§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
...
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
...
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
(2) Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.
§§ 3 und 4 der Einschätzungsverordnung (EVO), BGBl II 261/2010 in der geltenden Fassung, lauten wie folgt:
Gesamtgrad der Behinderung
§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.
(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.
Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.
(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn
-
sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,
-
zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.
(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.
Grundlage der Einschätzung
§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.
(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.
Die maßgebliche Positionsnummer 02.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung lautet wie folgt:
02.01 Wirbelsäule
02.01.01
Funktionseinschränkungen geringen Grades einseitig
10-20 %
Akute Episoden selten (2-3 Mal im Jahr) und kurzdauernd (Tage)
Mäßige radiologische Veränderungen
Im Intervall nur geringe Einschränkungen im Alltag und Arbeitsleben
Keine Dauertherapie erforderlich
Die maßgebliche Positionsnummer 03.06 der Anlage zur Einschätzungsverordnung lautet wie folgt:
03.06 Affektive Störungen
Manische, depressive und bipolare Störungen
03.06.01
Depressive Störung – Dysthymie - leichten Grades Manische Störung – Hypomanie - leichten Grades
10 – 40%
Keine psychotischen Symptome, Phasen mindestens 2 Wochen andauernd 20 %: Unter Medikation stabil, soziale Integration 30 % Unter Medikation stabil, fallweise beginnende soziale Rückzugstendenz, aber noch integriert 40 % Trotz Medikation instabil, mäßige soziale Beeinträchtigung
03.06.02
Depressive Störungen mittleren Grades Manische Störungen mittleren Grades
50 – 70%
50 %: Depression: Leistungsfähigkeit und soziale Kontakte schwer aufrecht zu erhalten Manie: Während der Phasen Arbeitsleistung und soziale Funktionsfähigkeit vollständig unterbrochen 70 %: Leistungsfähigkeit dauerhaft eingeschränkt Keine vollständige Remission trotz adäquater Therapie
Die maßgebliche Positionsnummer 05.08 der Anlage zur Einschätzungsverordnung lautet wie folgt:
05.08 Venöses und lymphatisches System
05.08.01
Funktionseinschränkung leichten Grades
10 – 40%
10 %: Sichtbare Varizen ohne sonstige Schäden 20 %: Ausgeprägte Schwellungsneigung Lymphödem ohne wesentliche Beeinträchtigung der Gelenksbeweglichkeit 30 %: Postthrombotisches Syndrom 40 %: Narbig abgeheilte Ulcera, Stauungsekze Lymphödem mit geringer Beeinträchtigung der Gelenksbeweglichkeit
Die maßgebliche Positionsnummer 05.04 der Anlage zur Einschätzungsverordnung lautet wie folgt:
05.04. Niere
05.04.01
Funktionseinschränkungen leichten Grades
10 – 40%
10 %: Mikrohämaturie oder Proteinurie, ohne Hypertonie, Kreatinin im Normalbereich 20 %: Einfache Hypertonie, 1 Antihypertensivum 30 %: Schwere Hypertonie 40 %: Höhergradige Hypertonie oder Kreatinin über 2 mg/dl
3.2.2. Den vom Bundesverwaltungsgericht als schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei gewerteten Sachverständigengutachten vom Dr. T S vom 28.06.2017 und von Dr. T L vom 13.09.2017 folgend, beträgt der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin nunmehr 60 %.
Die führende funktionelle Einschränkung wurde vom Gutachter Dr. T S unter die Positionsnummer 03.06.02 mit einem Grad der Behinderung von 50 % eingestuft. Die Anlage zur Einschätzungsverordnung sieht bei dieser Positionsnummer einen Grad der Behinderung zwischen 50 und 70 % vor. Der Gutachter führt begründend zum herangezogenen Grad der Behinderung von 50 % insbesondere aus, dass die Beschwerdeführerin bisher trotz qualifizierter Schul- und Berufsausbildung ihre Arbeitstätigkeit nicht anhaltend zufriedenstellend aufrecht halten konnte. Diese Einordnung entspricht den Voraussetzungen der Anlage zur Einschätzungsverordnung.
Die Einstufung des Leidens 2 mit einem Grad der Behinderung von 30 % laut Positionsnummer 05.08.01, die Einstufung des Leidens 3 mit einem Grad der Behinderung von 20 % laut Positionsnummer 05.04.01 sowie die Einstufung des Leidens 4 mit einem Grad der Behinderung von 10 % laut Positionsnummer 02.01.01 entsprechen ebenfalls dem vorgegebenen Rahmen der Anlage zur Verordnung.
Auch bei der Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist der Gutachter nach den Vorgaben von § 3 Abs. 3 der Einschätzungsverordnung ausgegangen, wonach eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, (nur) dann vorliegt, wenn sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt oder zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen. Diesbezüglich hat der Gutachter angegeben, dass das Leiden 1 durch Leiden 2 und Leiden 3 wechselseitig negativ beeinflusst wird und begründete dies umfassend. Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin wurde daher zu Recht mit 60 % festgestellt.
3.2.3. Entgegen der Feststellung im angefochtenen Bescheid, wonach der Grad der Behinderung 40 v.H. betrage, liegen die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, daher vor.
Der Beschwerde war daher stattzugeben und spruchgemäß zu entscheiden.
3.2 Zu Spruchpunkt B) – Unzulässigkeit der Revision
§ 25a Abs. 1 VwGG lautet wie folgt:
Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Darüber hinaus stellten sich im gegenständlichen Fall in erster Linie Fragen der Tatsachenfeststellung und der Beweiswürdigung.
Schlagworte
Behindertenpass, Grad der Behinderung, SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2017:I404.2129868.1.00Zuletzt aktualisiert am
01.12.2017