TE OGH 2017/11/15 12Os21/17f

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Veröffentlicht am 15.11.2017
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Der Oberste Gerichtshof hat am 15. November 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp, Prof. Dr. Danek, Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Schwab sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Sascha Z***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Alessandro M***** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Jugendschöffengericht vom 8. November 2016, GZ 11 Hv 70/16x-342, und über die Beschwerde des Alessandro M***** gegen den unter einem gefassten Beschluss nach §§ 50, 52 StGB nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Erster Generalanwalt Mag. Bauer, des Angeklagten Alessandro M***** und des Verteidigers Mag. Zechner zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den die Angeklagten Sascha Z*****, Manuel B*****, Andreas S***** und Tristan H***** betreffenden Schuldsprüchen I./, in den den Angeklagten Alessandro M***** betreffenden Schuldsprüchen (VII./A./, B./ und C./), demzufolge auch in den sämtliche Angeklagte betreffenden Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnungen sowie des Konfiskationserkenntnisses) und darüber hinaus die die Angeklagten Andreas S*****, Tristan H***** und Alessandro M***** betreffenden Beschlüsse nach §§ 50, 51 und 52 StGB aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Leoben verwiesen.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen sowie seiner Berufung und Beschwerde wird der Angeklagte Alessandro M***** und mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, (unter anderem) auch ein Konfiskationserkenntnis, einen (sich verfehlt auch auf die rechtliche Beurteilung der Tat beziehenden) Freispruch des Angeklagten Alessandro M***** und zu Unrecht nicht gesondert ausgefertigte (vgl Schroll in WK2 StGB § 50 Rz 16; Danek, WK-StPO § 270 Rz 50) Beschlüsse auf Erteilung von Weisungen und Anordnungen von Bewährungshilfe enthaltenden Urteil wurden – soweit vorliegend von Bedeutung – Sascha Z*****, Manuel B*****, Andreas S***** und Tristan H***** jeweils mehrerer Vergehen nach § 4 Abs 1 NPSG (I./) und Alessandro M***** der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 sechster Fall SMG (VII./A./), der Vergehen nach § 4 Abs 1 NPSG (VII./B./) sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (VII./C./) schuldig erkannt.

Danach haben in G***** und an anderen Orten

I./ Sascha Z***** von Sommer 2014 bis Dezember 2015 zunächst allein, von Anfang Dezember 2014 bis Dezember 2015 in einverständlichem Zusammenwirken mit Manuel B*****, Andreas S*****, Tristan H***** sowie dem gesondert verfolgten Gerold Ha***** „018-JWH, mithin eine mit Verordnung gemäß § 3 [zu ergänzen: NPSG] bezeichnete oder von gemäß § 3 [zu ergänzen: NPSG] definierten chemischen Substanzklassen umfasste Neue Psychoaktive Substanz, mit dem Vorsatz, daraus einen Vorteil zu ziehen, sowie, dass sie von dem anderen oder einem Dritten zur Erreichung einer psychoaktiven Wirkung im menschlichen Körper angewendet werde“, den im Urteil genannten Abnehmern in dort bezeichneten Mengen überlassen;

VII./ Alessandro M***** von Anfang September 2014 bis 27. Dezember 2015

A./ mit von vornherein auf eine kontinuierliche Tatbegehung sowie den daran geknüpften Additionseffekt gerichtetem Vorsatz vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich zumindest 103 Gramm amphetaminhältiges „Speed“ mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 24,37 % (25,10 Gramm Reinsubstanz), zumindest 120 Gramm Delta-9-THC-hältiges Marihuana, davon 80 Gramm mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 4 % (zumindest 3,20 Gramm Reinsubstanz) und 40 Gramm mit einem Reinheitsgehalt von 14,67 % (5,87 Gramm Reinsubstanz) sowie zumindest 20 Stück MDMA-hältige Ecstasy-Tabletten mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 48,10 % (zumindest 9,62 Gramm MDMA), anderen verschafft, indem er für die im Urteil bezeichneten Personen den Kontakt zu Sascha Z*****, Manuel B*****, Tristan H***** und Andreas S***** zum Zweck des Ankaufs von Suchtgift herstellte;

B./ „018-JWH, mithin eine mit Verordnung gemäß § 3 [zu ergänzen: NPSG] bezeichnete oder von gemäß § 3 [zu ergänzen: NPSG] definierten chemischen Substanzklassen umfasste Neue Psychoaktive Substanz, mit dem Vorsatz, daraus einen Vorteil zu ziehen sowie, dass sie von dem anderen oder einem Dritten zur Erreichung einer psychoaktiven Wirkung im menschlichen Körper angewendet werde“, anderen verschafft, indem er die im Urteil bezeichneten Personen an Sascha Z*****, Manuel B*****, Tristan H***** und Andreas S***** zum Zweck des Ankaufs von „018-JWH“ vermittelte;

C./ vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich amphetaminhältiges „Speed“ (Amphetamin), Marihuana und Haschisch (Delta-9-THC) sowie Ecstasy-Tabletten (MDMA) ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil (nominell) aus § 281 Abs 1 Z 5 und Z 10 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Alessandro M***** ist – entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur – aus dem letzterwähnten Nichtigkeitsgrund im Recht.

Zunächst überzeugte sich der verstärkte Senat des Obersten Gerichtshofs (§ 8 Abs 1 OGHG) von einer vom Beschwerdeführer nicht aufgezeigten Nichtigkeit, welche darin liegt, dass dieser zu VII./A./ zu Unrecht mehrerer statt bloß eines Verbrechens nach § 28a Abs 1 sechster Fall SMG schuldig erkannt wurde (§ 281 Abs 1 Z 10 [§ 290 Abs 1 zweiter Satz] StPO).

Seit BGBl I 2007/110 den Bezugspunkt des (nunmehr so genannten) Suchtgifthandels von (exakt) einer Grenzmenge (§ 28 Abs 6 SMG idF vor BGBl I 2007/110; nunmehr § 28b SMG) auf „eine die Grenzmenge (§ 28b) übersteigende Menge“ geändert hat, ist der von 13 Os 74/02 gewählte, zur ständigen Rechtsprechung gewordene Ansatz, welcher auf exakter Abgrenzbarkeit einzelner Grenzmengen zueinander beruht, logisch nicht mehr gültig, weil das Wort „übersteigend“ keine Begrenzung nach oben zulässt und das Wort „eine“ – anders als vor BGBl I 2007/110 – nicht mehr als Zahlwort verstanden werden kann. Da eine gesetzliche (auf exakt eine Grenzmenge bezogene) Abtrennungsregel für ihrerseits und im Verhältnis zueinander sukzessiv begangene Taten nach § 28a Abs 1 SMG im geltenden Recht nicht (mehr) aufzufinden ist, kann § 28a Abs 1 SMG so nicht mehrfach begründet werden (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO).

Aufhebung des Ausspruchs (VII./A./), wonach der Beschwerdeführer mehrere, statt bloß ein Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 sechster Fall SMG begangen habe, ist die Folge.

Will der Gesetzgeber diese nach der Gerichtserfahrung besonders weit verbreitete und gefährliche Form des Suchtgifthandels aus kriminalpolitischen Rücksichten nicht gegenüber Suchtgifthandel durch je für sich große Mengen privilegieren, muss er bloß die Wortfolge „in einer die Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge“ durch die vor BGBl I 2007/110 in Geltung stehende („ein Suchtgift in einer großen Menge“) ersetzen (vgl Ratz, § 28 Abs 2 SMG als tatbestandliche Handlungseinheit und der Zusammenrechnungsgrundsatz nach § 28 Abs 4 Z 3 SMG, JBl 2005, 294) oder bereits Teilakte von Suchtgifthandel nach § 28a Abs 1 SMG als Bezugspunkt für wiederkehrende Begehung (§ 70 StGB) genügen lassen.

Eine Zusammenfassung für sich allein die Grenzmenge nicht übersteigender Suchtgiftquanten zur Begründung von Suchtgifthandel nach § 28a Abs 1 SMG aufgrund von Additionsvorsatz (§§ 4 f, 7 StGB; RIS-Justiz RS0124018) ist allerdings weiterhin möglich.

Mit Subsumtionsrüge (Z 10) macht der Rechtsmittelwerber geltend, das Schöffengericht habe zu Schuldspruch VII./A./ die Anwendbarkeit des § 28a Abs 3 SMG zu Unrecht verneint, weil es die Suchtmittelgewöhnung des Angeklagten nicht daran gemessen habe, ob dieser die verbotenen Substanzen auch ohne besonderen Anlass, gewissermaßen mit Selbstverständlichkeit, gebraucht habe.

Die für diesen Rechtsmitteleinwand vorentscheidende Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob § 28a Abs 3 SMG Strafsätze normiert und damit die Subsumtion berührt oder eine – die Strafbefugnis begrenzende  – Strafrahmenvorschrift darstellt, wurde in der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht einheitlich beantwortet (zu Rechtsprechungsnachweisen vgl den in diesem Verfahren gefassten Verstärkungsbeschluss).

Der erkennende Senat hat dazu erwogen:

Der Oberste Gerichtshof unterscheidet im Anschluss an 13 Os 44/09h (EvBl 2009/144, 965) strikt zwischen Strafdrohung, Strafsatz und Strafrahmen. Der Begriff Strafsatz ist bedeutungsgleich mit Strafgesetz und strafbarer Handlung. Ein Synonym für Strafrahmen ist Strafbefugnis (vgl RIS-Justiz RS0119249). Strafdrohung ist der Überbegriff für Strafsatz und Strafrahmen. Unter dem Aspekt der materiellen Nichtigkeitsgründe ist die Wahl des richtigen Strafsatzes Gegenstand der Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO). Den Strafrahmen determinierende Umstände, die nicht zugleich die rechtliche Kategorie bestimmen, welcher subsumiert wurde (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO), werden hingegen von § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO erfasst (grundlegend 14 Os 172/11t [verst Senat], EvBl 2012/163, 1094; vgl zum Ganzen Ratz, Begrifflichkeiten und Strukturelemente des Straf[prozess]rechts im Lichte der Rechtsprechung des OGH; Jahrbuch Wirtschaftsstrafrecht und Organverantwortlichkeit 2016, 119 [151]).

Das SMG sieht in §§ 27 Abs 2 und Abs 5, 30 Abs 2 SMG sowie in (den auf § 27 Abs 5 SMG verweisenden) §§ 28 Abs 4, 28a Abs 3, 31 Abs 4, 31a Abs 4 SMG geringere Strafdrohungen für denjenigen vor, der das jeweilige strafbare Verhalten für den „persönlichen Gebrauch“ verbotener Substanzen setzt. Dass sich diese Bestimmungen auf den Strafsatz und nicht auf die – dem Subsumtionsvorgang nachgelagerte (RIS-Justiz RS0122138) – Strafbefugnis beziehen, lässt das Gesetz in § 35 Abs 1 SMG erkennen. Dort ordnet es nämlich den vorläufigen Rücktritt von der Verfolgung einer „Straftat“ nach den §§ 27 Abs 1 „oder 2“ SMG, somit eines Geschehens an, das zumindest einer der bezeichneten strafbaren Handlungen subsumierbar ist (vgl insoweit auch §§ 13 Abs 2a, 14 Abs 1 SMG). Ist demnach aber § 27 Abs 2 SMG eine (privilegierende) Strafsatzbestimmung (so auch die stRsp; vgl 13 Os 91/10x; 15 Os 10/12b [auch zu § 30 Abs 2 SMG]; 12 Os 97/12z; 12 Os 65/14x; 15 Os 12/17d), so kann für § 28a Abs 3 SMG (iVm § 27 Abs 5 SMG) aufgrund der identen Regelungstechnik sowie mit Blick darauf, dass auch dort der „persönliche Gebrauch“ notwendige Bedingung verminderter Strafdrohung ist, nichts anderes gelten. Die genannten Vorschriften sind daher Gegenstand des Schuldspruchs (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) und einer darauf bezogenen Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO).

Diese Auslegung vermeidet auch einen sich sonst im Anwendungsbereich des § 28a Abs 3 zweiter Fall SMG ergebenden Wertungswiderspruch: Würde § 28a Abs 3 zweiter Fall SMG (bloß) die Strafbefugnis beschränken, den anzuwendenden Strafsatz (§ 28a Abs 2 SMG) aber unberührt lassen, käme ein Aufschub des Strafvollzugs zwecks Durchführung einer gesundheitsbezogenen Maßnahme nicht in Betracht, weil § 39 Abs 1 SMG bei einem Schuldspruch nur nach § 28a Abs 2 SMG (dh ohne zusätzliche Annahme der Privilegierung gemäß § 28a Abs 3 SMG) nicht greift (vgl § 39 Abs 1 erster Halbsatz SMG). Es wäre aber nicht einzusehen, würde das Gesetz in § 28a Abs 3 zweiter Fall SMG zwar die Strafdrohung im Hinblick auf die Suchtmittelgewöhnung des (vorwiegend mit dem Ziel persönlichen Gebrauchs von Suchtmitteln handelnden) Täters ausdrücklich herabsenken, aber dennoch diese Fälle von der Anwendbarkeit eines
– gerade wegen einer entsprechenden Suchtmittelergebenheit ermöglichten (§ 39 Abs 1 Z 1 erster Halbsatz SMG) – Aufschubs des Strafvollzugs nach § 39 SMG ausnehmen. Diese Schieflage würde überdies dadurch verstärkt, dass weiterhin (wegen der sachlichen Zuständigkeit des Einzelrichters des Landesgerichts – § 31 Abs 4 Z 1 StPO) die im Verhältnis zur bloßen Erleichterung der Sanktionslast viel weiter reichende Möglichkeit diversioneller Erledigung nach § 35 Abs 2 SMG prinzipiell offenstünde (siehe § 35 Abs 2 Z 1 SMG; Schwaighofer in WK2 SMG § 28a Rz 37, § 35 Rz 25; Litzka/Matzka/Zeder SMG2 § 35 Rz 27; vgl im Übrigen die Gleichstellung der §§ 35 und 39 SMG in § 15 Abs 1 SMG). Für eine derartige Auslegung geben auch die Gesetzesmaterialien nichts her. Diesen zufolge sollte der Strafaufschub bloß bei „Verurteilungen wegen der schwersten Fälle von Suchtgifthandel (§ 28a Abs 2, 4 und 5 SMG)“ – wozu aber strafbares Verhalten, das vom Gesetzgeber einer diversionellen Erledigung zugänglich gemacht wird, nicht zählt – ausgeschlossen sein (EBRV 981 BlgNR 24. GP 90).

Die gegen die Nichtannahme der Voraussetzungen des § 28a Abs 3 erster Fall SMG iVm § 27 Abs 5 SMG (Schuldspruch VII./A./) gerichtete Beschwerdekritik (Z 10) trifft auch in der Sache zu.

Der Schöffensenat verneinte das Vorliegen der in Rede stehenden Privilegierungsvoraussetzungen, weil der Angeklagte vor der Haft (nur) jeden zweiten Tag Suchtgift konsumiert habe und es ihm danach möglich gewesen sei, ohne weitere therapeutische Maßnahmen den illegalen Suchtmittelkonsum zu beenden; eine „psychische Abhängigkeit“ liege daher nicht vor (US 26, 33 f). Ausgehend davon traf das Gericht keine Konstatierungen dazu, ob der Angeklagte die Taten laut Schuldspruch A./VII./ vorwiegend deshalb begangen hat, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen.

Nach der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung ist von einer Gewöhnung an Suchtmittel schon dann auszugehen, wenn die verbotene Substanz auch ohne besonderen Anlass, gewissermaßen mit Selbstverständlichkeit, gebraucht wird. Solcherart umfasst der Begriff der „Gewöhnung“ auch den regelmäßigen, in zeitlich nahe liegenden Abständen vorgenommenen, nicht notwendig täglichen Konsum von Suchtmitteln. Eine krankheitswertige Sucht oder eine körperliche Abhängigkeit im Sinn einer medizinischen oder psychotherapeutischen Behandlungsbedürftigkeit ist aber – entgegen der Auffassung des Schöffengerichts – keine notwendige Bedingung für die Annahme einer Gewöhnung (vgl zum Ganzen RIS-Justiz RS0124621; grundlegend 12 Os 102/08d, EvBl 2009/56, 374 = SSt 2008/55 = JBl 2009, 798 [Aichinger]; Litzka/Matzka/Zeder SMG2 § 27 Rz 101 f; Schwaighofer in WK2 SMG § 27 Rz 86 ff; Fabrizy Suchtmittelrecht5 § 27 SMG Rz 21; aM Hinterhofer in Hinterhofer/Rosbaud SMG § 27 Rz 59).

Ausgehend von diesen Prämissen enthält das angefochtene Urteil keine ausreichenden Feststellungen zur abschließenden rechtlichen Beurteilung nach § 28a Abs 3 erster Fall iVm § 27 Abs 5 SMG. Gemäß § 289 StPO sah sich der Oberste Gerichtshof zur Kassation des (nach dem Vorgesagten im Umfang der Annahme eines Verbrechens nach § 28a Abs 1 SMG verbleibenden) Schuldspruchs zu VII./A./ sowie jenes zu VII./C./ bestimmt, weshalb sich ein Eingehen auf die weitere (auf § 281 Abs 1 Z 5 sowie – der Sache nach – Z 10a StPO [iVm § 37 SMG] gestützte) Rechtsmittelargumentation erübrigt.

Schließlich überzeugte sich der Oberste Gerichtshof (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – von nicht geltend gemachter Nichtigkeit betreffend die Schuldsprüche I./ und VII./B./ (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) sowie das Konfiskationserkenntnis (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO).

Strafrechtlich relevantes Verhalten nach § 4 NPSG bezieht sich ausschließlich auf Substanzen, die von der – aufgrund des § 3 NPSG erlassenen – Verordnung des Bundesministers für Gesundheit über Neue Psychoaktive Substanzen (NPSV; BGBl II 2011/468) erfasst sind.

Demnach gelten als Neue Psychoaktive Substanzen zunächst die in der Anlage I der genannten Verordnung angeführten Stoffe (§ 1 Abs 1 Z 1 NPSV) sowie all jene Substanzen, die von den in der Anlage II der Verordnung angeführten chemischen Definitionen umfasst sind (§ 1 Abs 1 Z 2 NPSV). Eine Unterstellung eines Sachverhalts unter § 4 Abs 1 NPSG setzt daher Konstatierungen voraus, die eine eindeutige Zuordnung des tatverfangenen Stoffes zu einer der von § 1 NPSV erfassten Substanzen, Substanzklassen und chemischen Strukturen ermöglichen (12 Os 144/16t; 14 Os 107/16s).

Diesem Erfordernis genügt die hier erfolgte Bezeichnung der von den Schuldsprüchen I./ und VII./B./ erfassten Substanz mit der Abkürzung „018-JWH“ nicht, weil damit – trotz der (unter Hinweis auf ein Sachverständigengutachten erfolgten) Annahme, dass es sich insofern um eine „mit Verordnung gemäß § 3 bezeichnete oder von gemäß § 3 definierten chemischen Substanzklassen umfasste neue psychoaktive Substanz“ handelt (US 21, 25), welche „dem NPSG unterliegt“ (US 34) – keine Aussage über deren Inhaltsstoffe verbunden ist. Damit ist aber eine Zuordnung des Stoffes zu einer von § 1 NPSV erfassten Substanz nicht möglich. Es mangelt daher den Schuldsprüchen am erforderlichen Sachverhaltssubstrat (vgl RIS-Justiz RS0114428 [T14] = 12 Os 144/16t; 14 Os 107/16s).

Überdies leidet auch das – sich auf alle Angeklagte beziehende – Konfiskationserkenntnis (US 14) betreffend die „laut AS 177 in ON 105, AS 159 in ON 215a sichergestellten Suchtgiftutensilien“ an materieller Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO). Denn dem Urteil sind keine Feststellungen zu den Eigentumsverhältnissen (siehe aber § 19a Abs 1 StGB) an diesen Gegenständen zu entnehmen (statt vieler vgl 14 Os 72/15t).

Die aufgezeigten Rechtsfehler mangels Feststellungen machen die Urteilskassation wie im Spruch ersichtlich unumgänglich (§ 288 Abs 2 Z 3 zweiter Satz StPO).

Darauf waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte Alessandro M***** mit ihren Berufungen sowie Letzterer mit seiner implizierten Beschwerde zu verweisen.

Im Hinblick auf die Aufhebung sämtlicher Schuldsprüche des Angeklagten Alessandro M***** hatte ein Ausspruch über die Kostenersatzpflicht zu unterbleiben (vgl Lendl, WK-StPO § 390a Rz 7).

Anmerkung

verstärkter Senat

Textnummer

E119890

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:0120OS00021.17F.1115.000

Im RIS seit

29.11.2017

Zuletzt aktualisiert am

30.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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