Entscheidungsdatum
11.08.2017Index
L92009 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung WienNorm
WMG §7 Abs2 Z2Text
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Landesrechtspflegerin Schussek über die Beschwerde des Herrn I. O. vom 14.4.2017 gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, Soziales, Sozial- und Gesundheitsrecht, Sozialzentrum …, vom 6.4.2017, Zahl MA 40 - SH/2017/01478082-001, den
BESCHLUSS
gefasst:
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Durchführung ergänzender Sachverhaltsermittlungen und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen.
Begründung
Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, hat den Bescheid vom 06.04.2017 zur Zl. MA 40 – SH/2017/01478082-001, womit die Anträge des Beschwerdeführers vom 26.01.2017, 31.01.2017 und 09.02.2017 auf Zuerkennung einer Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs (Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs und Mietbeihilfe) abgewiesen wurden, erlassen.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass Herr O. an der o.a. Adresse ein Zimmer bewohne. Dieses sei laut vorgelegter Wohnrechtsvereinbarung vom 05.08.2016 15 m² groß. Das Zimmer werde lt. Vereinbarung von Herrn O. und Frau Om. gemeinsam bewohnt. Frau Om. sei seit 25.08.2016 und Herr O. seit 17.10.2016 gemeldet. Laut Zahlungsbestätigungen habe Herr O. bereits vor seiner Meldung an o.a. Adresse Mieten bezahlt. Der Originalmietvertrag könne nicht vorgelegt werden. Es sei nicht glaubwürdig, dass bei einem gemeinsamen Bezug eines 15 m² großen Zimmers keine Lebens- oder zumindest eine Wirtschaftsgemeinschaft vorliege. Es liege zumindest eine Wohnungs- und Wirtschaftsgemeinschaft vor.
Dagegen richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 14.04.2017 Der Sachwalter des Beschwerdeführers brachte im Wesentlichen vor, dass die Feststellungen (Vermutung), dass eine derartige Gemeinschaft vorliege, nicht zutreffen. Es sei davon auszugehen, dass Herr O. darüber besser Bescheid wisse, als die Behörde.
Die Magistratsabteilung 40 legte die Beschwerde mit dem Bezug habenden Akt dem Verwaltungsgericht Wien vor.
Aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ergibt sich folgender verfahrensrelevanter Sachverhalt:
Dem Beschwerdeführer wurde zuletzt mit Bescheid vom 30.06.2016 zur Zl. MA 40 – SH/2016/00561801-001 eine Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts und der Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs für den Zeitraum von 09.05.2016 bis 31.01.2017 zuerkannt.
Der Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsbürger und seit dem 18.08.2009 aufrecht im Bundesgebiet (mit Unterbrechungen) gemeldet. Seit 07.10.2016 ist er an der Adresse in Wien, Z.-Gasse mit Hauptwohnsitz durchgehend gemeldet. Er hat eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 18.02.2019 und wurde ihm die Karte für subsidiär Schutzberechtigte (§ 52 AsylG) ausgestellt.
Im Zeitraum von 25.08.2016 bis 18.04.2017 war an der Adresse in Wien, Z.-Gasse ebenfalls Frau Om. E. mit Hauptwohnsitz gemeldet. Frau Om. ist seit ihrer Abmeldung bereits wieder an zwei weiteren Adressen mit Hauptwohnsitz gemeldet gewesen.
Außer der zwischenzeitlichen gemeinsamen Wohnsitzmeldung in Wien, Z.-Gasse liegt zwischen dem Beschwerdeführer und Frau Om. keine gemeinsame Meldung an einer Adresse auf.
Zur Klärung des Sachstandes führte das Verwaltungsgericht Wien am 09.08.2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, zu welcher der Beschwerdeführer und die belangte Behörde als Parteien geladen waren. Frau Om. E. war als Zeugin geladen. Die Zeugin, der Beschwerdeführer und ein Vertreter sind zur Verhandlung ladungsgemäß erschienen. Die belangte Behörde verzichtete mit Schreiben vom 25.07.2017 auf die Teilnahme und ließ die Verhandlung auch unbesucht.
„In der am 09.08.2017 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien hat der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem Vertreter unter Beiziehung eines Dolmetschers für die englische Sprache Folgendes zu Protokoll gegeben:
„Ich gebe an, dass ich Frau Om. in einem afrikanischen Geschäft kennen gelernt habe. Ich habe dort gegessen und Frau Om. hat mich angesprochen und um Hilfe gebeten. Dies ist im letzten Winter 2016 passiert. Sie hat mir damals erzählt, dass sie auf der Straße lebt und mich um einen Schlafplatz gebeten. Ich habe ihr erzählt, dass sie bei mir bleiben könne, ich allerdings nur einen einzigen Raum zur Verfügung habe. Es handelt sich dabei um dasselbe Zimmer, welches ich auch jetzt bewohne. Ich habe dieses Zimmer privat gemietet. Dies ist kein Asylantenheim. Es gibt in dem Gebäude zwei Küchen, eine befindet sich im ersten Stock und eine im Erdgeschoß. Es gibt vier Kochplatten, somit kann jeder kochen, wann er möchte. Angeben, wie viele Personen in dem Haus wohnen, kann ich nicht, da immer wieder Freunde ein- und ausgehen. Es gibt drei Badezimmer und auch drei Toiletten. Die Benützung der Sanitäranlage ist jederzeit frei zugänglich. Es gibt eine Waschmaschine im Haus, die mit einer Wertkarte zu benützen ist.
Zu dem Zeitpunkt des Kennenlernens von Frau Om. war ich bereits an der jetzigen Adresse gemeldet, habe aber nicht immer dort geschlafen, manchmal habe ich auch bei Freunden übernachtet.
Angesprochen auf die zeitlich unterschiedliche Meldung an der Adresse im xx. Bezirk vom BF und Frau Om. gibt der BF an, dass er sich manchmal nicht sehr gut an Dinge erinnern kann, besonders bei zeitlichen Komponenten. Er erhält teilweise Medikamente.
Der BFV gibt zu dem Sachverhalt an, dass er vermutet, dass der BF bereits im Sommer 2016 wusste, dass er die Wohnung im yy. Bezirk nicht behalten wird können und sich daher rechtzeitig nach einer Alternative umgesehen hat und somit Frau Om. das Zimmer im xx. Bezirk bereits zur Verfügung stellen konnte, ohne ständig dort wohnhaft gewesen zu sein.
Betreffend die Wohnsituation in dem Raum gebe ich an, dass Frau Om. im Bett geschlafen hat, sofern sie da war, manchmal hat sie auch auswärts genächtigt. Ich habe, wenn ich dort geschlafen habe, auf einem Liegestuhl geschlafen. Aber auch ich habe öfter bei meiner Freundin genächtigt. Meine Freundin wohnt in der A.-Straße. Wir haben uns in meinem Zimmer manchmal angetroffen, aber nicht immer. Unternommen haben wir nichts gemeinsam. Ich habe eine Freundin und wollte Frau Om. nur helfen. Manchmal ist es so, wenn Frau Om. gekocht hat und ich habe das Essen im Kühlschrank entdeckt, so habe ich es gegessen. Manchmal habe auch ich gekocht und das Essen in den Eiskasten gestellt und Frau Om. hat sich einfach bedient. Die Wäsche wurde von uns beiden getrennt gewaschen. Frau Om. ist mittlerweile wieder ausgezogen. Ich bewohne dieses Zimmer alleine. Probleme mit meiner Freundin hat es bezüglich Frau Om. nicht gegeben. Sie wusste ja, dass ich ihr nur geholfen habe. Einen Kontakt nach Frau Om.‘s Auszug hat es nicht gegeben. Frau Om. ist auf Grund ihrer Ladung hier. Der BFV gibt an, dass durch seine Institution sicher gestellt wurde, dass Frau Om. ha. erscheint.
Angesprochen, wie der BF sein Leben finanziert, gibt er an, dass er von der Caritas € 350,-- Grundversorgung erhält. Der BFV führt weiters aus, dass er die Miete reduzieren konnte, da er im Haus bei der Reinigung mithilft. Ich bekomme für meine Mitarbeit auch ein bisschen Geld, sodass ich mir Essen kaufen kann. Es besteht auch ein Mietrückstand. Ich habe vor, wieder einen Deutschkurs zu besuchen. Meinen letzten Deutschkurs musste ich auf Grund einer Nasen-OP unterbrechen. Einen neuen Antrag auf Mindestsicherung habe ich nicht gestellt. Ich habe lediglich einen Antrag auf Hilfe in besonderen Lebenslage gestellt, welcher im Hinblick auf das laufende Beschwerdeverfahren abgelehnt wurde.
Angesprochen auf die Wohnrechtsvereinbarung vom August 2016, welche von Frau Om. und von mir unterzeichnet wurde, gebe ich an, dass mir der Hausherr gesagt hat, dass eine Unterzeichnung von Frau Om. notwendig ist, wenn diese einen Meldezettel haben möchte, damit auch die Polizei weiß, wo sie zu finden ist. Frau Om. hat mir manchmal € 100,-- für die Miete gegeben, dies allerdings nicht regelmäßig. Sie wollte mich unterstützen.“
Die Zeugin, Frau Om. E., hat nach Hinweis auf Ihre Wahrheitspflicht wie folgt ausgeführt:
„Ich kenne den BF aus einem afrikanischen Geschäft. In meiner letzten Wohnmöglichkeit hat mich die Wohnungsgeberin, eine afrikanische Frau, ersucht, auszuziehen. Ich bin dann, nachdem ich keine Wohnmöglichkeit mehr hatte, in die B.-gasse gegangen, in den dortigen afrikanischen Shop. Ich habe dort den BF gesehen und ihn nach einer Schlafmöglichkeit angesprochen. Er hat mir gesagt, dass er keine Zimmer vermietet. Ich glaube, das war im Winter. Genau sagen kann ich es allerdings nicht mehr. Er hat mir dann angeboten, wenn ich es mit ihm aushalten würde, dass ich in sein Zimmer ziehen könnte. Ich habe dem BF ab und an Geld gegeben. Eine Miete hat er von mir nicht verlangt.
In dem Zimmer befanden sich ein Bett und ein Schlafsessel. Er hat mir das Bett überlassen. Mein Hab und Gut habe ich im Zimmer abgestellt. Ich habe für mein Essen selbst gesorgt und auch für mich gekocht. Bad und Toilette waren außerhalb des Zimmers. Ich habe mit dem BF keine Zeit verbracht, da er die meiste Zeit auch nicht zu Hause war. Freitags und sonntags gehe ich zur Kirche. Ich habe auch eine Freundin, bei der ich manchmal übernachte. Im Zusammenleben mit dem BF hatte ich keine Probleme. Ich bin mittlerweile wieder ausgezogen und habe bei einer nigerianischen Frau mit ihren Kindern ein Zimmer bezogen, welches diese mir zur Verfügung gestellt hat. Kontakt mit dem BF habe ich keinen mehr. Einmal habe ich die Freundin des BF kennen gelernt, da diese mit ihm ins Haus gekommen ist. Ich habe von Anfang an gewusst, dass er eine Freundin hat.“
In seinem Schlusswort führte der Beschwerdeführer aus, dass es schwierig ist, ohne dem Geld der MA 40 zu überleben. Er habe auch keinen Mobilpass mehr und muss die Tickets selbst bezahlen.
Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde die notwendigen Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Die maßgeblichen Bestimmungen des Wiener Mindestsicherungsgesetzes lauten auszugsweise wie folgt:
§ 1.
Ziele und Grundsätze
(1) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung hat zum Ziel, Armut und soziale Ausschließung verstärkt zu bekämpfen und zu vermeiden sowie die dauerhafte Eingliederung oder Wiedereingliederung in das Erwerbsleben weitest möglich zu fördern.
(2) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung erfolgt durch Zuerkennung von pauschalierten Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs sowie von den bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung erforderlichen Leistungen. Auf diese Leistungen besteht ein Rechtsanspruch.
(3) Die Zuerkennung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ist subsidiär. Sie erfolgt nur, wenn der Mindestbedarf nicht durch Einsatz eigener Arbeitskraft, eigener Mittel oder Leistungen Dritter gedeckt werden kann.
(4) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung dient der Beseitigung einer bestehenden Notlage. Sie erfolgt auch vorbeugend, wenn dadurch einer drohenden Notlage entgegengewirkt werden kann. Eine Fortsetzung ist solange möglich, als dies notwendig ist, um die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Hilfeleistung zu sichern. Die Mindestsicherung hat rechtzeitig einzusetzen. Eine Zuerkennung von Leistungen für die Vergangenheit ist nicht möglich.
§ 4.
Allgemeine Anspruchsvoraussetzungen
(1) Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung hat, wer
1. zum anspruchsberechtigten Personenkreis (§ 5 Abs. 1 und 2) gehört,
2. seinen Lebensmittelpunkt in Wien hat, sich tatsächlich in Wien aufhält und seinen Lebensunterhalt in Wien bestreiten muss,
3. die in § 3 definierten Bedarfe nicht durch den Einsatz seiner Arbeitskraft, mit eigenen Mitteln oder durch Leistungen Dritter abdecken kann,
4. einen Antrag stellt und am Verfahren und während des Bezuges von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung entsprechend mitwirkt.
(2) Ein Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs einschließlich Mietbeihilfe besteht ab einem errechneten Mindestbetrag von fünf Euro monatlich.
(3) Personen, die bereits eine für Erwerbszwecke geeignete abgeschlossene Ausbildung oder eine Schulausbildung auf Maturaniveau haben und ihre Arbeitskraft allein deshalb nicht voll einsetzen können, weil sie eine weiterführende Ausbildung absolvieren, steht ein Anspruch auf Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nicht zu.
§ 7.
Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs
(1) Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs haben volljährige Personen bei Erfüllung der Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 und 2. Der Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs kann nur gemeinsam geltend gemacht werden und steht volljährigen Personen der Bedarfsgemeinschaft solidarisch zu. Die Abdeckung des Bedarfs von zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden minderjährigen Personen erfolgt durch Zuerkennung des maßgeblichen Mindeststandards an die anspruchberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft, der sie angehören.
(2) Die Zurechnung zu einer Bedarfsgemeinschaft erfolgt nach folgenden Kriterien:
1. Volljährige alleinstehende Personen und volljährige Personen, die mit anderen volljährigen Personen in Wohngemeinschaft leben, bilden eine eigene Bedarfsgemeinschaft.
2. Volljährige Personen im gemeinsamen Haushalt, zwischen denen eine unterhaltsrechtliche Beziehung oder eine Lebensgemeinschaft besteht, bilden eine Bedarfsgemeinschaft.
3. Minderjährige Personen im gemeinsamen Haushalt mit zumindest einem Elternteil oder mit einer zur Obsorge berechtigten Person bilden mit diesem oder dieser eine Bedarfsgemeinschaft.
4. Volljährige Personen mit Anspruch auf Familienbeihilfe und volljährige Personen bis zum vollendeten 21. Lebensjahr ohne Einkommen oder mit einem Einkommen bis zu einer Geringfügigkeitsgrenze im gemeinsamen Haushalt mit zumindest einem Eltern- oder Großelternteil bilden mit diesem eine Bedarfsgemeinschaft.
5. Volljährige Personen ab dem vollendeten 21. Lebensjahr und volljährige auf die Dauer von mindestens einem Jahr arbeitsunfähige Personen bilden eine eigene Bedarfsgemeinschaft, auch wenn sie im gemeinsamen Haushalt mit einem Eltern- oder Großelternteil leben.
(3) Bezieht eine zur Bedarfsgemeinschaft gehörende minderjährige oder volljährige Person mit Anspruch auf Familienbeihilfe oder eine volljährige Person bis zum vollendeten 21. Lebensjahr ohne Einkommen oder mit einem Einkommen bis zu einer Geringfügigkeitsgrenze eine Unterhaltsleistung von einer nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Person, eine Lehrlingsentschädigung oder ein sonstiges Einkommen, das die Höhe des für diese Person maßgeblichen Mindeststandards übersteigt, so ist diese Person bei der Bemessung nicht zu berücksichtigen.
(4) Ist die Verfolgung von Unterhaltsansprüchen einer minderjährigen Person nicht offenbar aussichtslos oder unzumutbar und ist die Höhe des Anspruchs nicht gerichtlich festgestellt oder nur frei vereinbart, so ist diese Person bei der Bemessung nicht zu berücksichtigen.
(5) Die Geringfügigkeitsgrenze wird unter Berücksichtigung der Bezug habenden bundesgesetzlichen Bestimmungen im ASVG durch Verordnung der Landesregierung festgelegt.
§ 10.
Anrechnung von Einkommen und sonstigen Ansprüchen bei der Bemessung der Mindestsicherung
(1) Auf den Mindeststandard ist das Einkommen der Person, für die der jeweilige Mindeststandard gilt, anzurechnen.
(2) Bei der Berechnung der Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs von mehreren Personen, die eine Bedarfsgemeinschaft bilden, erfolgt die Bemessung für die Bedarfsgemeinschaft. Dabei ist auf die Summe der heranzuziehenden Mindeststandards die Summe der Einkommen aller anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft anzurechnen.
(3) Zahlungsverpflichtungen, insbesondere auch solche auf Grund unterhaltsrechtlicher Beziehungen, sind bei der Bemessung nicht als einkommensmindernd zu berücksichtigen. Dies gilt auch für Forderungen, die bei der Hilfe suchenden Person zwangsweise eingetrieben werden oder zu deren Begleichung sie nach einem Schuldenregulierungsverfahren verpflichtet ist.
(4) Gesetzliche oder vertragliche und der Höhe nach bestimmte Ansprüche der Hilfe suchenden Person auf Leistungen, die der zumindest teilweisen Deckung der Bedarfe nach § 3 dienen, sind auch dann anzurechnen, wenn die Hilfe suchende Person diese nicht nachhaltig, auch behördlich (gerichtlich) verfolgt, sofern die Geltendmachung weder offenbar aussichtslos noch unzumutbar ist. Dies ist von der unterhaltsberechtigten Person oder ihrer gesetzlichen Vertretung glaubhaft zu machen.
Im gegenständlichen Verfahren war zu klären, ob zwischen dem Beschwerdeführer und Frau Om. E. eine Lebensgemeinschaft vorliegt.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. E VwGH 4.10.2001, Zl. 96/08/0312) wird das Wesen der Lebensgemeinschaft darin erblickt, dass es sich um einen eheähnlichen Zustand handelt, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspricht. Dazu gehört im Allgemeinen eine Geschlechts-, wie Wohnungs- und Wirtschaftsgemeinschaft. Es kann aber auch wie in der Ehe, bei der die Ehegatten ihre eheliche Lebensgemeinschaft unter Rücksichtnahme aufeinander einvernehmlich gestalten sollen, das eine oder andere Merkmal fehlen (vgl. z.B. E VwGH 20.9.2000, Zl. 98/03/0079, mit weiteren Hinweisen). Es kommt regelmäßig auf die Gesamtumstände des Einzelfalles an, wobei der Wirtschaftsgemeinschaft nach der Rechtsprechung überragende Bedeutung zukommt (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa E VwGH 3.9.1996, Zl. 95/08/0283).
Unter dem Begriff der Wirtschaftsgemeinschaft ist zu verstehen, dass beide Partner einander Beistand und Dienste leisten und an den zur Bestreitung des Unterhalts, der Zerstreuung und Erholung zur Verfügung stehenden Gütern teilnehmen lassen. Lebensgemeinschaft ist nicht nur ein äußerer Zustand, sondern sie setzt auch eine innere Einstellung der Partner voraus, die sich im Allgemeinen freilich nur aus äußeren Anzeichen erschließen lässt. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten, dass die Einstellung der Beteiligten mit den Worten "gegenseitiger Beistand" umschrieben werden kann (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 26.9.2011, Zl. 2009/10/0265, und die dort zitierte Vorjudikatur).
Jenes Element, um dessentwillen die Lebensgemeinschaft im konkreten Regelungszusammenhang von Bedeutung ist, nämlich das gemeinsame Wirtschaften, ist unverzichtbar. Der im Gesetz angeordneten Berücksichtigung des Partnereinkommens liegt offenkundig die Annahme zu Grunde, dass der Partner wegen der Lebens-(Wohn-)Gemeinschaft auch zum gemeinsamen Wirtschaften zumindest zum Teil (etwa durch Mitfinanzierung der gemeinsamen Wohnkosten oder Ernährung) beiträgt (vgl. E VwGH 14.11.2012, Zl. 2010/08/0118). In der Gesamtbetrachtung entscheidend ist somit, dass nicht (wie in einer bloßen Wohngemeinschaft) jeder für sich die Kosten seiner Lebensführung allein und unabhängig vom anderen trägt, sondern durch wechselseitigen Beistand, Hilfe und Unterstützung, gemeinsame Haushaltsführung, gemeinsamen Einkauf, Freizeitgestaltung etc. Synergieeffekte und Erleichterungen bzw. Entlastungen für den jeweils anderen entstehen.
Der Beschwerdeführer hat in der Verhandlung seine Wohnsituation beschrieben. Dabei kann festgestellt werden, dass er selbst ein Zimmer eines Hauses angemietet hat. In diesem Haus gibt es zwei Gemeinschaftsküchen und drei gemeinsame Sanitäranlagen, welche frei zugänglich sind. Lediglich für die Waschmaschine benötigt man eine „Karte“.
Sein Zimmer kann auf Grund seiner Größe lediglich als Schlaf- und Aufenthaltsraum dienen. Frau Om. und der Beschwerdeführer haben darin getrennte Schlafplätze gehabt; diese wurden jedoch nicht immer benutzt. Die Freizeitgestaltung erfolgte getrennt voneinander und gab es z.B. auch kein gemeinsames Kochen. Der Beschwerdeführer hat die Miete finanziert und Frau Om. hat ihn in unregelmäßigen Abständen (auf freiwilliger Basis) finanziell unterstützt. Frau Om. ist mittlerweile wieder ausgezogen.
Auf Grund des gewonnenen Eindrucks in der Verhandlung erscheint es glaubhaft, dass Frau Om. im Zimmer des Beschwerdeführers lediglich ein Schlafplatz (unentgeltlich) angeboten wurde. Der Beschwerdeführer und Frau Om. haben in der Verhandlung einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen, auch wenn es in bestimmten Punkten den Anschein hatte, als wäre dies im Vorfeld nochmals besprochen worden. Letztlich kann hier von einer vorübergehenden Wohngemeinschaft ausgegangen werden, welche durch den Auszug von Frau Om. im April 2017 endgültig beendet wurde. Es kann auch in der unregelmäßigen, finanziellen Unterstützung des Beschwerdeführers durch Frau Om. ein gemeinsames Wirtschaften nicht erblickt werden.
Die belangte Behörde hat ihren abweisenden Bescheid mit der vorliegenden Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft des Beschwerdeführers begründet; Ermittlungen bezüglich des Einkommens und die Prüfung der sonstigen Voraussetzungen sind offensichtlich bis dato nicht erfolgt. Im Rahmen der Verhandlung sind auch neue Informationen (Einkommen durch die Grundversorgung) bekannt geworden.
Es sind daher zur Feststellung des Anspruches auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung ergänzende Ermittlungen des Sachverhaltes erforderlich. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob Leistungen aus der Mindestsicherung zuzuerkennen sind, insbesondere neben Feststellung der Einkommens- und Vermögenssituation, ob der Beschwerdeführer auch fortlaufend geeignete Maßnahmen ergriffen hat, eine entsprechende Erwerbsmöglichkeit zu erlangen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere auch dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde – wie im vorliegenden Fall – bloß ansatzweise ermittelt hat (vgl. VwGH 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063).
Der angefochtene Bescheid war daher spruchgemäß aufzuheben und die Angelegenheit aus verfahrensökonomischen Gründen zur Erlassung eines neuerlichen Bescheides an die Behörde zurück zu verweisen.
Schlagworte
Mindestsicherung; Lebensgemeinschaft, Geschlechtsgemeinschaft, Wohnungsgemeinschaft, Wirtschaftsgemeinschaft, Bedarfsgemeinschaft, Lebensgefährte; ZurückverweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.242.002.RP12.6185.2017Zuletzt aktualisiert am
28.11.2017