TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/20 W159 2122222-1

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Veröffentlicht am 20.11.2017
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Entscheidungsdatum

20.11.2017

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W159 2122222-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehöriger von Somalia gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.02.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.10.2017 zu Recht erkannt:

A)

Dem Antrag auf internationalen Schutz wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF stattgegeben und XXXX der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger von Somalia, gelangte am 14.06.2014 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte noch am gleichen Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am 15.06.2014 erfolgten Erstbefragung nach dem Asylgesetz durch die XXXX , gab er zu seinen Fluchtgründen an, dass sein Vater getötet worden sei und dass seine Mutter Angst gehabt habe, dass ihm das Gleiche passiere und er als Ältester für die Familie sorgen solle. Deswegen sei er ins Ausland geschickt worden.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führt zunächst eine wissenschaftliche Altersfeststellung durch und hielt ihm das diesbezügliche Gutachten des XXXX vor, aus dem sich ein spätest mögliches Geburtsdatum XXXX ergibt, was der Beschwerdeführer akzeptierte. In der Folge wurde am 09.02.2015 das Asylverfahren zugelassen.

Am 18.05.2015 führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Vorarlberg, eine ausgiebige Einvernahme des Antragstellers durch. Er gab an, somalischer Staatsbürger, Moslem, Sunnit und Angehöriger der Volksgruppe Tumaal zu sein sowie ledig zu sein. Er habe auf der Farm seiner Familie gearbeitet. Sein Vater sei getötet worden. Seit er Somalia verlassen habe, habe er keinen Kontakt mehr mit seiner Familie. Er habe sie nicht mehr erreichen können. Mit Behörden oder politischen Gruppierungen habe er keine Probleme gehabt.

Zu den Fluchtgründen gefragt, gab er an, dass er mit seinem Vater, als er noch Schüler gewesen sei, auf ihre Farm gegangen wäre und dort zwei Männer einen Teil ihrer Farm abgezäunt hätten, wo sich eine Wasserquelle befunden habe. Er habe dann mit den Nachbarn gesprochen und darauf hingewiesen, dass er Eigentümer dieses Grundstückes sei. Die Nachbarn hätten jedoch gemeint, dass sie als Tumaal keine Rechte hätten und dass sein Vater nicht zur Polizei gehen solle. Einer der beiden Nachbarn habe dann mit einem Gewehr vor seinen Augen auf seinen Vater geschossen. Er sei dann selbst zur Polizei gerannt und habe dem Vize-Chef der Polizei gesagt, dass sein Vater auf der Farm umgebracht worden sei. Der Polizist habe ihm gesagt, er solle nach Hause gehen und er werde die beiden Männer dann festnehmen, sie hätten dann seinen Vater begraben. Diese beiden Männer hätten seine Mutter angerufen und gesagt, dass sie bereits wüssten, dass er bei der Polizei gewesen sei und dass sie ihn auch umbringen würden. In der folgenden Nacht hätten die Männer an die Tür geklopft. Seine Mutter habe sie geöffnet. Sie sagte zu diesen Männern, dass sie bereits ihren Mann getötet hätten und dass sie nicht noch ihren Sohn töten sollten. Sie hätten dann seine Mutter umgeschubst und ihm sei die Flucht über eine Hecke gelungen. Sie hätten ihm dann nachgeschossen. Er sei dann zum Haus seines Onkels mütterlicherseits gelaufen. In der Zwischenzeit hätten sie die Eigentumsnachweise aus dem Haus seiner Mutter gestohlen. Dies habe dann sein Onkel am nächsten Tag erfahren. Sein Onkel habe gemeint, er solle sich versteckt halten und sei er dann nach XXXX gebracht worden. Dort habe ihn ein Verwandter erwartet und habe er sich dort einige Monate aufgehalten.

Eines Tages habe er auch dort einen der Männer getroffen, die seinen Vater umgebracht hätten, welcher eine Pistole gezogen habe. Er sei jedoch in ein Restaurant geflüchtet und habe sich unter der Kassa versteckt, sodass der Mann ihn nicht finden habe können. Er sei dann wieder zu seinem Verwandten zurückgekehrt und habe ihm gesagt, dass er auch in XXXX Angst habe. Daraufhin habe er sich entschlossen zu flüchten. Er habe sein ganzes Leben in XXXX verbracht, nur die letzten paar Monate in XXXX .

Diese Nachbarn hätten dem Clan Jajeele angehört. Sie hätten ihnen die gesamte Farm wegnehmen wollen. Es gebe für ihn als Tumaal-Angehörigen keinen sicheren Platz in Somalia. Überall seien sie in der Minderheit. Sie würden immer beschimpft werden. Auf der Farm hätten sie Zitronen, Bananen, Papaya, Mangos, Tomaten, Pfefferoni und Salat angebaut. Die beiden Nachbarn hätten schon seine Mutter vor dem Begräbnis seines Vaters angerufen. Gesagt habe ihm seine Mutter das erst nach dem Begräbnis und zwar auf dem Nachhauseweg. Sein Vater sei getroffen angeschossen worden und auf dem Boden gefallen. Er habe bereits geahnt, dass sein Vater tot sei, habe einen Schock gehabt und sei einfach davon gelaufen. In der Folge nannte er den Vizechef der lokalen Polizei, der in einer Heimatstadt bekannt sei und bei dem er die Anzeige wegen des Attentats auf seinen Vater gemacht habe. Als er heimgekommen sei, sei die Leiche seines Vaters bereits bei ihnen zuhause gewesen. Sie seien um 18:30 Uhr weggefahren und am nächsten Tag um 10:00 Uhr in XXXX angekommen. Er sei dann zu einem Verwandten aus dem gleichen Clan gegangen, den seine Eltern gekannt hätten, er aber nicht. Dort sei er dann mehrere Monate geblieben. Die Ausreise habe seine Mutter arrangiert. Wieviel Geld bezahlt worden sei und woher seine Mutter das Geld gehabt habe, wisse er nicht. Seine Familienangehörigen hätten kein Telefon besessen. Auch er habe kein Telefon besessen, seine Mutter früher schon, aber er kenne ihre Nummer nicht.

Er besuche jetzt einen Deutschkurs und lebe von der Grundversorgung. Außerdem mache er auch Sport.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Vorarlberg vom 08.02.2016, Zahl XXXX wurde unter Spruchpunkt I. der Antrag auf internationalen Schutz vom 14.06.2014 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, unter Spruchteil II. jedoch der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und unter Spruchteil III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 07.02.2017 erteilt.

In der Begründung des Bescheides wurde zunächst die oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebene Einvernahme dargestellt und Feststellungen zur Lage in Somalia getroffen. Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass das Fluchtvorbringen zur Gänze für unglaubhaft befunden worden sei, da die Angaben oberflächlich, emotionslos, widersprüchlich und nicht nachvollziehbar geblieben wären. Der Antragsteller habe keine näheren Schilderungen zu der behaupteten Verfolgung machen können. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass er für die Fahrt von XXXX nach XXXX 14,5 Stunden gebraucht habe, wenn diese Strecke in drei Stunden zu bewältigen sei. Rechtlich begründend zu Spruchteil I. wurde auf die insgesamt als nicht glaubhaft zu beurteilenden Fluchtgründe hingewiesen und weiters darauf, dass sich der Antragsteller den Bedrohungen in anderen Städten hätte entziehen können. Außerdem seien besonders schwierige Lebensumstände allgemeiner Natur, welche Folge eines Bürgerkriegs oder von Unruhen seien, hinzunehmen. Zu Spruchteil II. wurde darauf hingewiesen, dass die Behörde von einer realen Gefahr einer Bedrohung im Sinne des Art. 2 und 3 EMRK ausgehe, da die Sicherheitslage in Süd-/Zentralsomalia nach wie vor kritisch und volatil sei und der Antragsteller in eine bedrohliche Lebenssituation geraten würde. Es sei daher auch eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr zu erteilen gewesen.

Gegen diesen Bescheid, und zwar ausschließlich gegen den abweisenden Spruchpunkt I., erhob der Antragsteller Beschwerde (unterstützt durch den XXXX ). Darin wurde der bisherige Verfahrensgang einschließlich des bisherigen Vorbringens dargestellt bzw. wiederholt. Es würde jeder Mensch auf seine eigene Art mit erlebten Traumata umgehen und sei es daher nicht verständlich, wenn die Behörde ihm vorwerfe, dass er seine Schilderungen zu emotionslos gestaltet habe. Außerdem würden Mitglieder des Clans Tumaal in seiner Heimat diskriminiert und verfolgt. Weiters wurde auf die Integrationsbemühungen des Beschwerdeführers (Deutschkursbestätigung) hingewiesen. Schließlich wurde die Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht beantragt, um die Fluchtgründe noch einmal von unabhängigen Richtern persönlich und unmittelbar schildern zu können und damit glaubhaft zu machen.

Die belangte Behörde verzichtete vorweg auf die Teilnahme an einer Beschwerdeverhandlung.

Der XXXX legte eine Vollmacht sowie eine weitere Deutschkursbestätigung, einen aktuellen Meldezettel, eine Teilnahmebestätigung am Projekt " XXXX sowie an einem Werte- und Orientierungskurs des XXXX vor. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche mündlichen Beschwerdeverhandlung für den 19.10.2017 an, zu der der Beschwerdeführer in Begleitung eines Mitarbeiters des XXXX erschien. Dieser brachte vor, dass er zunächst bei der Firma XXXX und dann bei der Firma XXXX beschäftigt gewesen sei und nunmehr auf Arbeitssuche sei und legte weiters ein Beiblatt zu einem Untermietvertrag der XXXX vor.

Er hielt sein bisheriges Vorbringen und seine Beschwerde aufrecht und gab an, dass er von XXXX nach XXXX nicht auf Hauptstraßen gefahren sei und deswegen tatsächlich 16 Stunden gebraucht habe. Er sei somalischer Staatsangehörige, habe aber darüber keine Dokumente. Weiters gehöre er dem Clan Tumaal an und sei Moslem. Auch seinen Subclan nannte er. Er führte aus, dass es in Somalia keinen Ort gebe, wo nur Tumaal leben würden. Wie viele Clanangehörigen es in ganz Somalia gebe, wisse er nicht. Die meisten würden als Handwerker, zum Beispiel als Schweißer und als Schuster oder in anderen Metallberufen arbeiten. Wo er herkomme, gebe es keinen Anführer der Tumaal. Er sei am XXXX in XXXX geboren und aufgewachsen und habe bis kurz vor der Auseise dort gelebt. Er habe drei Brüder und zwei Schwestern und sei der Älteste in der Familie. Wenn in der Erstbefragung (AS 11) geschrieben sei, dass er einen Bruder XXXX habe, der XXXX geboren sei, so habe er dies schon beim BFA korrigiert. Er habe nämlich schon ursprünglich gesagt, dass sein nächster Bruder zwei Jahre jünger sei als er und dass der Dolmetscher bei der Erstbefragung irrtümlich übersetzt habe, dass dieser zwei Jahre älter als er sei.

Sie hätten eine Landwirtschaft gehabt und Obst und Gemüse angebaut. Dort hätte er auch mitgeholfen. Wirtschaftlich hätten sie der Mittelschicht angehört. Er habe sich in Somalia nicht politisch betätigt und habe auch keine persönlichen Probleme mit der Al Shabaab gehabt. Schon in seiner Schulzeit hätten ihn sein Schulkameraden ohne Grund beschimpft und ihn oft nicht beim Fußball spielen mitspielen lassen.

Eines Tages wären zwei Männer, denen die Landwirtschaft neben ihnen gehört hätte, gekommen und hätten versucht, ihnen die Landwirtschaft wegzunehmen. Da sich sein Vater geweigert habe, hätten sie ihn erschossen. Dieser Vorfall habe sich am 05.10.2013 ereignet. Die beiden Landwirtschaften seien nebeneinander, dazwischen gebe es einen Fluss. Auf der Seite der Nachbarn sei nicht so viel Wasser gewesen. Sie hätten dann eine Vorrichtung gebaut, damit das gesamte Wasser auf ihr Grundstück fließe. Gebäude, Bäume oder Büsche habe es dort nicht gegeben. In der Folgte fertigte der Beschwerdeführer eine Skizze der Umgebung an. Diese Nachbarn hätten ihnen ursprünglich nur einen Teil der Landwirtschaft abnehmen wollen. Nachdem sich sein Vater aber geweigert habe, hätten sie ihre Meinung geändert und beschlossen, ihnen die gesamte Landwirtschaft wegzunehmen. Sie gehörten dem Clan Jajeele an. Sie seien zu zweit gewesen und hätten seinen Vater erschossen. In der Folge nannte er auch die Namen der beiden Männer und beschrieb diese. Sie seien Brüder gewesen. Als sie seinen Vater erschossen hätten, sei er so schockiert gewesen, dass er einfach von dort fortgelaufen sei. Nachgeschossen hätten sie ihm nicht. Er habe sich nicht umgedreht und wisse daher nicht, ob sie ihn verfolgt hätten.

Er sei dann gleich zur nächsten Polizeistation gelaufen. Der Kommandant der Station sei nicht dort gewesen, sondern sein Stellvertreter. Er habe ihm erzählt, was passiert sei. Dieser habe ihn nach Hause geschickt und habe ihm versprochen, dass er etwas gegen die Täter unternehmen werde. In der Folge nannte er auch den Namen des stellvertretenden Polizeikommandanten und gab an, dass dieser auch dem Jajeele-Clan angehöre. Beim Betreten der Polizeistation habe er nur den stellvertretenden Kommandanten und einen Polizisten, der bei der Haupteingangstür gesessen sei, gesehen. Es sei aber möglich, dass noch andere Polizisten dort gewesen seien, die er nicht gesehen habe. Als er von der Polizei heimgekommen sei, sei die Leiche seines Vaters schon dort gewesen. Sie hätten dann sein Begräbnis vorbereitet. Alle seine Geschwister und seine Mutter seien daheim gewesen. Sie hätten dann seinen Vater begraben. Nach dem Begräbnis seien sie nach Hause gekommen. Da hätte seine Mutter erzählt, dass die Männer, die seinen Vater umgebracht hätten, gedroht hätten, ihn zu töten, weil sie gehört hätten, dass er sie bei der Polizei angezeigt habe.

Gegen Mitternacht seien dann die Männer zu ihnen gekommen, hätten an der Tür geklopft und seine Mutter sei aufgestanden und sei zur Tür gegangen. Sie hätten gefordert, dass die Tür aufgemacht werde, sonst würden sie sie eintreten. Seine Mutter habe dann die Tür aufgemacht und gefragt, was sie wollten. Sie hätten sie zur Seite geschubst und sei sie zu Boden gefallen. Ihm sei es gelungen, wegzulaufen. Sie seien bewaffnet gewesen. Er habe über einen Holzzaun springen können. Sie hätten ihm wohl nachgeschossen, aber zum Glück nicht getroffen. Er sei dann teilweise gelaufen und teilweise gegangen, bis er zu seinem Onkel mütterlicherseits gekommen sei. Es seien die gleichen Männer gewesen, die seinen Vater auf der Farm erschossen hätten. Sie seien beide bewaffnet gewesen.

Er sei das älteste Kind in der Familie gewesen. Außerdem sei er Zeuge des Mordes an seinem Vater gewesen. Deswegen hätten sie ihn bedroht und nicht seine Geschwister. Er habe seine Mutter und seine jüngeren Geschwister deswegen alleine gelassen, weil sie nur ihn verfolgt hätten und nicht seine Mutter und seine Geschwister. Sie hätten auch nur ihn bedroht. Diese Männer hätten dann das Haus durchsucht und die Eigentumsnachweise an den landwirtschaftlichen Grundstücken mitgenommen. Er habe dann nur eine Nacht bei seinem Onkel verbracht und am nächsten Tag sei er nach XXXX gefahren. Die Fahrt von XXXX nach XXXX hat deswegen länger gedauert, weil sie auf Nebenstraßen gefahren seien, wo es viele Checkpoints gebe. Sie hätten immer wieder anhalten und warten müssen. Warum der Fahrer diesen Weg genommen habe, wisse er nicht.

Er sei im Hause eines weitschichtigen Verwandten in XXXX aufhältig gewesen. Während er dort gewesen sei, sei ihm nichts passiert. Über Vorhalt, dass er beim BFA gesagt habe, dass seine Verfolger ihn auch in XXXX getroffen hätten und er sich vor ihnen versteckt habe (AS 130) und dass es nicht sehr plausibel sei, dass ihn einer seiner Verfolger aus seiner Heimatstadt in der Millionenstadt XXXX finden haben können, führte er aus, dass er einige Monate in XXXX gewesen sei. Er habe sich ein paar Mal mit Bekannten getroffen und glaube, dass einer seiner Bekannten diesem Mann erzählt habe, wo er sich in XXXX aufhalte. Vielleicht sei dieser Mann auch einfach nach XXXX gefahren, um ihn zu suchen. Eines Tages habe er ihn dann getroffen. Er sei ihm nachgelaufen. Er sei in ein Restaurant gelaufen und habe sich dann unter der Kassa versteckt. So habe ihn sein Verfolger nicht sehen können. Dann sei er weggegangen und der Kassier habe ihm gesagt, dass dieser Mann verschwunden sei. Es sei an einem Freitag gewesen, als er in die Moschee habe gehen wollen.

Der ausschlaggebende Anlass für die Ausreise sei jener gewesen, dass diese Männer ihn auch in XXXX bedroht hätten und dass er auch in Mogadischu nicht sicher hätte weiterleben können. Gefragt, ob die Probleme in Somalia die Ursache in Grundstückstreitigkeiten oder in Clanstreitigkeiten gehabt hätten, gab er an, "beides", wobei er hinzufügte, dass, wenn sie einem größeren Stamm angehört hätten, hätten sie ihnen das nicht angetan. Ob die Polizei gegen die zwei Männer etwas unternommen habe, wisse er nicht, denn er habe, seit er in Österreich sei, keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Die lokale Polizei könne sie nicht schützen, denn sie würden dem Clan Jajeele angehören. Er sei, glaublich, am 16.05.2014 aus Somalia ausgereist und sei direkt in die Türkei geflogen. Seine Familienangehörigen seien damals in XXXX gewesen. Seither habe er aber keinen Kontakt mehr mit ihnen. Seine Mutter habe eine Handynummer gehabt, er habe diese Nummer aber verloren. Als er auf dem Weg nach Europa gewesen sei, sei sie die einzige in der Familie gewesen, die ein Handy gehabt habe.

Gesundheitlich gehe es ihm gut. Er sei seit dem 22.09.(2017) arbeitslos, vorher habe er gearbeitet. Er suche nunmehr wieder eine neue Arbeit. Deutschkurse bis zum Niveau A2 habe er besucht. Ein A2-Diplom habe er aber noch nicht. Er habe zuerst einen Deutschkurs besucht und dann gleich eine Arbeitsstelle bekommen, welche er nicht verlieren habe wollen. In einer Ehe oder Lebensgemeinschaft lebe er nicht. Er habe zuerst Krankenpfleger werden wollen, falls das nicht möglich sei, möchte er Automechaniker werden. Bei Vereinen oder Institutionen sei er nicht Mitglied. Er habe schon österreichische Freunde gehabt, aber jetzt sei er in einer anderen Unterkunft. Dort habe er noch keine österreichischen Freunde, sondern sei meistens mit Somaliern zusammen.

Wenn er nach Somalia zurückkehren würde, habe er Angst, von diesen Männern getötet zu werden, weil er ein Angehöriger eines Minderheitenstamms sei, denn in Somalia gebe es keine Sicherheit und keine wirksame Polizei. Sonst wollte er nichts hinzufügen.

Ergänzend zu dem bereits übermittelten Länderinformationsblatt wurde dem Beschwerdevorbringen entsprechend folgende Dokumente zur Situation der Berufskasten in Somalia zur Kenntnis gebracht und eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt.

* UNHCR-Somalia Aufstellung über die somalischen Clans

* Deutsches Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, Minderheiten in Somalia, Juli 2010, S 16 bis 19

* EASO-Informationsbericht über das Herkunftsland Süd- und Zentralsomalia, August 2014, S 50 bis S 53

Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme machte lediglich der Beschwerdeführer durch seine ausgewiesene Vertretung Gebrauch. Dabei wies er auf die schlechte Situation der Angehörigen des Clans Tumaal hin. Als Angehöriger einer kleinen Minderheit könne er nirgends in Somalia Schutz finden und sei er der Willkür anderer größerer Clans ausgesetzt. Auch sei die allgemeine humanitäre Situation in Somalia weiterhin prekär und fehle es an effizienten staatlichen Strukturen und der notwendigen polizeilichen Ordnungsmacht, sodass im Einzelfall kein tatsächlicher und effizienter Schutz gegeben sei. Im Fall des Beschwerdeführers könne dieser nicht vor asylrelevanter Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure geschützt werden. Es sei daher beim Beschwerdeführer eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus asylrelevanten Gründen gegeben. Unbeschadet davon würde er überdies im Rückkehrfall in eine dauerhaft ausweglose und menschenunwürdige Lage geraten, die dem Art. 3 EMRK widerspreche und sei nach einheitlicher Rechtsprechungslinie des BVwG zumindest subsidiärer Schutz zuzuerkennen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat, wie folgt, festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Somalia und gehört dem Clan Tumaal an. Er ist Moslem/Sunnit und wurde XXXX in XXXX geboren. Dort ist er auch aufgewachsen und hat bis kurze Zeit vor seiner Ausreise auch dort gelebt. Er hat drei Brüder und zwei Schwester und ist der Älteste in der Familie. Sein Vater betrieb eine Landwirtschaft mit Obst und Gemüseanbau, wo er auch zeitweilig arbeitete und hatte er deswegen keine wirtschaftlichen Probleme. Er wurde jedoch schon als Schüler (von Mitschülern) beschimpft und ausgegrenzt.

Grundstücknachbarn, die sich zumindest einen Teil der Landwirtschaft der Familie aneignen wollten (weil diese Grundstücke auch besser mit Wasser versorgt waren), erschossen im Streit am 05.10.2013 seinen Vater. Der Beschwerdeführer erlitt einen Schock und lief sogleich zur nächsten Polizeistation, wo er eine beim stellvertretenden Postenkommandant eine Anzeige machte, der ebenso wie die sie verfolgenden Nachbarn Angehöriger des Clans Jajeele war. Unmittelbar darauf wurde der Beschwerdeführer bereits im Wege über seine Mutter bedroht. In der nächsten Nacht drangen diese Grundstücknachbarn auch in das Haus der Beschwerdeführer ein, schubsten seine Mutter beiseite und bemächtigten sich der Urkunden über das Liegenschaftseigentum, während es dem Beschwerdeführer gelang, über eine Hecke zu fliehen, obwohl ihm die Verfolger nachschossen. Der Beschwerdeführer lief zu seinem Onkel mütterlicherseits, hielt sich bei diesem jedoch nur einen Tag auf und fuhr dann nach XXXX , wo er bei weitschichtigen Verwandten unterkam. Auch in XXXX wurde er von einem seiner Verfolger gefunden und konnte er sich unter der Kassa eines Restaurants verstecken. Daraufhin entschloss er sich auszureisen und flog am 16.05.2014 von XXXX direkt in die Türkei. Der Beschwerdeführer gab an, dass die Verfolgung – zumindest auch wegen der Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan erfolgt ist bzw. er auch deswegen keinen Schutz durch die Polizei erhalten hat.

Der Beschwerdeführer hat aktuell keine Kontakte mit seinen Familienangehörigen mehr. Er hat schon Deutschkurse bis zum Niveau A2 besucht und auch schon bei mehreren Firmen gearbeitet. In einer Ehe oder Lebensgemeinschaft lebt er nicht. Er möchte gerne Krankenpfleger und falls dies nicht möglich ist, Automechaniker werden. Bei Vereinen oder Institutionen ist er auch nicht Mitglied.

Zu Somalia wird Folgendes verfahrensbezogen festgestellt:

1. Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen

KI vom 27.6.2017: Update zur Dürre-Situation

Nachdem über zwei Jahre beide Regenzeiten (Deyr und Gu) ausgeblieben sind, hat sich in Somalia eine humanitäre Katastrophe entwickelt. Das System von Subsistenz-Landwirtschaften in den Flussgebieten von Shabelle und Juba ist teilweise zusammengebrochen; die Preise für Grundnahrungsmittel haben sich verdoppelt; und Millionen Stück Vieh sind verendet (ICG 9.5.2017). Die Behörden Somalilands sprechen von 80% Verlusten beim Viehbestand (BBC 11.5.2017; vgl. TG 24.5.2017), andere Schätzungen sprechen von 50%. Der Außenminister Somalilands gibt an: "Es gab hier schon immer Dürreperioden, aber nur alle zehn Jahre. Jetzt haben wir sie schon alle zwei Jahre. Und die Dürre in diesem Jahr ist die schlimmste Dürre, die wir in Ostafrika jemals hatten." (TG 24.5.2017)

In vielen Städten Süd-/Zentralsomalias sind Nahrungsmittel für IDPs und sehr arme Bevölkerungsteile kaum mehr leistbar (ICG 9.5.2017). Die Dürresituation hält vor allem im Südwesten Somalias weiter an, dort bleibt die Angst vor einer Hungersnot bestehen. In den nördlichen und zentralen Teilen des Landes hat der teils durchschnittliche, teils überdurchschnittliche Regen im Jahr 2017 zur verbesserten Weide- und Wasserlage beigetragen (UNFPA 14.6.2017)

Dafür ist eine massive Hilfsoperation angelaufen, an der zahlreiche ausländische und lokale NGOs beteiligt sind (ICG 9.5.2017). Dank der großzügigen Ressourcen, die von Gebern zur Verfügung gestellt worden sind, konnten nationale und internationale NGOs sowie UN-Agenturen ihre humanitäre Unterstützung in ganz Somalia massiv nach oben fahren. Dabei wird mit den Behörden zusammengearbeitet. In Mogadischu, Baidoa und Garoowe wurden Koordinierungszentren eingerichtet (UNSC 9.5.2017). Koordinierung und Management der Operationen sind angesichts der Fehler in der Vergangenheit (2011) stark verbessert worden (ICG 9.5.2017). Die internationale Unterstützung erfolgte relativ rasch, die Anstrengungen sind besser koordiniert. Auch auf nationaler Ebene wurde reagiert und geholfen. Die Regierung hat Anstrengungen unternommen, selbst Studenten wurden ermutigt, jeweils 10 USD zu spenden. Firmen und Wirtschaftstreibende haben signifikant zu den Hilfskampagnen beigetragen (ICG 9.5.2017).

Die Zahl der Menschen, die durch die Operationen zur Verbesserung des Zugangs zu Nahrungsmitteln erreicht werden, hat sich von 1,1 Millionen im Februar 2017 auf 1,7 Millionen erhöht. Alleine im März konnten 332.000 Kinder von Ernährungsleistungen profitieren. Darunter waren 69.000 schwer unterernährte Kinder unter 5 Jahren. Auch die Versorgung mit sicherem Trinkwasser wurde hochgefahren. Dabei wurden zwischen Jänner und März 2017 knapp 1.150.000 Menschen erreicht. Allein im Februar hat sich die Zahl der Erreichten verdoppelt (UNSC 9.5.2017).

Rund 50% der gewährleisteten Hilfe wurde in Geld geleistet. Damit werden Märkte stabilisiert, wurde das schnelle Hochfahren der Unterstützung gewährleistet, wurden Menschen auch in entlegenen Gebieten erreicht und wurde das Risiko der Plünderung von humanitären Hilfsgütern minimiert (UNSC 9.5.2017). Außerdem ist diese Form der Hilfeleistung billiger. Gelder werden über Mobilfunksysteme ausbezahlt (ICG 9.5.2017).

Trotz aller Bemühungen wurden die gesetzten Ziele aber nicht erreicht, die humanitäre Lage verschlechtert sich weiter. Das Risiko einer Hungersnot besteht weiterhin. 6,2 Millionen Menschen sind akut von Nahrungsmittelknappheit betroffen, 3 Millionen brauchen lebenserhaltende Unterstützung (UNSC 9.5.2017). Seit November 2016 verließen über 740.000 Menschen aufgrund der Dürre ihre Heimatgebiete, darunter 480.000 unter 18jährige (UNHCR 31.5.2017). Aus manchen Regionen wurden Hungertote gemeldet – etwa aus Bay (BBC 4.3.2017).

Einige Schwierigkeiten, die schon im Jahr 2011 vorherrschten, bestehen auch weiterhin. Unsicherheit und mangelnder Zugang zu Hilfsgütern sind problematisch (ICG 9.5.2017). Vor allem in Süd-/Zentralsomalia hindert die schlechte Sicherheitslage Menschen manchmal am Zugang zu humanitärer Hilfe (UNSC 9.5.2017). Dabei ist Süd-/Zentralsomalia wieder das Epizentrum der humanitären Krise. Diese wird dort durch lokale Clan-Konflikte und al Shabaab noch verschärft (ICG 9.5.2017).

Dahingegen waren zwar auch Teile ("pockets") von Somaliland und Puntland schwer von der Dürre betroffen. Dort ist die Situation aber bei weitem weniger schlecht als im Süden (ICG 9.5.2017).

Überhaupt variiert die Abdeckung mit internationaler humanitärer Unterstützung regional. Die meisten Gebiete in Somaliland und Puntland sind besser abgedeckt, die Möglichkeiten in Süd-/Zentralsomalia mehr eingeschränkt (ICG 9.5.2017).

Quellen:

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BBC (11.5.2017): How do you solve a problem like Somalia? http://www.bbc.com/news/world-africa-39855735, Zugriff 27.6.2017

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BBC (4.3.2017): Somalia drought – More than 100 die from hunger in one region, http://www.bbc.com/news/world-africa-39166746, Zugriff 27.6.2017

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ICG – International Crisis Group (): Instruments of Pain (III) – Conflict and Famine in Somalia, https://www.crisisgroup.org/africa/horn-africa/somalia/b125-instruments-pain-iii-conflict-and-famine-somalia, Zugriff 27.6.2017

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The Guardian (24.5.2017): Somaliland's hunger crisis: ‘The world doesn't respond until children are dying', https://www.theguardian.com/global-development/2017/may/24/somaliland-hunger-crisis-world-doesnt-respond-until-children-are-dying-foreign-minister-saad-ali-shire, Zugriff 27.6.2017

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UNFPA – UN Population Fund (14.6.2017): UNFPA Situation Report 26th May to 16th June 2017,

http://somalia.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/Somalia%20SitRep%20%23011%2026th%20May%20-%2016th%20June%202017.pdf, Zugriff 27.6.2017

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UNHCR (31.5.2017): PRMN Drought Displacements, http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/57361.pdf, Zugriff 27.6.2017

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UNSC – UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/N1712363.pdf, Zugriff 27.6.2017

KI vom 13.2.2017: Farmaajo neuer Präsident

Der frühere Regierungschef Mohamed Abdullahi Mohamed Farmaajo hat die Präsidentenwahl in Somalia gewonnen. Im zweiten Durchgang der Wahl am Mittwoch ließ der 54-jährige somalisch-amerikanische Doppelstaatsbürger Farmaajo den bisherigen Amtsinhaber Hassan Sheikh Mohamud hinter sich (NZZ 8.2.2017). Tausende Menschen feierten am Mittwochabend (8.2.2017) den Sieg von Farmaajo auf den Straßen von Mogadischu. Es gab Hupkonzerte, und Menschen umarmten Soldaten (FR 10.2.2017; vgl. VOA 9.2.2017). Auch in anderen somalischen Städten sowie in Kenia – in Garissa und Eastleigh – kam es zu spontanen Freudenfeiern, die als Ausdruck aufrichtiger Unterstützung für den neuen Präsidenten durch die Bevölkerung gewertet werden können (VOA 9.2.2017).

Die Wahl von Mohamed Farmaajo kam überraschend, galt doch der Amtsinhaber Hassan Sheikh Mohamud als Favorit (FR 10.2.2017). Letzterer hat jedenfalls seine Niederlage eingestanden (NZZ 8.2.2017; vgl. VOA 9.2.2017), und er forderte alle Somalis dazu auf, den neuen Präsidenten zu unterstützen. Farmaajo wurde unmittelbar angelobt (VOA 9.2.2017).

Die Durchführung einer allgemeinen und freien Wahl war in Somalia zwar nicht möglich gewesen; doch die Zahl von 14.024 Wahlmännern ist ein erheblicher Fortschritt gegenüber früheren Wahlen, als der Sieger unter gerade einmal 135 Clanchefs ausgekungelt wurde. Die Medien konnten hinsichtlich der Wahl relativ frei agieren und Korruption und Wahlverschiebung anprangern – ein gutes Zeichen (DW 10.2.2017).

2010/2011 war Farmaajo acht Monate lang Premierminister von Somalia gewesen. Damals hatte er sich einen Namen als Anti-Korruptionskämpfer erworben (FR 10.2.2017; vgl. VOA 9.2.2017). Seine Entlassung durch den damaligen Präsidenten Ahmed Sheikh Sharif führte zu heftigen Protesten der Bevölkerung (FR 10.2.2017).

Quellen:

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DW – Deutsche Welle (10.2.2017): Kommentar: Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267, Zugriff 13.2.2017

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FR – Frankfurter Rundschau (10.2.2017): Hoffnung für Somalia, http://www.fr-online.de/politik/wahl-hoffnung-fuer-somalia,1472596,35147632.html, Zugriff 13.2.2017

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NZZ – Neue Zürcher Zeitung (8.2.2017): Präsidentenwahl zwischen Sandsäcken und Ruinen,

https://www.nzz.ch/international/nahost-und-afrika/mohamud-in-somalia-abgewaehlt-praesidentenwahl-zwischen-sandsaecken-und-ruinen-ld.144287, Zugriff 13.2.2017

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VOA – Voice of America (9.2.2017): Somalis Optimistic About New President,

http://www.voanews.com/a/hopes-high-somalia-s-new-president-will-improve-security/3716301.html, Zugriff 13.2.2017

KI vom 19.1.2017: Dürre

Nach einer schwachen Gu-Regenzeit im Jahr 2016 blieben auch die Regenfälle der Deyr-Regenzeit Ende 2016 aus. Von der Nahrungsversorgungsunsicherheit am schlimmsten betroffen sind landwirtschaftlich genutzte Gebiete im Süden und nomadisch genutzte Gebiete im Nordosten des Landes (FEWSNET 16.1.2017). Alleine im sogenannten South-West-State sind 820.000 Menschen dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Viele suchen in größeren Städten nach Hilfe. Der Gouverneur der Region Bay schätzt, dass bereits rund 3.000 Familien aus ländlichen Gebieten nach Baidoa geflohen sind (UNSOM 16.1.2017). Dabei ziehen Nahrungsmittelpreise an: Der Preis für Mais liegt in Qoryooley 51% über dem Fünfjahresmittel; für Sorghum in Baidoa um 88% darüber (FEWSNET 16.1.2017).

Die humanitäre Situation in Somalia ist zunehmend fragil. Fünf Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (UNOCHA 12.1.2017; vgl. UNSOM 16.1.2017) und leiden unter Nahrungsversorgungsunsicherheit (FAO 20.12.2016). 3,9 Millionen davon gelten als "stressed", 1,1 Millionen Menschen leiden unter akuter Nahrungsversorgungsunsicherheit (acutely food insecure) (UNOCHA 12.1.2017) und befinden sich auf den IPC-Stufen drei (Krise) und 4 (Not/Emergency). Alleine im zweiten Halbjahr 2016 hat die Zahl um 20% zugenommen. Prognosen lassen erwarten, dass die Zahl der akut Bedrohten im ersten Halbjahr 2017 um eine weitere Viertelmillion zunehmen wird. Ähnliche Bedingungen hatten im Jahr 2011 zu einer Hungersnot und Hungertoten geführt (FAO 20.12.2016). Folglich fahren humanitäre Organisationen ihre lebensrettenden Maßnahmen hoch, angesammelte Fonds werden angezapft (UNOCHA 12.1.2017).

Eine Entschärfung der Situation ist in rein nomadisch genutzten Gebieten nicht für Mai/Juni zu erwarten; in agro-pastoral genutzten Gebieten nicht vor Juni/Juli. Im schlimmsten anzunehmenden Szenario bleibt auch die Gu-Regenzeit des Jahres 2017 – wie gegenwärtig prognostiziert – schwach und in der Folge sinkt die Kaufkraft auf das Niveau der Jahre 2010/2011. Reicht dann die humanitäre Hilfe nicht aus, wird eine Hungersnot (IPC 5) die Folge sein (FEWSNET 16.1.2017). Bereits jetzt werden vereinzelt Hungertote aus den Regionen Bay (UNSOM 16.1.2017) und Gedo gemeldet (SMN 15.1.2017).

Quellen:

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FAO – Food and Agriculture Organization of the United Nations (20.12.2016): With continued drought, Horn of Africa braces for another hunger season,

http://reliefweb.int/report/somalia/continued-drought-horn-africa-braces-another-hunger-season, Zugriff 19.1.2017

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FEWSNET – Famine Early Warning Systems Network (16.1.2017): Severe drought, rising prices, continued access limitations, and dry forecasts suggest Famine is possible in 2017, http://www.fews.net/east-africa/somalia/alert/january-16-2017, Zugriff 19.1.2017

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SMN – Shabelle Media Network (15.1.2017): A Mother and her kids die of hunger in Gedo,

http://allafrica.com/stories/201701160709.html, Zugriff 19.1.2017

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UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (12.1.2017): Somalia: Humanitarian Snapshot (as of 12 January 2017), http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/somalia_humanitarian_snapshot_-_january_2017.pdf, Zugriff 19.1.2017

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UNSOM – UN Assistance Mission to Somalia (16.1.2017): Deputy SRSG de Clercq assesses humanitarian crisis in Somalia’s South West state,

http://reliefweb.int/report/somalia/deputy-srsg-de-clercq-assesses-humanitarian-crisis-somalia-s-south-west-state, Zugriff 19.1.2017

KI vom 20.9.2016: Dürre

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Die humanitäre Lage in Somalia bleibt prekär. Etwa 38 Prozent der Bevölkerung sind auf Unterstützung angewiesen, eine Million Menschen können ihren grundlegenden Nahrungsbedarf nicht decken. 305.000 Kinder unter fünf Jahren sind akut unterernährt. Zwischen Jänner und Juni wurden ca. 490.000 Menschen mit Nahrungsmittelhilfe versorgt, 125.000 Kinder konnten wegen akuter Unterernährung behandelt werden (UNSC 6.9.2016). UNOCHA stellt hinsichtlich Nahrungsmittelsicherheit nebenstehende aktuelle Karte zur Verfügung (UNOCHA 9.9.2016).

Das Klimaphänomen El Niño führte in Somaliland und in Puntland zu Dürre. Dort sind 385.000 Menschen akut von Nahrungsmittelunsicherheit bedroht, weitere 1,3 Millionen Menschen sind dem Risiko ausgesetzt, ohne Unterstützung in eine akute Bedrohung abzugleiten (UNSC 6.9.2016; vgl. UNOCHA 1.9.2016). In Süd-/Zentralsomalia brachte El Niño hingegen schwere Regenfälle und teilweise Überschwemmungen (UNOCHA 1.9.2016).

Die Regenzeit Gu (März-Juni) brachte für Puntland und Somaliland zwar eine teilweise Entlastung; doch wird für den Zeitraum Juli-Dezember 2016 wieder eine Erhöhung der Nahrungsmittelunsicherheit erwartet (UNSC 6.9.2016). Für eine nachhaltige Besserung bedarf es mehr als nur einer guten Regenzeit. Prognosen zufolge könnte sich die Situation durch das nachfolgende Wetterphänomen La Niña weiter verschärfen. So bietet auch die Nahrungsmittelsicherheit in Süd-/Zentralsomalia zunehmend Grund zur Sorge. Derzeit sind also – v.a. im Norden – noch die Auswirkungen von El Niño zu spüren, während aufgrund von La Niña eine schlechte Deyr-Regenzeit (Oktober-Dezember) erwartet wird. Die schwere Hungersnot der Jahre 2011/2012 war durch La Niña verursacht worden (UNOCHA 1.9.2016).

Quellen:

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UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (9.9.2016): Somalia – Humanitarian Snapshot, http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Somalia%20Humanitarian%20Snapshot%20-%20September%202016.pdf, Zugriff 20.9.2016

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UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (1.9.2016): Humanitarian Bulletin Somalia, August 2016, http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/August%202016%20Somalia%20Humanitarian%20Bulletin.pdf, Zugriff 20.9.2016

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UNSC - UN Security Council (6.9.2016): Report of the Secretary-General on Somalia [S/2016/763], http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1473923936_n1627603.pdf, Zugriff 20.9.2016

2. Politische Lage

Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.12.2015).

Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.12.2015). Somalia ist keine Wahldemokratie. Es gibt keine demokratischen Institutionen. Das Parlament wurde durch Clan-Repräsentanten ausgewählt, und zwar entlang der sogenannten 4.5-Formel. Diese gibt den vier Hauptclans jeweils gleich viele Sitze, und den kleineren Clans und Minderheiten insgesamt halb so viele Sitze, wie einem Hauptclan. Trotzdem wird die Förderung der Demokratie formell von allen politischen Akteuren – mit der Ausnahme von al Shabaab – akzeptiert. So ist das politische System Somalias weder demokratisch noch autoritär; alles dreht sich um die Repräsentation auf Basis der Clans (BS 2016).

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Das derzeitige Bundesparlament wurde konsensual unter Einbeziehung traditioneller Eliten bestimmt und hat dann den Präsidenten gewählt (AA 1.12.2015; vgl. USDOS 13.4.2016). Dies ist die erste Regierung Somalias seit 1991, der breite internationale Unterstützung zukommt (BS 2016). Somalia gilt laut dem UN-Repräsentanten nicht mehr als failed state, sondern als fragiles Land. Die Situation hat sich in den vergangenen drei Jahren stabilisiert (AP 23.12.2015; vgl. AA 1.12.2015).

Eigentlich waren für 2016 Wahlen vorgesehen. Der Präsident hat aber im Juni 2015 angekündigt, dass diese "one person, one vote"-Wahlen verschoben werden (USDOS 13.4.2016; vgl. UNSC 8.1.2016). Dagegen hat es im Parlament Proteste gegeben (AI 24.2.2016). Ein von der Regierung einberufenes National Consultative Forum soll über einen anderen Wahlprozess für das Jahr 2016 beraten. Gleichzeitig soll das Forum auf Vorbereitungen für allgemeine Wahlen im Jahr 2020 treffen (UNSC 8.1.2016).

Obwohl seit dem Ende der Übergangsperiode wiederholt der politische Wille zur umfassenden Reform des Staatswesens (Etablierung von Rechtsstaatlichkeit, Schutz von Menschenrechten, Demokratisierung, Föderalisierung) bekundet wird, ist die faktische Situation nach wie vor in all diesen Bereichen sehr mangelhaft (AA 1.12.2015). Die Erfolge der aktuellen Regierung bei Friedens- und Staatsbildung waren sehr bescheiden. Politische Grabenkämpfe zwischen dem Präsidenten und dem Premierminister haben zu mangelnder Kontinuität beim Regierungspersonal geführt (BS 2016). Zuletzt gab es im August 2015 eine Regierungskrise, als das Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Mohamud einleiten wollte (UNSC 11.9.2015; vgl. AI 24.2.2016). Dieses Begehren wurde später zurückgezogen (UNSC 8.1.2016).

Die anhaltenden politischen Grabenkämpfe und der Fokus auf die Föderalisierung haben die Regierung von Reformen im Justiz- und Sicherheitsbereich abgelenkt (HRW 27.1.2016). Das Clansystem hat wiederum die Einrichtung nachhaltiger Regierungs- und Verwaltungsstrukturen behindert (UNHRC 28.10.2015). Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt (AA 1.12.2015).

Es gab einen signifikanten Fortschritt bei der Einrichtung staatlicher Strukturen auf regionaler Ebene, und für alle Bezirke (außer Baardheere) gibt es vorläufige Verwaltungen (UNSC 8.1.2016). Gleichwohl gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach, wesentliche Staatsfunktionen können nicht ausgeübt werden (AA 1.12.2015). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 10.2015). Die regionalen Verwaltungen kämpfen noch damit, ihre Autorität durchzusetzen. Sie stehen dabei einem Mangel an Geld, einem Mangel an Regierungsinfrastruktur und einem Mangel an Personal gegenüber. Außerdem fehlt es an Details zu den Strukturen der Bundesstaaten sowie an breiter Unterstützung beim Staatsbildungsprozess (UNSC 8.1.2016). Die internationalen Partner werden auch weiterhin signifikante Unterstützung gewähren müssen (UNSC 8.1.2016), wie etwa über laufende Projekte zur Kapazitätsbildung und zu Kernfunktionen der Regierung durch die Weltbank und UNDP (UNSC 11.9.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/319738/445108_en.html, Zugriff 22.3.2016

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AP - Associated Press (23.12.2015): Somalia no longer a failed state, just a fragile one, says UN. The Guardian, http://www.theguardian.com/world/2015/dec/23/somalia-no-longer-a-failed-state-just-a-fragile-one-says-un, Zugriff 20.4.2016

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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 24.3.2016

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EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 14.4.2016

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HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/318350/443530_en.html, Zugriff 22.3.2016

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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (10.2015):

Asylländerbericht Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1445329855_soma-oeb-bericht-2015-10.pdf, Zugriff 25.2.2016

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UNHRC - UN Human Rights Council

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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