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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten für einen Staatsangehörigen von Afghanistan mangels Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens sowie mangels nachvollziehbarer Begründung der Entscheidung in Bezug auf die Sicherheitslage und die Zumutbarkeit der Rückkehr und Neuansiedlung des Beschwerdeführers in KabulSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am 22. Dezember 2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 25. Juli 2016 wurde dieser Antrag gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 Asylgesetz 2005, BGBl I 100 idF BGBl I 24/2016 (im Folgenden: AsylG 2005) bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I) und gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß §57 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und weiters gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß §46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III). Weiters wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise des Beschwerdeführers gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt (Spruchpunkt IV).
2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.
3. Mit der angefochtenen Entscheidung wies das Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde als unbegründet ab. Die abweisende Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründet das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen damit, dass zwar eine Rückkehr in die Heimatprovinz des Beschwerdeführers auf Grund der dort auftretenden Sicherheitsprobleme mit einer ernstzunehmenden Gefahr für Leib und Leben verbunden sein könnte und daher nicht zumutbar sei, dem Beschwerdeführer jedoch in Kabul eine innerstaatliche Fluchtalternative möglich sei. Die Zumutbarkeit der Neuansiedlung in Kabul begründet das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer ausreichend gesund und im erwerbsfähigen Alter sei, Dari spreche und die Möglichkeit habe, sich allenfalls durch Gelegenheitsarbeit eine Existenzgrundlage zu sichern. Nicht ersichtlich sei, weshalb eine räumliche Trennung von der Familie, mit der er in regelmäßigem Kontakt stehe, eine finanzielle Unterstützung durch diese verunmögliche. In Kabul – so das Bundesverwaltungsgericht weiter – sei nach den vorliegenden Länderberichten die allgemeine Lage als vergleichweise sicher und stabil zu bezeichnen.
Am 29. März 2017 wurde der Beschwerdeführer nach Kabul abgeschoben.
4. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art144 B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt.
5. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand und verwies auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
2. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
3. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
4. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem Bundesverwaltungsgericht vorzuwerfen:
Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Das Bundesverwaltungsgericht führt in der angefochtenen Entscheidung aus, dass sich aus den Feststellungen zur persönlichen Lebenssituation des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund der spezifischen Länderfeststellungen keine konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Hindernisses der Rückverbringung in seinen Herkunftsstaat Afghanistan ergäben. In der Folge legt das Bundesverwaltungsgericht dar, dass eine Rückführung in die Provinz Ghazni aufgrund einer dort drohenden Gefahr für Leib und Leben nicht zumutbar sei und geht in Folge zutreffend davon aus, dass einzelfallbezogen zu prüfen sei, ob dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in eine andere Region, nämlich in die Hauptstadt Kabul, zugemutet werden könne. Der Beschwerdeführer sei - so die Einzelfallprüfung - ausreichend gesund und im erwerbsfähigen Alter, spreche Dari und habe die Möglichkeit, sich allenfalls durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern. Er könne Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Die Familie des Beschwerdeführers lebe nach wie vor in Afghanistan. Er stehe mit dieser in regelmäßigem Kontakt und es sei nicht ersichtlich, weshalb eine räumliche Trennung die Angehörigen des Beschwerdeführers, die in Ghazni eine Landwirtschaft betreiben, außer Stande setzen sollte, ihn etwa finanziell zu unterstützen.
Der Beschwerdeführer hatte im Verfahren angegeben, dass er noch nie in Kabul gewesen sei und über keine Verwandten dort verfüge.
Soweit das Bundesverwaltungsgericht die Situation in Kabul schildert, kommt diesen Ausführungen nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kein hinreichender Begründungswert zu, weil sich der Beschwerdeführer vor seiner Flucht weder in Kabul aufgehalten hat noch über irgendwelche sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte in Kabul verfügt. Die Annahme, dass der Beschwerdeführer ohne soziales Netzwerk nach Kabul, sei es auch durch Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe, zurückkehren kann, ist vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 19.695/2012; VfGH 21.9.2012, U883/12; VfGH 13.3.2013, U2185/12), nicht nachvollziehbar. Das Bundesverwaltungsgericht hat es unterlassen, über die allgemeinen Länderfeststellungen hinaus zur Sicherheitslage in Afghanistan und in Kabul im Besonderen, die im Übrigen auch die Behauptung, dass zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes die Sicherheitslage in Kabul vergleichsweise sicher und stabil sei, nicht stützen, einzelfallbezogene Ermittlungen durchzuführen und Feststellungen zu treffen, dass eine Rückkehr und Neuansiedlung des Beschwerdeführers auch ohne soziale Anknüpfungspunkte in Kabul möglich ist. Das Bundesverwaltungsgericht ist sohin in nicht nachvollziehbarer Weise davon ausgegangen, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in die Stadt Kabul jedenfalls möglich und auch zumutbar sei.
Das Bundesverwaltungsgericht lässt daher eine nachvollziehbare Begründung seiner Entscheidung vermissen, wodurch es seine Entscheidung mit Willkür behaftet (vgl. VfSlg 18.861/2009 mwN und VfGH, 10.6.2016, E2597/2015 ).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden. Die Entscheidung wird daher aufgehoben.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Ermittlungsverfahren, EntscheidungsbegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:E240.2017Zuletzt aktualisiert am
27.11.2017