Entscheidungsdatum
10.11.2017Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W116 2147417-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Mario DRAGONI als Einzelrichter über die Beschwerde des minderjährigen XXXX, geb. XXXX, StA. Syrien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.01.2017, Zl. 1066732005-150446150, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1.1. Der minderjährige Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsbürger, Araber und sunnitischer Moslem, stellte nach illegaler Einreise am 30.04.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der am 01.05.2015 durchgeführten Erstbefragung gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Rechtsberaters zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass er vor dem Krieg in Syrien geflohen sei. Er habe Angst vor den IS-Truppen und vor einer Einziehung zum Militärdienst. Bei einer allfälligen Rückkehr in seine Heimat hätte er Angst um sein und das Leben seiner Mutter.
1.2. Mit Schreiben vom 07.08.2015 wurde der syrische Reisepass des Beschwerdeführers übermittelt und beantragt, das mit Verfahrensanordnung vom 03.07.2015 korrigierte, fiktive Geburtsdatum des Beschwerdeführers wieder mit dem XXXX festzulegen.
1.3. Am 27.10.2015 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache und in Anwesenheit einer vom gesetzlichen Vertreter bevollmächtigten Rechtsberaterin niederschriftlich einvernommen. Dabei erklärte er zunächst, dass im Rahmen der Erstbefragung einige Dinge nicht korrekt protokolliert worden seien, welche er nunmehr richtig stellen wolle. Es sei nicht richtig, dass er Anfang XXXX direkt von Syrien über die Türkei nach Österreich gereist sei. Seiner Erinnerung nach habe er seinen Reisepass im XXXX in Syrien ausstellen lassen und sei danach in die Türkei gereist, wo er sich bis etwa Ende XXXX aufgehalten habe. Er sei ungefähr ein Jahr in der Türkei geblieben, ohne nach Syrien zurückzukehren und sei dann Ende XXXX nach Österreich gekommen. Sein Cousin mütterlicherseits und sein Bruder XXXX würden beide in Wien leben. Der Bruder habe in Österreich bereits Asyl erhalten.
Weiters erklärte er, dass er einiges erzählen wolle, was er bei der Erstbefragung aus Angst nicht erwähnt habe. Als Grund für seine Ausreise in die Türkei habe er ursprünglich den Krieg genannt. Er habe Syrien aber nicht nur wegen des Krieges verlassen. Vielmehr sei ein KFZ mit Waffen für die freie Armee in ihr Dorf gekommen, die aber vor dem Weitertransport gestohlen worden seien. In der Folge hätten die Männer der freien Armee ziellos herumgeschossen. Sie seien wütend gewesen, weil die Waffen nicht mehr im KFZ gewesen seien. Ein Dorfbewohner habe die Männer ersucht, mit der Schießerei aufzuhören und gesagt, dass er wissen würde, wo die Waffen seien. Ein Teil der Männer der freien Armee sei mit dem Bewohner mitgegangen, die Übrigen seien im Dorf geblieben. Nachdem die Männer die Waffen wieder erlangt hätten, hätten sie sich entschuldigt und gesagt, dass sie von ihnen Kämpfer wollen würden. Einige Dorfbewohner hätten sich dann den Männern angeschlossen. Er, seine Mutter und sein derzeit in Deutschland lebender Bruder XXXX seien damals versteckt gewesen. Sein Bruder XXXX sei ebenso aufgefordert worden, auf ihrer Seite mitzukämpfen. Als XXXX danach seiner Mutter davon erzählt habe, habe diese sie alle sofort in die Türkei gebracht. Sie seien in der Türkei geblieben, hätten aber von Zeit zu Zeit ihre beiden in Syrien verheirateten Schwestern besucht, um zu sehen, wie es ihnen gehen würde. Nach rund zehntägigem Aufenthalt seien sie wieder in die Türkei zurückgekehrt. Nach der Ausstellung seines Reisepasses sei er dann in der Türkei geblieben und kein einziges Mal mehr nach Syrien zurückgekehrt. Seine Mutter sei dann alleine hin und her gependelt. Als er vor seiner Reisepassausstellung einmal Syrien besucht habe, sei er von Männern der Daesh kontrolliert worden. Diese hätten ihn aufgefordert mit ihnen zu kämpfen. Sie hätten nicht geglaubt, dass er erst 13 Jahre alt gewesen sei. Nachdem sich seine Mutter aufgeregt und die Männer mit ihrem Scheich debattiert hätten, habe man zu ihm gesagt, dass sie ihn diesmal noch einmal gehen lassen würden, das nächste Mal müsste er aber mitkämpfen. Seine Brüder seien in Österreich (XXXX, ca. 30 Jahre), in Dubai (XXXX, ca. 27 Jahre), in Schweden (XXXX, ca. 24 Jahre) und in Deutschland (XXXX, ca. 19 oder 20 Jahre) aufhältig. Zuletzt habe er im Dorf XXXX, in der Nähe von Aleppo, und vor dem Krieg in Aleppo gelebt. Er wisse nicht mehr, wann er das Dorf verlassen habe. Er habe ca. dreieinhalb Jahre in der Türkei gelebt und bei einem Tischler gearbeitet.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, verwies er auf die ohnehin bekannte Lage in Syrien bzw. auf den Krieg und teilte mit, dass er bereits alles erzählt habe. Nach dem eigentlich ausschlaggebenden Grund für seine Flucht gefragt, berichtete er, dass sein Bruder XXXX hinter all diesen Aktionen stehen würde. XXXX habe Angst um sie gehabt und gesagt, dass sie nicht länger in Syrien bleiben sollten. Er sei aber mit seiner Mutter einige Male in Syrien gewesen. Sie hätten XXXX aber nichts davon erzählt, weil er sonst sehr böse geworden wäre. Als XXXX es dann von ihrem Bruder XXXX erfahren habe, hätte er auf das sehr hohe Risiko hingewiesen und ihnen für den Wiederholungsfall gedroht. Der Beschwerdeführer sei bei seinen Einreisen in die Türkei wiederholt von türkischen Soldaten aufgehalten und schikaniert worden. Seine Brüder hätten weder für Assad noch für die anderen Konfliktparteien gekämpft. XXXX habe sich damals von der syrischen Armee freigekauft und XXXX habe immer Schul- und Universitätszeugnisse vorgelegt und Aufschub bekommen. XXXX hätte zur Armee einrücken sollen, aber dann hätten die Ereignisse in Syrien begonnen. Anschließend schilderte der Beschwerdeführer wie er und seine Mutter in einem Taxi von Männern der Daesh kontrolliert worden seien. Auf Befragen der Rechtsberaterin, was bei dem Vorfall mit Daesh passiert wäre, wenn er nicht in Begleitung seiner Mutter gewesen wäre, erklärte der Beschwerdeführer, dass sie ihn dann sicher mitgenommen hätten. Dies untermauerte er mit einem Bericht über einen Besuch von Angehörigen der Daesh, die auf der Suche nach Waffenverstecken u.a. zu ihrem Haus gekommen seien und dabei ein mit einem Maschinengewehr bewaffnetes Kind dabei gehabt hätten.
1.4. Mit Schreiben vom 10.11.2015 gab der Beschwerdeführer zu den Länderfeststellungen der belangten Behörde eine Stellungnahme ab. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer sein Geburtsdatum im Verfahren stets gleichlautend mit XXXX angegeben habe. Dennoch sei die Behörde aufgrund eines Handwurzelröntgens vom fiktiven Geburtsdatum XXXX ausgegangen. Obwohl sein Alter letztlich auch durch die Vorlage seines originalen Reisepasses belegt worden sei, sei sein Geburtsdatum bislang nicht richtig gestellt worden. Gemäß § 13 Abs. 3 BFA-VG seien vorrangig unbedenkliche Urkunden heranzuziehen und würde eine Altersdiagnose eigentlich eine multifaktorielle Untersuchungsmethodik erfordern. Es werde daher neuerlich beantragt, das Geburtsdatum entsprechend festzulegen. Weiters sei der Herkunftsort des Beschwerdeführers zunehmend von bewaffneten Gruppierungen umkämpft gewesen und er sei nach dem Einmarsch der syrischen Armee Gefahr gelaufen, getötet oder zwangsrekrutiert zu werden. Trotz seines sehr jungen Alters sei er bereits persönlich zum Mitkämpfen aufgefordert worden. Davon abgesehen würde es sich beim Beschwerdeführer um einen unmündigen Asylsuchenden handeln und sei die Minderjährigkeit nach der Judikatur des Bundesverwaltungsgerichtes im Rahmen der Glaubwürdigkeitsprüfung entsprechend zu beachten. Bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit sei auf das Alter und den Entwicklungsstand Bedacht zu nehmen und müssten bezüglich des Aussageverhaltens auch der Reifegrad, gesellschaftliche Besonderheiten und der psychische Gesundheitszustand berücksichtigt werden. Laut VwGH sei eine besonders sorgfältige Beurteilung des Vorbringens notwendig und dürfe dessen Dichte nicht mit "normalen Maßstäben" oder an einer "normalen Maßfigur" gemessen werden (zuletzt VwGH 2014/19/0020, 24.09.2014; vgl. auch VwGH 2006/01/0362, 14.12.2006). Vor dem Hintergrund der zitierten Judikatur sei insgesamt von einer Glaubwürdigkeit des unmündigen Beschwerdeführers auszugehen, insbesondere da die Minderjährigkeit nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung im Rahmen der Glaubwürdigkeitsprüfung zu beachten sei. Überdies sei das Vorbringen in der Einvernahme vom 27.10.2015, wie im Sinne der Statusrichtlinie gefordert, substantiiert, kohärent und plausibel gewesen und die generelle Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers daher gegeben. Eine allfällige Gefährdung sei im Zuge einer Prognoseentscheidung zu klären. Bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft komme es nämlich im Sinne einer Zukunftsprognose auch darauf an, ob aufgrund der Gesamtsituation aus objektiver Sicht wohlbegründete Furcht vor Verfolgung vorliegt (VwGH 12.05.1999, Zl. 98/01/0365). Es würde nicht allein auf vergangene Handlungen ankommen, sondern sei aus dem Gesamtbild dieser Handlungen eine Prognose für die Zukunft zu erstellen (VwGH 16.02.2000, 99/01/0397). Ferner würden die von der Behörde ins Verfahren eingeführten Länderfeststellungen (Stand März 2014) nur oberflächlich auf die allgemeine Sicherheitslage in Syrien eingehen und Feststellungen über den konkreten Herkunftsort des Beschwerdeführers fehlen bzw. seien die Informationen über die Situation von Kindern sehr kurz gehalten. Die vom Minderjährigen ausgeführte Verfolgung sei im Lichte verschiedener Berichte als objektiv glaubwürdig zu qualifizieren. Zahlreiche Dokumente, wie die "UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 3. Aktualisierte Fassung" vom Oktober 2014, würden belegen, dass sich die Situation in Syrien im Hinblick auf Sicherheit, Menschenrechte, Vertreibung und Bedarf an humanitärer Hilfe weiter verschlechtert. So wird in auszugsweise angeführten, internationalen Berichten ausgeführt, dass aktuell fast alle Teile des Landes in Gewalt verstrickt seien bzw. dass sich die menschenrechtliche Situation weiterhin verschlechtert. Zu den Auswirkungen des Konflikts auf die Zivilbevölkerung wird u.a. festgestellt, dass Kinder zu jenen Personen gehören würden, die am stärksten vom Konflikt betroffen seien bzw. von den Konfliktparteien für Unterstützungs- und Kampfhandlungen rekrutiert und somit verstärkt der Gefahr ausgesetzt werden, getötet, verletzt, traumatisiert oder gefoltert zu werden. Nach einer (neuerlichen) Aufzählung der Ursachen für eine mögliche Verfolgung des Beschwerdeführers werden die Risikogruppen der genannten Erwägungen angeführt und wird angemerkt, dass die vom Beschwerdeführer angegebenen Verfolgungsgründe diesen Risikoprofilen entsprechen und auch durch nationale Entscheidungen des BVwG belegt würden. Nachdem u. a. die Brüder des Beschwerdeführers von der freien syrischen Armee zum Kampf aufgefordert worden seien, hätte er flüchten müssen. Außerdem sei er von Anhängern des IS zum Mitkämpfen aufgefordert worden. Die Flucht vor der Rekrutierung bzw. die Weigerung zu kämpfen, könnten vom IS und von bewaffneten Gruppen nicht anders ausgelegt werden, als ein (vermeintlicher) Andersdenker/Gegner zu sein (zugeschriebene oppositionelle politische Gesinnung). Solche Personen würden ebenso zu den Risikoprofilen in den bereits zitierten UNHCR-Erwägungen zählen. Auch durch seine illegale Ausreise würde ihm eine oppositionell-politische Gesinnung unterstellt werden, wie ein Ausschnitt eines Erkenntnisses des BVwG zeigen würde (BVwG vom 24.06.2015, W224 2106884). Schließlich sei noch zu beachten, dass der minderjährige Antragsteller in Syrien keine Schule mehr besuchen habe können und ihm somit der Weg zur Bildung verwehrt worden sei. Auch dabei würde es sich um eine in den UNHCR-Richtlinien angeführte Risikogruppe handeln. Zusätzlich sei zu beachten, dass gemäß Art. 9 Abs. 2 lit f der Statusrichtlinie Handlungen, die gegen Kinder gerichtet seien, auch als Verfolgung iSd Abs. 1 gelten könnten. Schließlich sei grundsätzlich immer das Kindeswohl an die erste Stelle zu setzen, welches u.a. in der UN-Kinderrechtskonvention, der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der EU Verfahrensrichtlinie und dem BVG Kinderrechte verankert und somit fester Bestandteil der Rechtsordnung sei. Die Interessen der Kinder bzw. eine Kindeswohlprüfung müssten gemäß Art. 3 UN-Kinderrechtskonvention tatsächlich Grundlage der Entscheidung sein. Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei substantiiert, kohärent und plausibel und seine generelle Glaubwürdigkeit gegeben gewesen. Aus den angeführten Gründen sei dem minderjährigen Antragsteller daher der Asylstatus zuzuerkennen.
2. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl:
2.1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.01.2017, am selben Tag auf elektronischem Weg zugestellt, wurde der Antrag des minderjährigen Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 10.01.2017 erteilt (Spruchpunkt III.). Mit Berichtigungsbescheid vom 11.01.2017 wurde Spruchpunkt III. des obgenannten Bescheides gemäß § 62 Absatz 4 AVG dahingehend berichtigt, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 10.01.2018 erteilt wurde.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Syrien, stellte die Identität des Beschwerdeführers nicht fest und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass sein Vorbringen, wonach er sein Heimatland aus Angst vor den bürgerkriegsähnlichen Zuständen verlassen habe, zwar den Anforderungen an eine Glaubhaftmachung entsprechen würde, er aber dennoch im gesamten Verfahren keine seine Person betreffenden Verfolgungshandlungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen habe können. Er habe keine seine Person betreffende Verfolgungsgefahr aus den Konventionsgründen geltend gemacht. Die von ihm geschilderten Vorfälle, welche sich rein zufällig im Zuge der Kriegshandlungen in seiner Heimat ereignet hätten, würden nicht darauf schließen lassen, dass er in Syrien einer maßgeblichen Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Schließlich habe er sich beim wiederholten Besuch seiner in Syrien lebenden Schwestern freiwillig den Kriegsgefahren ausgesetzt. Es werde ihm jedoch aufgrund des momentanen innerstaatlichen Konfliktes in seiner Heimat subsidiärer Schutz gewährt.
2.2. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 10.01.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
2.3. Gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, welche am 07.02.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. In dieser wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer aus Angst vor dem IS (Islamischer Staat), vor einer Zwangsrekrutierung bzw. vor einer Einberufung zum syrischen Militär geflüchtet sei. An einem Kontrollpunkt hätte er bereits rekrutiert werden sollen. Er habe sein Geburtsdatum durch seinen originalen Reisepass nachgewiesen, die Behörde habe diesen jedoch nicht anerkannt, weil es sich bei den syrischen Pässen aufgrund der Kriegssituation um keine unbedenklichen Urkunden handeln würde. Deshalb würde er nun seinen abgelaufenen, früheren Reisepass (gesondert) übermitteln, der noch vor dem Bürgerkrieg ausgestellt worden sei. Das Bundesamt habe sich entgegen einschlägiger Judikatur nicht mit der ihm drohenden Rekrutierung zum Militärdienst auseinandergesetzt. Da er in Kürze 17 Jahre (nach dem vom BFA angenommenen Geburtsdatum) alt werden würde, würde er bei einer theoretischen Rückkehr sofort zum Militärdienst eingezogen werden. Die Behörde habe daher verkannt, dass er wegen Wehrdienstverweigerung individuell verfolgt werde. Er würde zu den in den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus Syrien fliehen (4. Fassung vom 15.11.2015), erwähnten Risikogruppen gehören, nämlich als Minderjähriger, im rekrutierungsfähigen Alter, der tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung steht bzw. tatsächlicher oder vermeintlicher Gegner von bewaffneten oppositionellen Gruppierungen ist. Dazu wird auf die ständige Rechtsprechung des BVwG zu Syrien verwiesen und eine Entscheidung auszugsweise zitiert (BVwG W224 2108797-1, vom 05.01.2016). Weiters wird auf die Rechtsprechung des VwGH und VfGH zur Berücksichtigung des Alters des Einzuvernehmenden verwiesen. Das Vorbringen eines Minderjährigen könne nicht die gleiche Dichte, wie jenes eines Erwachsenen aufweisen und müsse daher bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit ein anderer Maßstab angelegt werden. Eine besondere Manuduktionspflicht bei Minderjährigen ergebe sich auch aus der Judikatur des Asylgerichtshofes. Er habe in seinen Einvernahmen präzise Angaben gemacht und seine Furcht vor Verfolgung begründet. Er habe seine Angst vor einer Einziehung zum Militärdienst erwähnt, was letztlich auch durch die Länderberichte des Bundesamtes belegt wird. Diesen zufolge werde sowohl den Shabiha als auch den Volkskomitees vorgeworfen, an Checkpoints und bei Razzien zu versuchen, junge Männer, auch unter 18 Jahren, zum Eintritt in ihre Milizen zu bringen. Unter Verweis auf die UNHCR Richtlinien vom Oktober 2014 wird weiters ausgeführt, dass der asylrelevante Verfolgungsgrund u.a. in der tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit einer der Konfliktparteien liegen würde. Das Kriterium der individuellen Verfolgung müsse nicht gegeben sein, es würde genügen, einer religiösen oder ethnischen Minderheit anzugehören, die in Bezug zu einer Konfliktpartei steht bzw. in einem Gebiet zu leben, in dem die andere Konfliktpartei Macht ausübt. Eine Rekrutierung von Kindern werde auch im Bescheid beschrieben, ebenso wie die gezielte Ermordung von Minderjährigen. Schließlich würde auch die unmittelbare Gefahr bestehen, von den Rebellengruppen bzw. den islamischen Extremisten rekrutiert oder von den syrischen Behörden zum Militärdienst eingezogen zu werden. Seine Furcht vor Verfolgung sei objektiv nachvollziehbar und würde auch mit den allgemeinen Medien- und Länderberichten im Einklang stehen.
3. Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht:
Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 14.02.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt. Mit Schreiben vom 07.04.2017 wurden der abgelaufene syrische Reisepass mit dem Ausstellungsdatum 12.07.2006 und das Familienbuch des Beschwerdeführers jeweils in Kopie vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Entscheidungswesentlicher Sachverhalt:
Auf Grundlage des Antrages auf internationalen Schutz vom 30.04.2015, der Einvernahmen des Beschwerdeführers durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist ein am XXXX geborener, minderjähriger Staatsangehöriger Syriens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Er bekennt sich zum sunnitischen Islam.
Der Beschwerdeführer hat Syrien XXXX illegal mit einem PKW verlassen und ist von XXXX nach Izmir (Türkei) gelangt. Nach einem ungefähr einjährigen Aufenthalt in der Türkei wurde er von einem Fischerboot auf eine griechische Insel gebracht. Nach Erhalt eines Landesverweises ist er schlepperunterstützt mit verschiedenen Beförderungsmitteln über ihm unbekannte Länder schließlich illegal in Österreich eingereist, wo er am 30.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat.
Festgestellt wird, dass es den Länderberichten zufolge an der syrischen Grenze zu einer Befragung von erfolglosen Asylwerbern kommt, wobei die Rückkehrer über Gründe ihrer illegalen Ausreise, über den Aufenthaltszweck und u.U. auch nach politischen Aktivitäten im Ausland gefragt werden. Bei der "Sicherheitsprüfung" an den Grenzübergangsstellen wird bekanntlich überprüft, ob ein Rückkehrer Syrien gesetzeswidrig verlassen hat. Personen, deren Profil irgendeinen Verdacht erregt, sind dem Risiko einer längeren Haft und Folter ausgesetzt.
Der Beschwerdeführer wäre nämlich verpflichtet gewesen, seine Ausreise genehmigen zu lassen. Ihm droht wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien daher eine Haftstrafe bis zu drei Jahren; ein Gefängnisaufenthalt des Beschwerdeführers wäre potentiell mit Misshandlungen und Folter verbunden. Aufgrund der besonderen Situation in Syrien ist die Schwelle dafür, von Seiten des syrischen Regimes als "oppositionell" betrachtet zu werden, relativ niedrig.
Festgestellt wird weiters, dass der bewaffnete Konflikt zunehmend konfessionell wird und sunnitische Zivilisten aktuell das Hauptziel der Regimetruppen und von Pro-Regime-Milizen sind. Der Beschwerdeführer gehört der sunnitischen Religionsgemeinschaft an. Eine Verfolgung aus religiösen Gründen ist daher ebenfalls nicht völlig auszuschließen.
Davon abgesehen befinden sich seine vier älteren Brüder aktuell im wehrpflichtigen Alter und haben dennoch ihre Heimat verlassen. Sie haben sich dadurch einer möglichen Einziehung zum Militär- bzw. Reservedienst bei der syrischen Armee entzogen.
Festgestellt wird, dass auch Familien von Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern mit Konsequenzen zu rechnen haben. Eine Familie kann u.U. von der Regierung unter Druck gesetzt werden, wenn der Deserteur dadurch vielleicht gefunden werden kann. Familienmitglieder können festgenommen werden, um den Deserteur dazu zu bringen, sich zu stellen. Manchmal wird auch ein Bruder oder der Vater des Deserteurs ersatzweise zur Armee rekrutiert (FIS 23.8.2016).
Es ist daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, dass die Familie des Beschwerdeführers und damit auch er selbst dadurch bereits in das Blickfeld der syrischen Behörden geraten ist und als regimefeindlich angesehen wird. Dieser Eindruck wird durch seine Ausreise bzw. seinen langen Auslandsaufenthalt während eines staatlichen Ausnahmezustandes und seine Asylantragstellung im Bundesgebiet nochmals verstärkt.
Schließlich ist vor dem Hintergrund der aktuellen Bürgerkriegssituation in Syrien auch nicht damit zu rechnen, dass der syrische Staat seine Bürger vor Bedrohungen und Übergriffen seitens bewaffneter Milizen oder sonstiger Gruppierungen ausreichend schützen kann. Der Beschwerdeführer wäre allfälligen Bedrohungs- oder Verfolgungshandlungen von Angehörigen der anderen Kriegsparteien daher schutzlos ausgeliefert.
Eine hinsichtlich des Reiseweges zumutbare und legale Rückkehr nach Syrien ist nur über den Flughafen in Damaskus möglich, der sich in der Hand der Regierung befindet, wobei der Beschwerdeführer schon wegen seiner illegalen Ausreise zusammen mit seiner Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensgemeinschaft und des Aufenthalts nahezu seiner gesamten Familie im Ausland Gefahr läuft, die Aufmerksamkeit der syrischen Behörden auf sich zu ziehen und damit in deren Blickfeld zu geraten. Dadurch besteht aber vor allem auch die Gefahr, dass er wegen seiner Brüder, vom Regime verhaftet werden könnte, um so Druck auf diese auszuüben, sich zu stellen.
Dahingestellt bleiben kann, ob der Beschwerdeführer tatsächlich gefährdet war, vom IS oder einer anderen Kriegspartei zwangsrekrutiert zu werden.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:
"Folter und unmenschliche Behandlung
Die weit verbreitete Anwendung von Folter in Syrien zeigt die Straflosigkeit, mit der die Konfliktparteien agieren. Folter wird eingesetzt, um an Informationen zu gelangen und um die Zivilbevölkerung zu bestrafen und zu terrorisieren (UNHRC 11.8.2016).
Folter und andere Misshandlungen wurden durch das syrische Regime schon seit Jahrzehnten genutzt, um Widerstand zu unterdrücken (AI 17.8.2016). Das syrische Regime und die mit ihm verbündeten Milizen begehen physische Misshandlungen und Folter an Oppositionellen und Zivilisten. Regierungsangestellte misshandeln Gefangene. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und auch von Minderjährigen sind weitverbreitet und werden als Kriegstaktik eingesetzt (USDOS 13.4.2016; vgl. HRW 27.1.2016). Viele der Opfer von Folter sind Männer zwischen 18 und 60 Jahren. Das Regime foltert jedoch auch Frauen und Kinder, welche sich in Gewahrsam befinden (UNHRC 11.8.2016). Manche Opfer von Folter werden festgenommen, weil sie Aktivisten sind, oder als die Regierung nicht ausreichend unterstützend wahrgenommen werden. Opfer von Folter werden auch Mitglieder oder Verwandte von Mitgliedern bewaffneter Gruppen (UNHRC 11.8.2016).
Die syrischen Sicherheitskräfte führen willkürliche Festnahmen durch und lassen häufig Festgenommene in dem weitreichenden Netzwerk an Haftanstalten in Syrien verschwinden. Viele der Häftlinge sind junge Männer im Alter von 20 bis 30 Jahren, jedoch sind auch Kinder, Frauen und ältere Menschen unter den Inhaftierten (HRW 27.1.2016). Berichten zufolge wurden Familienmitglieder durch die Sicherheitskräfte der syrischen Regierung festgenommen, darunter auch Kinder, um gesuchte Personen dazu zu bewegen, sich den Sicherheitskräften zu stellen (HRW 27.1.2016; vgl. USDOS 13.4.2016). Schätzungen zufolge sind seit 2011 in Gefängnissen der syrischen Regierung 17.723 Menschen durch Folter, Misshandlungen und katastrophale Haftbedingungen ums Leben gekommen (AI 18.8.2016). Das syrische Regime stellt falsche Totenscheine aus, offenbar mit dem Ziel, die wahre Ursache und den Ort des Todes der Gefangenen zu verschleiern (USDOS 13.4.2016).
Rebellengruppierungen begehen ebenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen, wie Inhaftierungen, Folter, Hinrichtungen von (also solche wahrgenommenen) Andersdenkenden und Rivalen und konfessionell motivierte Tötungen von Zivilisten (FH 27.1.2016). Manche Gruppen fügen Gefangenen, von denen vermutet wird, sie wären Mitglieder von regierungstreuen Milizen, schweren körperlichen und psychischen Schmerz zu, um Informationen oder Geständnisse zu erlangen, oder als Bestrafung oder Zwangsmittel (USDOS 13.4.2016). Des Weiteren begehen sie Massaker, Morde, Folter, Geiselnahmen, Verschwindenlassen, Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt und setzen Kinder in Kampfhandlungen ein (UKFCO 8.2016).
Auch der IS begeht Misshandlungen, Folter, Bestrafungen von Individuen, und agiert mit Brutalität. Der IS bestraft regelmäßig Opfer in der Öffentlichkeit und zwingt Bewohner, inklusive Kindern, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen (USDOS 13.4.2016).
Quellen:
-
AI - Amnesty International (17.8.2016): "It breaks the human":
Torture, disease and death in Syria's prisons [MDE 24/4508/2016], http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1471499119_mde2445082016english.PDF, Zugriff 2.12.2016
-
AI - Amnesty International (18.8.2016): Schwere Folter in syrischen Gefängnissen,
http://www.amnesty.de/2016/8/18/schwere-folter-syrischen-gefaengnissen, Zugriff 22.11.2016
-
FH-Freedom House (27.1.2016): Freedom in the World 2016-Syria, https://www.ecoi.net/local_link/327745/454885_en.html, Zugriff 22.11.2016
-
HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Syria, https://www.ecoi.net/local_link/318418/443598_en.html, Zugriff 18.11.2016
-
UKFCO - UK Foreign and Commonwealth Office (21.7.2016): Human Rights and Democracy Report 2015- Human Rights Priority Country update report: January to June 2016, http://www.ecoi.net/local_link/329304/470272_de.html, Zugriff 22.11.2016
-
UNHRC - United Nations Human Rights Council (11.8.2016): Report of the Independent International Commission of inquiry on the Syrian Arab Republic,
https://www.ecoi.net/file_upload/1930_1474461066_g1617860.pdf, Zugriff 22.11.2016
-
USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015-Syria, http://www.ecoi.net/local_link/322447/461924_de.html, Zugriff 18.11.2016
Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen
Für männliche Syrer und Palästinenser, welche in Syrien leben, ist ein Wehrdienst von 18 oder 21 Monaten ab dem Alter von 18 Jahren verpflichtend, außerdem gibt es einen freiwilligen Militärdienst. Frauen können ebenfalls freiwillig einen Militärdienst ableisten (CIA 19.10.2016; vgl. FIS 23.8.2016). Seit Jahren versuchen immer mehr Männer die Rekrutierung zu vermeiden, indem sie beispielsweise das Land verlassen oder bewaffneten Gruppen beitreten, die das Regime unterstützen. Jenen, die den Wehrdienst verweigern, oder auch ihren Familienangehörigen, können Konsequenzen drohen (FIS 23.8.2016).
Es ist schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee in verschiedenen Gebieten Syriens, die unter der Kontrolle verschiedener Akteure stehen, tatsächlich durchgesetzt wird, und wie dies geschieht (FIS 23.8.2016).
In der syrischen Armee herrscht zunehmende Willkür und die Situation kann sich von einer Person zur anderen unterscheiden (FIS 23.8.2016).
Oppositionsgruppen haben ihre eigenen Vorgangsweisen bei der Rekrutierung, und die Situation kann von der jeweils verantwortlichen Person abhängen (FIS 23.8.2016).
Regierungseinheiten, Pro-Regime-Milizen, bewaffnete oppositionelle Gruppen und terroristische Organisationen rekrutieren Kinder und nutzen sie als Soldaten, menschliche Schutzschilde, Selbstmordattentäter, Henker und auch in unterstützenden Funktionen. Kinder werden als Zwangsarbeiter oder Informanten benutzt, wodurch sie dem Risiko von Vergeltungsakten oder extremen Bestrafungen ausgesetzt sind. Manche bewaffnete Gruppierungen, die auf der Seite der Regierung kämpfen, zwangsrekrutieren Kinder - manche nicht älter als 6 Jahre (USDOS 30.6.2016).
Der IS setzt aktiv Kinder - manche lediglich 8 Jahre alt - in Kampfhandlungen ein, teils auch bei der Enthauptung von Soldaten des syrischen Regimes. Der IS zielt bewusst auf Kinder ab, um diese zu indoktrinieren und nutzt Schulen für militärische Zwecke, wodurch Kinder gefährdet werden und ihr Zugang zu Bildung eingeschränkt wird (USDOS 30.6.2016).
Auch die Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) rekrutieren Burschen und Mädchen, indoktrinieren sie und bringen sie in Trainings-Camps (USDOS 30.6.2016).
Quellen:
-
CIA - Central Intelligence Agency (19.10.2016): The World
Factbook: Syria,
https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/sy.html, Zugriff 27.10.2016
-
FIS - Finnish Immigration Service (23.8.2016): Syria: Military Service, National Defence Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition,
https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/PLib/Report_Military-Service_-Final.pdf, Zugriff 27.10.2016
-
USDOS - US Department of State (30.6.2016): Trafficking in Persons Report 2016 - Country Narratives - Syria, https://www.ecoi.net/local_link/322447/461924_de.html, Zugriff 2.12.2016
Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst
Die syrische Armee hat durch Todesfälle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Viele weigern sich, der Armee beizutreten. Die regulären Rekrutierungsmethoden werden in Syrien noch immer angewendet, weil das Regime zeigen will, dass sich nichts verändert hat, und das Land nicht in totaler Anarchie versinkt. Es werden Rekrutierungsschreiben verschickt, wenn Männer das wehrfähige Alter erreichen. Männer, die sich außer Landes oder in Gebieten, die nicht von der Regierung kontrolliert werden, befinden, erhalten ihre Rekrutierungsschreiben häufig nicht (FIS 23.8.2016). Wenn eine persönliche Benachrichtigung nicht möglich ist, können Männer, welche das wehrfähige Alter erreichen, auch durch Durchsagen im staatlichen Fernsehen, Radio oder der Zeitung zum Wehrdienst aufgerufen werden (DIS 26.2.2016). Männer werden jedoch auch auf der Straße an Checkpoints oder an anderen Orten rekrutiert. Es gibt auch Massenverhaftungen und Tür-zu-Tür-Kampagnen, um Wehrdienstverweigerern habhaft zu werden (FIS 23.8.2016; vgl. UNHCR 30.11.2016). Berichten zufolge besteht aber auch für - teils relativ junge - Minderjährige die Gefahr, in Zusammenhang mit der Wehrpflicht an Checkpoints aufgehalten zu werden und dabei Repressalien ausgesetzt zu sein (UNHCR 30.11.2016). Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin den Kriegsdienst verweigern, wobei muslimische Führer eine Abgabe bezahlen müssen, um vom Kriegsdienst befreit zu werden (USDOS 10.8.2016).
Bestechung als Mittel, um den Wehrdienst zu vermeiden, ist mittlerweile schwieriger geworden - zumindest wenn jemand keine großen Geldsummen zur Verfügung hat. Es gibt auch Männer im wehrpflichtigen Alter, die frei in Syrien leben. Dem Regime liegt nicht daran, alle wehrtauglichen Personen in die Flucht zu treiben. Es werden nämlich auch künftig motivierte Kämpfer benötigt (FIS 23.8.2016).
Nach der Massenwanderung von Syrern im Jahr 2015 wurde das Wehrdienstalter erhöht, und mehr Männer wurden an Checkpoints rekrutiert, auch solche, die ihren Militärdienst bereits beendet hatten. Für junge Männer im Alter von 16 und 17 Jahren ist es schwer, einen Reisepass zu erhalten, oder sie erhalten nur einen Pass, der zwei Jahre gültig ist (FIS 23.8.2016; vgl. UNHCR 30.11.2016).
Das Höchstalter für den Militärdienst betrug zuvor 42 Jahre, wurde jedoch inzwischen erhöht, wobei es hierzu keine offizielle Regelung und daher auch kein offizielles Höchstalter mehr gibt (FIS 23.8.2016).
Reservisten können je nach Gebiet und Fall auch im Alter von 50 bis 60 Jahren zum aktiven Dienst einberufen werden. Sie werden mittels Brief, den die Polizei persönlich zustellt, oder an Checkpoints rekrutiert (FIS 23.8.2016). Bei der Einberufung von Reservisten ist das Alter weniger entscheidend als der Beruf oder die Ausbildung einer Person, sowie Rang und Position während des bereits abgeleisteten Militärdienstes oder die Einheit, in der gedient wurde (DIS 26.2.2016).
Es gibt verschiedene Gründe, um vom Militärdienst befreit zu werden. Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Versorger der Familie können vom Wehrdienst befreit werden. Außerdem sind Männer mit Doppelstaatsbürgerschaft, die den Wehrdienst bereits in einem anderen Land abgeleistet haben, üblicherweise vom Wehrdienst befreit. Möglicherweise kommt es bei diesen Ausnahmen zum Wehrdienst derzeit jedoch auch zu Willkür (FIS 23.8.2016; vgl. DIS 26.2.2015, UNHCR 30.11.2016). Durch den erhöhten Bedarf an Soldaten wird mittlerweile ebenso auf "geschützte" Gruppen wie Studierende, Beamte und Minderheiten zurückgegriffen (UNHCR 30.11.2016).
Entlassungen aus dem Militärdienst sind sehr selten geworden. Es gibt Männer in der Armee, die seit dem Beginn der Revolution 2011 in der Armee sind. Die Dauer des Militärdienstes hat sich verlängert, möglicherweise ist sie auch nicht mehr begrenzt. 2011 konnte der Wehrdienst noch um ein paar Monate verlängert werden, und danach wurde man entlassen. Mittlerweile ist Desertion häufig der einzige Ausweg (FIS 23.8.2016; vgl. DIS 26.2.2015).
Bei der Einreise nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, wird bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Selbst wenn sie ihren Militärdienst bereits absolviert haben, kommt es vor, dass Männer im wehrfähigen Alter erneut zwangsrekrutiert werden (IRB 19.1.2016).
Quellen:
-
DIS - Danish Immigration Service (26.2.2015): Syria: Military Service, mandatory Self-Defence Duty and Recruitment to the YPG, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1425637269_syriennotat26feb2015.pdf, Zugriff 25.11.2016
-
FIS - Finnish Immigration Service (23.8.2016): Syria: Military Service, National Defence Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition,
https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/PLib/Report_Military-Service_-Final.pdf, Zugriff 27.10.2016
-
IRB - Immigration and Refugee Board of Canada (19.1.2016): Syria:
Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion (2014 - December 2015) [SYR105361.E],
https://www.ecoi.net/local_link/320204/459448_de.html, Zugriff 27.1.2016
-
UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (30.11.2016): Ergänzende aktuelle Länderinformationenen; Syrien: Militärdienst, https://www.ecoi.net/file_upload/1930_1481012908_coi-military-recruitment-syria.pdf, Zugriff 5.12.2016
-
USDOS - US Department of State (10.8.2016): 2015 Report in International Religious Freedom - Syria, https://www.ecoi.net/local_link/328447/469225_de.html, Zugriff 27.10.2016
Wehrdienstverweigerung/Desertion
Es gab Amnestien der syrischen Regierung, um Deserteure und Wehrdienstverweigerer zu ermutigen, sich zum Dienst zu melden (FIS 23.8.2016; vgl. Reuters 20.7.2016). Es ist jedoch nicht bekannt, ob Männer, die dieses Angebot in Anspruch nehmen, Konsequenzen erfahren oder nicht (FIS 23.8.2016). Besonders aus dem Jahr 2012 gibt es Berichte von desertierten syrischen Soldaten, welche gezwungen wurden, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Falls sie sich weigerten, wären sie Gefahr gelaufen, erschossen zu werden (AI 6.2012).
Auf Desertion steht die Todesstrafe. Es ist jedoch nicht bekannt, wieweit die Todesstrafe wirklich angewendet wird. Ein Deserteur würde jedoch zumindest inhaftiert werden. Wenn ein Deserteur an einem Checkpoint rekrutiert wird, kann er direkt zum Dienst - auch an die Front - oder ins Gefängnis geschickt werden. Die Konsequenzen für Desertion hängen vom Bedarf an der Front und von der Position und dem Rang des Deserteurs ab. Für ‚desertierte', vormals bei der Armee arbeitende Zivilisten gelten dieselben Konsequenzen wie für einen Deserteur. Solche Personen werden als Verräter angesehen, weil sie über Informationen über die Armee verfügen (FIS 23.8.2016).
Auch Familien von Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern haben mit Konsequenzen zu rechnen. Eine Familie könnte von der Regierung unter Druck gesetzt werden, wenn der Deserteur dadurch vielleicht gefunden werden kann. Familienmitglieder (auch weibliche) können festgenommen werden, um den Deserteur dazu zu bringen, sich zu stellen. Manchmal wird ein Bruder oder der Vater eines Deserteurs ersatzweise zur Armee rekrutiert (FIS 23.8.2016).
Wenn ein Wehrdienstverweigerer von den Behörden aufgegriffen würde, würde er verhaftet und überprüft werden. Anschließend könnte die Person zum Dienst in der Armee geschickt werden. Die Konsequenzen hängen jedoch vom Profil und den Beziehungen der Person ab. Wenn es eine Verbindung zu einer oppositionellen Gruppe gibt, wären die Konsequenzen ernster (DIS 26.02.2015).
Quellen:
-
AI - Amnesty International (6.2012): Amnesty Journal Juni 2012 - Operation Freiheit,
http://www.amnesty.de/journal/2012/juni/operation-freiheit, Zugriff 5.1.2016
-
DIS - Danish Immigration Service (26.2.2015): Syria: Military Service, mandatory Self-Defence Duty and Recruitment to the YPG, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1425637269_syriennotat26feb2015.pdf, Zugriff 25.11.2016
-
FIS - Finnish Immigration Service (23.8.2016): Syria: Military Service, National Defence Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition,
https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/PLib/Report_Military-Service_-Final.pdf, Zugriff 27.10.2016
-
Reuters (20.7.2016): Seeing no future, deserters and draft-dodgers flee Syria,
http://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-syria-army-idUSKCN1001PY, Zugriff 27.10.2016
Rückkehr
Länger zurückliegende Gesetzesverletzungen im Heimatland (z.B. illegale Ausreise) können von den syrischen Behörden bei einer Rückkehr verfolgt werden. In diesem Zusammenhang kommt es immer wieder zu Verhaftungen (AA 22.11.2016).
Quellen des kanadischen IRB gaben an, dass Personen bei der Einreise nach Syrien über den internationalen Flughafen Damaskus oder andere Einreiseorte kontrolliert werden. Bei männlichen Personen im wehrfähigen Alter wird auch kontrolliert, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Männer im wehrfähigen Alter sind bei der Einreise besonders gefährdet, Opfer von Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu werden. Die Sicherheitsorgane haben am Flughafen freie Hand, und es gibt keine Schutzmechanismen, wenn eine Person verdächtigt und deswegen misshandelt wird. Es kann passieren, dass die Person sofort inhaftiert und dabei Opfer von Verschwindenlassen oder Folter wird. Oder der Person wird die Einreise nach Syrien erlaubt, sie muss sich jedoch zu einem anderen Zeitpunkt erneut melden und verschwindet dann. Eine Person kann auch Opfer von Misshandlungen werden, ohne dass es dafür einen bestimmten Grund gibt. Das System ist sehr unberechenbar (IRB 19.1.2016). Bereits im Jahr 2012 hat ein britisches Gericht festgestellt, dass für einen nach Syrien zurückkehrenden, abgelehnten Asylwerber im Allgemeinen bei der Ankunft die reale Gefahr besteht, aufgrund einer angenommenen politischen Gesinnung inhaftiert zu werden, und in der Folge schweren Misshandlungen ausgesetzt zu sein. Seit dieser Feststellung hat sich die Situation weiter verschlimmert (UK HOME 8.2016).
Bei Rückkehr nach einem abgelehnten Asylantrag würde eine Person inhaftiert und im Zuge von Befragungen gefoltert werden. Die Person könnte für die Verbreitung falscher Informationen über Syrien im Ausland verurteilt werden, oder die Behörden würden versuchen durch Folter Informationen über andere Asylwerber oder die Opposition zu bekommen (IRB 19.1.2016).
Es kann jedoch auch sein, dass eine Person, trotz eines abgelehnten Asylantrages, auch nach der Rückkehr nach Syrien noch als Unterstützer des Asad-Regimes angesehen wird (UK Home Office 8.2016).
Das Gesetz bestraft auch Personen, welche versuchen in einem anderen Land Zuflucht zu suchen, um eine Strafe in Syrien zu vermeiden (USDOS 13.4.2016).
Quellen:
-
AA - Auswärtiges Amt (22.11.2016): Syrien: Reisewarnung, http://www.auswaertigesamt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/SyrienSicherheit_node.html, Zugriff 22.11.2016
-
IRB - Immigration and Refugee Board of Canada (19.1.2016): Syria:
Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion (2014 - December 2015),
https://www.ecoi.net/local_link/320204/459448_de.html, Zugriff 30.9.2016
-
UK HOME - UK Home Office (8.2016): Country Information and Guidance Syria: the Syrian Civil War, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1472706544_cig-syria-security-and-humanitarian.pdf, Zugriff 22.11.2016
-
USDOS - US Department of State (13.04.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Syria, http://www.ecoi.net/local_link/322447/461924_de.html, Zugriff 18.11.2016
Risikoprofile (Quelle: UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung aus November 2015)
Werden Asylanträge von Asylsuchenden aus Syrien auf Einzelfallbasis gemäß bestehenden Asylverfahren oder Verfahren zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft geprüft, so ist UNHCR der Ansicht, dass Personen mit einem oder mehreren der unten beschriebenen Risikoprofile wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der GFK benötigen, sofern keine Ausschlussklauseln anwendbar sind. Bei Familienangehörigen und Personen, die auf sonstige Weise Menschen mit den nachfolgend aufgeführten Risikoprofilen nahestehen, ist es je nach den Umständen des Einzelfalls ebenfalls wahrscheinlich, dass sie internationalen Flüchtlingsschutz benötigen. Sofern relevant, sollte besonderes Augenmerk auf jegliche Verfolgung gelegt werden, der Asylsuchende in der Vergangenheit möglicherweise ausgesetzt waren.
Die nachstehend aufgeführten Risikoprofile sind nicht unbedingt abschließend und können sich überschneiden. Die Reihenfolge der aufgeführten Profile impliziert keine Hierarchie. Die Profile basieren auf Informationen, die UNHCR zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Dokuments vorlagen. Ein Antrag sollte da