Index
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten bzw subsidiär Schutzberechtigten für einen Staatsangehörigen Georgiens infolge Unterlassens eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und mangels ausreichend substantiierter bzw nicht nachvollziehbarer Begründung der Entscheidung im Hinblick auf die behaupteten Repressalien infolge der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zu einer politischen JugendorganisationSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.680,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Georgiens und stellte am 10. August 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) brachte der Beschwerdeführer vor, führendes Mitglied in der Jugendorganisation der Partei "Vereinte Nationale Bewegung" zu sein. Er sei 2010 aus seiner Heimatstadt Kudaesi nach Tiflis gezogen, weil er auf Grund seiner Parteimitgliedschaft bedroht und geschlagen worden sei. Der Beschwerdeführer sei auch in Tiflis von Mitgliedern der Partei "Georgischer Traum" bedroht worden und habe sich deshalb entschlossen, Georgien zu verlassen. Er sei drei Mal bei der Polizei gewesen, um Vorfälle zu melden, die Polizei hätte aber nichts unternommen.
3. Mit Bescheid des BFA vom 4. November 2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien nicht zuerkannt, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Georgien zulässig sei; für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.
4. Das Bundesverwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 15. Februar 2017 ab. Das Bundesverwaltungsgericht könne nicht feststellen, dass der Beschwerdeführer bedroht worden sei bzw. im Fall einer Rückkehr einer solchen Gefahr ausgesetzt wäre. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass dem BFA beizupflichten sei, wenn es das Vorbringen des Beschwerdeführers als vage, oberflächlich und detailarm qualifiziere. Der Beschwerdeführer habe eine Bestätigung über seine Tätigkeit für die Partei "Vereinte Nationale Bewegung" vorgelegt, aus der jedoch nicht hervorgehe, dass er auf Grund dieser Tätigkeit Repressalien ausgesetzt gewesen wäre. Das Bundesverwaltungsgericht führt auf Seite 41 des angefochtenen Erkenntnisses dazu Folgendes aus:
"Wenn man – bisher unwiderlegt – davon ausgeht, dass die bP [Anm.: beschwerdeführende Partei] tatsächlich für die Nationale Bewegung tätig war, muss wohl davon ausgegangen werden, dass diese im Falle der Existenz von Repressalien auch nicht bloß die Tätigkeit der bP für die Partei, sondern auch die daraus resultierenden Repressalien bescheinigt hätte. Das Unterlassen dieses Umstandes kann nur bedeuten, dass keine Repressalien stattfanden, welche zu bescheinigen gewesen wären."
5. Außerdem verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Beschädigung einzelner Parteilokale der "Vereinten Nationalen Bewegung", die zwar nicht in Abrede gestellt werde, jedoch keine Rückschlüsse auf die individuelle Situation des Beschwerdeführers zulasse.
6. Zur Nichtgewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Beschwerdeführer ein mobiler, junger, gesunder und arbeitsfähiger Mensch sei. In Georgien sei die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet. Der Beschwerdeführer habe auch vor Verlassen seines Herkunftsstaates sein Leben gemeistert und verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte. Er stamme aus einem Kulturkreis, in dem auf den familiären Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung im Familienkreis großen Wert gelegt würde und könne daher Unterstützung durch seine Familie erwarten.
7. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung legt das Bundesverwaltungsgericht dar, dass sich im Rahmen des Ermittlungsverfahrens zweifelsfrei ergeben hätte, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht den Tatsachen entspreche. Der Sachverhalt sei aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt. Im Übrigen habe es der Beschwerdeführer verabsäumt, in seiner Beschwerde darzulegen, welcher entscheidungsrelevante Sachverhalt im Rahmen einer persönlichen Einvernahme hervorgekommen wäre.
8. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der insbesondere die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl 390/1973) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
9. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift unter Hinweis auf die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung unterlaufen:
4. Das Bundesverwaltungsgericht beschränkt sich weitestgehend darauf, Textbausteine aneinanderzureihen, denen kein auf den konkreten Fall bezogener Begründungswert zukommt (vgl. VfGH 7.3.2017, E2100/2016).
5. Soweit das Bundesverwaltungsgericht auf das Vorbringen des Beschwerdeführers eingeht, ist seine Argumentation nicht nachvollziehbar und spekulativ:
5.1. Das Bundesverwaltungsgericht geht – soweit es über den Antrag auf Asyl entscheidet – davon aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers unglaubwürdig sei, weil die Partei "Vereinte Nationale Bewegung" nur die Parteimitgliedschaft des Beschwerdeführers und nicht auch die damit einhergehenden Repressalien bestätigt hätte (siehe I.4.). Soweit das Bundesverwaltungsgericht ausführt, dass aus dokumentierten Übergriffen auf Parteilokale der "Vereinten Nationalen Bewegung" keine Rückschlüsse auf die individuelle Situation des Beschwerdeführers gezogen werden könnten, verabsäumt es das Bundesverwaltungsgericht, diese Schlussfolgerung zu begründen und auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachte persönliche Bedrohung einzugehen.
5.2. Im Zusammenhang mit der Nichtgewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Beschwerdeführer aus einem Kulturkreis komme, in dem familiärer Zusammenhalt besonders bedeutsam sei. Im Fall der Rückkehr könne er sich daher auf familiäre Unterstützung verlassen. Die Feststellung, dass familiärer Zusammenhalt im georgischen Kulturkreis bedeutsam sei, findet keine Deckung in den Länderberichten, die dazu keinerlei Aussagen treffen. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA angegeben, dass seine Eltern alt und krank seien. Das Bundesverwaltungsgericht verabsäumt es, auf dieses Parteivorbringen einzugehen.
6. Im Übrigen übernimmt das Bundesverwaltungsgericht die vom BFA vorgenommene Beweiswürdigung und qualifiziert das Vorbringen des Beschwerdeführers als "vage, oberflächlich und detailarm" ohne dies anhand konkreter Beispiele nachvollziehbar darzulegen. Da das Bundesverwaltungsgericht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat, war es – im Gegensatz zum BFA – nicht in der Lage, die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers in dieser Weise zu beurteilen (vgl. VfGH 23.2.2015, E155/2014).
7. Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes erweist sich daher als unzureichend und nicht nachvollziehbar. Das Bundesverwaltungsgericht hat eigenständige Ermittlungen zu entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen unterlassen, wodurch das angefochtene Erkenntnis mit Willkür belastet wird.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973 verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§35 Abs1 und 88 VfGG iVm §43 Abs1 ZPO. In den zugesprochenen Kosten sind Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten sowie ferner die nachgewiesenen und zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung auch notwendigen Kosten für die außergerichtliche Beiziehung eines Dolmetschers (vgl. VfGH 19.9.2014, U1327/2012) zur Informationsaufnahme in der Höhe von € 64.
Schlagworte
Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Ermittlungsverfahren, EntscheidungsbegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:E786.2017Zuletzt aktualisiert am
27.11.2017