TE OGH 2017/11/9 10Bs334/17v

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Veröffentlicht am 09.11.2017
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Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr. Sutter (Vorsitz), Mag.Kohlroser und Mag. Redtenbacher in der Strafsache gegen J***** S***** wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 3 zweiter Fall StGB und eines weiteren Verbrechens über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 25. Oktober 2017, 7 Hv 36/17a-92, in nichtöffentlicher Sitzung den

BESCHLUSS

gefasst:

Spruch

         Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

         Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).

Text

Begründung:

Am 2. Juni 2017 erhob die Staatsanwaltschaft Graz zum AZ 7 Hv 36/17a des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht gegen den am ***** geborenen ***** Staatsangehörigen J***** S***** Anklage wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 3 zweiter Fall StGB und des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und 2 StGB (ON 1, Seite 4 und ON 31). In Stattgebung des von der Anklagebehörde zugleich eingebrachten Antrags verhängte die Vertreterin der Vorsitzenden des Schöffengerichts mit Beschluss vom 4. Juni 2017 über den Angeklagten aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit a StPO die Untersuchungshaft (ON 35, PS 9 und ON 36).

Das Oberlandesgericht Graz gab dem gegen die Anklageschrift gerichteten Einspruch des Angeklagten dahin Folge, dass es die Anklageschrift im Umfang eines Teilfaktums gemäß § 212 Z 4 StPO zurückwies und setzte die über den Angeklagten verhängte Untersuchungshaft aus den bereits dargelegten Haftgründen (§ 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit a StPO) fort.

Nachfolgend wurde die Untersuchungshaft zunächst mit den Beschlüssen des Erstgerichts einerseits vom 5. Oktober 2017 (ON 74) und andererseits vom 18. Oktober 2017 (ON 86) prolongiert, wobei mit der zuletzt genanten Entscheidung die Aufhebung bei Erlag einer Sicherheit von EUR 500.000,00 angeordnet und dem Angeklagten für diesen Fall die Weisungen, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen und die diesbezüglichen Bestätigungen monatlich dem Gericht vorzulegen, sich monatlich bei der für seine Wohnadresse zuständigen Polizeiinspektion zu melden, erteilt und die Gelöbnisse abverlangt wurden, bis zur rechtskräftigen Beendigung des Strafverfahrens weder zu fliehen, noch sich verborgen zu halten, sowie seinen Reisepass bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens bei Gericht zu hinterlegen.

Zuletzt setze das Oberlandesgericht Graz die Untersuchungshaft mit Beschluss vom 6. November 2017, 10 Bs 316/17x, 10 Bs 329/17h, mit der Maßgabe fort, dass diese in Anwendung der vom Erstgericht mit Beschluss vom 18. Oktober 2017 angeführten gelinderen Mittel aufgehoben wird.

Bereits mit der am 25. Oktober 2017 bei Gericht eingelangten Eingabe legte der Angeklagte die Erklärungen der E***** S***** und des R***** S***** vom 23. Oktober 2017, die Haftung für die vom Landesgericht für Strafsachen Graz bestimmte Sicherheitsleistung bis zum Höchstbetrag von EUR 200.000,00 als Bürge und Zahler zu übernehmen (ON 88, S 5), und der R***** S***** vom 23. Oktober 2017, die Haftung für die vom Landesgericht für Strafsachen Graz bestimmte Sicherheitsleistung bis zum Höchstbetrag von EUR 300.000,00 als Bürge und Zahler zu übernehmen (ON 88, S 9), vor und beantragte unter Hinweis auf die Tauglichkeit der Bürgen die Annahme der Bürgschaftserklärungen sowie die Anordnung der Entlassung des Angeklagten aus der Untersuchungshaft nach Abgabe des Gelöbnisses und Ausfolgung des Reisepasses (ON 88, S 4).

Mit dem angefochtenen Beschluss wies die Vorsitzende des Schöffengerichts diesen Antrag des Angeklagten zusammengefasst mit dem Hinweis auf die mangelnde Tauglichkeit sämtlicher vom Angeklagten angebotener Bürgen ab (ON 92).

Gegen diesen Beschluss richtet sich die (am Tag der Zustellung der Beschlussausfertigung [30. Oktober 2017] bei Gericht eingelangte) Beschwerde des Angeklagten, die sich gegen die erstgerichtliche Bewertung der Vermögensverhältnisse der angebotenen Bürgen wendet und auf die Annahme der Bürgschaftserklärungen sowie die Enthaftung in Anwendung gelinderer Mittel anträgt (ON 99).

Dem rechtzeitigen und zulässigen Rechtsmittel kommt keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 180 Abs 3 StPO ist die Sicherheit entweder in barem Geld oder in mündelsicheren Wertpapieren, nach dem Börsekurs des Erlagstags berechnet, gerichtlich zu hinterlegen oder durch Belastung oder Verpfändung von Liegenschaften oder Rechten, die in einem öffentlichen Buch eingetragen sind, oder durch taugliche Bürgen (§ 1374 ABGB), die sich zugleich als Zahler verpflichten, zu leisten. Wenn besondere Umstände den Verdacht nahe legen, dass die angebotene Sicherheit aus einer Straftat des Beschuldigten herrührt, hat das Gericht vor der Annahme der Sicherheitsleistung Ermittlungen über die Redlichkeit der Herkunft zu veranlassen.

In prozessualer Hinsicht ist zunächst festzuhalten, dass mit Beschluss des Beschwerdegerichts vom 6. November 2017 über die Haftfrage (im Sinn des § 89 Abs 2b erster Fall StPO) in der Form der unter der auflösenden Bedingung des Erlags einer Sicherheitsleistung von EUR 500.000,00 stehenden Fortsetzung der Untersuchungshaft (vgl. OGH 20. April 2009, 15 Os 24/09g; Mayerhofer/Salzmann, StPO6 § 180 E4 mwN; Nimmervoll, Haftrecht2 FN 953) rechtskräftig entschieden wurde. An dieser Haftentscheidung knüpft die Entscheidung über die (Nicht)Annahme einer Sicherheitsleistung unter dem Aspekt ihrer Tauglichkeit im Sinn des § 180 Abs 3 StPO bloß an, ohne selbst die Form- und Inhaltserfordernisse einer Haftentscheidung (§§ 175, 176 StPO) erfüllen zu müssen. Da der Gegenstand der Entscheidung nach § 180 Abs 3 StPO über den bloßen Fortgang des Verfahrens oder Bekanntmachung von Entscheidungen betreffende Fragen weit hinausgeht und angesichts der Abhängigkeit der Enthaftung eines Beschuldigten vom Ausgang dieser Entscheidung auch die Notwendigkeit der Rechtschutzgewährung besteht (Nimmervoll, Beschluss und Beschwerde in der StPO S 27), stellt sie einen Beschluss im Sinn des § 35 Abs 2 erster Fall iVm § 86 StPO dar, der gemäß § 87 Abs 1 StPO der Anfechtung mit Beschwerde unterliegt (RIS- Justiz RS0124410).

Mit dem Verweis auf § 1374 ABGB gibt der Gesetzgeber zu erkennen, dass die Tauglichkeit des (in § 180 Abs 3 StPO ausdrücklich vorgesehenen) Sicherungsmittels der Bürgschaft (neben der Verpflichtung zur Leistung als Zahler) vor allem vom „angemessenen“ Vermögen des Bürgen und seiner Klagbarkeit im Inland abhängt (§ 1374 zweiter Satz ABGB). Aus § 1374 erster Satz ABGB ist abzuleiten, dass das Vermögen eines Bürgen jedenfalls dann als angemessen anzusehen ist, wenn dessen Verkehrswert (zumindest) das Doppelte der festgesetzten Sicherheitsleistung beträgt.

Zum Vermögen der angebotenen Bürgin R***** S***** verweist der Beschwerdeführer auf deren Hälfteeigentum an der Liegenschaft EZ ***** KG ***** mit einer Gesamtfläche von 14.221 m2 und einem (von ihm angenommenen) Schätzwert von zumindest EUR 2,5 Mio. (ON 88, S 2).

Sieht man davon ab, dass diese Liegenschaft nach der zu Punkt III. des Beschlusses des Oberlandesgerichts Graz vom 6. November 2017, 10 Bs 316/17x, 10 Bs 329/17h, dargestellten dringenden Verdachtslage aus dem vom Angeklagten begangenen Verbrechen der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und 2 StGB stammt, stellt sie auch keinen Vermögenswert dar, der die Werthaltigkeit der von R***** S***** als Bürgin und Zahlerin übernommenen Haftung für EUR 300.000,00 wirtschaftlich zu untermauern vermag.

Zwar ist dem Beschwerdeführer einzuräumen, dass das zu seinen Gunsten verbücherte Belastungs- und Veräußerungsverbot die Zwangsversteigerung der Liegenschaft dann nicht hindert, wenn er als Verbotsberechtigter dieser zustimmt. Da eine Zwangsversteigerung jedoch nur unter gleichzeitiger Vorlage einer die ausdrückliche Zustimmung des Verbotsberechtigten dokumentierenden Urkunde erwirkt werden kann, wurde die bloße Ankündigung der diesbezüglichen Zustimmung des Angeklagten vom Erstgericht zutreffend als unzureichend bewertet, dem Hälfteeigentum der R***** S***** signifikante Werthaltigkeit zu verleihen (Angst in Angst/Oberhammer, EO3 § 133 EO Rz 18 [gleiches gilt auch für die Liegenschaft EZ ***** KG ***** der als Bürgen angebotenen R***** S***** und E***** S*****]).

Hinzukommt, dass auf der Basis der vorliegenden Verfahrensergebnisse die tatsächlichen Aufwendungen der ***** GmbH von insgesamt EUR 1.890.000,00 (vgl ON 46, BS 10) für Erwerb und Entwicklung der Liegenschaft als wertbestimmend anzusetzen sind. Wie vom Angeklagten eingeräumt wurde, sind auf dieser Liegenschaft jedoch im ersten und zweiten Rang Höchstbetragspfandrechte jeweils der R*****bank ***** (FN *****) im Gesamtausmaß von EUR 950.000,00 verbüchert. Es liegt im Wesen derartiger Höchstbetragshypotheken, dass nachfolgende Buchberechtigte über die Höhe der der Pfandbestellung zugrunde liegenden Forderung des Gläubigers niemals im Gewissen sein können und immer damit rechnen müssen, dass die Pfandhaftung vom Gläubiger bis zum vereinbarten Höchstbetrag auch tatsächlich in Anspruch genommen wird, weil bei dieser Art von Hypothek die Begrenzung der Haftung gerade nicht in der Höhe der gesicherten Forderung besteht (OGH 8. März 2006, 7 Ob 6/06t). Da die genannten Höchstbetragshypotheken von R***** S***** (aber auch vom Angeklagten mit Zustimmung des Insolvenzverwalters) somit bis zu deren Löschung auch wiederholt ausgenützt werden können, sind sie vom Wert der Liegenschaft (von EUR 1.890.000,00) vollumfänglich in Abzug zu bringen. Von diesem verbleibenden Wert von EUR 940.000,00 ist mit Blick auf das bloße Hälfteeigentum der Bürgin die Hälfte abzuziehen, sodass deren Liegenschaftsanteil einem exekutiv verwertbaren Vermögen von EUR 470.000,00 entspricht, welches das Doppelte ihrer Haftungssumme (2 x EUR 300.000,00 = EUR 600.000,00) erheblich unterschreitet.

Da somit schon hinsichtlich dieser Bürgin deren mangelnde Tauglichkeit im Sinn des § 180 Abs 1 StPO feststeht, kann mit Blick auf den solcherart nicht an die festgesetzte Höhe der Sicherheitsleistung heranreichenden Wert der angebotenen Sicherheiten von weiterführenden Ausführungen zum Wert des Vermögens der übrigen Bürgen Abstand genommen werden.

Oberlandesgericht Graz, Abteilung 10

Textnummer

EG00145

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0639:2017:0100BS00334.17V.1109.000

Im RIS seit

29.11.2017

Zuletzt aktualisiert am

29.11.2017
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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