Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16. November 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Rechtshörers Biley als Schriftführer in der Strafsache gegen Markus S***** wegen Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster Fall und Abs 2 StGB idF BGBl 1974/60 und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 29. Juni 2017, GZ 34 Hv 3/17i-46, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Pott zu Recht erkannt:
Spruch
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch 5./, demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und insoweit in der Sache selbst erkannt:
Markus S***** wird von der Anklage, er habe Anfang 1990 in U***** eine unmündige Person, nämlich die am 4. Juli 1979 geborene Caroline P*****, auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er ihr unter den Pullover auf den Brustbereich griff,
gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Für die ihm weiterhin zur Last liegenden Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster Fall und Abs 2 StGB sowie § 207 Abs 1 erster Fall StGB, jeweils idF BGBl 1974/60, wird Markus S***** zu einer Freiheitsstrafe von
2 Jahren
verurteilt.
Mit dem auf das Sanktionserkenntnis bezogenen Teil seiner Nichtigkeitsbeschwerde sowie seiner Berufung wird der Angeklagte, mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten im Übrigen wird verworfen.
Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Markus S***** der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster Fall und Abs 2 StGB idF BGBl 1974/60 (1./ und 2./) und der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 (3./ bis 5./) schuldig erkannt und zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
Danach hat er in U***** unmündige Personen auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, und zwar:
1./ die am 16. Dezember 1975 geborene Isabell St*****, indem er im Jahr 1987 oder 1988 einen Finger in ihre Scheide einführte und sie zwischen 1984 und 1988 über der Kleidung an der Brust betastete, wobei die Taten eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine Anpassungsstörung, zur Folge hatten;
2./ die am 12. Jänner 1976 geborene Anita B*****, indem er zwischen 1984 und 1989 in mehr als 20 Fällen einen Finger in ihre Scheide einführte und sie im genannten Zeitraum mehrmals im Brust- und Schambereich betastete, wobei die Taten eine schwere Körperverletzung
(§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine Anpassungsstörung, zur Folge hatten;
3./ die am 21. März 1990 geborene Anja B*****, indem er sie zwischen 1996 bis 1997 in oftmaligen Angriffen unter der Unterhose am Gesäß und im Genitalbereich streichelte;
4./ die am 6. April 1980 geborene Claudia H*****, indem er sie im Zeitraum 1985 bis 1990 mehrmals über der Kleidung im Genitalbereich und an der Brust betastete;
5./ die am 4. Juli 1979 geborene Caroline P*****, indem er ihr Anfang 1990 unter dem Pullover auf den Brustbereich griff.
Die dagegen aus Z 4, 5, 9 lit b und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten schlägt – soweit auf sie im Folgenden einzugehen ist – fehl.
Rechtliche Beurteilung
Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider hat das Erstgericht die Anträge auf Vernehmung der Zeugen Alexander Bo***** und Markus Sch***** zum Beweis dafür, „dass es entgegen der gutachterlichen Expertise bei Anita B***** zu keiner Störung des Sexualverhaltens bzw auch zu keiner Anpassungsstörung gekommen sei“ (ON 45 AS 9), schon deshalb zu Recht abgewiesen, weil der Antragsteller nicht bekannt gab, welche relevanten Wahrnehmungen die genannten Zeugen hinsichtlich des Beweisthemas machen hätten können (RIS-Justiz RS0118444). An der solcherart begehrten Erkundungsbeweisführung ändert auch das Vorbringen nichts, wonach es sich bei den Genannten um einen langjährigen Freund des Opfers und um den Vater eines gemeinsamen Kindes handle.
Ebensowenig gab der Beschwerdeführer bekannt, welche zusätzlichen Aufschlüsse von der weiters beantragten „ergänzenden Exploration“ der Zeugin Isabell St***** für das behauptete Fehlen einer Anpassungsstörung sowie einer reaktiven Depression (ON 45 AS 9 f) zu erwarten seien. Im Übrigen behauptete der Antragsteller nicht einmal, dass die Zeugin die gebotene Zustimmung zu ihrer Untersuchung erteilen werde oder eine solche vorliege (RIS-Justiz RS0118956).
Das zur Fundierung der Beweisanträge in der Beschwerdeschrift nachgetragene Vorbringen unterliegt dem Neuerungsverbot und ist daher unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).
Die Kritik der Verfahrensrüge an der Begründung des die Beweisbegehren ablehnenden Beschlusses kann mangels Nichtigkeitsrelevanz auf sich beruhen (vgl RIS-Justiz RS0116749).
Die Mängelrüge (Z 5) bekämpft mit dem Einwand, Anita B***** und Isabell St***** hätten nur spärliche medizinische Unterlagen hinsichtlich der von ihnen angegebenen Therapien vorlegen können, bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung betreffend die schweren Tatfolgen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.
Gleiches gilt, soweit der Beschwerdeführer die der Zeugin Anita B***** vom Schöffengericht attestierte Glaubwürdigkeit mit dem Hinweis auf Erinnerungslücken an den Namen der „Therapeutin im Jahr 2004“, Zweifeln an der Glaubhaftigkeit des angeblichen Ratschlags einer Sozialarbeiterin, dass „eine Anzeige nichts bringen werde“, Unschärfen in den Depositionen der Zeugin zu Details zum Tathergang und Angaben des Peter B***** betreffend einen ihm gegenüber geschilderten Vergewaltigungsvorwurf zu entkräften sucht.
Dass die Anzeige erst nach einem „Kusinentreffen“ im Jahr 2015 erstattet wurde, steht der Annahme der Täterschaft des Angeklagten nicht entgegen und bedurfte demnach keiner Erörterung in den gedrängt abzufassenden (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) Urteilsgründen.
Dem weiteren Rechtsmitteleinwand (Z 5 zweiter Fall) zuwider hat sich das Erstgericht ohnedies mit dem vom Beschwerdeführer behaupteten sexuellen Übergriff gegen Isabell St***** durch einen „Onkel namens Walter“ auseinandergesetzt (US 6).
Bloß abermalige unbeachtliche Beweiswürdigungskritik enthält das Vorbringen, wonach es „auffällig“ sei, dass die „Vorwürfe gegenüber dem Angeklagten mit jeder Einvernahme der Privatbeteiligten mehr“ wurden.
Die („aus advokatorischer Vorsicht erhobene“) Rechtsrüge (Z 9 lit b) legt nicht dar, weshalb Verjährung wegen des – eine solche Rechtsfolge hinausschiebenden (vgl § 58 Abs 3 Z 3 StGB) – Umstands, dass Claudia H***** am 6. April 2013 das 28. Lebensjahr vollendet hat, eingetreten sein soll.
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch – in teilweiser Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – davon (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), dass dem angefochtenen Urteil nicht geltend gemachte Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) in Ansehung des Schuldspruchfaktums 5./ anhaftet:
Die Hemmung der Verjährung nach § 58 Abs 2 StGB bezieht sich nur auf die frühere Tat, während später begangene Taten unabhängig davon verjähren, dass der Täter zuvor ein mit strengerer Strafe bedrohtes Verhalten gesetzt hat, das aufgrund längerer Verjährungsfrist später verjährt (RIS-Justiz RS0128998 [T2]).
Davon ausgehend verjährte der laut Schuldspruchfaktum 5./ „Anfang des Jahres 1990“ gesetzte sexuelle Übergriff zum Nachteil der Caroline P***** (§ 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60) bereits im Jahr 1995 (§ 57 Abs 3 dritter Fall StGB). Denn eine den Verjährungseintritt hinausschiebende einschlägige Delinquenz (§ 58 Abs 2 StGB) hat der Angeklagte nach den Feststellungen erst wieder ab 1996 gesetzt (Schuldspruch 3./). Die (die fehlende Volljährigkeit des Opfers zum Tatzeitpunkt berücksichtigende) Verjährungshemmung gemäß § 58 Abs 3 Z 3 StGB (idF StRÄG 1998, BGBl I 1998/153) gelangt vorliegend – wie anzumerken bleibt – nicht zur Anwendung, weil diese Bestimmung erst mit 1. Oktober 1998 in Kraft trat und auf bereits verjährte Straftaten nicht anzuwenden war (vgl Art V Abs 3 StRÄG 1998).
Da die Feststellung verjährungshemmender Tatsachen in einem zweiten Rechtsgang nach der Aktenlage nicht zu erwarten ist (vgl RIS-Justiz RS0118545 [T5]), sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, sofort mit Urteilskassation und Freispruch wie im Spruch ersichtlich vorzugehen.
Entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur ist hinsichtlich des dem Angeklagten zu 4./ angelasteten Verhaltens Verjährung nicht eingetreten. Denn dieses Faktum umfasst auch im Zeitraum 1985 bis 1989 verübte Taten, hinsichtlich derer sich die Verjährungsfrist wiederum gemäß § 58 Abs 2 StGB verlängerte, weil der Angeklagte laut Schuldspruch 2./ jedenfalls auch zeitlich danach weitere (insoweit nicht verjährte) sexuelle Angriffe setzte. Ein Teilfreispruch (allein) betreffend den (isoliert betrachtet verjährten) Tatzeitraum 1990 kam jedoch angesichts des insoweit eine gleichartige Verbrechensmenge pauschal individualisierter Taten zum Ausdruck bringenden Schuldspruchs 4./ nicht in Betracht (vgl RIS-Justiz RS0117436).
Bei der erforderlichen Strafbemessung war mildernd die Unbescholtenheit des Angeklagten, dessen teilweise geständige Verantwortung sowie der Umstand, dass die Taten lange zurückliegen und sich der Angeklagte seither wohlverhalten hat. Erschwerend wirkten der lange Tatzeitraum, die Vielzahl der sexuellen Übergriffe gegen insgesamt vier Opfer sowie Tatwiederholung (Schuldspruch 3./) trotz familieninterner Anfechtung der bisherigen sexuellen Missbräuche (US 11).
Der Oberste Gerichtshof erachtete demgemäß eine zweijährige Freiheitsstrafe als angemessen, wobei der Tatsache, dass die Taten bereits knapp 20 Jahre zurückliegen, erhebliche Bedeutung für das gefundene Strafmaß zukommt.
Im Hinblick darauf, dass den Angeklagten weder eine Aussprache innerhalb der Familie noch die Absolvierung einer einschlägigen Therapie von weiteren gleichartigen sexuellen Übergriffen abhalten konnte (US 15), kam die bedingte Nachsicht auch bloß eines Teils der Strafe schon aus spezial- und generalpräventiven Gründen nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Schlagworte
3 Alle Os-Entscheidungen;Textnummer
E119891European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2017:0120OS00113.17K.1116.000Im RIS seit
30.11.2017Zuletzt aktualisiert am
30.11.2017