TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/20 W191 2175742-1

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Veröffentlicht am 20.11.2017
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Entscheidungsdatum

20.11.2017

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AVG 1950 §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2
FPG §55 Abs1a

Spruch

W191 2175742-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX, geboren am XXXX alias XXXX, Staatsangehörigkeit Indien, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.10.2017, Zahl 820417407-170988976, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz – AVG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1. Vorverfahren:

1.1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach irregulärer Einreise in Österreich am 06.04.2012 unter der angegebenen Identität XXXX, geboren am XXXX, einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

1.1.2. Dazu wurde der BF am 07.04.2012 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab als Fluchtgrund an, eine terroristische Gruppierung habe ihn als Fahrer anwerben wollen. Weil er dies verweigert habe, sei er belästigt, bedrängt und eines Tages entführt und misshandelt worden. Er habe um Bedenkzeit gebeten, um entkommen zu können, und sei nach Bombay (auch: Mumbai) geflüchtet. Aber auch dort sei er gefunden und telefonisch mit dem Tode bedroht worden, weshalb er aus seiner Heimat geflüchtet sei.

1.1.3. Im Zuge seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt (in der Folge BAA), Außenstelle Traiskirchen am 19.04.2012, führte der BF zu seinem Fluchtgrund zusammengefasst aus, im Jahr 2001 hätten ihn Angehörige einer terroristischen Gruppierung als Chauffeur anwerben wollen, er habe aber abgelehnt. Auf die Frage, was in den letzten elf Jahren gewesen sei, gab er an, er habe eine Zusammenarbeit immer abgelehnt. Im Juni oder Juli 2001 hätten ihn diese Leute dann entführt und gefoltert. Auf Hinweis, wonach nunmehr April 2012 sei, brachte er vor, er habe um Bedenkzeit gebeten. Die Terroristen hätten ihn nach drei Tagen doch gehen lassen und ihn gewarnt, nicht zur Polizei zu gehen, da sie ansonsten seine Familie umbrächten. Er sei dann noch zwei bis drei Monate in Hyderabad geblieben, um dann alleine nach XXXX zu ziehen. Dort habe er bis 2005 wieder als Taxifahrer gearbeitet. Er sei aus Angst um seine Familie nicht zur Polizei gegangen. Im Jahr 2005 habe er wieder Anrufe bekommen, diese Leute hätten ihm direkt gesagt, "wie weit glaubst du, kannst du vor uns weglaufen?" und er sei jetzt das "Hauptziel". Sobald sie ihn fänden, werde er umgebracht. Aus Angst sei er Ende 2005 nach PUNA geflüchtet. Seit er 2001 von den Terroristen freigekommen sei, habe es zu diesen nur mehr telefonischen Kontakt gegeben; letztmals im Juli oder August 2009 in Bombay. Seine Frau sei "nicht so oft" belästigt worden. Sie hätten ihr nur gedroht, sie würden sich "um ihn kümmern", wenn er zurückkehre. Bei einem Anruf im Juni oder Juli 2011 habe ihm seine Frau gesagt, dass diese Männer angerufen und nach seinem Aufenthaltsort gefragt hätten. Er habe sich auch in Delhi und Bombay nicht an die Polizei gewandt, weil man ihm mit dem Umbringen seiner Familie gedroht habe.

Er sei in Indien weder vorbestraft oder in Haft gewesen, noch habe er je Probleme mit den Behörden gehabt. Er habe nicht an einem anderen Ort in Indien leben können, da er bereits so oft seinen Wohnsitz gewechselt habe. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er, von den Terroristen getötet zu werden. Zu den Länderfeststellungen gab der BF an, er habe lange versucht, weiter in Indien zu bleiben. Er habe aber seine Heimat verlassen müssen, weil es "nicht mehr gegangen" sei.

Zu seinen persönlichen Verhältnissen gab er an, er sei verheiratet, Angehöriger der Glaubensgemeinschaft der Hindus und komme aus dem Bundesstaat Andra Pradesh. In Indien würden neben seiner Ehefrau und seinen beiden Söhnen noch drei Geschwister leben; seine Eltern seien bereits gestorben. Er habe vier Jahre die Grundschule besucht und spreche Hindi und Telugu. Er habe als Kraftfahrer für ein Fuhrwerksunternehmen bzw. als Taxifahrer gearbeitet. Er habe keinen Führerschein gehabt, dieser sei aber ohnedies nie kontrolliert worden. Er habe während seines Aufenthalts in Griechenland als Tagelöhner gearbeitet, aber zu wenig verdient, um seiner Familie Geld schicken zu können. In Österreich oder der EU habe er keine Verwandten. Er sei gesund, habe aber seit dem Jahr 2007 Diabetes und deswegen bereits in Indien Medikamente bekommen. Er habe kein Identitätsdokument. Er gehe in Österreich keiner Arbeit nach, habe keine sozialen Bindungen, besuche keine Kurse, sei nicht Mitglied in einem Verein und spreche auch nicht Deutsch.

1.1.4. Mit Bescheid des BAA vom 23.04.2012, FZ. 12 04.174-BAT, wurde dieser (erste) Antrag des BF gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.) und festgestellt, dass dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Indien nicht zukomme (Spruchpunkt II.). In Spruchpunkt III. wurde der BF gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgewiesen.

Begründend führte das BAA im Wesentlichen aus, dass der BF im Falle seiner Rückkehr nicht im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) gefährdet sei. Aus den Länderfeststellungen gehe klar hervor, dass die allgemeine Situation in seinem Heimatland keine ernsthafte Bedrohung für sein Leben im Fall seiner Rückkehr darstelle. Seinem Vorbringen könne weder eine Furcht vor Verfolgung in ganz Indien entnommen werden, noch könne er glaubhaft darlegen, dass ihm keine innerstaatliche Fluchtalternative offen stehe. Es könne nicht von einer ernsthaften Verfolgung durch Angehörige der terroristischen Gruppierung "Nakhsalwadi" ausgegangen werden, zumal es nach seiner Mitnahme im Jahr 2001 mehr als zehn Jahre lang nur bei Anrufen geblieben sei. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass ihn potenzielle Verfolger in ganz Indien überhaupt suchen bzw. finden würden. Unabhängig davon, ob man sein Vorbringen glaube, stehe ihm jedenfalls die Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative offen, zumal er in einen anderen Landesteil übersiedeln und dort ein zumutbares Leben führen könnte. Er werde auch nicht in seinem Recht auf subsidiären Schutz verletzt. Auch liege in Österreich kein schützenswertes Familienleben zu dauernd Aufenthaltsberechtigten vor; ein Eingriff in sein Recht auf Privatleben sei gerechtfertigt. Es gebe insgesamt keine Anhaltspunkte für eine mögliche Verletzung seiner Rechte nach Art. 8 EMRK.

1.1.5. Gegen diesen Bescheid betreffend den ersten Antrag des BF auf internationalen Schutz brachte der BF das Rechtsmittel der Beschwerde beim Asylgerichtshof (in der Folge AsylGH) ein, in der er im Wesentlichen sein bisheriges Fluchtvorbringen wiederholte und angab, dass sich sein Gesundheitszustand täglich verschlechtere. Er legte keine neuen Beweismittel für sein Vorbringen vor und brachte auch keine neuen Aspekte in das Verfahren ein.

1.1.6. Mit Verfahrensanordnung vom 20.02.2013 wurde dem BF mitgeteilt, der AsylGH gehe vorläufig nach der bei ihm vorliegenden Aktenlage davon aus, dass er weder an einer lebensbedrohlichen Krankheit leide, noch dass er eine längerfristige Pflege oder Rehabilitation benötige. In seiner Beschwerde vom 24.04.2012 habe er die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens über seinen physischen und insbesondere psychischen Gesundheitszustand zum Beweis der Verletzungen durch die Verfolger in Indien und über seinen allgemein schlechten Zustand beantragt. Er wurde aufgefordert, alle mit seiner gesundheitlichen Situation im Zusammenhang stehenden Beweismittel vorzulegen.

1.1.7. Mit Schreiben vom 07.03.2013 führte der BF dazu aus, er leide an Diabetes Mellitus und daraus resultierend an Gonalgie. Dazu wurde die Ambulanzkarte des Krankenhauses XXXX in Wien samt Laborbefund übermittelt.

Aus dem Schreiben vom 02.05.2013, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Behandlungsmöglichkeit von Diabetes Mellitus und Gonalgie geht hervor, dass den näher zitierten Quellen zu entnehmen sei, dass eine Behandlung von Diabetes Mellitus und Gonalgie in den größeren Städten in Indien behandelbar sei. Es gebe einige öffentliche Krankenhäuser, wo eine Behandlung kostenfrei sei.

1.1.8. In der mündlichen Verhandlung vor dem AsylGH am 18.06.2013 gab der BF zu seiner Verfolgung an, er habe Probleme mit der Terroristengruppe der Naxaliten gehabt. Er stamme aus Andhra Pradesh und habe als Taxifahrer in Hyderabad gearbeitet. Man habe ihn aufgefordert, für diese Gruppe als Fahrer zu arbeiten und seine jetzige Arbeit aufzugeben. Sie hätten ihn des Öfteren zu Hause aufgesucht und er sei auch ins Gebirge entführt und dort zwei Tage in Gefangenschaft gehalten worden. Er habe um Bedenkzeit gebeten, da er zwei kleine Kinder habe. Er sei dann freigelassen worden und nach Mumbai geflüchtet. Er sei von den Naxaliten misshandelt worden und zeigte dazu Narben im Bauchbereich vor. In Mumbai habe er sich vier bis fünf Jahre aufgehalten und sei dann weiter nach PUNE gegangen. 2009 sei er dann von Hyderabad nach XXXX gegangen, aber man habe ihn überall gefunden. Anschließend sei er im Jahr 2010 von Mumbai nach Griechenland geflüchtet.

Zur Frage, warum man gerade ihn als Fahrer ausgesucht habe, gab der BF an, er sei nicht der Einzige, man habe verschiedene Personen aufgefordert, für die Gruppe als Taxifahrer zu arbeiten. Das sei die Aufgabe dieser Gruppe, man könne diese Personen nicht erkennen. Im Jahr 2007 habe er sein Haus verkauft und seine Familie sei zu den Schwiegereltern nach Mumbai gezogen. Seine Familie habe in verschiedenen Häusern bzw. Wohnungen jeweils für kurze Zeit gelebt. Vor acht Monaten habe man wieder nach ihm gefragt. Zur Frage, warum man gerade nach ihm als Taxifahrer gefragt habe und ihn bis nach Mumbai verfolgt habe, man hätte ja auch einen anderen Taxifahrer suchen können, gab der BF an, er kenne sich in Hyderabad sehr gut aus, die Straßen seien dort sehr eng. Es gebe dort auch nicht sehr viele Taxifahrer. Er habe seit 1995 als Taxifahrer gearbeitet und es sei dort nicht sehr einfach, als Taxifahrer zu arbeiten. Zur Frage, warum man ihn immer wieder gefunden habe, gab er an, er sei sich sicher, dass seine Freunde die Terroristen informiert hätten bzw. diese bestochen worden seien. Er habe viele Freunde und die würden danach fragen, wo er sich derzeit befinde. Zur Frage, warum er über so viele Städte verfolgt werde, Hyderabad sei eine Millionenstadt, gab er an, es sei üblich, wenn jemand entführt werde, dass er für die Gruppe sechs oder acht Monate arbeiten müsse. Danach werde er entweder freigelassen oder getötet. Er habe damals um Bedenkzeit gebeten und er vermute, dass er deshalb dann verfolgt worden sei. Er sei ein einfacher Mensch, und sogar Minister hätten keine Sicherheit vor den Naxaliten. Vor einigen Tagen habe es in Chattisgarh auch einen Terroranschlag gegeben, bei dem mehrere Regierungsmitglieder getötet worden seien. Wenn sogar Minister dort nicht sicher seien, wie solle er sich dort frei bewegen.

Zu seinem Gesundheitszustand gab er an, er habe Probleme mit dem Blutzucker und gehe regelmäßig in ein Spital, auch benötige er regelmäßig Medikamente. Er gab an, dass er bereits in Indien an Diabetes gelitten und auch Medikamente benötigt habe, die er auch dort erhalten habe. Wenn er große Aufregung habe, bekomme er Diabetes. Dem BF wurde die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 02.05.2013 zur Behandlungsmöglichkeit von Diabetes in Indien übersetzt. Dazu gab er an, er akzeptiere das, er wisse, dass dies stimme. Er sei noch gesund und jung und könne sich noch gut bewegen. In fünf oder sechs Jahren sei er sicher nicht mehr gesund. Auch könnte er in Indien getötet werden und sterben. Der BF überreichte eine Ambulanzkarte des Krankenhauses XXXX vom 02.01.2013.

Zu seiner Aufenthaltsverfestigung in Österreich gab er an, er sei seit 14 Monaten hier. Er spreche kein Deutsch, könne jedoch ein wenig Englisch. Er lebe vom Zeitungszustellen. Er habe keine Verwandten in Österreich. Er habe Freunde und Bekannte, die teilweise auch Asylwerber seien. Er habe auch Freunde aus der Türkei. Er sei nicht Mitglied in einem Verein und auch sonst nicht sozial oder karitativ tätig. Der BF ersuchte, ihm die Möglichkeit zu eröffnen, einer offiziellen Beschäftigung nachzugehen und so für seine Familie zu sorgen.

1.1.9. Mit Erkenntnis vom 27.06.2013, Zahl C11 426.587-1/2012/11E, wies der Asylgerichtshof (in der Folge AsylGH) diese Beschwerde gemäß §§ 3, 8 und 10 Abs. 1 Z 2 AsylG rechtskräftig als unbegründet ab.

In der Begründung schloss sich der AsylGH im Wesentlichen den Feststellungen bzw. Ausführungen des BAA an. Der BF habe eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft gemacht und auch die Voraussetzungen für die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung lägen vor.

Beweiswürdigend führte der AsylGH unter anderem aus (Auszug aus der Erkenntnisbegründung):

"Der Beschwerdeführer stammt nach seiner eigenen Angabe aus Indien; dass diese stimmt, davon war auch aufgrund einer gewissen geographischen Orientiertheit des Beschwerdeführers und seiner Kenntnis der Landessprachen Hindi und Telugu auszugehen. Nähere Feststellungen zu seiner Identität konnten dagegen in Ermangelung von glaubhaften Dokumenten nicht erfolgen.

[...]

Wenn man den Darstellungen des Beschwerdeführers zu seinen individuellen Fluchtgründen folgt, dass er tatsächlich von Angehörigen einer näher genannten terroristischen Gruppierung verfolgt und bedroht worden ist und allenfalls von der örtlichen Polizei in diesem Zusammenhang keinen Schutz erhalten hat, ergibt sich, dass er außerhalb seines behaupteten Herkunftsortes in Indien eine innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative hat. Dass dies in Indien grundsätzlich möglich ist, ergibt sich aus den oben wiedergegebenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid und dem Vorbringen des Beschwerdeführers.

[...]

Seine Behauptung, wonach er bereits öfter erfolglos seinen Wohnsitz gewechselt habe und in Indien nicht an einem anderen Ort leben könne bzw. er in keinem Teil Indiens wirklich sicher sei, zumal ihn seine Verfolger auch während seiner Flucht innerhalb von Indien seit 2001 jedes Mal aufgespürt hätten, waren nicht nachvollziehbar und somit auch nicht geeignet, tatsächliche Zweifel am Vorliegen der Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu begründen. Es ist nämlich nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer, sollte er die Nummer seines Mobiltelefonanschlusses lediglich seinen Freunden und Verwandten bzw. ehemaligen Nachbarn geben, auch von seinen Verfolgern gefunden hätte werden können. Nach seinen Angaben wurde er aber immer nur telefonisch bedroht. Auch ist vor dem Hintergrund seines Vorbringens, er sei das "Hauptziel" gewesen, nicht anzunehmen, dass ihn seine Verfolger bloß angerufen hätten, wenn sie tatsächlich seinen Aufenthaltsort gewusst hätten. Es ist es für den Asylgerichtshof nach seinen diesbezüglichen Schilderungen in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar, warum seine Gegner – letztlich auch nach all den vergangenen Jahren – einen solchen Aufwand aufbringen sollten, um den Beschwerdeführer als Fahrer für ihre Zwecke anzuwerben und ihn dabei über den ganzen indischen Subkontinent zu verfolgen. Dazu stünde ihnen – so es ein solches Interesse der geschilderten terroristischen Gruppierung tatsächlich bestehen sollte – eine Vielzahl an anderen ortskundigen Personen zu Verfügung, die mit weniger Aufwand angeworben werden könnten. Letztlich hat der Beschwerdeführer auch selbst angegeben, er habe sich längere Zeit bsp. in PUNE aufgehalten, ohne dass er verfolgt worden ist. Wenn er behauptet, er könne immer wieder gefunden werden, da auch seine Freunde seinen Aufenthaltsort "gegen Bestechungsgelder" verraten würden, ist ihm entgegenzuhalten, dass er sich (auch mit seiner Familie) in einem anderen Landesteil niederlassen kann, ohne dies seinen Freunden mitzuteilen.

[...]

Auch seine Befürchtung, er hätte bei seiner Rückkehr in seine Heimat mit gravierenden wirtschaftlichen Problemen zu rechnen, weil ihm die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und der Aufbau einer Existenz nicht möglich wäre, zumal er nicht auf die Hilfe seiner Familie zurückgreifen könnte, ist nach seinem eigenen Vorbringen und vor dem Hintergrund der Länderberichte nicht nachvollziehbar. Wie er nämlich im Verfahren selbst wiederholt berichtet hat, hat er auch während seiner rund neun Jahre andauernden "innerstaatlichen Flucht" seinen Lebensunterhalt erfolgreich bestritten. [...]"

Ein Gerichtshof des öffentlichen Rechts wurde gegen diese Entscheidung nicht angerufen.

1.2. Aktuelles Verfahren:

1.2.1. Am 24.08.2017 stellte der BF unter einer anderen Identität (Name und Geburtsdatum) einen zweiten (gegenständlichen) Antrag auf internationalen Schutz.

1.2.2. Bei der Erstbefragung am folgenden Tag durch einen Vertreter des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich, Polizeiinspektion (PI) Schwechat, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Hindi, gab der BF an, dass er bei seiner Einreise damals im Jahr 2012 von Bekannten dazu bewogen worden sei, einen falschen Namen anzugeben, um nicht nach Indien abgeschoben zu werden. Die Asylverfahren in Österreich seien seines Wissens abgeschlossen – er habe ein Heimreisezertifikat erhalten und das auch beim Bundesamt im Jahr 2013 oder 2014 unterschrieben.

Er sei aber nicht ausgereist, weil er Bluthochdruck habe und dagegen in Österreich behandelt werde. Nunmehr wolle er tatsächlich zurück nach Indien und müsse dazu bei der Botschaft einen Reisepass beantragen, was etwa drei bis vier Monate dauern werde. Dazu müsse er aber seinen richtigen Namen angeben. Deshalb habe er nun neuerlich um Asyl angesucht, um ein Dokument zu erhalten, auf dem sein richtiger Name vermerkt sei, um bei der Botschaft einen Reisepass zu erhalten. In der Zwischenzeit könne er noch ein wenig Geld verdienen, um den Flug bezahlen zu können.

Seine Fluchtgründe habe er schon damals eingehend dargelegt. Sein Leben sei damals in Indien in Gefahr gewesen, weil er Schwierigkeiten mit der dortigen Mafia gehabt habe. Der Einfluss der Mafia sei in der Zwischenzeit ein bisschen geringer geworden.

Er habe finanzielle Probleme und könne seine Erkrankungen in Indien nicht behandeln lassen. Er möchte aber trotzdem nach Hause zurückkehren, weil er hier keine Aufenthaltsbewilligung bekommen werde. Seit 2012 habe er ständig in Wien gewohnt.

1.2.3. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG vom 04.09.2017 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), Erstaufnahmestelle (EAST) Traiskirchen, dem BF mit, dass beabsichtigt sei, seinen (neuerlichen) Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da entschiedene Sache im Sinne des § 68 AVG vorliege.

1.2.4. Aus einem im Verwaltungsakt einliegenden Bericht der Landespolizeidirektion Wien, SPK Margareten – Kriminalreferat, über Recherchen zum Wohnort des BF geht hervor, dass dieser – unter seiner nunmehr berichtigten Identität – seit 12.09.2017 an einer Adresse in 1060 Wien gemeldet ist, wo der BF auch angetroffen werden konnte.

1.2.5. In seiner Einvernahme am 18.09.2017 vor dem BFA, EAST Ost, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Hindi und eines Rechtsberaters im Zulassungsverfahren, bestätigte der BF nach durchgeführter Rechtsberatung die Richtigkeit seines bisherigen Vorbringens im aktuellen Verfahren und gab auf Befragung im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei gestresst und traurig. Er habe Blutdruckprobleme und müsse ständig über seine Frau und seine Kinder nachdenken, wie es ihnen gehe. Er schlafe schlecht. Beweise für seine Fluchtgründe habe er keine, ärztliche Befunde habe er zuhause. Der BF gab an, er spreche ein bisschen Deutsch.

Zu seinen Fluchtgründen befragt sagte der BF, er sei in Lebensgefahr gewesen, aber er habe gelogen. Es gebe eine Terrororganisation namens "Naqsalwadi", mehr wisse er nicht. Er habe Probleme mit einer Mafia aus Mumbai gehabt.

Seine Frau habe zu ihm gesagt, dass er zurückkommen solle. Seine Familie werde gemeinsam mit ihm Selbstmord begehen, habe sie gesagt, bevor ihn die Schlägertypen töten.

Dem BF wurde eine Kopie der aktuellen Länderfeststellungen zu Indien (offenbar das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation) ausgefolgt und eine Frist zur Abgabe einer allfälligen schriftlichen Stellungnahme dazu eingeräumt (die ungenutzt verstrich) und eine Ladung zu einer ärztlichen Untersuchung ausgefolgt.

Der Rechtsberater stellte keine Fragen oder Anträge.

1.2.6. Laut "Gutachterlicher Stellungnahme im Zulassungsverfahren" einer Fachärztin für Allgemeinmedizin mit Zusatzausbildungen in psychotherapeutischer Medizin vom 01.10.2017 wiederholte der BF bei der Eingangsbesprechung zu seiner Untersuchung am 29.09.2017 im Wesentlichen den Verfahrensgang und seine bisher im Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe.

Der BF führte mehrere Erkrankungen auf, an denen er leide, legte jedoch keine Befunde vor.

Laut "psychologischer Schlussfolgerung" liegt beim BF eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vor (eine relativ leichte depressive Reaktion im Sinne einer Anpassungsstörung F43.2). Der BF sei allseits orientiert und bewusstseinsklar. Die Stimmung sei subdepressiv. Suizidalität finde sich keine. Therapeutische oder medizinische Maßnahmen wurden nicht angeraten.

Diese Stellungnahme wurde dem BF nachweislich ausgefolgt und ihm eine Frist zur Abgabe einer allfälligen Stellungnahme dazu eingeräumt, die ebenfalls ungenutzt verstrich.

1.2.7. Mit – verfahrensgegenständlich angefochtenem – Bescheid vom 11.10.2017 wies das BFA den (Folge-) Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 24.08.2017 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt II. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Indien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise der BF (Spruchpunkt III.).

Das BFA traf Feststellungen zur Person des BF, zu seinem Privat- und Familienleben sowie zur Lage im Herkunftsstaat (offenbar Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation). Die Identität des BF stehe nicht fest. Der BF leide an einer relativ leichten depressiven Reaktion im Sinne einer Anpassungsstörung F43.2. Es lägen keine Umstände vor, welche einer Rückkehr des BF nach Indien entgegenstünden.

Das BFA stellte fest, dass der Antrag des BF auf internationalen Schutz im Vorverfahren rechtskräftig abgewiesen worden sei und er im gegenständlichen Asylverfahren – den Fluchtgrund betreffend – keinen neuen Sachverhalt, welcher sich nach Abschluss des ersten Verfahrens ereignet hätte, vorgebracht hätte. Im Gegenteil habe er sogar zugestanden, dass er im ersten Verfahren teilweise unrichtige Angaben gemacht habe, wenngleich er später wieder angab, er sei – wie schon im Erstverfahren behauptet – von der Mafia in Mumbai verfolgt worden.

Da somit kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt feststellbar sei, sei der Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Besondere Integrationsmerkmale beim BF hätten nicht festgestellt werden können.

1.2.8. Mit Schreiben seines zur Vertretung bevollmächtigten Rechtsberaters vom 02.11.2017 brachte der BF an diesem Tag fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) gegen den Bescheid vom 11.10.2017 wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und "Mangelhaftigkeit des Verfahrens" ein.

In der Beschwerdebegründung wurden – ungeachtet der gegenteiligen Aussagen des BF in seiner Erstbefragung vom 25.08.2017 – das Vorbringen des BF im Vorverfahren sowie entsprechende Angaben im gegenständlichen Verfahren zusammengefasst wiederholt.

Moniert wurde, dass die getroffenen Länderfeststellungen aktuell seien und daher nicht jenen entsprechen würden, die der ersten Entscheidung zugrunde gelegen seien. Dies bewirke eine "(materielle) Rechtskraftdurchbrechung".

Weiters leide der BF "an diversen physischen Erkrankungen – Diabetes, Bluthochdruck und an einer Lebererkrankung" und sei "suizidal", weil er im Falle seiner Rückkehr nach Indien bereits den gemeinsamen Selbstmord mit seiner Familie plane.

1.2.9. Die gegenständliche Beschwerde langte am 08.11.2017 beim BVwG ein.

1.2.10. Mit Aktenvermerk des BVwG vom 09.11.2017 wurde festgehalten, dass aus derzeitiger Sicht nach einer Grobprüfung der vorliegenden Akten nicht anzunehmen sei, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Indien eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Dem angefochtenen Bescheid werde daher keine aufschiebende Wirkung gemäß § 17 Abs. 5 BFA-VG zuerkannt.

1.3. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in die dem erkennenden Gericht vorliegenden Akten des BAA, des BFA sowie des AsylGH und des BVwG samt Vorakten, insbesondere in die Niederschriften der Erstbefragung am 25.08.2017, der Einvernahme vor dem Bundesamt am 18.09.2017, die amtlich eingeholte "gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren" vom 01.10.2017 sowie die Beschwerde vom 02.11.2017

* Einsicht in aktenkundliche Dokumentationsquellen des BFA betreffend Indien (offenbar Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA vom 09.01.2017, Aktenseiten 132 bis 179 des Verwaltungsaktes)

1.4. Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (Sachverhaltsfeststellungen):

Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

1.4.1. Zur Person des BF:

Der BF ist Staatsangehöriger von Indien und stammt aus Mumbai. Er führt den Namen XXXX, geboren am XXXX, alias XXXX, geboren am XXXX, und bekennt sich zur Religionsgemeinschaft der Hindus. Der BF besuchte acht Jahre die Grundschule und war als Kraftfahrer erwerbstätig. In Mumbai leben seine Ehefrau und seine beiden minderjährigen Kinder. Der BF hat nach seinen Angaben Kontakt zu ihnen.

Die Identität des BF steht mangels eines unbedenklichen Identitätsdokuments – welches der BF seit seiner Einreise in Österreich vor über fünf Jahren nicht vorgelegt hat – nicht fest.

Im Bundesgebiet verfügt der BF über keine Familienangehörigen, er spricht wenig Deutsch und hat die Ausübung einer erlaubten regelmäßigen Erwerbstätigkeit oder sonstige bedeutende integrationsrelevante Umstände weder behauptet noch belegt. Er lebt von der Grundversorgung für Asylwerber in Österreich.

1.4.2. Seit dem rechtskräftigen Abschluss des vorhergehenden Asylverfahrens mit Erkenntnis des AsylGH vom 27.06.2013, Zahl C11 426.587-1/2012/11E, sind keine maßgeblichen Änderungen des Sachverhaltes oder der im Fall anzuwendenden Rechtsvorschriften eingetreten.

1.4.3. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur allgemeinen Lage in Indien (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA vom 09.01.2017, Schreibfehler teilweise korrigiert):

Überblick über die politische Lage:

Indien ist mit über 1,2 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 12.12.2016; vgl. auch: AA 16.08.2016, BBC 27.09.2016). Die – auch sprachliche – Vielfalt Indiens wird auch in seinem föderalen politischen System reflektiert, in welchem die Macht von der Zentralregierung und den Bundesstaaten geteilt wird (BBC 27.09.2016). Die Zentralregierung hat deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten (AA 9.2016a). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 13.04.2016). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 9.2016a).

Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster (AA 16.08.2016), der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist durchgesetzt (AA 9.2016a). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, die über einen dreistufigen Instanzenzug verfügt, ist verfassungsmäßig garantiert (AA 16.08.2016).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 13.04.2016). Die Legislative besteht aus einer Volkskammer (Lok Sabha) und einer Staatenkammer (Rajya Sabha). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 16.08.2016).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 13.04.2016). Das Präsidentenamt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse. Seit Juli 2012 ist Präsident Pranab Kumar Mukherjee indisches Staatsoberhaupt (AA 9.2016a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister (GIZ 11.2016).

Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 12.2016).

Sicherheitslage:

Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven. Widersprüche, Gegensätze oder Konflikte entladen sich in den gesellschaftlichen Arenen und werden von der Politik aufgegriffen, verarbeitet und teilweise instrumentalisiert (GIZ 11.2016). Blutige Terroranschläge haben in den vergangenen Jahren in Indiens Millionen-Metropolen wiederholt Todesopfer gefordert (Eurasisches Magazin 24.5.2014). Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 11.2016). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 16.08.2016).

Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 Mumbai, September 2011 New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 Chennai und Dezember 2014 Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt, und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.04.2015). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2011 1.073 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt, für das Jahr 2012 803, für das Jahr 2013 885, für das Jahr 2014 976, für das Jahr 2015 722 und für das Jahr 2016 835 [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 09.01.2017).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 12.2016).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 16.08.2016).

Justiz:

In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft, und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige indische Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig lange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 16.08.2016; vgl. auch:

USDOS 13.04.2016). Eine generell diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption (AA 24.04.2015).

Das Gerichtswesen ist auch weiterhin überlastet, und der Rückstau bei Gericht führt zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung. Eine Analyse des Justizministeriums ergab mit 01.08.2015 eine Vakanz von 34% der Richterstellen an den Obergerichten (USDOS 13.04.2016). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft. Dies führt dazu, dass Zeugen vor Gericht häufig nicht frei aussagen, da sie bestochen oder bedroht worden sind (AA 16.08.2016; vgl. auch: USDOS 13.04.2016).

Sicherheitsbehörden:

Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 6.2016) und untersteht den Bundesstaaten (AA 16.08.2016). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreicher nationaler Strafrechte und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department – CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und bundesstaatenübergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (Ministry of Home Affairs) (BICC 6.2016).

Ein Mangel an Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Polizei entsteht neben den strukturellen Defiziten auch durch häufige Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergerichtliche Tötungen und Drohungen, die mutmaßlich durch die Polizei verübt wurden (BICC 6.2016; vgl. auch: USDOS 13.04.2016). Die Polizei bleibt weiterhin überlastet, unterbezahlt und politischem Druck ausgesetzt, was in einigen Fällen zu Korruption führt. (USDOS 13.04.2016). Versprochene Polizeireformen verzögerten sich 2015 erneut (HRW 27.01.2016).

Die Effektivität der Strafverfolgung und der Sicherheitskräfte ist im gesamten Land sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während es einerseits Fälle von Polizisten/Beamten gibt, die auf allen Ebenen ungestraft handeln, so gab es andererseits auch Fälle, in denen Sicherheitsbeamte für ihre illegalen Handlungen zur Verantwortung gezogen wurden (USDOS 13.04.2016).

Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die "Beschützerin der Nation", aber nur im militärischen Sinne (BICC 6.2016). Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 16.08.2016; vgl. auch: BICC 6.2016), wie etwa beim Kampf gegen bewaffnete Aufständische, der Unterstützung der Polizei und der paramilitärischen Einheiten sowie dem Einsatz bei Naturkatastrophen (BICC 6.2016).

Für den Einsatz von Streitkräften – vor allem von Landstreitkräften – in Unruhegebieten und gegen Terroristen wird als Rechtsgrundlage der "Armed Forces Special Powers Act" (AFSPA) herangezogen. Der AFSPA gibt den Streitkräften weitgehende Befugnisse zum Gebrauch tödlicher Gewalt, zu Festnahmen ohne Haftbefehl und Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl. Bei ihren Aktionen genießen die Handelnden der Streitkräfte weitgehend Immunität vor Strafverfolgung. Der AFSPA kommt zur Anwendung, nachdem Regierungen der Bundesstaaten ihre Bundesstaaten oder nur Teile davon auf der Basis des "Disturbed Areas Act" zu "Unruhegebieten" erklären. Als Unruhegebiete gelten zurzeit der Bundesstaat Jammu und Kaschmir und die nordöstlichen Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Assam, Meghalaya, Manipur, Mizoram und Nagaland (AA 16.08.2016 vgl. USDOS 25.06.2015).

Die unter anderem auch in den von linksextremistischen Gruppen (sog. Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten Indiens unterstehen zu weiten Teilen dem Innenministerium (AA 16.08.2016). Dazu zählen insbesondere die National Security Guard (Nationale Sicherheitspolizei NSG), eine aus Angehörigen des Heeres und der Polizei zusammengestellte Spezialtruppe für Personenschutz, auch als "Black Cat" bekannt, die Rahtriya Rifles, eine Spezialtruppe zum Schutz der Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen bei inneren Unruhen und zur Bekämpfung von bewaffneten Rebellionen, die Central Reserve Police Force (CRPF) – die Bundesreservepolizei, eine militärisch ausgerüstete Polizeitruppe für Sondereinsätze –, die Border Security Force (BSF – Bundesgrenzschutz), als größte und am besten ausgestattete Miliz zum Schutz der Grenzen zu Pakistan, Bangladesh und Myanmar. Sie wird aber auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in anderen Landesteilen eingesetzt. Weiters zählen die Assam Rifles – zuständig für Grenzverteidigung im Nordosten –, die Indo-Tibetan Border Force (ITBP) als Indo-Tibetische Grenzpolizei sowie die Küstenwache, die Railway Protective Force zum Schutz der nationalen Eisenbahn und die Central Industrial Security Force, zum Werkschutz der Staatsbetriebe dazu (ÖB 12.2016). Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 16.08.2016).

Die Grenzspezialkräfte ("Special Frontier Force)" unterstehen dem Büro des Premierministers. Die sogenannten Grenzspezialkräfte sind eine Eliteeinheit, die an sensiblen Abschnitten der Grenze zu China eingesetzt werden. Auch für das Handeln der Geheimdienste, das sogenannte Aufklärungsbüro ("Intelligence Bureau" – Inlandsgeheimdienst) und den Forschungs- und Analyseflügel ("Research and Analysis Wing" – Auslandsgeheimdienst), bestehen gesetzliche Grundlagen (AA 24.04.2015; vgl. auch USDOS 25.06.2015).

Der "Unlawful Activities (Prevention) Act" (UAPA) wurde verschärft. Die Änderungen beinhalten u.a. eine erweiterte Terrorismusdefinition und in Fällen mit Bezug zu Terrorismus die Möglichkeit zur Ausweitung der Untersuchungshaft ohne Anklage von 90 auf 180 Tage und erleichterte Regeln für den Beweis der Täterschaft eines Angeklagten (die faktisch einer Beweislastumkehr nahekommen) (AA 24.04.2015).

Allgemeine Menschenrechtslage:

Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 16.08.2016). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 12.2016). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 16.08.2016). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, aber ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u. a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt.

Die wichtigsten Menschenrechtsprobleme sind Missbrauch durch Polizei und Sicherheitskräfte einschließlich außergerichtlicher Hinrichtungen, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet und trägt zur ineffektiven Verbrechensbekämpfung, insbesondere auch von Verbrechen gegen Frauen, Kinder und Mitglieder registrierter Kasten und Stämme sowie auch gesellschaftlicher Gewalt aufgrund von Geschlechts-, Religions-, Kasten- oder Stammeszugehörigkeit bei (USDOS 13.04.2016).

Die Menschenrechtslage ist in Indien regional sehr unterschiedlich (BICC 6.2016), eine verallgemeinernde Bewertung kaum möglich:

Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 16.08.2016). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tiefverwurzelte soziale Praktiken wie nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 16.08.2016). Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niedriger Kasten werden systematisch diskriminiert (BICC 6.2016). Während die Bürger- und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in den Regionen dort, wo es interne Konflikte gibt, teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, aber auch den nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen, seien es separatistische Organisationen oder regierungstreue Milizen, werden massive Menschenrechtsverletzungen angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Insbesondere hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten, wird den Sicherheitskräften Parteilichkeit vorgeworfen Die Stimmung wird durch hindunationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 6.2016).

Separatistische Rebellen und Terroristen in Jammu und Kaschmir, den nordöstlichen Bundesstaaten und im Maoistengürtel begehen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, darunter Morde an Zivilisten, Polizisten, Streitkräften und Regierungsbeamten. Aufständische sind für zahlreiche Fälle von Entführung, Folter, Vergewaltigung, Erpressung und den Einsatz von Kindersoldaten verantwortlich (USDOS 13.04.2016).

Die Behörden verstoßen auch weiterhin gegen die Privatsphäre der Bürger. In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein, und es gibt Berichte von Verhaftungen, aber keine Verurteilungen nach diesem Gesetz. Manche Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 13.04.2016).

Im Oktober 1993 wurde die Nationale Menschenrechtskommission (National Human Rights Commission – NHRC) gegründet. Ihre Satzung beinhaltet den Schutz des Menschenrechtgesetzes aus dem Jahre 1993. Die Kommission verkörpert das Anliegen Indiens für den Schutz der Menschenrechte. Sie ist unabhängig und wurde durch ein Umsetzungsgesetz des Parlaments gegründet. Die NHRC hat die Befugnis eines Zivilgerichtes (NHRC o.D.). Die NHRC empfiehlt, dass das Kriminalermittlungsbüro alle Morde, in denen die angeblichen Verdächtigen während ihrer Anklage, Verhaftung, oder bei ihrem Fluchtversuch getötet wurden, untersucht. Viele Bundesstaaten sind diesem unverbindlichen Rat nicht gefolgt und führten interne Revisionen im Ermessen der Vorgesetzten durch. Die NHRC-Richtlinien weisen die Bundesstaatenregierungen an, alle Fälle von Tod durch Polizeihandlung binnen 48 Stunden an die NHRC zu melden, jedoch hielten sich viele Bundesstaatenregierungen nicht an diese Richtlinien. Die NHRC forderte von den Bundesstaatenregierungen, den Familien von Opfern eine finanzielle Kompensation zu bieten, aber die Bundesstaatenregierungen erfüllten diese Richtlinien nicht konsequent. Die Behörden haben die Streitkräfte nicht dazu aufgefordert, Todesfälle während der Haft an die NHRC zu melden (USDOS 13.04.2016).

Bewegungsfreiheit:

Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 13.04.2016). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt. Abgesehen davon ist Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes gewährleistet (AA 16.08.2016).

Die Regierung lockerte Einschränkungen in Bezug auf Reisen nach Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram, Manipur und Teilen von Jammu und Kaschmir, außer für Ausländer aus Pakistan, China und Burma. Das Innenministerium und die Bundesstaatenregierungen verlangen, vor Reiseantritt von den Bürgern spezielle Genehmigungen einzuholen, um in bestimmte gesperrte Regionen bzw. Sperrzonen zu reisen. Die Sicherheitskräfte untersuchen Wagen und deren Inhaber bei Checkpoints im Kaschmirtal, vor öffentlichen Veranstaltungen in Neu Delhi oder nach großen terroristischen Angriffen (USDOS 13.04.2016).

Die Regierung darf die legale Ausstellung eines Passes an einen Anwärter, von dem geglaubt wird, dass er in Aktivitäten außerhalb des Landes verwickelt ist, die "schädlich für die Souveränität und Integrität der Nation" sind, verweigern. Bürger von Jammu und Kaschmir sind auch weiterhin mit massiven Verzögerungen bei der Ausstellung eines Passes konfrontiert, oft dauert es bis zu zwei Jahre, bis ihnen das Außenministerium einen Pass ausstellt oder erneuert. Die Regierung setzt Antragsteller – geboren in Jammu und Kaschmir –, darunter auch Kinder von Militäroffizieren, Berichten zufolge zusätzlichen Kontrollen aus, bevor sie einen Pass erhalten (USDOS 16.08.2016).

Mit dem geplanten Datenverbundsystem für die zentralen Sicherheitsbehörden und die Unionsstaaten, Crime and Criminal Tracking Network System (CCTNS), soll künftig ein Informationsaustausch auf allen Ebenen gewährleistet sein. Für 2012 war eine Anbindung von 15.000 Polizeistationen und 6.000 übergeordneten Stellen vorgesehen. Die Umsetzung des ambitionierten Vorhabens liegt jedoch weit hinter dem ursprünglichen Zeitplan (AA 03.03.2014).

Indien ist das siebtgrößte Land der Erde mit über einer Milliarde Einwohnern (ÖB 12.2016). Es ist davon auszugehen, dass Betroffene sich durch Flucht in einen anderen Landesteil jeglicher Art der privaten/halbstaatlichen Probleme entziehen können, da nicht davon auszugehen ist, dass über das Dorf hinaus Anwohner oder lokale Behörden Hinweise erhalten oder recherchieren können oder sich überhaupt dafür interessieren, was ein Zugezogener in der Vergangenheit gemacht haben könnte. Es fehlen jegliche zentrale Aktenführung oder Informationsaustausch. Es bedarf lediglich eines sehr einfachen, öffentlichen Namensänderungsverfahrens, um seine Identität zu verschleiern (AA 03.03.2014).

Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem, so dass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss (AA 16.08.2016). Ob der Betreffende nach der Umsiedlung dort die Möglichkeit hat, sich ein wirtschaftliches Auskommen zu verschaffen, hängt ausschließlich von seiner Eigeninitiative ab (AA 03.03.2014).

In den großen Städten ist die Polizei jedoch personell und materiell besser ausgestattet, so dass die Möglichkeit, aufgespürt zu werden, dort größer ist. Bekannte Persönlichkeiten ("high profile" persons) können nicht durch einen Umzug in einen anderen Landesteil der Verfolgung entgehen, wohl aber weniger bekannte Personen ("low profile" people) (ÖB 12.2016).

Grundversorgung:

Etwa ein Viertel der Bevölkerung lebt unter dem Existenzminimum. Sofern es nicht zu außergewöhnlichen Naturkatastrophen kommt, ist jedoch eine für das Überleben ausreichende Nahrungsversorgung auch den schwächsten Teilen der Bevölkerung grundsätzlich sichergestellt. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz. Rückkehrer sind auf die Unterstützung der Familie oder Freunde angewiesen.

Vorübergehende Notlagen können durch Armenspeisungen im Tempel, insbesondere der Sikh-Tempel, die auch gegen kleinere Dienstleistungen Unterkunft gewähren, ausgeglichen werden (AA 16.08.2016).

Medizinische Versorgung:

Die Struktur von Indiens Gesundheitssystems ist vielseitig. Nach der indischen Verfassung haben die verschiedenen Staaten die Leitung über die meisten Aspekte des Gesundheitswesens, inklusive öffentlicher Gesundheit und Krankenhäuser. Rund 80% der Finanzierung des öffentlichen Gesundheitswesens kommt von den Staaten (BAMF 12.2015).

Die gesundheitliche Grundversorgung wird vom Staat kostenfrei gewährt. Sie ist aber durchweg unzureichend (AA 16.08.2016) und schließt keine kostenfreie Gesundheitsversorgung für die gesamte Bevölkerung ein (BAMF 8.2014). Staatliche Krankenhäuser bieten Gesundheitsversorgung kostenfrei oder zu sehr geringen Kosten (BAMF 12.2015).

Staatliche Gesundheitszentren bilden die Basis des öffentlichen Gesundheitswesens. Dies sind meist Ein-Mann-Kliniken, die auch kleine Operationen anbieten. Diese Zentren sind grundsätzlich in der Nähe aller Dörfer zu finden. Insgesamt gibt es mehr als 23.000 solcher Kliniken in Indien. Gemeindegesundheitszentren (Community Health Centres) sind als Basis des Gesundheitswesens in städtischen Gegenden verfügbar. Taluk Krankenhäuser werden von der Regierung und dem zuständigen Taluk [Anmerkung: Verwaltungseinheit] betrieben. Bezirkskrankenhäuser (District level hospitals) und spezialisierte Kliniken sind für alle möglichen Gesundheitsfragen ausgestattet (BAMF 12.2015).

Der private Sektor hat ebenfalls eine wesentliche Rolle bei der Gesundheitsversorgung (BAMF 12.2015), und da der Andrang auf Leistungen des staatlichen Sektors sehr stark ist, weichen viele für eine bessere oder schnellere Behandlung auf private Anbieter aus. Die privaten Gesundheitsträger genießen wegen der fortschrittlicheren Infrastruktur und des qualifizierteren Personals einen besseren Ruf. In allen größeren Städten gibt es medizinische Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Behandlungen durchgeführt werden können. Dies gilt mit den genannten Einschränkungen auch für den öffentlichen Bereich (AA 16.08.2016). Einige wenige private Krankenhäuser in den größten Städten gewährleisten einen Standard, der dem westlicher Industriestaaten vergleichbar ist. Im wirtschaftlich starken Punjab und in New Delhi ist die Gesundheitsversorgung im Verhältnis zu anderen Landesteilen gut (AA 16.08.2016). Private Gesundheitsversorgung ist vergleichbar teuer, und den Großteil der Kosten zahlen die Patienten und deren Familien selbst. Für den Zugang zu den Leistungen ist grundsätzlich ein gültiger Personenausweis nötig (Adhaar card, Voter ID, PAN, driving license) (BAMF 12.2015).

Mehrere Versicherungsgesellschaften bieten eine Krankenversicherung an, die bestimmte medizinische Kosten abdeckt, unter anderem auch stationären Krankenhausaufenthalt. Die Abdeckung variiert je nach Versicherungspolizze (BAMF 8.2014). Die staatliche Krankenversicherung (Universal Health Insurance Scheme) erfasst nur indische Staatsbürger unterhalb der Armutsgrenze. Für den Rest der Bevölkerung ist eine beitragspflichtige Krankenversicherung durch verschiedene private und staatliche Firmen zu unterschiedlichen Konditionen gegeben. Bekannte Versicherer sind General Insurance, Bharti AAA, HDFC ERGO, Bajaj, Religare, Apollo Munich, New India Assurance, Max Bupa etc. Zudem gibt es viele wohltätige Institutionen, die bezahlbare Behandlungen anbieten (BAMF 12.2015).

In Indien sind fast alle gängigen Medikamente auf dem Markt erhältlich (AA 16.08.2016). Medikamentenläden sind in Indien zahlreich und auch in entlegenen Städten vorhanden. (BAMF 12.2015). Die Einfuhr von Medikamenten aus dem Ausland ist möglich. Indien ist der weltweit größte Hersteller von Generika, und Medikamente kosten einen Bruchteil der Preise in Europa (AA 16.08.2016). Die Kosten für die notwendigsten Medikamente sind staatlich kontrolliert, sodass diese weitreichend erhältlich sind (BAMF 12.2015).

Behandlung nach Rückkehr:

Allein die Tatsache, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung. In den letzten Jahren hatten indische Asylbewerber, die in ihr Heimatland abgeschoben wurden, grundsätzlich – abgesehen von einer intensiven Prüfung der (Ersatz-) Reisedokumente und einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden – keine Probleme. Polizeilich gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (AA 16.08.2016). Die indische Regierung hat kein Reintegrationsprogramm und bietet auch sonst keine finanzielle oder administrative Unterstützung für Rückkehrer (BAMF 12.2015).

Dokumente:

Echtheit der Dokumente:

Der Zugang zu gefälschten Dokumenten oder echten Dokumenten falschen Inhalts ist leicht. Gegen entsprechende Zahlungen sind viele Dokumente zu erhalten. Erleichtert wird der Zugang überdies durch die Möglichkeit, Namen ohne größeren Aufwand zu ändern. Angesichts der Unzuverlässigkeit des Urkundenwesens werden indische öffentliche Urkunden seit dem Jahr 2000 von den deutschen Auslandsvertretungen nicht mehr legalisiert (AA 16.08.2016).

Echte Dokumente unwahren Inhalts:

Echte Dokumente unwahren Inhalts sind problemlos (gegen entsprechende Zahlungen oder als Gefälligkeit) erhältlich. Bei Personenstandsurkunden handelt es sich dabei um echte Urkunden falschen Inhalts, bei Gerichtsentscheidungen (z.B. Scheidung, Sorge) um echte Urteile, die jedoch aufgrund erfundener Sachverhalte und ohne Einhaltung grundlegender Verfahrenserfordernisse (rechtliches Gehör, Interessenabwägung, Begründung) ergehen (AA 16.08.2016).

Zugang zu gefälschten Dokumenten:

Der deutschen Botschaft New Delhi werden im Rahmen laufender Asylverfahren nur sehr selten Unterlagen zur Überprüfung vorgelegt. In der Vergangenheit haben sich Dokumente im Zusammenhang mit Strafsachen und Fahndung sowie dazugehörige Eidesstattliche Versicherungen (affidavits) auch als falsch oder gefälscht herausgestellt. Die

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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