TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/20 W169 2160054-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.11.2017
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Entscheidungsdatum

20.11.2017

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W169 2160054-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.05.2017, Zl. 10528663109-150233215, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, und §§ 52, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler und schlepperunterstützter Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 04.03.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 06.03.2015 gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er aus dem Bundesstaat Punjab stamme und die Sprachen Punjabi und Hindi in Wort und Schrift beherrsche. Er gehöre der Religionsgemeinschaft der Hindus an und habe zwölf Jahre die Grundschule besucht sowie zwei Jahre eine Weiterbildung an einem IT-Institut genossen. Zuletzt habe er als Bäcker gearbeitet. In Indien würden die Eltern sowie die Schwester des Beschwerdeführers leben. Zu seinem Ausreisegrund führte der Beschwerdeführer an, dass er seit Jahren Mitglied der Shiv Sena Partei sei und sie Demonstrationen veranstaltet hätten. Die Sikhs in dieser Region hätten ihn und seinen Vater angerufen und den Beschwerdeführer mit dem Tod bedroht, wenn dieser die Partei nicht verlasse. Bei einer Rückkehr habe er Angst umgebracht zu werden.

2. Anlässlich seiner Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 14.07.2016 gab der Beschwerdeführer an, dass er der Religionsgemeinschaft der Hindus angehöre und Punjabi und Hindi spreche. Bis zu seiner Ausreise habe der Beschwerdeführer in Gurdaspur gelebt, wo nach wie vor seine Eltern und zwei Geschwister leben würden. Der Beschwerdeführer habe im Herkunftsstaat 10 Jahre die Grundschule, zwei Jahre ein College, sowie zwei weitere Jahre eine technische Schule besucht. Er sei ledig und kinderlos. Der Beschwerdeführer sei selbstständig gewesen und habe gemeinsam mit seinem Vater ein Geschäftslokal mit Waren aller Art betrieben.

Zu seinem Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer insbesondere Folgendes vor (VP: nunmehriger Beschwerdeführer; LA: Leiter der Amtshandlung):

( )

"LA: Nennen Sie mir Ihre Fluchtgründe:

VP: Ich habe Angst gehabt von der Sikh Gemeinschaft in unserer Umgebung wohnen mehrere Sikhs. Weil ich bin Mitglied der Shiv Sena. Die Sikh haben uns immer attackiert, mein Leben war in Gefahr, deswegen bin ich geflüchtet. Die Sikh haben meinen Eltern gesagt, dass sie mich umbringen würden. Ich habe so eine Nachricht gehört, dass sie unseren Führer schwer verletzt haben und er es knapp überlebt hat. Das war vor circa 6 Monaten.

LA: Haben Sie all ihre Fluchtgründe genannt?

VP: Das war alles.

LA: Wann hatte sie zuletzt Kontakt in Ihre Heimat?

VP: Vor einer Woche mit meinen Eltern. Sie haben mich gewarnt, dass ich nicht zurückkommen soll, weil mein Leben in Gefahr ist.

LA: Wurden Sie persönlich, aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit oder Religion, jemals verfolgt oder bedroht?

VP: Wegen meiner Religion schon, die Sikh bedrohen die Hindus.

LA: Wurden Sie jemals festgenommen? Wurden Sie jemals verurteilt? Waren Sie jemals in Haft?

VP: Nein.

LA: Wie geht es Ihrer Familie?

VP: Mein Vater ist krank, aber sonst geht es.

LA: Was fehlt Ihrem Vater?

VP: Er hat Gewicht verloren und man weiß nicht genau warum.

LA: Hatten Sie selbst eine politische Funktion innerhalb der Partei Shiv-Sena?

VP: Ich hatte sie unterstützt und war Mitglied.

LA: Wie haben Sie sie unterstützt?

VP: Wenn die Leute Rauschgift genommen haben oder Alkohol tranken sind wir dorthin gegangen, aber die haben immer mit uns gestritten.

LA: Was hat das mit Politik zu tun?

VP: Wir wollten Ihnen sagen, dass es nicht gut für sie ist.

LA: Haben Sie sich mit Ihren Problemen jemals an eine Behörde oder eine Hilfsorganisation gewandt.

VP: Nein.

LA: Wie heißt der Führer Ihrer Partei?

VP: Er heißt XXXX.

LA: Ist das der oberste Führer?

VP: Nein, nur für Gudarspur.

LA: Wie waren die letzten Wahlen für Ihre Partei?

VP: (Anmerkung LA: AW überlegt lange) Erklärt es gibt alle 5 Jahre Wahlen. Alkali Dal haben die Wahlen gewonnen und nächstes Jahr gibt es wieder Wahlen.

LA: Wenn Sie eine Partei so unterstützen, dass Sie bedroht werden, warum wissen Sie dann nicht, wie diese bei den Wahlen abschneidet?

VP: Bei den letzten Wahlen, war unsere Partei an der vierten Stelle.

LA: Wo an vierter Stelle?

VP: In Gurdaspur.

LA: Hat Ihre Partei eine besondere Parteifarbe, können Sie mir das Parteisymbol beschreiben?

VP: Die haben nur den Namen Shiv Sena keine eigene Farbe und kein Symbol – nur Shiv Sena Bum Bum Bole (phonetisch) und sie haben eine orange Farbe.

LA: Die Shiv Sena Partei, die ich im Internet finden konnte führt als Symbol einen "Pfeil und Bogen" kennen Sie dieses Symbol?

VP: Wir verwenden nur die Wortfolge Bum Bum Bole Pfeil und Bogen verwenden Sie in Bombay.

LA: Wofür steht Ihre Partei? Können Sie etwas aus dem Parteiprogramm zitieren?

VP: Leute unterstützen und Leute, die illegale Sachen machen, denen diese Sachen zu verbieten.

LA: Wo war denn das Parteihauptquartier in Gurdaspur?

VP: Es gab keinen fixen Platz, sie sind immer übersiedelt.

LA: Wie viele Mitglieder hat die Partei Shiv Sena ungefähr in Gurdaspur?

VP: Aktive Mitglieder 18 bis 20 und circa 20.000 Stimmen bei den letzten Wahlen.

LA: Wie haben Sie für die Partei gearbeitet?

VP: Wir haben gemeinsam für die Partei gearbeitet. Wir sind von Haus zu Haus gegangen und haben Leute gebeten unsere Partei zu wählen.

LA: Wie viele Stunden am Tag haben Sie das gemacht? Und über welchen Zeitraum?

VP: Wir sind in der Früh weggangen und abends wieder zurückgekommen und manchmal ihn der Nacht auch. Einen Monat vor der Wahl zirka 15 Tage lang?

LA: Wie meinen Sie das 1 Monat 15 Tage lang?

VP: Wir habe ein ganzes Monat gearbeitet?

LA: Wer hat sich in der Zwischenzeit um Ihr Geschäft gekümmert?

VP: Mein jüngerer Bruder hat mich unterstützt.

LA: Wo war das Geschäft?

VP: XXXX

LA: Was haben Sie dort verkauft?

VP: Meist Lebensmittel und Bäckerei Produkte.

LA: Haben Sie die Bäckerei Produkte selbst hergestellt oder zugekauft?

VP: Wir haben sie abgeholt nicht selbst gemacht.

LA: Wie lief das Geschäft?

VP: Ja, es war gut.

( )

LA: Wie wurden Sie in Ihrer Heimat von Sikhs bedroht? Schildern Sie mir eine Situation in der Sie bedroht wurden.

VP: Es war ein anonymer Anruf. Der Anrufer sagte ich solle nicht länger für die SHIV SENA Partei arbeiten, sonst werde sie mich umbringen?

LA: Wann war denn das?

VP: Vor zwei Jahren.

LA: Warum sollten die "Anderen" sie bedrohen mit der Arbeit für Shiv Sena aufzuhören, wenn doch gar keine Wahlen vor der Tür stehen und die letzten Wahlen fast zwei Jahre her ist.

VP: Wir haben immer etwas gegen die Alkali Dal gesagt.

LA: Was zum Beispiel?

VP: Weil die in der Nähe des Hindu Tempels Alkohol und illegale Sachen verkauft. Akali Dal ist so, die sind nie zufrieden, die sind die Regierungspartei und die Polizei hält zu denen.

LA: Wie oft wurden sie persönlich bedroht?

VP: 4 bis 5 Mal

LA: Immer Telefonisch?

VP: Ja immer am Telefon.

LA: Waren das verschiedene Menschen, die Sie angerufen haben, oder immer dieselbe Stimme?

VP: An das kann ich mich nicht erinnern.

LA: Fanden die anrufe immer zur selben Zeit statt?

VP: An verschiedenen Zeiten.

LA: Wie lange waren die Telefonate?

VP: Ich kann mich nicht erinnern.

LA: Sie haben gesagt, dass die Sikh die Hindus bedrohen – erzählen Sie mir bitte mehr dazu.

VP: Nein über die Religion haben Sie nichts gesagt, dazu haben sie kein Wort verloren. Nur über unsere politische Gesinnung.

LA: Bezieht sich also ihre obige Aussage "Die Sikhs bedrohen die Hindus" nur auf unterschiedliche politische Gesinnung?

VP: Nein, es gibt auch einen Hass zwischen Sikhs und Hindus, wegen religiösen Gründen.

LA: Wurden Sie persönlich einmal in so eine Angelegenheit mit religiösem Hintergrund verwickelt?

VP: Ja es gab auch einen Streit, ich weiß nicht wie oft, aber es war.

LA: In welchem Zusammenhang?

VP: 5 Leute haben mich attackiert und später habe ich die Anrufe bekommen.

LA: Haben die Anrufer sie bezüglich Ihrer Religion bedroht?

VP: Die haben immer wieder gesagt, ich soll vorsichtig sein, sie werden mich umbringen."

( )

Weiters führte der Beschwerdeführer aus, dass er in Österreich bei einer indischen Familie wohne, die er zufällig auf der Straße getroffen und welcher er erzählt habe, dass er keinen Platz zum Schlafen habe. Diese Familie versorge ihn und er reinige dafür die Wohnung. Der Beschwerdeführer besuche keinen Deutschkurs, gehe keiner legalen Beschäftigung nach und gehe nur spazieren. Er habe keine Familienangehörigen im Bundesgebiet. Er stehe in Kontakt zu seiner Familie in Indien, mit welcher er zuletzt vor einer Woche telefoniert habe. Sein Vater sei krank und habe viel abgenommen, den Grund dafür kenne man aber nicht.

Am Ende der Einvernahme wurden dem Beschwerdeführer Länderberichte zur aktuellen Situation in Indien zur Kenntnis gebracht und ihm die Möglichkeit einer etwaigen Stellungnahme eingeräumt. Der Beschwerdeführer verzichtete auf die Abgabe einer diesbezüglichen Stellungnahme.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten

(Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien

(Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß

§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß

§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit abzusprechen gewesen sei. Unabhängig davon stehe dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Auch eine refoulementschutzrechtlich relevante Gefährdung im Falle einer Rückkehr nach Indien liege nicht vor. Der Beschwerdeführer erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der relativ kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien. Die Frist für die freiwillige Ausreise von vierzehn Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der Beschwerdeführer bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und wiederholte seine bisher getätigten Ausführungen. Zudem brachte er vor, dass er seine Asylgründe schlüssig, ausführlich und glaubhaft angeführt habe. Beantragt wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien aus dem Bundesstaat Punjab und gehört der Religionsgemeinschaft der Hindus sowie der Volksgruppe der Abrol an. Seine Identität steht nicht fest. Er beherrscht die Sprachen Hindi und Punjabi. Im Herkunftsstaat lebte er bis zur Ausreise in Gurdaspur, besuchte dort ca. zehn Jahre die Schule, zwei Jahre ein College und genoss zwei weitere Jahre eine höhere IT-Ausbildung. Er finanzierte seinen Lebensunterhalt gemeinsam mit seinem Vater als Selbstständiger und betrieb ein Geschäft mit Waren aller Art. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Im Herkunftsstaat leben nach wie vor die Eltern und die Geschwister des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer hat Kontakt zu seiner Familie im Heimatland.

Die Verfolgungshandlungen des Beschwerdeführers sind nicht glaubhaft. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in Indien eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung droht. Dem Beschwerdeführer steht in Indien eine inländische Schutz- bzw. Fluchtalternative offen.

Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten oder sonstige Familienangehörige in Österreich. Er nimmt an keinem Deutschkurs teil, geht keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer lebt unentgeltlich bei einer indischen Familie und reinigt dafür die Wohnung. Er ist strafgerichtlich unbescholten, gesund und steht im erwerbsfähigen Alter.

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

Politische Lage

Indien ist mit über 1,2 Milliarden Menschen der bevölkerungsreichste demokratische Staat der Welt (CIA Factbook 28.10.2015; vgl. AA 24.4.2015). Mit seinen vielen Sprachen ist Indien besonders vielfältig, was sich auch in seinem föderalen politischen System reflektiert, in welchem die Macht von der Zentralregierung und den Bundesstaaten geteilt wird (BBC 28.10.2015). Indien hat seit dem 2.6.2014 29 Bundesstaaten und sieben Unionsstaaten (CIA Factbook 28.10.2015; vgl. AA 10.2015a). Es ist laut Verfassung eine säkulare, demokratische und föderale Republik. Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus. Die Zentralregierung hat deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten und kann im Fall interner Probleme einen Bundesstaat für einen begrenzten Zeitraum unter direkte zentralstaatliche Verwaltung stellen (AA 10.2015a).

Indien hat nach der Unabhängigkeit von Großbritannien (1947) den Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative durchgesetzt. Die Entscheidungen der staatlichen Verwaltung (Bürokratie, Militär, Polizei) unterliegen überdies der Kontrolle durch die freie Presse des Landes, die nicht nur in den landesweiten Amtssprachen Hindi und Englisch, sondern auch in vielen der Regionalsprachen publiziert wird. Indien hat zudem eine lebendige Zivilgesellschaft, die mit vielfältigen Initiativen an der Gestaltung der Politik mitwirkt (AA 10.2015a). Seit Juli 2012 ist Präsident Pranab Kumar Mukherjee indisches Staatsoberhaupt (AA 10.2015a). Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 25.6.2015). Das Amt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse (AA 10.2015a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister, der seit 26.5.2014 Narendra Modi heißt (GIZ 11.2015).

Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 25.6.2015). Die Legislative besteht aus einer Volkskammer (Lok Sabha) und einer Staatenkammer (Rajya Sabha). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene. Das oberste Gericht in New Delhi steht an der Spitze der Judikative (GIZ 11.2015; vgl. AA 24.4.2015).

Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster. In Indien gibt es eine verfassungsmäßig garantierte, unabhängige Gerichtsbarkeit mit dreistufigem Instanzenzug (AA 24.4.2015).

In den letzten Jahrzehnten erlebte Indien einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung, der zur Bildung einer neuen Mittelschicht führte. Doch das uralte Kastensystem Indiens, eine marode Infrastruktur auf dem Land, die starke Umweltverschmutzung und religiöse Konflikte zwischen Hindus und Muslimen stellen das Land weiterhin vor große Probleme (FAZ 16.5.2014). Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 8.2015).

Opposition

Die politische Opposition kann sich grundsätzlich frei betätigen. Die Wahlen zu den Gemeindeversammlungen, Stadträten und Parlamenten auf bundesstaatlicher wie nationaler Ebene sind frei, gleich und geheim. Sie werden - ungeachtet von Problemen, die aus der Größe des Landes, verbreiteter Armut bzw. hoher Analphabeten-Rate und örtlich vorkommender Manipulationen resultieren - nach Einschätzung internationaler Beobachter korrekt durchgeführt. Behinderungen der Opposition kommen insbesondere auf regionaler und kommunaler Ebene vor, z.B. durch nur eingeschränkten Polizeischutz für Politiker, Versagung von Genehmigungen für Wahlkampfveranstaltungen, tätliche Übergriffe durch Anhänger anderer Parteien. Derartige Vorkommnisse werden von der Presse aufgegriffen und können von den politischen Parteien öffentlichkeitswirksam thematisiert werden. Sie ziehen in der Regel auch Sanktionsmaßnahmen der unabhängigen und angesehenen staatlichen Wahlkommission ("Election Commission of India") nach sich (AA 16.8.2016).

Wichtigste Oppositionspartei ist nach ihrer Niederlage bei der jüngsten Lok Sabha-Wahl die Kongresspartei (Indian National Congress - INC) unter Führung von Parteichefin Sonia Gandhi (Schwiegertochter Indira Gandhis und Witwe Rajiv Gandhis). Ihr Sohn Rahul Gandhi, der die Kongresspartei als eine Art unerklärter Spitzenkandidat in den Wahlkampf führte, konnte gegen Narendra Modi und die in Indien weit verbreitete Wechselstimmung wenig Wirkung entfalten. In den letzten Jahren haben eine Reihe von regionalen Parteien an Profil und Einfluss gewonnen (AA 9.2016a).

Indien verfügt über eine vielfältige Parteienlandschaft. Neben den großen nationalen Parteien Kongress (in ihren Wurzeln sozialistisch inspirierte nationale Sammlungsbewegung), Bharatiya Janata Party (BJP, hindu-nationalistisch) sowie überregional wirkenden kommunistischen Parteien gibt es eine Vielzahl von Regionalparteien, die in einzelnen Bundesstaaten allein oder in Koalitionen die Landesregierungen bilden, aber auch auf nationaler Ebene von politischer Bedeutung sind. (AA 16.8.2016).

Jede offiziell anerkannte Partei wird entweder als Bundes- oder als Regionalpartei eingestuft. Wenn eine Regionalpartei in mehr als vier Bundesstaaten offiziell anerkannt ist, erhält sie den Status einer Bundespartei. Zu den wichtigsten indischen Parteien gehören Indian National Congress, Bharatiya Janata Party, Bahujan Samaj Party (BSP), Communist Party of India und Communist Party of India (Marxist). Bekannte und einflussreiche regionale Parteien sind Telugu Desam in Andhra Pradesh, Muslim League in Kerala, Shiv Sena in Maharashtra, Dravida Munnetra Kazhagam in Tamil Nadu und Samajwadi Party in Uttar Pradesh (GIZ 12.2016).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

-

AA - Auswärtiges Amt (9.2016a): Indien – Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Innenpolitik_node.html; Zugriff 14.12.2016

GIZ - Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2016): Indien Geschichte, Staat und Politik, http://liportal.giz.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 13.12.2016

Rechtsschutz/Justizwesen

In Indien gibt es eine verfassungsmäßig garantierte, unabhängige Gerichtsbarkeit mit dreistufigem Instanzenzug (AA 24.4.2015). Das Gesetz garantiert ein unabhängiges Gerichtswesen, aber Korruption war im Gerichtswesen weit verbreitet (USDOS 25.6.2015).

Die Gerichte führen Strafprozesse in richterlicher Unabhängigkeit. Eine generell diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption. Der frühere Chief Justice Katju hatte mit einer Äußerung im Herbst 2014 eine öffentlich ausgetragene Kontroverse ausgelöst, als er Korruption unter den Richtern öffentlich machte und außerdem in einem Fall staatliche Einflussnahme auf eine Richterbenennung offenlegte (AA 24.4.2015).

Das Gerichtswesen war auch weiterhin überlastet und der Rückstau bei Gericht führte zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung (USDOS 25.6.2015). Im August 2013 gab der Justizminister bekannt, dass im Supreme Court drei und in den hohen Gerichten 275 Positionen zu besetzen seien. Alarmierend war auch die Zahl der offenen Position in den untergeordneten Richterschaften, mit mehr als 3.700 Positionen, die zu besetzen waren. Der Justizminister führte langwierige Verspätungen in den Gerichten auf die offenen Stellen zurück (USDOS 27.2.2014). Eine Analyse des Justizministeriums ergab mit 1.8.2014 eine Vakanz von 34% der Richter an den Obergerichten (USDOS 25.6.2015).

Sehr problematisch ist die sehr lange Verfahrensdauer. Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahren. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft. Dies führt dazu, dass Zeugen vor Gericht häufig nicht frei aussagen, da sie bestochen oder bedroht worden sind (AA 24.4.2015).

Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt. Richter zeigten einen beträchtlichen Einsatz in der Bearbeitung von "Public Interest Litigation" (Klagen im öffentlichen Interesse). Jedoch eröffneten in den letzten Jahren auch Richter Verfahren wegen ungebührlichem Verhalten vor Gericht gegen Aktivisten und Journalisten, die gegen Korruption in der Richterschaft vorgingen oder Urteile anzweifelten. In den unteren Ebenen des Gerichtswesens ist Berichten zufolge Korruption weit verbreitet. Viele Bürger haben Schwierigkeiten, Recht durch die Gerichte durchzusetzen (FH 28.1.2015). Das System hat einen starken Arbeitsrückstand und ist unterbesetzt. Dies führt häufig zu einer überlangen Untersuchungshaft für viele Verdächtige, die oft länger dauert als der eigentliche Strafrahmen wäre (FH 28.1.2015; vgl. FH 19.5.2014). Die Errichtung von verschiedenen Fast-Track-Gerichten zwecks Abarbeitung anhängiger Gerichtsfälle führte dazu, dass das Recht auf ein faires Verfahren in einigen Fällen nicht eingehalten wird (FH 19.5.2014).

In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, Art. 21) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 24.4.2015). Die Untersuchungshaft dauert sehr lang. Außer bei von Todstrafe bedrohten Delikten soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung anordnen und eine Freilassung auf Kaution anordnen Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70% aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 24.4.2015).

Das Strafgesetz sieht öffentliche Verhandlungen vor, außer in Verfahren, in denen die Aussagen Staatsgeheimnisse oder die Staatssicherheit betreffen können. Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt. Alle gegen einen Angeklagten vorgebrachten Beweise müssen diesem zugänglich sein und Verurteilungen veröffentlicht werden (USDOS 25.6.2015). Das Gesetz erlaubt den Angeklagten in den meisten Zivil- und Kriminalfällen den Zugang zu relevanten Regierungsbeweisen, aber die Regierung behält sich das Recht vor, Informationen zurückzuhalten und tut dies auch in Fällen, die sie für heikel erachtet. Die Angeklagten haben das Recht Zeugen zu befragen, unterprivilegierte Angeklagte genießen aufgrund des Mangels von ordentlicher Rechtsvertretung manchmal dieses Recht nicht. Das Gericht ist verpflichtet Urteile öffentlich zu verkünden und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz (USDOS 25.6.2015).

Im ländlichen Indien gibt es auch informelle Ratssitzungen, deren Entscheidungen manchmal zu Gewalt gegen Personen führt, die soziale Regeln brechen - besonders Frauen und Angehörige unterer Kasten (FH 28.1.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien

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FH - Freedom House (28.1.2015): Freedom in the World 2015 – India, http://www.ecoi.net/local_link/296800/433144_de.html, Zugriff 9.11.2015

-

FH - Freedom House (19.5.2014): Freedom in the World 2014 – India, http://www.refworld.org/docid/5379d1d710.html, Zugriff 9.11.2015

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USDOS - US Department of State (27.2.2014): India, Country Report on Human Rights Practices 2013 - India, http://www.ecoi.net/local_link/270728/400811_de.html, Zugriff 9.11.2015

-

USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - India, http://www.ecoi.net/local_link/306292/443589_de.html, Zugriff 9.11.2015

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz gewährt interne/landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung; die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 25.6.2015).

Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem, so dass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss (AA 24.4.2015).

Mit dem geplanten Datenverbundsystem für die zentralen Sicherheitsbehörden und die Unionsstaaten, Crime and Criminal Tracking Network System (CCTNS), soll künftig ein Informationsaustausch auf allen Ebenen gewährleistet sein. Für 2012 war eine Anbindung von 15.000 Polizeistationen und 6.000 übergeordneten Stellen vorgesehen. Die Umsetzung des ambitionierten Vorhabens liegt jedoch weit hinter dem ursprünglichen Zeitplan. Es ist davon auszugehen, dass Betroffene sich durch Flucht in einen anderen Landesteil jeglicher Art der privaten/halbstaatlichen Probleme entziehen können, da nicht davon auszugehen ist, dass über das Dorf hinaus Anwohner oder lokale Behörden Hinweise erhalten oder recherchieren können oder sich überhaupt dafür interessieren, was ein Zugezogener in der Vergangenheit gemacht haben könnte. Es fehlen jegliche zentrale Aktenführung oder Informationsaustausch. Es bedarf lediglich eines sehr einfachen, öffentlichen Namensänderungsverfahrens, um seine Identität zu verschleiern. Ob der Betreffende nach der Umsiedlung dort die Möglichkeit hat, sich ein wirtschaftliches Auskommen zu verschaffen, hängt ausschließlich von seiner Eigeninitiative ab. Vorübergehende Notlagen können durch Armenspeisungen im Tempel, insbesondere der Sikh-Tempel, die auch gegen kleinere Dienstleistungen Unterkunft gewähren, problemlos ausgeglichen werden (AA 3.3.2014).

Die Regierung darf die legale Ausstellung eines Passes, an einen Anwärter, von dem geglaubt wird, dass er in Aktivitäten außerhalb des Landes verwickelt ist, die "schädlich für die Souveränität und Integrität der Nation" sind, verweigern (USDOS 25.6.2015).

Die Regierung lockerte Einschränkungen in Bezug auf Reisen nach Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram und Teilen von Jammu und Kaschmir, außer für Ausländer aus Pakistan, China und Burma. Die Bundesstaatenregierungen verlangen vor Reiseantritt von den Bürgern spezielle Genehmigungen einzuholen, um in diese Gegenden zu reisen. Die Sicherheitskräfte untersuchen Wagen und deren Inhaber bei Checkpoints im Kaschmirtal, vor öffentlichen Veranstaltungen in Neu Delhi oder nach großen terroristischen Angriffen (USDOS 25.6.2015).

Bürger von Jammu und Kaschmir sind auch weiterhin mit massiven Behinderungen konfrontiert, oft dauert es bis zu zwei Jahre, bis ihnen das Außenministerium einen Pass ausstellt oder erneuert. Die Regierung setzt Antragsteller - geboren in Jammu und Kaschmir -– zusätzlichen Kontrollen aus, bevor sie einen Pass erhalten (USDOS 25.6.2015).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (3.3.2014): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien

-

AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien

-

USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - India, http://www.ecoi.net/local_link/306292/443589_de.html, Zugriff 9.11.2015

Meldewesen

Es gibt kein Meldewesen in Indien (AA 24.4.2015).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien

Grundversorgung/Wirtschaft

Indiens Wirtschaft hat sich zuletzt erholt und an Dynamik gewonnen. Das Wirtschaftswachstum lag im Haushaltsjahr 2014/2015 bei 7,4%. Trotz struktureller Mängel zählt Indien damit nach wie vor zu den am stärksten expandierenden Volkswirtschaften der Welt. Im Vergleich zu anderen BRICS-Staaten kann Indien sich derzeit besser positionieren. Bei weiter wachsender Einwohnerzahl (derzeit 1,25 Mrd.) wird es bis zur Mitte des Jahrhunderts voraussichtlich nicht nur das bevölkerungsreichste Land der Erde sein, sondern auch mit seinem Bruttoinlandsprodukt nach China und USA an dritter Stelle liegen. (AA 10.2015c).

Indien ist die drittgrößte Wirtschaft in Asien und ist durch eine hohe Inflation, einer schwachen Währung und einem Rückgang an ausländischen Investitionen belastet. Eine Flaute im Bergbau und Manufaktur, haben ihr restliches dazu beigetragen (BBC 31.1.2014).

Indien steht vor gewaltigen Herausforderungen bei der Armutsbekämpfung und in der Bildungs- und Infrastrukturentwicklung. Das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei 1100 Euro. Etwa 30 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze von 1 US-Dollar pro Kopf und Tag. Rund 70 Prozent haben weniger als 2 US-Dollar pro Tag zur Verfügung. Auf dem Human Development Index der UNDP steht Indien auf Platz 135 unter 187 erfassten Staaten. Während es weltweit die meisten Millionäre und Milliardäre beheimatet, liegt Indien bei vielen Sozialindikatoren deutlich unter den Durchschnittswerten von Subsahara-Afrika (AA 10.2015c).

Das Land hat eine aufstrebende urbane Mittelschicht und hat große Fortschritte wie zum Beispiel im IT-Bereich gemach. Die große Zahl an Facharbeitskräften macht es zu einem beliebten Ziel für internationale Firmen, die versuchen ihre Arbeit auszulagern. Der Großteil der ländlichen Bevölkerung ist weiterhin arm, da deren Leben auch weiterhin durch das altertümliche Hindukastensystem beeinflusst wird, welches jeder Person einen Platz in der sozialen Hierarchie zuweist. Diskriminierungen auf Basis der Kaste sind gegenwärtig illegal und mehrere Maßnahmen wurden eingeführt um benachteiligte Gruppen zu stärken und ihnen Zugangsmöglichkeiten zu erleichtern – wie zum Beispiel Bildung und Arbeit (BBC 28.10.2015)

Das hohe Wachstum der Jahre bis 2011 hat die regionalen Entwicklungsunterschiede auf dem Subkontinent und das zunehmende Einkommensgefälle zwischen der expandierenden städtischen Mittelschicht und der überwiegend armen Bevölkerung auf dem Lande, wo noch knapp 70% aller Inder leben, schärfer hervortreten lassen. Die erhofften Beschäftigungseffekte des Wachstums sind bislang ausgeblieben. Premierminister Modi (BJP) errang seinen erdrutschartigen Wahlsieg 2014 mit dem Versprechen von mehr Wachstum, besseren Entwicklungschancen für die breite Masse der Bevölkerung und weniger Korruption. Die Erwartungshaltung war und ist entsprechend groß. Nach knapp einem Jahr Regierungszeit zeigen sich erste positive Tendenzen bei der Inflation, die von vorher knapp 10% zuletzt auf Werte um 6% sank. Das Haushaltsdefizit soll in den nächsten drei Jahren von aktuell 4,1% (2014/2015) auf 3% des BJP reduziert werden. Dafür bedarf es vor allem höherer Steuereinnahmen, z. B. über eine Reform des Steuerwesens. Große Hoffnungen liegen diesbezüglich in der kommenden "Goods and Services Tax", einer landesweit einheitlichen Umsatzsteuer, dein ein wichtiger Schritt zur Schaffung eines indienweiten Binnenmarkts ist. Zu Beginn ihrer Amtszeit hat sich die Regierung Modi zur Marktwirtschaft bekannt und eine Reformagenda angekündigt, die u.a. eine Erhöhung des Anteils ausländischer Direktinvestitionen in bestimmten Bereichen vorsieht. Ende September verkündete Premierminister Modi die "Make in India" Kampagne und rief ausländische Investoren dazu auf, in Indien bei verbesserten Investitionsbedingungen zu produzieren. Er will so den Anteil der Industrieproduktion am BIP von aktuell 17% bis 2025 auf 25% anheben. Zur Ankurbelung der weiteren Industrialisierung werden groß angelegte Infrastrukturprojekte verfolgt, die unter anderem den Ausbau von Industriekorridoren zwischen verschiedenen Knotenpunkten vorsehen (z.B. Delhi-Mumbai Industrial Corridor). Auch im Bereich Schiene, den Häfen und im Luftverkehr sind erhebliche Investitionen nötig und geplant (AA 10.2015c).

Zu den Hauptcharakteristika der indischen Volkswirtschaft gehören das Missverhältnis zwischen BIP- und Beschäftigungsanteil bei Landwirtschaft und Dienstleistungen (mit umgekehrten Vorzeichen) und eine vergleichsweise geringe Bedeutung der verarbeitenden Industrie. Die überwiegende Mehrheit der indischen Bevölkerung lebt in ländlich-bäuerlichen Strukturen und bleibt wirtschaftlich benachteiligt. Der Anteil der Landwirtschaft an der indischen Wirtschaftsleistung sinkt seit Jahren kontinuierlich und beträgt nur noch etwa 17,6% (2014/15) der Gesamtwirtschaft, obgleich rund 50% (genau 49%) der indischen Arbeitskräfte in diesem Bereich tätig sind. Angesichts Kapitalmangels, zu kleiner Anbauflächen, stagnierender Erträge und fehlender Absatzstrukturen bleibt der Sektor Hauptsorge der indischen Regierung. Nur ca. 10% aller Beschäftigten stehen in einem vertraglich geregelten Arbeitsverhältnis. Die übrigen 90% werden dem sogenannten "informellen Sektor" zugerechnet – sie sind weder gegen Krankheit oder Arbeitsunfälle abgesichert, noch haben sie Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung. Wachstum und Wohlstand verdankt Indien vor allem dem Dienstleistungssektor mit einem Anteil von über 60% am BIP. Hiervon profitiert aber bei einem Beschäftigungsanteil von etwa 30% nur ein kleiner Teil der Bevölkerung. Zur Überwindung der Massenarmut sollen neue Arbeitsplätze geschaffen werden, vor allem auch für nicht oder gering qualifizierte Kräfte. Dies könnte aus Sicht der Regierung am ehesten im Industriesektor (insbesondere im verarbeitenden Gewerbe) erfolgen (AA 10.2015c).

Etwa ein Viertel der Bevölkerung lebt unter dem Existenzminimum. Sofern es nicht zu außergewöhnlichen Naturkatastrophen kommt, ist jedoch eine für das Überleben ausreichende Nahrungsversorgung auch den schwächsten Teilen der Bevölkerung grundsätzlich sichergestellt. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz. Rückkehrer sind auf die Unterstützung der Familie oder Freunde angewiesen. Vorübergehende Notlagen können durch Armenspeisungen im Tempel, insbesondere der Sikh-Tempel, die auch gegen kleinere Dienstleistungen Unterkunft gewähren, ausgeglichen werden (AA 24.4.2015).

Backsteinöfen sind ein wichtiger Bestandteil von Indiens wachsender Wirtschaft. Es gibt mehr als zwei Millionen ZiegelarbeiterInnen in Indien. Viele Ofenanlagen haben ArbeiterInnen, die unter fast sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten und höchstens £1.50 für einen 12 Stunden Tag verdienen. Viele leiden unter Krankheiten aufgrund des beizenden Rauches der Öfen und den rauen Arbeitsbedingungen (BBC 4.1.2014). Das Ausmaß von Zwangs- und Kinderarbeit in den Backsteinöfen in Indien nimmt epidemische Ausmaße an. Schwangere Frauen, Kinder und junge Mädchen arbeiten 12 - 18 Stunden pro Tag. Sie sind schlecht ernährt, es gibt kein sauberes Wasser und sie leben wie Sklaven (BBC 2.1.2014).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (10.2015c): Indien, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_AC539C62A8F3AE6159C84F7909652AC5/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 9.11.2015

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BBC - British Broadcasting Corporation (4.1.2014): India brick industry: Calls to improve working conditions, http://www.bbc.co.uk/news/world-asia-india-25595093, Zugriff 9.11.2015

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BBC - British Broadcasting Corporation (28.10.2015) India profile – Overview, http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 9.11.2015

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BBC - British Broadcasting Corporation (2.1.2014): Why India's brick kiln workers 'live like slaves', http://www.bbc.co.uk/news/world-asia-india-25556965, Zugriff 9.11.2015

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BBC - British Broadcasting Corporation (31.1.2014): World Bank chief economist on future of India's economy, http://www.bbc.com/news/world-asia-india-25742983, Zugriff 9.11.2015

Sozialbeihilfen

In Indien haben derzeit von 400 Mio. Arbeitskräften nur etwa 35 Mio. Zugang zum offiziellen Sozialen Sicherungssystem in Form einer Altersrentenabsicherung. Dies schließt Arbeiter des privaten Sektors, Beamte, Militärpersonal und Arbeitnehmer von Unternehmen des staatlich öffentlichen Sektors ein. Von diesen 35 Mio. sind 26 Mio. Arbeiter Mitglied der Organisation des Arbeitnehmervorsorgefonds ("EPFO"). Ein weiterer wichtiger Beitrag des EPF ist der Vorschlag zur Ausweitung der kritischen Lebensbeihilfen auf die Gewährung von Obdach. Der Shramik Awas Yojana zielt auf die Bereitstellung kostengünstiger Siedlungsprojekte ab. Dies geht einher mit einer Zusammenarbeit von Organisationen wie HUDCO, Wohnungsbauagenturen, der Regierung, Arbeitnehmern und "EPF"-Mitgliedern, wobei die "EPFO" eine Vermittlerrolle einnimmt. Die Investitionen fließen in die beschriebenen Sicherheiten und Portfolios nach einem durch das Finanzministerium vorgegebenen Muster ein (BAMF 8.2014).

Die Landes- und Staatenregierungen bieten verschiedene Sozialversicherungsprogramme an. Diese richten sich allerdings meist an unterprivilegierte Bevölkerungsschichten. Weitere Informationen zu den verschiedenen Programmen gibt es auf den Webseiten der Landes- und Staatenregierungen. Auf Dorfebene kann auch der Panchayat notwendige Informationen herausgeben (BAMF 8.2014).

Als Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative wurde seit 2010 Millionen indischer Bürger eine Aadhaar ID Nummer ausgestellt. Obwohl diese nicht verpflichtend ist, gaben Beamte an, dass der Nichtbesitz den Zugang zur Staatshilfe limitieren könnte. Die Nummern ausstellenden Behörden pflegen eine Datenbank von Nummern, die mit persönlichen Informationen, inklusive biometrischer Daten, wie zum Beispiel Fingerabdrücke, verbunden werden (FH 3.10.2013). 110 Millionen Menschen waren im Jänner 2012 eingeschrieben und 60 Millionen Nummern wurden ausgestellt. Die Einschreibung ist freiwillig, wird aber stark beworben (The Independent 16.1.2012). Bald dürfte etwa 1 Milliarde Inder über eine unverwechselbare, mit biometrischen Identifikationen verknüpfte Identitätsnummern verfügen, welche es den Armen des Landes ungeachtet datenschutzrechtlicher Bedenken möglich macht, Zugang zu ihnen bisher verwehrten Finanzprodukten und Dienstleistungen zu erlangen (International Business Times, 2.2.2015). Die unverwechselbare Identitätsnummer ermöglicht es beispielsweise, dass staatliche Zuschüsse direkt an den Verbraucher übermittelt werden. Anstatt diese auf ein Bankkonto zu senden, wird sie an die unverwechselbare Identitätsnummer überwiesen, die mit der Bank verbunden ist und geht so an das entsprechende Bankkonto. 750 Millionen Inder haben derzeit eine derartige Identitätsnummer, ca. 130 Millionen haben diese auch mit ihrem Bankkonto verknüpft (International Business Times, 2.2.2015).

Die wichtigsten Gesetze der sozialen Sicherung in Indien:

(i) Das staatliche Arbeitnehmerversicherungsgesetz, 1948 ("ESI Act”), das Fabriken und Einrichtungen mit mehr als 10 Mitarbeitern umfasst und eine umfangreiche Versorgung der Mitarbeiter und ihrer Familien vorsieht, ebenso wie finanzielle Hilfen bei Krankheit und Mutterschaft und monatliche Zahlungen im Todesfall oder im Falle einer Behinderung.

(ii) Das Gesetz zum Arbeitnehmervorsorgefonds & sonstigem, 1952 ("EPF & MP Act"), das sich auf bestimmte Fabriken und Werke und Einrichtungen bezieht, die 20 oder mehr Arbeitnehmer beschäftigen, und das die abschließenden Leistungen des Vorsorgefonds, des Pensionsfonds und des Familienfonds im Todesfall während des Dienstverhältnisses regelt. Es existieren gesonderte Gesetze für vergleichbare Leistungen für Arbeiter in Kohleminen und auf Teeplantagen.

(iii) Das Arbeiterkompensationsgesetz, 1923 ("WC Act”), das im Falle von arbeitsbedingten Verletzungen, die tödlich verlaufen oder eine Behinderung nach sich ziehen, Kompensationszahlungen an den Arbeiter oder seine Familie verlangt.

(iv) Das Mutterschaftsleistungsgesetz, 1961 ("M.B. Act”), das 12 Wochengehälter während der Mutterschaft vorsieht, sowie bezahlten Urlaub bei anders gelagerten Eventualitäten.

(v) Gesetz zur Zahlung einer Abfindung, 1972 ("P.G. Act”), wonach Arbeitnehmern, die in einem Unternehmen mit mindestens 10 Mitarbeitern 5 oder mehr Jahre gearbeitet haben, 15 Tageslöhne für jedes Dienstjahr gezahlt werden (BAMF 8.2013)

Quellen:

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (8.2013):

Länderinformationsblatt Indien, https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698704/772099/16338334/16801530/Indien_-_Country_Fact_Sheet_2013%2C_deutsch.pdf?nodeid=16801414&vernum=-2, Zugriff 9.11.2015

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (8.2014):

Länderinformationsblatt Indien, http://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_indien-dl_de.pdf?__blob=publicationFile, Zugriff 9.11.2015

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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