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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan mangels gebotener Auseinandersetzung mit der Gefährdungslage von Minderjährigen und mangels hinreichend aktueller Feststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in AfghanistanSpruch
I. Den Anträgen auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO stattgegeben.
II. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§57 Asylgesetz 2005), gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise, abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.270,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Der Erstbeschwerdeführer ist Ehegatte der Zweitbeschwerdeführerin. Sie sind die Eltern der in den Jahren 2006 und 2008 geborenen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen (genaue Geburtsdaten unbekannt) sowie der am 11. Dezember 2015 geborenen Fünftbeschwerdeführerin. Alle Beschwerdeführer sind Staatsangehörige Afghanistans und gehören der Sikh-Religion an. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen stellten am 17. Februar 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz, der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin stellten als gesetzliche Vertreter der Fünftbeschwerdeführerin am 15. Jänner 2016 für diese einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu ihren Fluchtgründen gaben die Beschwerdeführer an, dass sie aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit von den Moslems in Afghanistan misshandelt und verfolgt worden seien. Auch sei von ihnen verlangt worden, dass sie ihre Religion wechseln. Die Zweitbeschwerdeführerin und ihre beiden älteren Töchter seien sexuell belästigt worden und sei ihnen auch angedroht worden, dass die Töchter verschleppt werden.
2. Mit Bescheiden vom 23. Oktober 2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge des Erstbeschwerdeführers sowie der Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerin, mit Bescheid vom 23. Februar 2016 sodann den Antrag der Fünftbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG (jeweils Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG ab (Spruchpunkt II.). Das BFA erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG, erließ gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG iVm §9 BFA-VG gegen sie Rückkehrentscheidungen gemäß §52 Abs2 Z2 FPG und stellte gemäß §52 Abs9 FPG fest, dass ihre Abschiebung gemäß §46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG gewährte das BFA eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.).
3. Gegen Spruchpunkte II. und III. der Bescheide vom 23. Oktober 2015 erhoben der Erstbeschwerdeführer und die Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Die Fünftbeschwerdeführerin erhob gegen die Spruchpunkte I., II. und III. des Bescheids vom 23. Februar 2016 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Hinsichtlich Spruchpunkt I. wurde diese Beschwerde in der am 22. Juni 2016 durchgeführten mündlichen Verhandlung zurückgezogen und das Verfahren vom Bundesverwaltungsgericht insoweit eingestellt.
4. Hinsichtlich der Spruchpunkte II. und III. der angefochtenen Bescheide wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden mit Erkenntnis vom 31. März 2017 als unbegründet ab.
Zur Lage im Herkunftsstaat stützt sich das Bundesverwaltungsgericht auf Länderberichte zu Kabul, Nangarhar und zur Lage der Sikhs / Hindus in Afghanistan, des Weiteren auf die "UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender des hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen vom 6. August 2013" sowie auf die gutachterliche Stellungnahme eines länderkundlichen Sachverständigen. Zur Situation von Kindern in Afghanistan finden sich in den wörtlich widergegebenen Quellen lediglich folgende Ausführungen:
"Seit dem Sturz des kommunistischen Regimes meiden die Sikh Kinder die öffentlichen Schulen. Seit einigen Jahren, ca. seit 2007 haben Sikh-Gemeinschaften in Afghanistan begonnen, mit Hilfe der Regierung auch Volksschulen in ihrer Sprache neben ihren Tempeln zu gründen. Vereinzelt gehen die Sikh-Jugendlichen auch in den öffentlichen Schulen, aber nur in Jalalabad und in Kabul."
"Es kommt auch heute vor, dass manche Sikh Kinder, wenn sie alleine auf der Straße unterwegs sind von muslimischen […] Kindern beschimpft oder auch angetastet werden. Aus diesem Grunde meiden die Sikh Kinder, wenn sie nach Afghanistan zurückgekehrt sind, die öffentliche[n] Schulen, die sie in der Monarchie und in der kommunistischen Zeit besuchen konnten."
Beweiswürdigend führt das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst aus, dass die Beschwerdeführer gesund seien und die Stadt Kabul über den dortigen Flughafen gut erreichbar sei. In Kabul sei nach den vorliegenden Länderberichten die allgemeine Lage als vergleichsweise sicher und stabil zu bezeichnen, selbst wenn es auch dort zu vereinzelten Anschlägen komme. Diese kämen aber hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen (etwa Regierungs- und Polizeigebäude), von NGO´s oder von (internationalen) Sicherheitskräften vor. Die genannten Gefährdungsquellen seien in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen. Dem Erstbeschwerdeführer sei es möglich, bei einer Rückkehr einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, um sich und seine Familie zu erhalten. Er und seine Familie seien aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit nicht von der Bevölkerung angegriffen worden. Es sei zwar richtig, dass eine gewisse Diskriminierung der Sikhs durch die Bevölkerung stattfinde, eine staatliche Diskriminierung finde aber nicht statt. Diese Diskriminierung nehme auch nicht solche Formen an, die einer Rückkehr in die Heimat entgegenstehen würde.
Aus rechtlicher Sicht ergebe sich daraus, dass eine Rückkehr der Beschwerdeführer in die Städte Jalalabad und Kabul jedenfalls möglich und auch zumutbar sei, weil Anhaltspunkte für im Fall einer Rückkehr drohende, Art3 EMRK relevante Gefahren im Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen seien. Durch die Rückführung in den Herkunftsstaat würden die Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Art2 und 3 EMRK verletzt werden. Im Hinblick auf die Rückkehrentscheidung führt das Bundesverwaltungsgericht wörtlich aus:
"Die BF 1 und 2 gehen in Österreich keiner geregelten Arbeit nach und verfügen auch nicht über eine Einstellungszusage. Die BF 3 und 4 besuchen in Österreich die Schule. Die BF haben bislang an Deutschkursen teilgenommen und verfügen dementsprechend auch nicht über einen Abschluss. Ferner besteht auch kein größerer Freundeskreis in Österreich."
Auf Grund dessen, so das Bundesverwaltungsgericht, sei davon auszugehen, dass die Interessen der Beschwerdeführer an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung sei daher im vorliegenden Fall dringend geboten und erscheine auch nicht unverhältnismäßig, weshalb die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach §55 AsylG nicht gegeben seien.
5. Gegen diese Entscheidung richten sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden, in denen die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet sowie die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses und die Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der gerichtlichen Pauschalgebühr beantragt wird.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift bzw. Äußerung abgesehen.
II. Erwägungen
Die – in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen – Beschwerden sind zulässig.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Die im angefochtenen Erkenntnis widergegebenen Länderberichte enthalten überblicksartige Abschnitte zur allgemeinen Sicherheitslage in Kabul und Nangarhar sowie zur Lage der Sikhs in Afghanistan. Auch die eingeholte gutachterliche Stellungnahme befasst sich – wie aus dem Gutachtensauftrag hervorgeht – mit der allgemeinen Sicherheitslage und Versorgungslage in Afghanistan, Kabul und Jalalabad und allgemein mit der Lage der Sikhs in Afghanistan. Soweit kinderspezifische Ausführungen in den Länderfeststellungen enthalten sind, ist diesen lediglich zu entnehmen, dass Sikh-Kinder wegen Übergriffen öffentliche Schulen meiden.
2.2. Das Bundesverwaltungsgericht geht damit im angefochtenen Erkenntnis auf die Minderjährigkeit der Dritt-, Viert- und Fünftbeschwerdeführerinnen nicht ausreichend ein. Weder trifft es Feststellungen zur allgemeinen Gefährdungslage von Minderjährigen in Afghanistan noch erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Minderjährigkeit der Dritt-, Viert- und Fünftbeschwerdeführerinnen in der Beweiswürdigung oder der rechtlichen Begründung. Damit unterbleibt auch eine Klärung der Frage, ob die Dritt-, Viert- und Fünftbeschwerdeführerinnen durch die Rückkehrentscheidung in ihren gemäß Art2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechten bedroht sind (vgl VfGH 21.9.2017, E2130/2017 ua).
2.3. Hinzukommt, dass das Bundesverwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis seine Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat u.a. auf die "UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchsuchender des hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) vom 6. August 2013" stützt. Dabei übersieht das Bundesverwaltungsgericht, dass die aktuellen UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 datieren.
2.4. Soweit sich das Erkenntnis auf die Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter an die Dritt-, Viert- und Fünftbeschwerdeführerinnen und – daran anknüpfend – auf die Zulässigerklärung der Rückkehrentscheidung bzw. der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer freiwilligen Frist zur Ausreise bezieht, ist es somit mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben. Dieser Mangel schlägt gemäß §34 Abs4 AsylG auf die Entscheidungen betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin durch (VfSlg 19.855/2014; VfGH 24.11.2016, E1085/2016 ua) und belastet auch diese mit objektiver Willkür (VfSlg 19.401/2011 mwN). Daher ist das Erkenntnis auch betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin – im selben Umfang wie hinsichtlich der Dritt-, Viert- und Fünftbeschwerdeführerinnen – aufzuheben.
III. Ergebnis
1. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO stattgegeben.
2. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 545,– enthalten. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag, zuzusprechen.
Schlagworte
Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Ermittlungsverfahren, EntscheidungsbegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:E1734.2017Zuletzt aktualisiert am
08.01.2018