TE Vwgh Erkenntnis 2000/8/1 96/21/0453

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Veröffentlicht am 01.08.2000
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des am 27. November 1973 geborenen GM in 4020 Linz,

Ramsauerstraße 62/2/10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 9. April 1996, Zl. St 23/96, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes aus 1992, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die vorliegende Beschwerde ist gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 9. April 1996 gerichtet, mit dem auf Grund des Antrags des Beschwerdeführers, eines albanischen Staatsbürgers, vom 29. September 1995 auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Albanien gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt wurde, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass er in Albanien gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

Der angefochtene Bescheid wurde im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Beschwerdeführer habe in einer niederschriftlichen Einvernahme am 21. September 1995 angegeben, dass er in Albanien Angst vor der Blutrache hätte. Am 4. August 1995 wäre sein Vater wegen Blutrache erschossen worden. Die Polizei hätte Ermittlungen getätigt und auch eine Person festgenommen, die vier bis fünf Tage arrestiert worden wäre. Diese Person hätte die Tat aber nicht zugegeben, auch die Tatwaffe wäre nicht gefunden worden. Nach ihrer Freilassung wäre die Familie des Beschwerdeführers neuerlich mit der Ausrottung bedroht worden. Mit den Behörden seines Heimatlandes hätte der Beschwerdeführer nie Probleme gehabt.

Der Beschwerdeführer habe in einem Schreiben vom 8. Oktober 1995 mitgeteilt, dass ihn sein Heimatstaat vor der ihm drohenden Blutrache nicht schützen könnte. Auch von Seiten des Staates hätte er mit einer unmenschlichen Behandlung zu rechnen, da er wegen unerlaubter Ausreise bereits von der Polizei gesucht würde. Er hätte in Albanien Todesangst, da in diesem Staat keine funktionierende Staatsgewalt bestünde. Der mutmaßliche Täter wäre zwar vorübergehend in Gewahrsam genommen worden, dabei hätte es sich jedoch nur um eine Scheinamtshandlung handeln können, weil der "nominierte Täter" - das Oberhaupt der "Blutrachefamilie" - nach Leugnung der Tat freigelassen und nichts mehr zum Schutz der Familie des Beschwerdeführers unternommen worden wäre.

Der Beschwerdeführer habe in Widerspruch zu seiner niederschriftlichen Angabe vor dem Bundesasylamt (dort hätte er angegeben, dass sein Vater erschossen worden wäre) nunmehr angegeben, dass sein Leben bzw. das Leben seines Vaters gefährdet wäre. Sein Vater würde sich nicht mehr auf die Straße trauen. Auch wäre die Polizei kurz nach der Flucht des Beschwerdeführers in sein Haus gekommen und hätte zu seinen Eltern gesagt, dass seine Flucht ungesetzlich gewesen wäre und er sich nach seiner Rückkehr sofort bei der Polizei zu melden hätte. Er hätte deswegen mit "politischem Gefängnis" zu rechnen. Auch wären bereits Blutracheakte in Gefängniszellen vorgefallen. Abschließend sei der Beschwerdeführer auf den Fall "Fatos Nano" eingegangen.

Die belangte Behörde führte weiter aus, Angaben könnten im Allgemeinen nicht als glaubwürdig angesehen werden, wenn der Berufungswerber im Verlauf des Verfahrens Tatsachen unterschiedlich oder widersprüchlich darstelle und wenn seine Angaben mit der Erfahrung entsprechender Geschehnisabläufe nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erschienen und wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät (vor allem erst nach anwaltlicher Vertretung) im Verlauf des Verfahrens vorbringe. Die erkennende Behörde könne einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen, wenn der Berufungswerber während des Verfahrens vor den verschiedenen Instanzen im Wesentlichen gleich bleibende Angaben mache und wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erschienen.

Die Angaben des Beschwerdeführers entbehrten insofern einer gewissen Glaubwürdigkeit, als er in seiner ersten Niederschrift angegeben habe, sein Vater sei wegen Blutrache erschossen worden. In seinem Schreiben vom 8. Oktober 1995 habe er dann angegeben, dass sein Vater nach Schüssen auf ihn aus Angst nicht mehr auf die Straße ginge.

Aber selbst wenn die Angaben des Beschwerdeführers bezüglich der Blutrache der Richtigkeit entsprächen, so gehe diese Gefährdung nicht vom Staat aus und stellte somit keine Gefährdung/Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG dar. Dass die Ordnungsmacht im Heimatstaat des Beschwerdeführers sehr wohl willens und fähig sei, gegen derartige Verbrechen vorzugehen, habe er selbst durch seine Angaben dokumentiert, indem er angegeben habe, dass auch entsprechende Ermittlungen durchgeführt und ein mutmaßlicher Täter verhaftet worden wäre. Dieser habe offensichtlich mangels Beweises wiederum freigelassen werden müssen. Aus diesen Ausführungen sei zu ersehen, dass es im Heimatstaat des Beschwerdeführers einen funktionierenden Sicherheitsapparat gebe. Staatlicher Schutz vor Verbrechen jeglicher Art könne jedoch niemals lückenlos sein.

Auch wäre es, wie bereits die Behörde erster Instanz ausgeführt habe, sicherlich legitim, wenn der Beschwerdeführer von der Polizei bezüglich seiner Flucht einer Befragung unterzogen würde. Auch in Österreich habe der Beschwerdeführer mit einer behördlichen Reaktion zu rechnen, wenn er Österreich in einem LKW versteckt, also unter Umgehung der Grenzkontrolle, verlassen würde.

Auch habe das Bundesministerium für Inneres mit Bescheid vom 19. Oktober 1995, mit dem der Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen worden sei, rechtskräftig festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zukomme und dass er in seinem Heimatstaat vor Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention sicher sei. Der Begriff des Flüchtlings decke sich mit den Verfolgungsgründen nach § 37 Abs. 2 FrG; es könne daher davon ausgegangen werden, dass diese Verfolgungsgründe nicht vorlägen, weil der Beschwerdeführer im darauf folgenden fremdenpolizeilichen Verfahren keine neuen Tatsachen vorgebracht habe und was die Fluchtgründe anlange, auf sein Vorbringen im Asylverfahren verwiesen bzw. diese wiederholt habe.

In der Beschwerde werden inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt durch jene nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen und von der Behörde das Vorliegen konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 leg. cit. die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 1999, Zl. 95/21/0398, m.w.N.).

Auch eine drohende Tötung wegen Blutrache kann sohin eine Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG darstellen, wenn der Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, sie vom Betroffenen abzuwenden.

Die belangte Behörde hat den Angaben des Beschwerdeführers insgesamt die Glaubwürdigkeit mit der Begründung abgesprochen, dass er zunächst bei seiner Ersteinvernahme vor dem Bundesasylamt angegeben habe, sein Vater wäre wegen Blutrache erschossen worden, hingegen in einem späteren Schreiben ausgeführt habe, dass sein Vater nach Schüssen auf ihn aus Angst nicht mehr auf die Straße ginge.

Diese Feststellung entspricht nicht der Aktenlage. Aus der Niederschrift über die Ersteinvernahme des Beschwerdeführers im Asylverfahren vom 21. September 1995 ist nämlich die Erklärung des dabei tätigen Dolmetschers enthalten, dass er das Wort "erschossen" mit dem Wort "angeschossen" verwechselt und sich insofern beim Übersetzen geirrt habe. Der Beschwerdeführer habe angegeben, dass sein Vater angeschossen worden wäre und sich derzeit im Krankenstand befände. Der von der belangten Behörde angenommene Widerspruch im Vorbringen des Beschwerdeführers liegt sohin nicht vor, weshalb die von der belangten Behörde daraus gezogene Schlussfolgerung auf die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers unzulässig ist.

Soweit die belangte Behörde meint, auch im Fall des Zutreffens der Angaben des Beschwerdeführers bezüglich der ihm drohenden Blutrache sei sein Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Albanien abzuweisen und die Abschiebung zulässig, hält der angefochtene Bescheid einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht stand. Soweit die belangte Behörde nämlich insofern ausgehend vom Vorbringen des Beschwerdeführers, ein mutmaßlicher, des Schusswaffenanschlags auf seinen Vater verdächtiger Täter sei von der Polizei vier bis fünf Tage festgehalten, dann jedoch wieder freigelassen worden, meint, dies erweise, dass es im Heimatstaat des Beschwerdeführers einen funktionierenden Sicherheitsapparat gebe, hat sie den angefochtenen Bescheid entgegen § 58 Abs. 2 und § 60 AVG nicht ausreichend begründet. Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung vom 12. Jänner 1996 auch vorgebracht, dass seine Familie und er selbst seit längerer Zeit in Albanien verdächtigt würden, Verbindungen zum früheren kommunistischen Regime zu haben und diesem Regime wieder an die Macht verhelfen zu wollen. Diese Verdächtigungen würden damit begründet, dass ein Onkel des Beschwerdeführers Angestellter der kommunistischen Partei gewesen sei. Bereits vor drei Jahren sei ein Vertreter der regionalen Polizeibehörde wiederholt in die Wohnung des Beschwerdeführers gekommen, um ihn und seine Familie mit diesen Vorwürfen zu konfrontieren und zu verhören. Außerdem stünden er und seine Familie unter ständiger Bewachung und hätten mit diversen Schwierigkeiten seitens der Behörden zu kämpfen. Dem Beschwerdeführer sei auch vorgeworfen worden, mehrere Reisen ins ehemalige Jugoslawien nur zwecks Kontaktaufnahme mit den Kommunisten unternommen zu haben. Nach den Wahlen vor etwa drei Jahren sei die Familie einige Zeit in Ruhe gelassen worden, da sie Salih Berisha gewählt habe. Danach hätten die Repressalien und Verhöre erneut begonnen. Der Vater des Beschwerdeführers und er selbst seien mehrmals auf dem Polizeirevier festgehalten und gegen Bezahlung von jeweils US-$ 50,-- wieder freigelassen worden, wobei sie niemals eine Quittung über die Bezahlung dieser Beträge erhalten hätten. Nach dem geschilderten Vorfall der Blutrache sei dem Beschwerdeführer auf dem Polizeirevier mitgeteilt worden, dass seine Familie als vermutliche Kommunisten nicht mit der Hilfe der Polizei zu rechnen hätte. Dies erweise - insbesondere angesichts der Tatsache, dass viele Polizisten im demokratischen Albanien ehemalige politische Gefangene des kommunistischen Regimes seien -, dass die Familie des Beschwerdeführers in Albanien weiterhin Repressalien ausgesetzt sei.

Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht auseinander gesetzt. Unter der von ihr getroffenen Annahme einer Bedrohung des Beschwerdeführers und seiner Familie durch von Blutrache motivierte Anschläge hätte sie jedoch im Fall des Zutreffens seiner Behauptung, die Polizei hätte ihm mitgeteilt, er und seine Familie hätten als vermutliche Kommunisten nicht mit der Hilfe der Polizei gegen eine solche Bedrohung zu rechnen, zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigen Bescheid gelangen können.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 1. August 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1996210453.X00

Im RIS seit

21.12.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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