TE Vwgh Erkenntnis 2000/8/1 97/21/0845

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Veröffentlicht am 01.08.2000
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §37;
FrG 1993 §17;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1993 §54 Abs2;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
MRK Art3;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des NS in Ramsau, geboren am 31. Jänner 1974, vertreten durch Dr. Werner Pennerstorfer, Dr. Hans-Jörg Haftner und Dr. Peter Schobel, Rechtsanwälte in 3100 St. Pölten, Herrengasse 4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 20. August 1997, Zl. Fr 3570/97, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 20. August 1997 wurde gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in der Bundesrepublik Jugoslawien gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei.

Dies begründete die belangte Behörde zusammenfassend damit, dass die von dem - am 27. Jänner 1992 nach Österreich eingereisten - Beschwerdeführer geltend gemachte "Einziehung bzw. bevorstehende Bestrafung wegen Desertion und Refraktion" keine Verfolgung iSd § 37 Abs. 1 oder 2 FrG darstelle. Soweit Vorgänge betreffend den Bruder des Beschwerdeführers geschildert worden seien, resultiere daraus keine gegen den Beschwerdeführer "gerichtete Verfolgungsgefahr"; außerdem entbehrten die entsprechenden Behauptungen "jeglicher Glaubwürdigkeit". Auch der allgemeine Hinweis auf die Lage im Kosovo und der Hinweis auf die "Rückkehrerproblematik" könnten grundsätzlich nicht als maßgeblich iSd § 37 Abs. 1 oder 2 FrG qualifiziert werden.

Der in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld vertretenen Ansicht, es sei noch kein Ausweisungsverfahren eingeleitet worden, sodass nicht in der Sache selbst zu entscheiden, sondern das Verfahren (nach § 54 FrG) bis zur Einleitung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung zu unterbrechen gewesen wäre, entgegnete die belangte Behörde wie folgt: Für eine amtswegige Einleitung gelte, dass diese auch bloß in interner Form, etwa durch Aufnahme eines Aktenvermerkes oder durch ein an eine andere Behörde gerichtetes Ersuchen um Beweisaufnahme oder um Aktenübersendung geschehen könne. "Dies" könne dem vorliegenden Akt eindeutig entnommen werden, weshalb die Grundlage für die Erlassung eines Bescheides über die Zulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat gegeben gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes bzw. Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift absah, legte lediglich den erstinstanzlichen Verwaltungsakt vor und beantragte für den Fall der Abweisung der Beschwerde Kostenersatz.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer beharrt zunächst darauf, dass die belangte Behörde über den Antrag nach § 54 FrG noch gar nicht hätte entscheiden dürfen. Sie hätte vielmehr, wie bereits in der Berufung beantragt, das Verfahren bis zur Einleitung eines Ausweisungsverfahrens unterbrechen müssen. Wenn sie dem gegenüber ausführe, es könne dem vorliegenden Akt eindeutig entnommen werden, dass amtswegig bereits "Einleitungen" zur Durchführung der Ausweisung vorgenommen worden seien, so sei das unrichtig. Insoweit liege lediglich eine Scheinbegründung vor, weil nicht einmal ausgeführt werde, welche Aktenstücke tatsächlich darauf hinwiesen, dass die Behörde eine Ausweisung eingeleitet habe. Im Übrigen könne etwa bei Aufnahme eines Aktenvermerkes allein noch nicht von einem Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung gesprochen werden, weil sich aus § 54 Abs. 2 letzter Halbsatz FrG ergebe, dass zumindest der Fremde rechtzeitig über diese Ausweisung (gemeint: das Ausweisungsverfahren) in Kenntnis zu setzen sei.

Nach § 54 Abs. 1 FrG hat die Behörde auf Antrag eines Fremden mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dieser Fremde in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht ist. Zufolge des § 54 Abs. 2 leg. cit. kann der Antrag nur während des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes eingebracht werden; hierüber ist der Fremde rechtzeitig in Kenntnis zu setzen.

Nach dem klaren Wortlaut des § 54 Abs. 2 FrG ist demnach ein auf § 54 Abs. 1 leg. cit. gestützter Antrag vom Zeitpunkt der Einleitung eines Ausweisungsverfahrens - ein Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes steht gegenständlich nicht zur Debatte - bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss zulässig. Für die amtswegige Einleitung eines Ausweisungsverfahrens ist weder im Fremdengesetz noch im AVG ein bestimmter Verfahrensakt vorgeschrieben (vgl. das - den gleich zu behandelnden Fall eines Aufenthaltsverbotsverfahrens betreffende - hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1998, Zl. 95/21/0981). Der belangten Behörde ist daher insoweit zuzustimmen, als diese Einleitung auch bloß in interner Form erfolgen kann (vgl. Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7, Rz 261). Aus § 54 Abs. 2 zweiter Halbsatz FrG lässt sich entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nichts Gegenteiliges erschließen; die genannte Vorschrift sagt nichts darüber aus, dass das dort angeordnete "In-Kenntnis-Setzen" schon bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens zu erfolgen habe, sie will vielmehr bloß sicherstellen, dass der Fremde rechtzeitig, das heißt vor rechtskräftigem Abschluss des Ausweisungsverfahrens, von der Möglichkeit einer Antragstellung nach § 54 Abs. 1 FrG informiert wird.

Im gegenständlichen Fall enthält der vorgelegte Verwaltungsakt kein Indiz dafür, dass gegen den Beschwerdeführer vor Einlangen seines Antrags nach § 54 FrG bei der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld am 21. März 1997 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet worden wäre, zumal der Beschwerdeführer nach der Aktenlage über eine bis 22. März 1997 befristete Aufenthaltsbewilligung verfügte. Bei Einlangen des Antrags nach § 54 Abs. 1 FrG war dieser sohin unzulässig. Das wäre allerdings im Hinblick darauf, dass ein bereits eingebrachter und - wie hier - mangels Zurückweisung zunächst noch offener Antrag gemäß § 54 Abs. 1 FrG im Fall der darauf folgenden Einleitung eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung als zulässig zu werten ist (vgl. das zuvor genannte hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1998), dann nicht entscheidungswesentlich, wenn bis zur Entscheidung über den Antrag ein derartiges Verfahren nachträglich eingeleitet worden sein sollte. Das ist hier der Fall:

Dem Antrag des Beschwerdeführers nachfolgend findet sich im Akt eine mit ihm aufgenommene Niederschrift der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld vom 6. Mai 1997. Sie hat - soweit hier wesentlich - folgenden Inhalt:

"Gegenstand der Amtshandlung

Aufenthalt in Österreich - Ausweisung - Parteiengehör Herrn S. (= Beschwerdeführer) wird zur Kenntnis gebracht, dass

der Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung voraussichtlich negativ entschieden wird. Es wird ihm nahe gelegt, dass er selbst Österreich verlässt.

Herr S. hat alles verstanden und nichts mehr zuzufügen."

     Der daraufhin ergangene erstinstanzliche Bescheid der

Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld enthält folgende Passage:

     "Sie haben weiters nicht zeitgerecht um Verlängerung der

Aufenthaltsbewilligung bei der zuständigen Behörde angesucht und halten sich demnach seit dem 22.03.1997 unrechtmäßig im Bundesgebiet der Republik Österreich auf.

Weiters besteht keine Aussicht auf eine Arbeitserlaubnis. Es ist daher beabsichtigt, fremdenpolizeiliche Maßnahmen zu setzen (Ausweisung)."

Ausgehend von den genannten Aktenstücken - nur auf sie kann sich die in der Sachverhaltsdarstellung wiedergegebene Begründung im bekämpften Bescheid beziehen - vermag der Verwaltungsgerichtshof der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht, es sei gegen den Beschwerdeführer bereits ein Ausweisungsverfahren eingeleitet worden, nicht entgegen zu treten. Insbesonders die Verwendung des Wortes "Ausweisung" in der Niederschrift vom 6. Mai 1997 unter der Rubrik "Gegenstand der Amtshandlung" lässt keine andere Schlussfolgerung zu. (Zu einem vergleichbaren Fall siehe etwa das hg. Erkenntnis vom 9. März 1995, Zl. 93/18/0600.)

Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich nicht, dass das Ausweisungsverfahren mittlerweile abgeschlossen worden wäre. Im Hinblick darauf kann ungeachtet dessen, dass dem Beschwerdeführer nach Art. I § 2 der Verordnung der Bundesregierung, mit der das Aufenthaltsrecht kriegsvertriebener Kosovo-Albaner geregelt und die Niederlassungsverordnung 1999 geändert wird, BGBl. II Nr. 133/1999, zwischenzeitig offenkundig ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht zugekommen ist, nicht gesagt werden, es stünde ihm keine Abschiebung mehr bevor. Die in der Berichterverfügung vom 20. Dezember 1999 vorläufig vertretene Auffassung, der angefochtene Bescheid habe bei Vorliegen der Voraussetzungen für das eben genannte vorübergehende Aufenthaltsrecht seine Rechtswirkungen verloren und die Beschwerde sei in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG für gegenstandslos zu erklären und das Verfahren einzustellen, wird daher nicht aufrecht erhalten. Über die Beschwerde ist vielmehr meritorisch zu entscheiden.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 leg. cit. die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 1. Juli 1999, Zl. 97/21/0804, mwN).

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer seinen Antrag nach § 54 FrG im Wesentlichen damit begründet, dass er sich im Jänner 1992 der Einberufung in die jugoslawische Armee durch Flucht nach Österreich entzogen habe. Seitdem lebe er bei seinem älteren Bruder I. S. und werde von ihm versorgt. Seine Familie habe ihn immer wieder über gelegentliche Nachforschungen der Polizei zu seinem Aufenthaltsort informiert, 1996 seien diese Nachforschungen in einen "richtigen Terror" gegen seine Familie ausgeartet. So sei der Bruder N. im Frühjahr 1996 frühmorgens aus dem Bett geholt und festgenommen worden, weil eine anonyme Anzeige vorgelegen habe, er (der Beschwerdeführer) wäre nach Hause zurückgekehrt. Der Bruder sei zwei Tage im Gefängnis von Pristina festgehalten und schwer misshandelt worden. Als man ihn wieder nach Hause geschickt habe, weil er über den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers nichts habe sagen können, habe er barfuß gehen müssen, weil ihm seine Verwundungen an den Füßen das Anziehen von Schuhen unmöglich gemacht hätten. Im September 1996 und im Februar 1997 sei der Bruder wieder für ca. eine Woche bzw. zwei Tage festgenommen worden. In einem Fall sei er wieder "mit vielen Wunden" nach Hause zurückgekehrt, weil man von ihm den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers habe erfahren wollen, im anderen Fall sei auch der alte Vater von der Polizei mitgenommen und (erst) nach ca. sechs Stunden Haft wieder freigelassen worden. Aus diesen Informationen müsse er, der Beschwerdeführer, schließen, dass ihn die serbische Polizei nach wie vor suche und dass ihm bei der Rückkehr Verhaftung und unmenschliche Behandlung drohten. Der - im Einzelnen näher geschilderte - Fall eines Verwandten, der nach Rückkehr aus Österreich an der ungarisch-serbischen Grenze sofort festgenommen worden sei und über dessen Verbleib bislang nichts habe erfahren werden können, zeige die Berechtigung dieser Befürchtung. Daran ändere auch das im Juni 1996 erlassene Amnestiegesetz nichts, weil es auf die albanisch-stämmigen Deserteure und Refrakteure nicht angewendet werde.

In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld hat der Beschwerdeführer dieses Vorbringen wiederholt und zum Beweis desselben die Einvernahme seines Bruders I. S. beantragt.

Die belangte Behörde erachtete diese Angaben des Beschwerdeführers zunächst mit der Begründung für irrelevant, dass sie "bloße Behauptungen" darstellten, die durch keinerlei Bescheinigungsmittel untermauert seien. Diese "bloßen Behauptungen" reichten für die stichhaltige Glaubhaftmachung einer Verfolgung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG nicht aus, insofern sei der Beschwerdeführer der geforderten Objektivierungspflicht nicht nachgekommen und erscheine eine Anwendung des § 37 FrG zu seinen Gunsten schon allein aus dieser Sicht nicht möglich.

Diese Argumentation ist in zweifacher Hinsicht verfehlt. Zum Einen gibt es keine Grundlage dafür, "bloßen Behauptungen" schon abstrakt die Tauglichkeit für die Dartuung einer Bedrohungssituation im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder 2 FrG abzusprechen. Wenn das Gesetz "stichhaltige Gründe" fordert, so soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, nicht genügt, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 37 FrG als unzulässig erscheinen zu lassen; es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. dazu etwa das zuvor genannte hg. Erkenntnis vom 1. Juli 1999). In diesem Sinn ist die Wortfolge "stichhaltige Gründe für die Annahme" in § 37 Abs. 1 und 2 FrG zu verstehen. Das Fehlen von Bescheinigungsmitteln tangiert also nicht die Relevanz eines Vorbringens an sich, es ist allein für die Frage der Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens von Bedeutung. Demgemäß hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die auch von ihm - in Bezug auf die behördliche Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Vorbringens - geforderte Bescheinigung von Angaben im Verfahren nach § 54 FrG (siehe oben) naturgemäß nur dann verlangt werden kann, wenn eine solche nach Lage der Dinge realistisch in Betracht kommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 12. April 1999, Zl. 97/21/0321).

Zum Anderen übersieht die belangte Behörde, dass der Beschwerdeführer in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid zum Beweis seines Vorbringens seinen (in Österreich wohnhaften) Bruder I.S. als Zeugen namhaft gemacht hat. Von daher hat die Ansicht der belangten Behörde aber auch sachverhaltsmäßig keine Grundlage.

Wie die Beschwerde richtig aufzeigt, hat die belangte Behörde dem eben erwähnten Beweisantrag des Beschwerdeführers nicht Rechnung getragen. Das wäre indes nur dann gerechtfertigt gewesen, wenn sie sein Vorbringen als glaubhaft unterstellt hätte, wenn es auf dieses Vorbringen nicht angekommen wäre oder wenn das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - als untauglich hätte angesehen werden müssen (vgl. die bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, zu § 45 AVG sub E 28a. ff zitierte hg. Judikatur). Demgegenüber gelangte die belangte Behörde beweiswürdigend zum Ergebnis, dass dem oben dargestellten Vorbringen des Beschwerdeführers insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen sei. Entgegen ihrer Ansicht, wonach dieses Vorbringen nur Übergriffe gegen dritte Personen zum Gegenstand habe, ist es aber auch sehr wohl geeignet, eine individuelle Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer (zumindest) im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG darzutun. Zwar trifft es zu, dass aus Maßnahmen, die sich gegen einen Angehörigen richten, für sich allein nicht auf die Verfolgung eines bestimmten anderen Familienmitgliedes geschlossen werden kann. Das gilt jedoch nur, wenn mit diesen Maßnahmen auch tatsächlich der betreffende Angehörige selbst getroffen werden soll und nicht in Wahrheit das andere Familienmitglied (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 10. Juni 1999, Zl. 97/21/0170). Genau das aber ist hier, den Angaben des Beschwerdeführers folgend, der Fall, erfolgte die Festnahme und Misshandlung seines Bruders doch ausschließlich deshalb, um seinen Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen. Dass der Beschwerdeführer im Hinblick darauf für den Fall seiner Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien gleichfalls Misshandlungen seitens der serbischen Sicherheitsorgane konkret zu befürchten hätte, versteht sich von selbst. Vor diesem Hintergrund ist auch die an anderer Stelle des bekämpften Bescheides vertretene Auffassung der belangten Behörde, strafrechtliche Verfolgung von Wehrdienstverweigerung unterfalle weder § 37 Abs. 1 FrG noch § 37 Abs. 2 leg. cit., im gegebenen Zusammenhang verfehlt. Gehen mit einer derartigen strafrechtlichen Verfolgung nämlich Folter oder Misshandlungen einher, so kann kein Zweifel daran bestehen, dass dann eine unmenschliche Behandlung im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG vorläge (vgl. abermals das zuvor genannte hg. Erkenntnis vom 10. Juni 1999).

Schließlich kann der beantragten Einvernahme des Zeugen I. S. nicht schlechthin die Tauglichkeit abgesprochen werden, das erwähnte Vorbringen des Beschwerdeführers unter Beweis zu stellen.

Der angefochtene Bescheid war nach dem Gesagten wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 1. August 2000

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweislast Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1997210845.X00

Im RIS seit

24.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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