TE Lvwg Beschluss 2017/7/24 VGW-242/038/RP24/6386/2017

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Veröffentlicht am 24.07.2017
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Entscheidungsdatum

24.07.2017

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
L92009 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung Wien

Norm

VwGVG §28 Abs3
WMG §8 Abs3
WMG §14 Abs2 Z2

Text

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch die Landesrechtspflegerin Sabine Hais über die Beschwerde des Herrn P. R. gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, vom 14.03.2017, Zl. SH/2017/01390969-001, in einer Angelegenheit des Wiener Mindestsicherungsgesetzes (WMG), den

BESCHLUSS

gefasst:

Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG wird der Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen.

Begründung

 

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, vom 14.03.2017 zur Zahl MA 40 - SH/2017/01390969-001 wurde auf Grund einer Änderung die zuletzt mit Bescheid vom 19.07.2016, Zl. MA 40-SH/2016/00620704-001 zuerkannte Leistung mit 31.03.2017 eingestellt. Gleichzeitig wurde eine Leistung zur Deckung des Lebensunterhaltes und der Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs für den Zeitraum vom 01.04.2017 bis 31.07.2017 zuerkannt. Die Leistung beträgt monatlich EUR 837,76. Weiters wurde für den Zeitraum 01.04.2017 bis 31.07.2017 eine monatliche Leistung/Mietbeihilfe in Höhe von EUR 100,33 zuerkannt.

Nach Wiedergabe der hier maßgebenden rechtlichen Bestimmungen des Wiener Mindestsicherungsgesetzes (WMG) wurde begründend ausgeführt, dass laut Bescheid der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom 22.02.2017 der Antrag auf Erwerbsunfähigkeitspension abgelehnt worden sei, da Erwerbsunfähigkeit nicht bestehe. Es seien ab 1.4.2017 regelmäßige Meldungen beim AMS erforderlich.

 

Der Beschwerdeführer erhob dagegen mit Schreiben vom 27.03.2017, fristgerecht Beschwerde und führte nach einem gerichtlichen Mängelvorhalt gemäß § 13 Abs. 3 AVG vom 09.05.2017 aus, dass sich die behördliche Entscheidung auf den ablehnenden Bescheid der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft stütze, der jedoch von seiner Rechtsvertretung in Beschwer gezogen werde. Er sei seit 2006 im Krankenstand und ärztlicher Behandlung und habe seither jedes Jahr zur amtsärztlichen Untersuchung müssen. Zuletzt sei mit Gutachten der Sigmund Freud Universität, welches eine befristete Arbeits- und Kursunfähigkeit bis 18.08.2017 ergeben habe, die Dauerleistung bis 31.07.2017 zuerkannt worden. Vor 47 Jahren habe er unverschuldet einen Verkehrsunfall wegen dem er noch immer in Behandlung stehe und sei keine Änderung seiner gesundheitlichen Situation eingetreten.

Die belangte Behörde legte mit Schreiben vom 18.04.2017 die Beschwerde mit dem bezughabenden Akt vor.

Im Akt befindet sich der Bescheid der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft vom 22.02.2017, AZ: 3453011056-1-01/41, aus dessen Begründung auf ein Ergebnis einer nicht näher ausgeführten ärztlichen Untersuchung hingewiesen wird, demnach der nunmehrige Beschwerdeführer in der Lage sei, leichte, eingeschränkte auch mittelschwere Arbeiten im Sitzen, Stehen und Gehen zu verrichten.

Hierzu hat das erkennende Gericht erwogen:

Durch Einsichtnahme in den unbedenklichen Verwaltungsakt und dem vorliegenden Gutachten der SFU legt das erkennende Gericht seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zu Grunde:

Der am ... 1956 geborene Beschwerdeführer ist österreichischer Staatsbürger und bezieht seit mindestens 2014 eine Dauerleistung aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung.

Im von der belangten Behörde vorgelegten Akt findet sich ein Arbeitsmedizinisches Gutachten - unter Berücksichtigung sonstiger fachärztlicher und psychologischer Gutachten der Sigmund Freud Privatuniversität Wien (SFU), wonach bei Herrn R. eine befristete Arbeitsunfähigkeit bis 18.08.2017 attestiert wurde. Daraufhin wurde dem Beschwerdeführer die Dauerleistung aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung bis 31.07.2017 zuerkannt.

Am 08.03.2017 langte bei der belangten Behörde eine Gleichschrift des Bescheides der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom 22.02.2017 ein, in welchem festgehalten wurde, dass gemäß dem Ergebnis einer nicht näher ausgeführten ärztlichen Untersuchung eine Erwerbsunfähigkeit nicht bestehe. Auf Grund dieses Bescheides wurde der nunmehr bekämpfte Bescheid der belangten Behörde erlassen.

Hiezu folgt in rechtlicher Hinsicht:

Die hiermaßgeblichen Bestimmungen des Wiener Mindestsicherungsgesetzes (WMG) lauten auszugsweise wie folgt:

„Ziele und Grundsätze

§ 1. (1) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung hat zum Ziel, Armut und soziale Ausschließung verstärkt zu bekämpfen und zu vermeiden sowie die dauerhafte Eingliederung oder Wiedereingliederung in das Erwerbsleben weitest möglich zu fördern.

(2) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung erfolgt durch Zuerkennung von pauschalierten Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs sowie von den bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung erforderlichen Leistungen. Auf diese Leistungen besteht ein Rechtsanspruch.

(3) Die Zuerkennung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ist subsidiär. Sie erfolgt nur, wenn der Mindestbedarf nicht durch Einsatz eigener Arbeitskraft, eigener Mittel oder Leistungen Dritter gedeckt werden kann.

(4) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung dient der Beseitigung einer bestehenden Notlage. Sie erfolgt auch vorbeugend, wenn dadurch einer drohenden Notlage entgegengewirkt werden kann. Eine Fortsetzung ist solange möglich, als dies notwendig ist, um die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Hilfeleistung zu sichern. Die Mindestsicherung hat rechtzeitig einzusetzen. Eine Zuerkennung von Leistungen für die Vergangenheit ist nicht möglich.

Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung

§ 3. Erfasste Bedarfsbereiche

(1) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung deckt den Mindeststandard in den Bedarfsbereichen Lebensunterhalt, Wohnen, Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung ab.

(2) Der Lebensunterhalt umfasst den Bedarf an Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und Energie sowie andere persönliche Bedürfnisse, zu denen auch die soziale und kulturelle Teilhabe zählt.

(3) Der Wohnbedarf umfasst den für die Gewährleistung einer angemessenen Wohnsituation erforderlichen Aufwand an Miete, Abgaben und allgemeinen Betriebskosten.

(4) Der Bedarf bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung umfasst den Aufwand, der bei Bezieherinnen und Beziehern einer Ausgleichszulage aus der Pensionsversicherung durch die gesetzliche Krankenversicherung im Rahmen der Wiener Gebietskrankenkasse abgedeckt ist.

§ 4. Allgemeine Anspruchsvoraussetzungen

(1) Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung hat, wer

1. zum anspruchsberechtigten Personenkreis (§ 5 Abs. 1 und 2) gehört,

2. seinen Lebensmittelpunkt in Wien hat, sich tatsächlich in Wien aufhält und seinen Lebensunterhalt in Wien bestreiten muss,

3. die in § 3 definierten Bedarfe nicht durch den Einsatz seiner Arbeitskraft, mit eigenen Mitteln oder durch Leistungen Dritter abdecken kann,

4. einen Antrag stellt und am Verfahren und während des Bezuges von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung entsprechend mitwirkt.

Pflichten der Hilfe suchenden oder empfangenden Personen

§ 6. Hilfe suchende oder empfangende Personen haben nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen

         1.       zur Abwendung und Beseitigung der Notlage ihre Arbeitskraft einzusetzen,

         2.       an arbeitsintegrativen Maßnahmen teilzunehmen,

         3.       eigene Mittel vorsorglich und zweckmäßig einzusetzen,

         4.       Ansprüche, die der Deckung der Bedarfe nach diesem Gesetz dienen, nachhaltig zu verfolgen, soweit dies nicht offensichtlich aussichtslos, unzumutbar oder mit unverhältnismäßigem Kostenrisiko verbunden ist,

         5.       zuerkannte Leistungen zweckentsprechend, das heißt zur Abdeckung der Bedarfe für die sie zuerkannt wurden, zu verwenden und

         6.       ihre Mitwirkungspflichten im Verfahren und während des Bezuges von Leistungen zu erfüllen.

§ 8. (1) Die Bemessung der Leistungen zur Deckung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs erfolgt auf Grund der Mindeststandards gemäß Abs. 2, die bei volljährigen Personen auch einen Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs im Ausmaß von 25 vH des jeweiligen Mindeststandards enthalten. Für Personen, die das Regelpensionsalter nach dem Bundesgesetz vom 9. September 1955 über die Allgemeine Sozialversicherung (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz – ASVG) erreicht haben und für volljährige, auf die Dauer von mindestens einem Jahr arbeitsunfähige Personen beträgt der Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs 13,5 vH der Mindeststandards, wenn sie alleinstehend sind oder mit Personen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, in der Bedarfsgemeinschaft leben. Liegen bei mehr als einer Person in der Bedarfsgemeinschaft diese Voraussetzungen vor, beträgt der Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs 9 vH der Mindeststandards.

(2) Die Mindeststandards betragen:

         1.       100 vH des Ausgleichszulagenrichtsatzes nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. b ASVG abzüglich des Beitrages für die Krankenversicherung

         a)       für volljährige alleinstehende Personen und volljährige Personen, die mit anderen volljährigen Personen in Wohngemeinschaft leben;

(3) Personen, die das Regelpensionsalter nach dem ASVG erreicht haben und volljährigen, auf die Dauer von mindestens einem Jahr arbeitsunfähigen Personen ist zum monatlich wiederkehrenden Mindeststandard jährlich in den Monaten Mai und Oktober je eine Sonderzahlung in der Höhe des Mindeststandards zuzuerkennen. Ein 13. oder 14. Monatsbezug, den die Person von anderer Seite erhält, ist auf diese Sonderzahlungen anzurechnen.

Einsatz der Arbeitskraft

Mitwirkung an arbeitsintegrativen Maßnahmen

§ 14. (1) Hilfe suchende oder empfangende Personen sind verpflichtet, zumutbare Beschäftigungen anzunehmen, sich nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen und von sich aus alle zumutbaren Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen. Diese Pflichten bestehen insbesondere auch dann, wenn mit einer ausgeübten Beschäftigung der Lebensunterhalt und Wohnbedarf nicht gedeckt werden kann oder das volle Beschäftigungsausmaß nicht erreicht wird. Wenn die Hilfe suchende oder empfangende Person nach angemessener Frist keinen geeigneten Arbeitsplatz erlangen kann, ist sie verpflichtet, auch Arbeitsmöglichkeiten zu ergreifen, die nicht unmittelbar ihrer beruflichen Eignung und Vorbildung entsprechen, die ihr jedoch im Hinblick auf diese zugemutet werden können. Bei weiter andauernder Arbeitslosigkeit ist sie verpflichtet, andere Arbeitsmöglichkeiten zu ergreifen, auch wenn sie nicht der beruflichen Eignung und Vorbildung entsprechen.

Nach Abs. 2 Z 2 leg.cit. darf der Einsatz der eigenen Arbeitskraft nicht verlangt werden von Personen, die erwerbsunfähig sind.“

Die gegenständliche Bescheidbegründung stützt sich ausschließlich auf den ergangenen Bescheid der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft ohne die aktenkundige befristete, mittels ärztlichen Gutachten festgestellte Arbeitsunfähigkeit bis 18.08.2017 zu beachten. Dass das nicht aktenkundige Gutachten der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft dem im Akt befindlichen Gutachten der SFU gegenübergestellt wurde und worin die Verbesserung des Gesundheitszustandes des Hilfesuchenden gründet ist dem Akt nicht zu entnehmen.

Vorauszuschicken ist, dass ein Gutachten ein Beweismittel ist und damit als Entscheidungsgrundlage der Behörde dienen soll. Gutachten können demnach nur von Sachverständigen erstellt werden, die über die entsprechenden Fachkenntnisse verfügen.

Das AVG enthält zwar keine besonderen Formvorschriften für die Abfassung eines Gutachtens, dennoch gilt das Grundprinzip, dass sich der Gutachter in seinem Urteil bzw. in seiner Schlussfolgerung, auf die Fragestellung, auf den Befund, auf Tatsachen und auf seine Fachkenntnisse zu stützen hat. Ob nun die Bezeichnung Gutachten, gutachterliche Stellungnahme bzw. fachliche Äußerung gewählt wird, ändert nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nichts an dem rechtlichen Charakter eines Gutachtens, als es ausschließlich auf den inneren Gehalt ankommt, ob von einem Gutachten gesprochen werden kann oder nicht.

Im Befund eines Gutachtens sind sämtliche Grundlagen, auf die sich das Gutachten gründet, sowie die Art bzw. allenfalls die Quellen der Beschaffung darzustellen. Die Schlussfolgerungen (conclusio) des Sachverständigen aus dem Befund in Verbindung mit seinem Fachwissen bilden das eigentliche Gutachten.

Dem Bescheid der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom 22.02.2017 kann lediglich entnommen werden, dass eine Untersuchung des Beschwerdeführers durchgeführt wurde, ein diesbezügliches Gutachten liegt dem Verwaltungsakt jedoch nicht bei.

Aus dem Gutachten der SFU vom 18.08.2016 ergibt sich, dass dem Beschwerdeführer eine befristete Arbeitsunfähigkeit bis 18.08.2017 befundet wurde, auf dies ist von der Behörde nicht weiter eingegangen worden.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG kommt bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken in Betracht, insbesondere dann, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063). Fallbezogen liegen besonders schwerwiegende Mängel des behördlichen Verfahrens bei der Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes in diesem Sinne vor. Die belangte Behörde hat es gänzlich unterlassen in relevante Unterlagen, wie in das von der von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft eingeholte Gutachten Einschau zu halten und allenfalls dem vorhandenen Gutachten gegenüber zu stellen und hat sich alleine auf den ergangenen Bescheid der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft beschränkt.

Es liegen daher die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 VwGVG für die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung an die Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides vor.

Schlagworte

Verfahrensrecht; Aufhebung, Zurückverweisung, Erwerbsunfähigkeit, Arbeitsunfähigkeit, Gutachten, Beweis; Mindestsicherung, Einstellung, Neubemessung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.242.038.RP24.6386.2017

Zuletzt aktualisiert am

28.11.2017
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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