Entscheidungsdatum
16.11.2017Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
VStG §45 Abs1 Z2Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat durch seinen Richter Dr. Franz Triendl über die Beschwerde des AA, geboren am xx.xx.xxxx, wohnhaft in Adresse 1, Z, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. BB, Adresse 2, Y, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft X vom 20.03.2017, Zahl ****, wegen einer Übertretung nach der Gewerbeordnung 1994 nach öffentlicher, mündlicher Verhandlung
zu Recht erkannt:
1. Der Beschwerde wird F o l g e gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.
2. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen, und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.
Sie haben die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden kann.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Vorverfahren:
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft X vom 16.09.2015 zu Zl **** wurde Herrn AA die baurechtliche Bewilligung, gewerberechtliche Genehmigung und die naturschutzrechtliche Bewilligung für die Errichtung und den Betrieb einer Land- und Baumaschinenwerkstätte samt Schlosserei auf dem durch Grundstücksteilungen neu gebildeten Grundstück Gp. **1 GB **** Z unter Auflagen erteilt.
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft X vom 20.03.2017, Zl ****, wurde Herrn AA, geb. xx.xx.xxxx, wohnhaft in Adresse 1, Z, zu Last gelegt, er habe ca. vom 13.07.2016 bis 25.02.2017 – unter anderem am 13.07.2016 und 10.08.2016 bis gegen 22:45 Uhr, am 17.08.2016 bis gegen 23:00 Uhr bei offenen Toren, letztmalig am 25.02.2017 bis gegen 19:10 Uhr – immer wieder die Betriebsanlage in geänderter Weise betrieben, indem bis zu den unten angeführten Zeiten in der Betriebsanlage zum Teil unter Einsatz von Maschinen gearbeitet wurde, obwohl er nicht im Besitz einer Betriebsanlagengenehmigung für die geänderte Betriebsweise gewesen sei und die geänderte Betriebsweise geeignet sei, die Nachbarn durch Lärm, Rauch, Erschütterung usw zu belästigen.
Im Befund des Bescheids der Bezirkshauptmannschaft X vom 16.09.2015, Zl ****, sei folgendes ausgeführt:
„Die Betriebszeiten sollen derart festgelegt werden, dass vom 01.04. bis 31.10. eines jeden Jahres die Betriebszeiten von 06:00 – 22:00 Uhr sowie an Samstagen von 06:00 – 19:00 festgesetzt werden. Die Betriebszeiten vom 01.11. bis 31.03. eines jeden Jahres werden mit Montag bis Samstag von 07:00 Uhr – 18:00 Uhr festgelegt“.
AA habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 366 Abs 1 Z 3 zweiter Tatbestand iVm § 74 Abs 2 Z 2 GewO 1994 begangen und wurde über ihn eine Geldstrafe in Höhe von € 1.500,--, im Uneinbringlichkeitsfall 140 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe, verhängt. Zudem wurde ihm ein Beitrag von € 150,-- zu den Kosten des Strafverfahrens auferlegt.
Dagegen richtet sich die rechtzeitig von AA, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. BB, erhobene Beschwerde, in welcher er zusammengefasst vorbringt wie folgt:
„Im Genehmigungsbescheid vom 16.09.2015, Zl ****, seien keine Betriebszeiten festgesetzt worden. Zwar seien diese angeregt worden, eine bescheidmäßige Festsetzung sei jedoch nicht erfolgt, weshalb es zu keiner Verletzung der Betriebszeiten gekommen sei. Selbst wenn man davon ausgehe, dass die Betriebszeiten bescheidmäßig festgesetzt worden seien, so sei die Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht nachvollziehbar. Dem Straferkenntnis sei die Anzeige der Familie D vom 27.02.2017 zugrunde gelegt worden, obwohl die Aussagen der Zeugen E und F in großem Widerspruch dazu stünden. Die belangte Behörde führe nicht aus, weshalb sie den Belastungszeugen mehr Glauben schenke, als den Entlastungszeugen. Herr D gebe an, er könne mit absoluter Sicherheit bestätigen, dass in der Nacht vom 07.09.2016 auf den 08.09.2016 durchgearbeitet worden sei. Auch Frau D behaupte, dass bis in die frühen Morgenstunden eine massive Lärmbelästigung, in Form von Schweißen und Hämmern, gegeben gewesen sei. An diesem Abend habe er zusammen mit seinem Dienstnehmer GG die Werkstatt von 19:30 bis 20:30 Uhr lediglich aufgeräumt. Der Zeuge G sei von der belangten Behörde nicht gehört worden. Aufgrund der entlastenden Aussagen der Zeugen F und E hätte die belangte Behörde feststellen müssen, dass keine Arbeiten außerhalb der Betriebszeiten durchgeführt worden seien, insbesondere keine Lärmbelästigung erfolgt sei.
Der Amtssachverständige für Maschinenwesen und Umwelttechnik habe in seiner ergänzenden Stellungnahme im Genehmigungsbescheid ausgeführt, dass eine Lärmbeeinträchtigung der Familie D selbst bei lärmintensiven Arbeiten im Inneren bei geschlossenen Fenstern und Türen der Halle ausgeschlossen sei. Hinter dem Haus der Familie D befinde sich ein Wildbach, der eine ständige Lärmkulisse erzeuge, sodass sie von seinem Betriebsgelände kaum Lärm vernehmen könnten.
Laut Anzeige vom 27.02.2017, Zl ****, habe Herr D am 25.02.2017 um 18:38 Uhr bei der PI X eine Lärmbelästigung angezeigt. Daraufhin sei um 19:10 Uhr eine Polizeistreife bei der Betriebsanlage eingetroffen und habe kein Lärm festgestellt werden gekonnt. Es sei lediglich der Beschwerdeführer angetroffen worden und habe Licht in der Werkshalle gebrannt.
Selbst wenn Betriebszeiten festgelegt worden seien, so sei daraus kein Betretungsverbot für die Halle abzuleiten. Wenn sich der Beschwerdeführer lediglich in seiner Halle befinde und das Licht brenne, könne bei einer Land- und Baumaschinenwerkstätte samt Schlosserei nicht von „in Betrieb sein“ gesprochen werden. Der Aufenthalt auf dem Betriebsgelände und das Anschalten des Lichts hätten keine nachteiligen Auswirkungen auf das Emissionsverhalten der Anlage. Er betreibe seine Anlage immer vorschriftsgemäß bei geschlossenen Toren und liege daher keine Genehmigungspflicht im Sinne einer Änderung der Betriebsanlage vor. Somit sei der zweite Tatbestand des § 366 Abs 1 Z 3 GewO 1994 nicht erfüllt worden und liege keine strafbares Verhalten im Sinne der GewO 1994 vor.
Ausdrücklich bekämpft werde die Strafhöhe. Die verhängte Strafe sei angesichts des Unrechtsgehaltes der Tat, der Strafdrohung des § 366 Abs 1 GewO und der bisherigen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers jedenfalls überhöht.“
Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den verwaltungsbehördlichen Akt zu **** sowie durch Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol am 21.8.2017. Dabei wurde der Beschwerdeführer sowie die Zeugen DD und IDr einvernommen.
In weiterer Folge richtete das Landesverwaltungsgericht Tirol folgendes Ersuchen an den gewerbetechnischen Sachverständigen der Bezirkshauptmannschaft X:
„Sehr geehrter Herr J,
bezugnehmend auf das Telefonat vom 4.9.2017 ergeht folgendes Ersuchen:
Die Nachbarn D haben zu mehreren Tagen Beschwerde wegen Lärmbelästigung geführt. Am 25.2.2017 wurde laut Akt um 18:38 Uhr die Polizei verständigt. Diese traf um 19:10 Uhr im Gewerbebetrieb ein und konnte keinen Lärm feststellen. Der Betreiber befand sich noch in der Firma und es brannte in der Werkhalle Licht.
Der Nachbar, Herr DD erklärte dazu, dass bei Eintreffen der Polizei der Lärm aufhörte, jedoch nach deren Wegfahren wieder begann. Er fertigte davon ein Video mit seiner Digitalkamera an (siehe die beigelegte CD). Auf dieser ist ein spezifisches Geräusch zu hören. Der Betreiber erklärte, mit dieser Aufnahme in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol konfrontiert, dieses Geräusch sei nicht seiner Betriebsanlage zuzuordnen, es hätte auch ein Traktor gewesen sein können, der im Umfeld der Betriebsanlage gefahren ist (vgl. zu alledem die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol am 2.8.2017).
Es ergeht nunmehr das Ersuchen um Überprüfung der gegenständlichen Videoaufnahme, insbesondere dahingehend, ob das zu erkennende Geräusch aus do. Sicht der Betriebsanlage, v.a. einer der genehmigten Maschinen, zuzuordnen ist bzw. um welches Geräusch (z.B. alter Traktor) es sich dabei aus Ihrer fachlichen Sicht handeln könnte.“
Der gewerbetechnischen Sachverständige der Bezirkshauptmannschaft X teilte dem Landesverwaltungsgericht Tirol mit Schreiben vom 6.10.2017 zusammenfassend mit, er könne aufgrund der vorgefundenen Einrichtung der gegenständlichen Betriebsanlage das Geräusch nicht zuordnen. Es sei auch nicht erkennbar, um welches konkrete Geräusch es sich dabei handeln könnte.
Der Bezirkshauptmannschaft X wurde mit Schreiben des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 19.10.2017 die Möglichkeit eingeräumt, zu den Ermittlungsergebnissen Stellung zu nehmen. Weiters wurde die vorläufige Rechtsansicht des erkennenden Gerichtes mitgeteilt, wonach nach dem Stand des bisherigen Ermittlungsverfahrens eine Bestrafung des Beschwerdeführers unter Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ ausscheide.
Dieses Schreiben wurde seitens der Bezirkshauptmannschaft X mit Schreiben vom 6.11.2017 dahingehend beantwortet dass gegen die geplante Vorgangsweise des Landesverwaltungsgerichts Tirol kein Einwand bestünde.
II. Erwägungen:
Die im Schreiben des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 19.10.2017 dargelegten Bedenken konnten auch in weiterer Folge nicht ausgeräumt werden. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die vorliegende gewerbebehördliche Betriebsanlagengenehmigung vom 16.9.2015. Im gewerbebehördlichen Ermittlungsverfahren betreffend die angeführte gewerbebehördliche Betriebsanlagengenehmigung führte der Amtssachverständige für Maschinenwesen und Umwelttechnik aus, dass eine Lärmbeeinträchtigung auszuschließen sei, wenn sämtliche lärmintensiven Arbeiten im Inneren bei geschlossenen Fenstern und Türen erfolgen. Weiters hielt er fest, dass bei den beantragten Betriebszeiten bis 22:00 Uhr bei befund- und projektgemäßer Ausführung keine nachteiligen Lärmbeeinträchtigungen für den nächstgelegenen Nachbarn zu erwarten seien. Dass etwa Fenster oder Türen der Betriebsanlage zum Zeitpunkt der vorgebrachten Lärmbelästigung tatsächlich offen waren, konnten die Anzeige erhebenden Nachbarn in keinem der Fälle konkret darlegen.
Im Zuge des weiteren Ermittlungsverfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol haben sich Bedenken ergeben, inwieweit die seitens der Nachbarn festgestellten Lärmbelästigungen tatsächlich und unzweifelhaft der gegenständlichen Betriebsanlage zuzuordnen sind. So wurde etwa beim Vorfall vom 7.9.2017 offensichtlich lediglich das Licht in der Werkhalle nicht abgeschaltet und wurde auch im angefochtenen Straferkenntnis dieser Tag nicht zur Last gelegt.
Auch beim Vorfall vom 25.2.2017 bleibt letztlich völlig unklar, welche Geräusche von welcher Quelle auf der vom Nachbarn D vorgelegten DVD hörbar sind. Der Betreiber bestreitet auch vehement, dass er irgendwelche lärmintensive Tätigkeiten, die zu Belästigungen für die Nachbarn führen könnten, durchgeführt habe. Selbst weitere Ermittlungen dazu (siehe die Beiziehung des gewerbetechnischen Sachverständigen der Bezirkshauptmannschaft X) führten zu keinem Ergebnis, wobei auch das erkennende Gericht jene Variante des Geschehens zum Vorfall vom 25.2.2017 ins Auge gefasst hat, nach der der Betreiber etwa selbst einen von ihm zu reparierenden Traktor in Betrieb gesetzt hat, um vorsätzlich die Nachbarn zu ärgern respektive zu belästigen. Für diese Variante konnte jedoch – wie oben dargelegt - kein schlüssiger und ausreichender Beweis geführt werden.
Auffallend an allen angezeigten Vorfällen ist, dass die Nachbarn, obgleich sie nicht allzu weit von der Betriebsanlage entfernt wohnen, sich in keinem der Fälle in die Nähe der Betriebsanlage begaben, um sich unmittelbar vor Ort ein Bild von den wahrgenommenen Lärmbelästigungen zu machen und allenfalls den Betreiber direkt mit den Störungen zu konfrontieren. So wäre es ausgeschlossen, dass andere Lärmquellen, wie eben z.B. ein vorbeifahrender Traktor, Ursache für die Lärmbelästigungen wären. Die Nachbarn hätten so z.B. auch Lichtbilder oder Videos anfertigen können, die keine Zweifel an der Ursache der Lärmbelästigung offen ließen (z.B. weil Türen oder Fenster der Anlage offenstanden). So bleiben jedoch gewichtige Bedenken ob der Zurechnung der behaupteten Lärmbelästigungen zum Verhalten des Betreibers der Betriebsanlage, die mit den Anforderungen an ein zweifelfreies Tatgeschehen im Verwaltungsstrafverfahren nicht in Einklang zu bringen sind.
Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens kann sohin der Tatvorwurf nicht bestätigt werden und war im Sinne des Grundsatzes „in dubio pro reo“ spruchgemäß zu entscheiden.
III. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Dr. Franz Triendl
(Richter)
Schlagworte
„in dubio pro reo"European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2017:LVwG.2017.22.1030.8Zuletzt aktualisiert am
28.11.2017