Entscheidungsdatum
09.11.2017Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W191 2142348-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Diakonie-Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.10.2016, Zahl 1079287705-150912266, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.10.2017 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 wird XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 09.11.2018 erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
1. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben am 21.07.2015 irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein. Er wurde am folgenden Tag gemeinsam mit mehreren anderen Fremden im Zuge einer fremdenrechtlichen Kontrolle in 1110 Wien mangels eines gültigen Aufenthaltstitels aufgegriffen und vorläufig festgenommen. Er stellte einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).
Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass der BF am 30.06.2009 in Tayros (Griechenland) im Zuge der Stellung eines Asylantrages erkennungsdienstlich behandelt worden war.
1.2. In seiner Erstbefragung am 23.07.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Wien, Polizeianhaltezentrum (PAZ) Breitenfelder Gasse, gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari im Wesentlichen Folgendes an:
Er sei am XXXX in XXXX (später auch XXXX, XXXX XXXX), Distrikt Malestan, Provinz Ghazni, Afghanistan geboren und dort aufgewachsen. Er sei Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, schiitischer Moslem und ledig.
Seine Heimat habe er vor ca. 14 Jahren verlassen und dann zwei Jahre im Iran und drei Jahre in der Türkei gelebt. Dann habe er in Griechenland um Asyl angesucht und einen Landesverweis erhalten. Vor fünf oder sechs Tagen habe er Kreta verlassen und sei über Mazedonien, Serbien und Ungarn bis nach Österreich gereist.
Afghanistan hätte er damals aufgrund der unsicheren Lage verlassen. Außerdem sei er Hirte gewesen und die Schafe eines Kommandanten gehütet, mit dem Feindschaften entstanden seien.
1.3. Von 18.07. bis 21.07.2016 befand sich der BF wegen einer Blinddarmoperation stationär im Landeskrankenhaus Uniklinikum XXXX.
1.4. Bei seiner Einvernahme am 16.08.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), Regionaldirektion XXXX, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari und einer Vertrauensperson, bestätigte der BF die Richtigkeit seiner bisher gemachten Angaben.
Seine Eltern seien verstorben, zu seinen Geschwistern, die teilweise außer Landes seien, habe er keinen Kontakt. In seinem Heimatdorf seien die Taliban sehr präsent gewesen, der Dorfvertreter habe mit ihnen sympathisiert. Der BF habe als Schäfer gearbeitet (später im Iran als Handwerker in verschiedenen Sparten). Er könne nicht gut Lesen und Schreiben. Die Tazkira habe ihm sein Schwager nach Griechenland nachgesendet, da er dort einen Pass beantragen hätte wollen.
Befragt nach seinen Fluchtgründen gab der BF an (Auszug aus der Einvernahmeniederschrift, Schreibfehler teilweise korrigiert):
"[...]
VP [Verfahrenspartei]: Beginn der freien Erzählung:
Wir stritten um ein Grundstück mit der Person XXXX. Er war Mullah. Dieser schickte seine Leute zu uns, damit sie unsere Grundstücke wegschnappen können. Er sekkierte uns. Während dieser ständigen Streitereien wurde der Onkel mütterlicherseits von diesen Leuten getötet bei einem Streit. 4 Jahre nach diesem Mord wurde mein Vater, während er auf diesem Grundstück arbeitete, von Unbekannten angeschossen und starb (Jahr 1999). Ca. 2 Jahre später stellten mich die Leute des XXXX an den Pranger, weil ich Schäfer war. Die genauen Daten weiß ich nicht mehr. Sie beschuldigten mich später, dass ich eines ihrer Schafe gestohlen habe. Sie wollten mich von dort vertreiben und suchten einen Grund. Ich gab meinen Beruf als Schäfer auf und meine mittlerweile verstorbene Mutter sagte mir: ‚Besser du gehst weg von hier.' Damals waren die Taliban sehr präsent. Wir konnten uns gegen die Taliban nicht wehren. Ich bin Schiite, die Paschtunen sind Sunniten. Das war immer ein Problem. Die Taliban denken, dass die Schiiten ungläubig und Verräter sind. Dann reiste ich in den Iran.
Ende der freien Erzählung
LA [Leiterin der Amtshandlung]: Um welches Grundstück ging es bei dem Streit?
VP: Die Grundstücke meines Vaters. Ich war der älteste Bruder. Auch die anderen Brüder mussten das Land verlassen. Nachgefragt: Sie flüchteten aus demselben Grund wie ich.
LA: Warum wollte der Mullah das Grundstück?
VP: Weil er mächtig war. Nachgefragt: Der Mullah war ein Gauner, ein religiöser Typ. Hätte ich mich gegen ihn gewehrt, wäre ich getötet worden. Der Mullah sympathisierte mit den Taliban. Er konnte mich nicht direkt umbringen, und deshalb behauptete er die Sache mit dem gestohlenen Schaf.
LA: Hüteten Sie die Schafe des Mullah?
VP: Ich hütete die Schafe eines der Leute des Mullah vom Gebiet.
LA: War der Mullah Kommandant?
VP: Er war sozusagen ein Vorsitzender der Gruppe. Er war wohlhabend und gebildet und einflussreich.
LA: Hat der Tod Ihrer Mutter und Ihres Bruders etwas mit Ihrem Ausreisegrund zu tun?
VP: Nein. Der Bruder starb bei einem Unfall im Badezimmer.
[...]
LA: Wie lange waren Sie nach dem ersten Kontakt bzw. Drohung mit den Taliban noch in Afghanistan?
VP: 1999 starb der Vater. Ich wurde 2 Jahre lang bedroht. Vom Datum habe ich keine genaue Ahnung. Ich ging nie zur Schule.
LA: Wie lange vor Ihrer Ausreise hatten Sie den letzten Kontakt/Drohung?
VP: 3 Tage vorher. Ich suchte das Schaf, aber fand es nicht.
LA: Welche Befürchtungen haben Sie in Bezug auf eine mögliche Rückkehr nach Afghanistan?
VP: Dort ist keine Sicherheit. Die Regierung kann mir keine Sicherheit geben. Ich selbst habe dort auch keine Sicherheit. Wenn Sie mir schriftlich Sicherheit anbieten, gehe ich zurück. Wäre das Land sicher, wäre ich von Griechenland zurückgekehrt. Dies hätte mir viele Probleme erspart. Mir passt auch die Lebensform in Afghanistan nicht wegen der Drohungen von damals.
[...]
LA: Gab es in Afghanistan eine konkrete, gezielte Verfolgung Ihrer Person alleine aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit?
VP: Allgemein werden Hazaren unterdrückt. Damals wurde ich unterdrückt, weil ich Hazare war. Dies war die Taliban-Zeit, als die Taliban regierten.
LA: Gab es in Afghanistan jemals eine Verfolgung Ihrer Person aufgrund Ihrer Religionszugehörigkeit?
VP: Für die Taliban sind Schiiten Ungläubige. Alle Hazare sind Schiiten. [...]"
Der BF gab an, dass er außerhalb seiner Heimatregion keine Verwandten, Freunde oder Bekannten habe.
Der BF legte eine Tazkira (afghanisches Personaldokument), eine Reihe von Belegen zu seiner Integration in Österreich (Deutschkursbestätigungen, Bestätigungen und Auszeichnungen bezüglich gemeinnütziger Tätigkeiten, ärztliche Bestätigungen) sowie Schriftstücke aus Griechenland vor.
Dem BF wurde landeskundliche Feststellungen zum Staat Afghanistan ausgehändigt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu eine schriftliche Stellungnahme abzugeben, worauf er verzichtete.
1.5. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 21.10.2016 den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 22.07.2015 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 2 Wochen [richtig: 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, der BF habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.
Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.
Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse - im Gegensatz zu seinem Fluchtvorbringen - glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.
Seine Fluchtgeschichte sei teilweise widersprüchlich gewesen und nicht mehr aktuell.
Subsidiärer Schutz wurde ihm nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes nicht gegeben sei.
Eine Rückkehr in die Herkunftsprovinz Ghazni sei aufgrund der dort herrschenden instabilen Lage "unzumutbar", ihm sei jedoch eine innerstaatliche "Lebens- und Wohnalternative" in der Hauptstadt Kabul zumutbar. Wie eine namentlich genannte Mitarbeiterin des UNHCR im Juni 2016 beim BVwG festgestellt hätte, sei eine Rückkehr kinderloser Ehepaare sowie alleinstehender Männer nach Kabul "ohne weiteres" zu vertreten und möglich.
1.6. Gegen diesen Bescheid brachte der BF mit Schreiben seines zur Vertretung bevollmächtigen Rechtsberaters fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.
In der Beschwerdebegründung wurden - neben weitwendigen Rechtsausführungen zu Themen, die nicht Gegenstand dieses Verfahren sind (Rechtsmittelfrist gemäß § 16 Abs. 1 BFA-VG) - ausgeführt, dass das Verfahren mangelhaft geführt worden sei. So hätte es die belangte Behörde im Hinblick auf die Aussagen des BF unterlassen, ein psychiatrisches Gutachten einzuholen um festzustellen, ob eine Suizidgefährdung bei ihm bestehe. Weiters sei nicht beachtet worden, dass die nach den Erzählungen des BF die Problematik einer "blutigen Fehde" vorliege. Es liege der Konventionsgrund der Verfolgung wegen Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe "Familie" vor.
Eine "Rückkehr" nach Kabul sei dem BF, der vor etwa "13" Jahren aus Afghanistan geflüchtet sei, mangels sozialer Kontakte und Kenntnisse über die Gegebenheiten des Landes nicht zumutbar; es bestehe eine reale Gefahr für Leib und Leben.
1.7. Mit Schreiben vom 09.12.2016, beim BVwG eingegangen am 16.12.2017, legte das BFA den Verwaltungsakt samt Beschwerde mit Anmerkungen zum Beschwerdevorbringen (so zur behaupteten Suizidgefahr, die einer realen Grundlage entbehre, u.a.m.) vor.
1.8. Das BVwG lud die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Verhandlung. In Reaktion darauf teilte der BF mit Schreiben seines Vertreters mit, dass seine Aussage in der Beschwerde, er sei Augenzeuge gewesen, als sein Vater erschossen worden wäre, nicht zutreffe. Es habe sich dabei zum einen Übersetzungsfehler gehandelt. Der BF hätte zu diesem Zeitpunkt Schafe gehütet.
Der BF legte weitere Integrationsbelege vor.
1.9. Das BVwG führte am 23.10.2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der der BF persönlich in Begleitung seines zur Vertretung bevollmächtigten Rechtsberaters erschien. Die belangte Behörde entschuldigte ihr Fernbleiben.
Dabei gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):
" [...] RI: Was ist Ihre Muttersprache?
BF: Dari. Ich spreche darüber hinaus Farsi, Türkisch, Griechisch und etwas Deutsch.
RI an D: In welcher Sprache übersetzen Sie für den BF?
D: Dari.
RI befragt BF, ob er D gut verstehe; dies wird bejaht.
Zur heutigen Situation:
RI: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?
BF: Ja.
RI: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?
BF: Nein.
[...]
Der BF hat keinen Reisepass vorgelegt und legt auch heute keinen vor.
BF: Ich habe mir, wie ich schon in der Erstbefragung angegeben hatte, eine Faxkopie meiner Tazkira von meinem Schwager von Afghanistan nach Griechenland schicken lassen. Ich verfügte, als ich nach Österreich kam, noch über eine Kopie meiner Tazkira. Diese habe ich im Zuge meines Verfahrens, ich glaube bei der Erstbefragung, vorgelegt (Anmerkung: die Kopie der Tazkira befindet sich auf Seite 277 im Akt).
Der BF hat bisher mehrere Bescheinigungsmittel zu seiner Integration in Österreich vorgelegt und legt nunmehr weitere Belege im Original vor, die in Kopie zum Akt genommen werden (Deutschkursbestätigungen, Bestätigungen über gemeinnützige Tätigkeiten, Bestätigungen über Qualifikationserwerbe und Bestätigungen über die Teilnahme an diversen Kursen).
BFV [Vertreter des BF]: Diese Belege wurden mit einem kurzen Begleitschreiben am Freitag, 20.10.2017, dem BVwG übermittelt.
[...]
Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen
Lebensumständen:
RI: Sind die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zu Ihrem Namen und Geburtsdatum sowie zu Ihrer Staatsangehörigkeit korrekt?
BF: Ich bin mir nicht sicher, ob mein Geburtsdatum mit meiner Tazkira übereinstimmt.
RI ersucht D, die wesentlichen Inhalte der Tazkira zu übersetzen.
D: Laut Tazkira hat der diese erstellende Beamte das Alter des BF im Jahr 1388 (umgerechnet 2009) auf 21 Jahre geschätzt. Ausstellungsdatum XXXX in der Provinz Ghazni, Distrikt Malestan, im Dorf XXXX XXXX. Staatsangehörigkeit Afghanisch, Religion Islam.
RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an?
BF: Ich bin Hazara.
RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?
BF: Ich bin schiitischer Moslem.
RI: Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?
BF: Ich bin ledig.
[...]
RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?
BF: Nein.
RI: Womit haben Sie sich in Ihrem Herkunftsstaat Ihren Lebensunterhalt verdient bzw. wer ist für Ihren Lebensunterhalt aufgekommen?
BF: Ich habe als Schafhirte gearbeitet.
RI: Wann haben Sie Ihren Herkunftsstaat zuletzt genau verlassen?
BF: Ich glaube, ich habe Afghanistan vor ca. 13, 14 Jahren verlassen.
Zur derzeitigen Situation in Österreich:
RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?
BF: Nein.
RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.
RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?
BF: Ich habe die Fragen zumeist verstanden, spreche aber nicht so gut.
RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen großteils verstanden und auf Deutsch gebrochen, aber vollständig und kohärent beantwortet hat.
RI: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?
BF: Ja.
RI: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?
BF: Ich habe diverse gemeinnützige Tätigkeiten ausgeübt sowie Qualifikationen erworben (Gastronomiehilfskraft), wobei mich der Dienstgeber weiterbeschäftigen möchte.
RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?
BF: Ich gehe jeden Tag in der Früh ca. eine halbe bis eineinhalb Stunden Laufen und habe auch schon einen Preis bei einem Volkslauf gewonnen.
Anmerkung: BF zeigt seinen Preis für den 3. Platz beim Rupertilauf 2016 in Seekirchen.
RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?
BF: Nein.
RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?
BF: Nein. Zuletzt hatte ich telefonischen Kontakt mit meiner jüngsten Schwester von Griechenland aus, aber die Taliban müssen den Telefonmast zerstört haben, da ich sie nicht mehr erreichen kann. Die Tazkira hatte mir damals der Ehemann meiner älteren Schwester aus meinem Heimatdorf geschickt.
Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:
RI: Sie wurden bereits im Verfahren vor dem Bundesasylamt zu den Gründen, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe), einvernommen. Die diesbezüglichen Niederschriften liegen im Akt ein.
Sind Ihnen diese Angaben noch erinnerlich und, wenn ja, halten Sie diese Angaben vollinhaltlich und unverändert aufrecht, oder wollen Sie zu Ihren Fluchtgründen noch etwas ergänzen oder berichtigen, das Ihnen wichtig erscheint? Sie haben dafür nun ausreichend Zeit und auch die Gelegenheit, allfällige Beweismittel vorzulegen.
BF: Ja, ich habe richtige Angaben gemacht. Ergänzend möchte ich vorbringen: Als das Schaf verschwunden ist und nicht mehr gefunden werden konnte, kamen am dritten Tag Leute von diesem Mann und verlangten von mir, dass ich das Schaf finden soll. Ich erklärte ihnen, dass ich lange gesucht habe und es nicht finden kann. Daraufhin haben sie mich mit einem Holz am Arm geschlagen, sodass ich einen Bruch erlitten habe. Zu Hause hat meine Mutter meinen Arm mit ihrem Kopftuch verbunden. Ich habe noch in der Nacht das Haus verlassen.
RI: Warum haben Sie das Haus verlassen?
BF: Ich hatte Angst, so wie mein Vater und mein Onkel getötet zu werden. Auch meine Mutter hat sich gefürchtet. Es ist wirklich schwer, in Afghanistan zu leben. Wenn der Staat funktionieren würde und uns unterstützen könnte, könnte man eventuell dort leben.
RI: Der Mullah und dessen Leute, die Sie bedroht haben, waren das schiitische Hazara?
BF: Ja.
RI: Waren Sie einmal in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat aufhältig?
BF: Nein, überhaupt nicht. Ich war in Jaghori, aber nicht in anderen Provinzen.
RI: Haben Sie dort Verwandte oder Bekannte?
BF: Nein. Ob sich mittlerweile dort jemand angesiedelt hat, weiß ich nicht. Vorher war niemand dort aufhältig.
Der RI bringt [...] in das gegenständliche Verfahren ein.
Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte. Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.
Der RI folgt BFV eine Kopie dieser Erkenntnisquellen aus und gibt ihm die Möglichkeit, in diese herkunftsstaatsbezogenen Berichte Einsicht zu nehmen sowie zu den vom RI dargelegten Feststellungen sowie zu den bisherigen Angaben des BF eine Stellungnahme abzugeben oder diesem Fragen zu stellen.
Seitens des BFV erfolgt keine Stellungnahme.
RI gibt BFV die Möglichkeit, zu den bisherigen Angaben der Parteien eine mündliche Stellungnahme abzugeben oder Fragen zu stellen.
RI befragt BF, ob er noch etwas Ergänzendes vorbringen will; dies wird verneint.
RI befragt BF, ob er D gut verstanden habe; dies wird bejaht. [...]"
Das erkennende Gericht brachte weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.).
Das BFA beantragte schriftlich die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde. Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt.
2. Beweisaufnahme:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 23.07.2015 und der Einvernahme vor dem BFA am 16.08.2016, vom BF vorgelegte Schriftstücke (Tazkira, Belege zur Integration in Österreich, ärztliche Bestätigungen und Schriftstücke aus Griechenland) sowie die Beschwerde vom 07.11.2016
* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (Aktenseiten 123 bis 179 des Verwaltungsaktes)
* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 23.10.2017 sowie Einsichtnahme in folgende im Verfahren vorgelegte Belege zur Integration des BF:
? Deutschkursbestätigungen
? Bestätigungen über gemeinnützige Tätigkeiten
? Bestätigungen über Qualifikationserwerbe und
? Bestätigungen über die Teilnahme an diversen Kursen
* Einsichtnahme in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom BVwG zusätzlich in das Verfahren eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:
o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat sowie in der Provinz Ghazni (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, zuletzt aktualisiert am 25.09.2017)
o Zusammenfassung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom April 2016 und Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern vom Dezember 2016
o Artikel in Asylmagazin 3/2017 "Überleben in Afghanistan? Zur humanitären Lage von Rückkehrenden und ihren Chancen auf familiäre Unterstützung" von Friederike Stahlmann sowie ein Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) vom 12.04.2017, "Notiz Afghanistan, Alltag in Kabul", festgehalten von der Schweizer Migrationsbehörde vom 20.06.2017
Der BF hat im Verfahren keinerlei Beweismittel oder sonstige Belege für sein Fluchtvorbringen vorgelegt.
3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):
Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:
3.1. Der BF führt den Namen XXXX, geboren am XXXX, ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari.
3.1.2. Lebensumstände:
Der BF lebte bis vor ca. 14 Jahren mit seiner Familie in einem namentlich genannten Dorf im Distrikt Malestan, Provinz Ghazni, Afghanistan. Sein Vater war als Landwirt tätig und starb ca. 1999, seine Mutter etwas später. Der BF hat mehrere Geschwister, hat nie die Schule besucht und war in Afghanistan als Schäfer und später im Ausland als Handwerker in verschiedenen Sparten tätig.
Aufgrund angegebener Schwierigkeiten verließ der BF ca. 2003 Afghanistan und lebte dann zwei Jahre im Iran und drei Jahre in der Türkei. Von 2008 bis 2015 hielt sich der BF in Griechenland auf, wo er um Asyl ansuchte, jedoch einen Landesverweis erhielt. Im Jahr 2015 reiste der BF schlepperunterstützt im Zuge der großen Flüchtlingswelle über die sogenannte Balkanroute weiter nach Österreich, wo er am 22.07.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Mit seinen Familienangehörigen (Geschwistern) und Verwandten bzw. Bekannten in Afghanistan steht der BF nach seinen Angaben nicht in Kontakt.
3.1.3. Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten und weist ein recht beachtliches Ausmaß an verschiedenen integrationsunterstützenden Aktivitäten seinerseits (Deutschkurse, gemeinnützige Tätigkeiten, Qualifikationserwerbe u.a.m.) auf.
3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
3.2.1. Der BF hat sein Vorbringen, dass er wegen Grundstücksstreitigkeiten in seinem Heimatdorf, aufgrund welcher sein Vater getötet und der BF fälschlicherweise des Diebstahls eines Schafes beschuldigt worden sei, verfolgt worden wäre, nicht glaubhaft gemacht, zumal auch eine zeitliche Aktualität nicht gegeben ist, und konnten somit asylrelevante Gründe des BF für das Verlassen seines Heimatstaates nicht glaubhaft gemacht werden.
3.2.2. Der BF hat nicht glaubhaft gemacht, dass konkret er als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara sowie als schiitischer Muslim bzw. dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara sowie schiitische Muslim in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.
3.2.3. Der BF wurde nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat niemals von Behörden inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.
3.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
3.3.1. Es konnte vom BF nicht glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre.
3.3.2. Dem BF, einem Angehörigen der Volksgruppe der Hazara, würde derzeit bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Ghazni, einer besonders volatilen Provinz Afghanistans, in der die Taliban (überwiegend Angehörige der Volksgruppe der Paschtunen) sehr aktiv und präsent sind, ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.
3.3.3. Eine Rückkehr und Ansiedelung außerhalb seiner Herkunftsprovinz, insbesondere in der Stadt Kabul, ist dem BF, der seit ca. 14 Jahren nicht mehr in Afghanistan aufhältig war, nicht zumutbar, zumal er dort Gefahr liefe, mangels familiärer oder sonstiger sozialer Anknüpfungspunkte grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten, da er dort nicht gelebt hat und über kein soziales Auffangnetz verfügt.
3.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:
Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:
3.4.1. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, zuletzt aktualisiert am 25.09.2017, Schreibfehler teilweise korrigiert):
Politische Lage:
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.) und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl. auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.01.2004).
Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.01.2017), nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017).
Parlament und Parlamentswahlen:
Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9.2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.01.2017).
Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.04.2016 vgl. auch: CRS 12.01.2017).
Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 13.04.2016).
Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge zum Teil über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9.2016).
Parteien:
Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einigen von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).
Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016).
Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, das von allen Parteien verlangte, sich neu zu registrieren, und zum Ziel hatte, ihre Anzahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber anscheinend nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).
Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder ein Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani verbrachte selbst die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 9.2016).
Friedens- und Versöhnungsprozess:
Im afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess gibt es weiterhin keine greifbaren Fortschritte. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Die Reintegration versöhnungswilliger Aufständischer bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 9.2016).
Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG):
Nach zweijährigen Verhandlungen (Die Zeit 22.09.2016) unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das der Hezb-e Islami Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtet sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Einen Tag nach Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der Hezb-e Islami und der Regierung erklärte erstere in einer Stellungnahme eine Waffenruhe (The Express Tribune 30.09.2016). Das Abkommen beinhaltet unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Sobald internationale Sanktionen aufgehoben sind, wird von Hekmatyar erwartet, nach 20 Jahren aus dem Exil nach Afghanistan zurückkehren. Im Jahr 2003 war Hekmatyar von den USA zum "internationalen Terroristen" erklärt worden (NYT 29.09.2016). Schlussendlich wurden im Februar 2017 die Sanktionen gegen Hekmatyar von den Vereinten Nationen aufgehoben (BBC News 04.02.2017).
Sicherheitslage:
Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.01.2017).
In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint Einzelberichten zufolge auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.02.2017).
INSO beziffert die Gesamtzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle in Afghanistan im Jahr 2016 mit 28.838 (INSO 2017).
Mit Stand September 2016 schätzt die Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghanischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.01.2017).
Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 05.01.2017).
Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: Intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen den Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.08. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).
Kontrolle von Distrikten und Regionen:
Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im dritten Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.01.2017).
Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal an: Zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit fünf von sechs Distrikten und Helmand mit acht von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.01.2017).
Rebellengruppen:
Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin, durch Bedrohungen, Entführungen und gezielte Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).
Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistische Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).
Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihre Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).
Taliban und ihre Offensive:
Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).
Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstützte Regierung zu vertreiben (Reuters 12.04.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD 12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).
Der derzeitige Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. Hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz - größtenteils unter Talibankontrolle - liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand wie einst Mansour (Reuters 27.01.2017).
Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.05.2016; vgl. auch: The National 13.01.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter - der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.05.2016; vgl. auch:
The National 13.01.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.01.2017), und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.05.2016).
Haqqani-Netzwerk:
Das Haqqani-Netzwerk ist eine sunnitische Rebellengruppe, die durch Jalaluddin Haqqani gegründet wurde. Sirajuddin Haqqani, Sohn des Jalaluddin, führt das Tagesgeschäft gemeinsam mit seinen engsten Verwandten (NCTC o.D.). Sirajuddin Haqqani wurde zum Stellvertreter des Talibanführers Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt (The National 13.01.2017).
Das Netzwerk ist ein Verbündeter der Taliban - dennoch ist es kein Teil der Kernbewegung (CRS 26.05.2016). Das Netzwerk ist mit anderen terroristischen Organisationen in der Region, inklusive al-Qaida und den Taliban, verbündet (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (CRS 12.01.2017). Das Netzwerk ist hauptsächlich in Nordwaziristan (Pakistan) zu verorten und führt grenzübergreifende Operationen nach Ostafghanistan und Kabul durch (NCTC o.D.).
Das Haqqani-Netzwerk ist fähig - speziell in der Stadt Kabul -,Operationen durchzuführen; es finanziert sich durch legale und illegale Geschäfte in den Gegenden Afghanistans, in denen es eine Präsenz hat, aber auch in Pakistan und im Persischen Golf. Das Netzwerk führt vermehrt Entführungen aus - wahrscheinlich, um sich zu finanzieren und seine Wichtigkeit zu stärken (CRS 12.01.2017).
Kommandanten des Haqqani Netzwerk sagten zu Journalist/innen, das Netzwerk sei bereit, eine politische Vereinbarung mit der afghanischen Regierung zu treffen, sofern sich die Taliban dazu entschließen würden, eine solche Vereinbarung einzugehen (CRS 12.01.2017).
Al-Qaida:
Laut US-amerikanischen Beamten war die Präsenz von al-Qaida in den Jahren 2001 bis 2015 minimal (weniger als 100 Kämpfer); al-Qaida fungierte als Unterstützer für Rebellengruppen (CRS 12.01.2017). Im Jahr 2015 entdeckten und zerstörten die afghanischen Sicherheitskräfte gemeinsam mit US-Spezialkräften ein Camp der al-Quaida in der Provinz Kandahar (CRS 12.01.2017; vgl. auch: FP 02.11.2015); dabei wurden 160 Kämpfer getötet (FP 02.11.2015). Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass al-Qaida die Präsenz in Afghanistan vergrößert hat. US-amerikanische Kommandanten bezifferten die Zahl der Kämpfer in Afghanistan mit 100-300, während die afghanischen Behörden die Zahl der Kämpfer auf 300-500 schätzten (CRS 12.01.2017). Im Dezember 2015 wurde berichtet, dass al-Qaida sich primär auf den Osten und Nordosten konzentrierte und nicht, wie ursprünglich von US-amerikanischer Seite angenommen, nur auf Nordostafghanistan (LWJ 16.04.2016).
Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG):
Siehe oben unter "Friedens- und Versöhnungsprozess".
IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh - Islamischer Staat:
Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan - in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vgl. auch:
MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: in den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 03.11.2016).
Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie z.B. die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vgl. auch: USIP 03.11.2016). Zwar kämpfte der IS hart in Afghanistan, um Fuß zu fassen, die Gruppe wird von den Ansäßigen jedoch großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine Handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansäßigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verlusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).
Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.10.2017).
Unterstützt von internationalen Militärkräften führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).
Presseberichten zufolge betrachtet die afghanische Bevölkerung die Talibanpraktiken als moderat im Gegensatz zu den brutalen Praktiken des IS. Kämpfer der Taliban und des IS gerieten aufgrund