TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/6 I413 2101876-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.11.2017
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Entscheidungsdatum

06.11.2017

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28

Spruch

I413 2101876-1/20E

I413 2101885-1/20E

I413 2101884-1/12E

I413 2101881-1/15E

Schriftliche Ausfertigung des am 12.06.2017 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde von 1. XXXX</nichtanonym><anonym>XXXX</anonym></person>, geb. XXXX, StA. ÄGYPTEN, 2. XXXX, geb. XXXX, StA. Ägypten, (3) mj. XXXX XXXX, geb. XXXX, StA. Ägypten, und mj. XXXX XXXX, geb. XXXX, StA. Ägypten, alle vertreten durch: 1. RA Mag. Johann GALANDA und 2. Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, gegen die Bescheid des BFA, Regionaldirektion Steiermark (BAG) vom 06.02.2015, Zl. 830951502/2118474 betreffend

XXXX</nichtanonym><anonym>XXXX</anonym></person> und mj. XXXX XXXX, Zl. 830951404/2105976 betreffend XXXX sowie Zl. 830951600/2142561 betreffend mj. XXXX XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.06.2017 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und (1) XXXX</nichtanonym><anonym>XXXX</anonym></person>, geb. am XXXX, StA. Ägypten, (2) XXXX, geb. XXXX, StA. Ägypten, (3) XXXX XXXX, geb. XXXX, StA. Ägypten, und (4) XXXX XXXX, geb. XXXX, StA. Ägypten, gemäß § 28 VwGVG iVm § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des/der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass (1) XXXX</nichtanonym><anonym>XXXX</anonym></person>, geb. am XXXX, StA. Ägypten, (2) XXXX, geb. XXXX, StA. Ägypten, (3) XXXX XXXX, geb. XXXX, StA. Ägypten, und (4) XXXX XXXX, geb. XXXX, StA. Ägypten, damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die am XXXX geborene

XXXX</nichtanonym><anonym>XXXX</anonym></person> (im Folgenden "Erstbeschwerdeführerin") und der mit ihr verheiratete XXXX, geb. XXXX (im Folgenden "Zweitbeschwerdeführer"), die Eltern von mj. XXXX XXXX, geb. XXXX (im Folgenden "Drittbeschwerdeführer") sowie von mj. XXXX XXXX, geb. XXXX (im Folgenden "Viertbeschwerdeführerin"), stellten am 05.07.2013 Anträge auf internationalen Schutz.

2. Bei der Erstbefragung am 05.07.2013 gab die Erstbeschwerdeführerin an, sie gehöre der Volksgruppe der Araber an und sei koptischen Glaubens. Sie stamme aus Aswan in Ägypten. Sie sei mit ihrem Ehemann und ihren zwei Kindern am 27.06.2013 legal aus Ägypten ausgereist und sei mit einem Flugzeug über Kairo nach Wien Schwechat geflogen. Als Fluchtgrund gab die Erstbeschwerdeführerin, dass ihre Familie und ihr Mann von gläubigen Moslems aufgrund der Tätigkeit ihres Mannes bedroht worden seien. Sie hätten sie mit der Drohung, dass sie die Kinder entführen und umbringen würden, erpresst. Sie hätten Geld bezahlen müssen, damit ihren Kindern nichts passiert. Am 09.03.2013 habe sie ihr Labor geschlossen. Sie sei die letzte Person dort gewesen. Sie habe gehört, wie durch den Hintereingang ein Mann eingedrungen sei. Dieser habe sie mit einem Messer bedroht, nachdem er sie gesehen habe. Er habe sie "Ketzerin" und "Ungläubige" geschimpft und gedroht ihr und ihrer Familie etwas anzutun. Sie habe durch den Vordereingang um Hilfe gerufen und 2 unbekannte Männer seien ihr zu Hilfe gekommen. Der unbekannte Täter sei durch den Hintereingang geflohen. Aus diesem Grund seien sie geflüchtet.

Der Zweitbeschwerdeführer führte zu seinen Fluchtgründen aus, dass er von Anhängern der Salafisten bedroht worden sei. Diese hätten ihm gedroht seine Kinder zu entführen und hätten ihn erpresst. Auch seine Ehefrau sei bedroht worden. Er habe das Land aufgrund der Sicherheit seiner Familie verlassen. Er könne in dem Land nicht leben, weil er sich unterdrückt und erpresst fühle.

3. Bei ihrer Einvernahme durch die belangte Behörde gab die Erstbeschwerdeführerin weiter an, dass sie ihr Familie von Salafisten bedroht worden sei. Sie schilderte detailliert die Vorfälle die es gegen habe. In seiner Einvernahme schloss sich der Zweitbeschwerdeführer den Ausführungen an und schilderte detailliert seine Wahrnehmungen.

4. Mit den angefochtenen Bescheiden vom 06.02.2015, Zl. 830951502/2118474 betreffend die Erstbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin, Zl. 830951404/2105976 betreffend den Zweitbeschwerdeführer sowie Zl. 830951600/2142561 betreffend den Drittbeschwerdeführer, wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Ägypten (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie den Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Ägypten zulässig ist. Als Frist für ihre freiwillige Ausreise legte sie einen Zeitraum von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt III.). Ihre Entscheidung begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass sie den Ausführungen zwar Glauben schenken würden, jedoch stünde den Beschwerdeführern eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.

5. Gegen die Bescheide richtet sich die gemeinsame Beschwerde vom 18.02.2015. In dieser wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die belangte Behörde zwar die Feststellung trifft, dass die Beschwerdeführer problemlos nach Ägypten zurückkehren könnten, da beide Elternteile gesund und arbeitsfähig seien, unterlasse es jedoch genaue Angaben darüber zu treffen, in welcher Stadt diese Neuansiedelung passieren könne. Es existiere zwar kein Meldewesen in Ägypten, es bestehe jedoch eine Meldeverpflichtung für den Zweitbeschwerdeführer, wenn er wieder als Apotheker tätig sein wolle. Dadurch werde die Auffindbarkeit des Beschwerdeführers allerdings um ein Vielfaches einfacher. Es sei dem Beschwerdeführer daher nicht möglich eine innerstaatliche Fluchtalternative in Anspruch zu nehmen, ohne in eine existenzbedrohende Lage zu geraten.

6. Am 27.02.2015 langte ein als "Beschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 und 132 Abs 1 Z 1 B-VG an das Bundesverwaltungsgericht" bezeichneter, als ergänzendes Vorbringen zur Beschwerde vom 18.02.2015 zu wertender Schriftsatz ein. In diesem wird weiter vorgebracht, dass die belangte Behörde die vollkommene Integration der Beschwerdeführer nicht erhoben und dem Bescheid auch nicht zugrunde gelegt habe.

7. Mit Schriftsatz vom 24.05.2017 langte beim Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der mit Ladungen vom 15.05.2017 anberaumten mündlichen Verhandlung am 12.06.0217 eine Vertragungsbitte des rechtsfreundlichen Vertreters der Beschwerdeführer ein, weil er an diesem Tag zeitgleich zwei Verhandlungen zu verrichten habe. Zudem wurde um Gewährung einer Fristerstreckung zur Stellungnahme zum Länderinformationsblatt für Ägypten ersucht.

8. Mit verfahrensleitendem Beschluss vom 02.06.2017 gab das Bundesverwaltungsgericht der Vertragungsbitte und dem Antrag auf Fristerstreckung keine Folge.

9. Am 12.06.2017 erfolgte in Anwesenheit der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers sowie deren Rechtsvertreter am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung. Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht teil (E-Mail vom 22.05.2017). In dieser mündlichen Verhandlung stellte das Bundesverwaltungsgericht das Vorliegen eines Familienverfahrens gemäß § 34 AslyG fest und vernahm die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer getrennt voneinander als Parteien ein. Das Bundesverwaltungsgericht verkündete nach Durchführung der mündlichen Verhandlung sofort das gegenständliche Erkenntnis.

8. Mit Schriftsatz vom 19.06.2017 beantragte die der mündlichen Verhandlung ferngebliebene belangte Behörde die schriftliche Entscheidungsausfertigung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Beschwerdeführern:

Die volljährige Erstbeschwerdeführerin, der volljährige Zweitbeschwerdeführer, der minderjährige Drittbeschwerdeführer sowie die minderjährige Viertbeschwerdeführerin sind Staatsangehörige Ägyptens und stellten am 05.07.2013 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.

Die Identität der Beschwerdeführer steht fest.

Die Beschwerdeführer gehören der Volksgruppe der Araber an und sind koptisch- orthodoxe Christen. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer haben in Ägypten standesamtlich und traditionell geheiratet. Die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer sind die Kinder der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers.

Die Erstbeschwerdeführerin besuchte fünf Jahre lang die Grundschule, sechs Jahre eine Allgemein höherbildende Schule und studierte anschließend Veterinärmedizin. Danach absolvierte sie ein Diplom für Labormedizin. Zuletzt betrieb sie in Ägypten ein eigenes Labor und arbeitete zusätzlich auch noch als Laborärztin im Krankenhaus. Ihre Eltern und ein Bruder leben nach wie vor in Ägypten. Ein Bruder lebt in Wien.

Der Zweitbeschwerdeführer besuchte die Grundschule und eine allgemein höherbildende Schule und studierte anschließend Pharmazie. Zuletzt betrieb er in Ägypten eine Apotheke betrieben und war Inhaber eines Unternehmens, das Kosmetikprodukte herstellte. Darüber hinaus war er als Pharmareferent tätig. Sein Vater und seine Geschwister leben nach wie vor in Ägypten.

Der minderjährige Drittbeschwerdeführer besucht seit Herbst 2013 in Österreich mit Erfolg die Volksschule; die minderjährige Viertbeschwerdeführerin ist aufgrund ihres Alters noch nicht schulpflichtig.

Die Beschwerdeführer sind strafrechtlich unbescholten. Die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und der minderjährige Drittbeschwerdeführer sind gesund. Die minderjährige Viertbeschwerdeführerin leidet an Diabetes mellitus und benötigt Insulin.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer verließen ihr Heimatland, weil sie als koptisch-orthodoxe Christen von Salafisten bedroht und erpresst wurden. Ihnen wurde gedroht, dass sie ihre Kinder entführen und umbringen würden. Die Polizei war nicht gewillt ihnen zu helfen, da es sich um ein religiöses Problem handelt.

Im Falle einer Rückkehr nach Ägypten würden die Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus Gründen ihrer Religion von Verfolgungshandlungen einer hohen und asylrelevanten Intensität bedroht sein

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Ägypten:

Die aktuelle Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

Ägypten durchlebte im Zuge des sog "arabischen Frühlings" im Jahr 2011 eine Periode der politischen Instabilität, die nach massiven Protesten gegen die Regierung des gewählten Präsidenten Mursi durch das Militär am 03.07.2013 beendet wurde. Nach der Suspension der Verfassung trat am 18.01.2014 die neue Verfassung in Kraft, nach welcher Ägypten ein demokratischer Rechtsstaat mit dem Islam als Staatsreligion, Arabisch als Amtssprache und den Prinzipien der Scharia die Hauptquelle der Gesetzgebung ist. Seit Juni 2014 amtiert die Regierung des Präsidenten Abdel Al-Sisi zunächst ohne Parlament, seit 11.01.2016 wieder mit einem Abgeordnetenhaus. Seit 2011 ist die Sicherheitslage in Ägypten instabil. Die Kräfte des politischen Islam wurden durch den Sturz des Präsidenten Mursi geschwächt, dennoch bleiben religiöse Kräfte stark. Politische Auseinandersetzungen sind häufig mit Gewaltausbrüchen begleitet. Die sicherheitspolitischen Herausforderungen bleiben infolge verschiedentlicher Angriffe islamischer Terrornetzwerke, zB in der westlichen Wüste oder am Sinai beträchtlich. Es besteht landesweit ein erhöhtes Risiko terroristischer Anschläge und der Gefahr von Entführungen. Infrastruktureinrichtungen zählen zu besonderen Zielen terroristischer Anschläge. Vereinzelt sind auch westliche Einrichtungen Ziele von Anschlägen. Besonders gefährdet ist die Halbinsel Sinai, wo es wiederholt zu schweren terroristischen Anschlägen auch durch die Terrororganisation ISIS gekommen ist und im nördlichen Teil der Ausnahmezustand verhängt wurde.

Die neue Verfassung gewährleistet die Unabhängigkeit der Justiz und die Immunität der Richter. In der Regel handeln Gerichte unparteilich, wobei vereinzelt politisch motivierten Urteilen vorkommen. Die Urteile werden in der Regel von der Regierung akzeptiert. Strafgerichte folgen westlichen Standards mit Unschuldsvermutung, detaillierter Information über die Anklagepunkte und dem Recht auf eine anwaltliche Vertretung und Verteidigung.

Ägypten verfügt über einen sehr ausgeprägten internen Sicherheitsapparat, welcher eine effektive Kontrolle der Bevölkerung durch die Regierung ermöglicht. In der Vergangenheit waren wichtige Aufgaben des Sicherheitsdienstes die Überwachung der Opposition und der Einsatz bei Demonstrationen. In den vergangenen Jahrzehnten herrschte die überwiegende Zeit der Ausnahmezustand, wodurch den Sicherheitsbehörden außerordentliche Befugnisse bei der Überwachung und der Inhaftierung, vornehmlich von Angehörigen der Moslembrüderschaft, eingeräumt wurden.

Dem Innenministerium und den Armeekräften werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Gewalttätige Angriffe auf Demonstrationen und Tätlichkeiten gegenüber Demonstrationen durch Sicherheitskräfte sind durch Aktivisten und Blogger dokumentiert. Die Anwendung von Folter und Gewalt durch die Polizei und den Sicherheitsapparat ist verboten. Es bestehen Berichte über die Anwendung von Folter oder Schlägen zur Erlangung von Geständnissen bei Verhaftungen. Schwerwiegende Fälle von Foltervorwürfen werden untersucht.

Die neue ägyptische Verfassung enthält einen Grundrechtekatalog.

Die Religionsfreiheit ist in Ägypten eingeschränkt. Die Verfassung von 2014 erhebt den Islam zur Staatsreligion. Auch wenn die Glaubensfreiheit für Offenbarungsreligionen (Muslime, Christen, Juden) staatlich anerkannt wird, bestehen im Alltag Diskriminierungen aufgrund der Religionszugehörigkeit. Angriffe auf christliche Kirchen und koptisches Eigentum sind dokumentiert. Insbesondere in Oberägypten kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und damit einhergehend zu regelmäßigen Benachteiligungen von Christen im Rahmen der Streitschlichtung. Vertreibungen christlicher Familien aus ihren angestammten Dörfern bei Konflikten kommen vor. Der Straftatbestand der Blasphemie mit der Drohung von Freiheitsstrafen bis zu 5 Jahren wird nicht nur mit drakonischer Härte exekutiert – so etwa im Falle von fünf koptischen Jugendlichen, die sich in einem Video über ISIS lustig machen – sondern auch als Vorwand dafür verwendet, Angehörige religiöser Minderheiten unter Druck zu setzen und Gewalt gegen sie zu legitimieren. Unter diesem Tatbestand werden auch bevorzugt Christen, nie aber Angehörige des Islam verurteilt. Ägyptischen Behörden wird zudem vorgeworfen, nichts gegen religiöse Diskriminierungen koptischer Christen zu unternehmen. Das Eigentum koptischer Christen wird durch den ägyptischen Staat nicht adäquat vor immer wieder aufflammender konfessioneller Gewalt geschützt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in die Beschwerdeschriftsätze vom 18.02.2015 und in die als "Beschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 und 132 Abs 1 Z 1 B-VG an das Bundesverwaltungsgericht" bezeichneten weiteren Schriftsätze, den Angaben der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers in der mündlichen durch Verhandlung vom 12.06.2017 sowie in das aktuelle "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Ägypten mit Stand 11.01.2016 sowie der in der mündlichen Verhandlung am 12.06.2017 vom Bundesverwaltungsgericht vorgelegten und ausführlich erörterten Berichte zur Religionsfreiheit in Ägypten der U.S. Commission on International Religious Freedom (Annual Report 2017), des Berichtes des bundesdeutschen Auswärtigen Amtes vom 09.12.2015 über die asyl- und abschieberelevante Lage in Ägypten, der Anfragebeantwortung von ACCORD: Lage von koptischen ChristInnen vom 14.08.2015, sowie des ACCORD ecoi.net-Themendossier: Ägypten: Lage der KoptInnen vom 08.11.2016.

2.1. Zu den Beschwerdeführern:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und der Konfession der Beschwerdeführer gründen sich auf deren diesbezüglichen glaubhaften Angaben der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 12.06.2017. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, dass Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer aufkommen lässt.

Aufgrund der vorgelegten Reisepässe steht die Identität der Beschwerdeführer fest.

Die Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführer erschließt sich aus der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und deren Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 12.06.2017. Die Feststellungen zu ihres Familienstandes, zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführer sowie den Lebensumständen der Beschwerdeführer in ihrem Herkunftsstaat – insbesondere ihre Familiensituation, ihre Schulausbildung sowie den bisherigen Verdiensten ihres Lebensunterhaltes resultierten aus ihren diesbezüglich glaubhaften Angaben und mehrere in Vorlage gebrachten Zeugnisse über die Universitätsabschlüsse.

Das Bestehen familiärer Anknüpfungspunkte in Österreich ergibt sich aus den diesbezüglich glaubhaften Aussagen der Erstbeschwerdeführerin und ihres Ehemanns. Dass sowohl die Erstbeschwerdeführerin als auch der Zweitbeschwerdeführer um eine Integration in Österreich bemüht sind und sie bereits sozial und privat verfestigt sind, ergibt sich aus den vorgelegten Urkunden. Die Erstbeschwerdeführerin legte diverse Prüfungszeugnisse Deutsch B1, B2 und C1 mitsamt Kursbesuchsbestätigungen, Bestätigung des Österreichischen Roten Kreuzes über die Tätigkeit im Blutspendedienst, Bestätigung der Caritas über die freiwillige Tätigkeit als Dolmetscherin und medizinische Assistentin, Abschlusszertifikat Universitätskurs "Kommunaldolmetschen Basiskurs", Entscheidung über die Zulassung zum Bachelorstudiengang "Massenspektrometrie und Molekulare Analytik", Konvolut an Universitätszeugnissen der Erstbeschwerdeführerin, Bestätigungen über diverse ehrenamtliche Tätigkeiten, einen Arbeitsvorvertrag, sowie Empfehlungsschreiben. Der Zweitbeschwerdeführer legte ein Sammelzeugnis der Universität Wien mit Zulassungsbescheiden, Beurteilung der Diplom-/Masterarbeit, Deutschkurszeugnis A1 mit Kursbesuchsbestätigung B1, Schulbestätigung des Ausbildungszentrums für Sozialberufe mitsamt Praktikumsbeurteilungen, Konvolut an Kursbesuchsbestätigungen des Österreichischen Roten Kreuzes, Bestätigungen über ehrenamtliche Tätigkeiten, Kopie des Einbandes der Publikation des Beschwerdeführers, Konvolut an Empfehlungsschreiben, der Mietvertrag sowie einen Arbeitsvorvertrag, vor. In der mündlichen Verhandlung am 12.06.2017 konnte sich das Bundesverwaltungsgericht zudem persönlich von den guten Deutschkenntnissen der Beschwerdeführer überzeugen. Weitgehend war eine Einvernahme ohne Hinzuziehung des Dolmetschers möglich. Auch die Kinder der Beschwerdeführer sind mittlerweile gut integriert. Der Drittbeschwerdeführer erbringt in der Volksschule sehr gute Leistungen, die es ihm ermöglichen nächstes Jahr in ein Gymnasium überzutreten.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführer ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

2.3. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Das erkennende Gericht hat anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten – zB gehäufte und eklatante Widersprüche (zB VwGH 25.01.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (zB VwGH 22.02.2001, 2000/20/0461) – zu beurteilen, ob Schilderungen von Beschwerdeführern mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.

Der belangten Behörde ist zuzustimmen, dass die Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers glaubhaft sind. Sowohl in der Ersteinvernahme, in der Einvernahme vor der belangten Behörde, als auch in der mündlichen Verhandlung am 12.06.2017 schilderten sie die Bedrohungssituation detailliert und gleichbleibend. Die Beschwerdeführer hinterließen in allen Einvernahmen einen persönlich glaubwürdigen und überzeugenden Eindruck. Die in der mündlichen Verhandlung am 12.06.2017 von der Erstbeschwerdeführerin und vom Zweitbeschwerdeführer getrennt geschilderten Probleme, Nachstellungen und Gewalttätigkeiten erscheinen dem Bundesverwaltungsgericht aufgrund des persönlich gewonnenen Eindrucks der Realität entsprechend und gemahnen das Bundesverwaltungsgericht an Zeiten religiöser und rassischer Diskriminierung und Verfolgung im Mitteleuropa der 1930-er Jahre. Da die Beschwerdeführer ihre Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates glaubwürdig darlegten und sie im Verfahren bei der Schilderung einen emotionalen Eindruck hinterließen, bestehen für das Bundesverwaltungsgericht aufgrund des gewonnenen persönlichen Eindrucks keine Zweifel, dass die Beschwerdeführer hinsichtlich der Angaben ihres Fluchtvorbringens glaubwürdig sind.

Zwar hat die belangte Behörde zutreffend die Verfolgung der Beschwerdeführer als glaubwürdig dargestellt, jedoch ohne ausreichende Ermittlungen anzustellen die – unbegründete – Behauptung aufgestellt, dass den Beschwerdeführern eine innerstaatliche Fluchtalternative offen stehe. Dass die belangte Behörde auch im Rahmen mündlichen Verhandlung am 12.06.2017 mangels Teilnahme an dieser nicht vom Bundesverwaltungsgericht dazu befragt werden konnte, wie sie zu den Grundlagen für diese Behauptung gekommen ist und worauf sie diese stützt, ist als Unterlassung der sie wie jede Partei des Verfahrens treffenden Mitwirkungspflicht zu werten. Es ist daher davon auszugehen, dass keine Belege für diese von der belangten Behörde getroffene Feststellung vorliegen. Die belangte Behörde geht in der Bescheidbegründung davon aus, dass ihre Verfolgung in ihrer Heimatstadt keine Rückschlüsse darauf zulasse, dass sie in anderen Teilen Ägyptens ebenfalls verfolgt würden. Sie seien sicherlich keine derart berühmten Persönlichkeiten, dass die Salafisten sie in einer Stadt mit annährend 16 Millionen Einwohnern einfach irgendwo erkennen würden. Es sei auch nicht logisch nachvollziehbar, dass alle Salafisten miteinander in Kontakt stünden und man deshalb überall in Ägypten nach ihnen suchen würde. Es stehe für die belangte Behörde außer Zweifel, dass sie jedenfalls in einer der Millionenstädte Ägyptens vor einer Verfolgung durch Salafisten sicher gewesen wären. Dem sind jedoch die plausiblen Ausführungen der sog "Beschwerde" – tatsächlich des die Beschwerde vom 18.02.2015 ergänzenden weiteren Vorbringens – vom 25.02.2015 entgegenzuhalten, wonach es zwar in Ägypten kein Meldewesen gebe, für den Zweitbeschwerdeführer jedoch eine Meldeverpflichtung bestehe, wenn er wieder als Apotheker tätig sein wolle. Es würden sowohl lokale als auch eine zentrale Apothekenvereinigung existieren, bei denen alle Apotheker und deren Adressen gelistet sind. Die Meldung bei der Vereinigung bzw Kammer sei Voraussetzung für das Betreiben einer Apotheke. Überdies besteht aufgrund der vom Bundesverwaltungsgericht erhobenen und in der mündlichen Verhandlung am 12.06.2017 ausführlich erörterten Lage koptischer Christen in Ägypten kein Zweifel, dass radikale islamistische Elemente nicht nur in Ägypten vernetzt agieren, sondern zudem auch von der Staatsmacht Ägyptens nicht weiter behelligt werden. Den Beschwerdeführern ist daher zuzustimmen, dass sie keine innerstaatliche Fluchtalternative in Anspruch nehmen können. Auch ist festzustellen, dass man nicht berühmt sein muss, um auch weiterhin im Visier von radikalen Elementen zu bleiben; dies ergibt sich auch aus der Geschichte der 1930-er Jahre in Österreich. Zudem unterschätzt die belangte Behörde die Entschlossenheit und den Organisationsgrad kleiner radikaler Gruppen, wie etwa jener der gewaltbereiten Islamisten. Die diesbezügliche Begründung der belangten Behörde erweist sich somit als schablonenhafte, vorurteilsbehaftete Floskel, welche die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht zu decken vermag.

Selbst wenn man diese bejahen würde, so wäre den Beschwerdeführern jedenfalls ihre Lebensgrundlage entzogen, da der Zweitbeschwerdeführer nicht mehr in seinem erlernten Beruf tätig werden könnte, ohne nicht gleich wieder aufgrund seiner Registrierung als Apotheker für die gut vernetzten Salafisten in Ägypten auffindbar zu sein. Es ist den Beschwerdeführern daher nicht zumutbar oder möglich sich in einem anderen Landesteil Ägyptens niederzulassen und dort eine neue Existenz aufzubauen.

2.4. Zur Lage in Ägypten:

Den Beschwerdeführern wurden die aktuellen Länderberichte (Länderinformationsblatt für Ägypten der Staatendokumentation) zu ihrem Herkunftsstaat vor mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 12.06.2017 zur Kenntnis gebracht und ihnen die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt. Hierzu nahmen die Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausführlich Stellung. Zudem legte das Bundesverwaltungsgericht die von diesem erhobenen Berichte zur Religionsfreiheit in Ägypten der U.S. Commission on International Religious Freedom (Annual Report 2017), des Berichtes des bundesdeutschen Auswärtigen Amtes vom 09.12.2015 über die asyl- und abschieberelevante Lage in Ägypten, der Anfragebeantwortung von ACCORD: Lage von koptischen ChristInnen vom 14.08.2015, sowie des ecoi.net-Themendossier: Ägypten: Lage der KoptInnen vom 08.11.2016 in der mündlichen Verhandlung am 12.06.2017 vor und erörterte diese mit den anwesenden Parteien ausführlichst. Danach bestehen keine Zweifel an einer für koptische Christen sehr angespannten Lebenssituation mit konsequenten Diskriminierungen zugunsten der Angehörigen des schiitischen Islam und auch an der Möglichkeit einer über diese generell schwierigen Lebensbedingungen hinausgehenden persönlichen Verfolgung einzelner koptischer Christen durch radikale Muslims.

Bezüglich der Erkenntnisquellen zur Lage im Herkunftsstaat wurden sowohl Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie bspw dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen, wie zum Beispiel der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, der U.S. Commission on International Religious Freedom, des bundesdeutschen Auswärtigen Amtes und des ACCORD herangezogen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

3.1. Rechtslage

Gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetzes 2005 – AsylG, BGBl I Nr 100/2005 idF BGBl I Nr 145/2017, ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furch nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art 1 Absch A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 06.10.1999, 99/01/0279, 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art 1 Absch A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551). Sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinaus geht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Gemäß § 3 Abs 3 Z 1 und § 11 Abs 1 AsylG ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art 1 Abschn A Z 2 GFK vorliegen kann (vgl zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 zB VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; 15.03.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist – wie der VwGH zur GFK judiziert – nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/20/0539).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 27.06.1995, 94/20/0836; 23.07.1999, 99/20/0208; 21.09.2000, 99/20/0373; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 12.09.2002, 99/20/0505; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen – würden sie von staatlichen Organen gesetzt – asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen wer-den, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht – unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) –, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law, 2. Auflage [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 20.09.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert wird. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl VwGH 22.03.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191).

3.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

3.2.1. Für die Erstbeschwerdeführerin und den Zweitbeschwerdeführer besteht eine objektiv nachvollziehbare, ihre Person betreffende Verfolgungsgefahr.

Sie wurden in ihrem Heimatort zu Opfern religiös motivierter Übergriffe durch islamische Extremisten. Für sie kann nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass sie aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit zu koptisch-orthodoxen Christen wiederum Opfer von Übergriffen und Einschränkungen seitens der Salafisten werden.

Zwar stellen diese Übergriffe keine Eingriffe von "offizieller" Seite dar, das heißt, sie sind von der gegenwärtigen ägyptischen Regierung nicht angeordnet. Andererseits ist es der Regierung auch nicht möglich, für die umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Bevölkerungsgruppe der koptisch-orthodoxen Christen Sorge zu tragen. Im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung kommt auch der von privaten Personen oder Gruppierungen ausgehenden Verfolgung asylrechtliche Relevanz zu, wenn der Staat – wie im Falle Ägyptens – nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, Schutz zu gewähren. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestehen zwar in Ägypten ein ausreichend funktionierender Polizei- und Justizapparat, jedoch hat sich bereits in ihrer Heimatstadt gezeigt, dass die Behörden nicht schutzwillig sind, da es sich dabei um einen religiösen Konflikt handle. Die Diskriminierung und Benachteiligung sowie die Verfolgung koptisch-orthodoxer Christen besteht in Ägypten nach den vorliegenden Berichten landesweit. Ebenfalls ist hierdurch belegt, dass die ägyptischen Behörden Streitigkeiten zwischen der islamischen Mehrheitsbevölkerung und Angehörigen der Minderheit der koptisch-orthodoxen Christen zu deren Nachteil entscheiden oder gar nicht tätig werden. Dies wird auch durch die glaubhafte Schilderung der Beschwerdeführer, die Behörden seien nicht einmal gewillt gewesen, eine Anzeige nach den verstörenden Übergriffen auf ihre Person aufzunehmen, eindrücklich untermauert. Die von der belangten Behörde ungeprüft getroffene Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative erweist sich damit als vorschnell. Es ist keineswegs zu erwarten, dass in einer Großstadt wie Kairo den Beschwerdeführern, die dort obendrein ihrer Lebensgrundlage beraubt sind, plötzlich Schutz und Hilfe gegen islamistische Übergriffe staatlicherseits gewährt werden würde, nicht zuletzt auch deswegen, weil angesichts der grassierenden Korruption staatlicher Behörden in Ägypten die in Kairo ihrer Einkommensquellen weitgehend beraubten Beschwerdeführer sich mangels Vermögens nicht Gehör verschaffen werden. Zudem könnte der Beschwerdeführer, wenn er wieder als Apotheker tätig sein möchte, aufgrund der Meldeverpflichtung bei der Apothekenvereinigung, bei denen alle Apotheker und deren Adressen gelistet sind, jederzeit von seinen Peinigern oder anderen Salafisten ausgeforscht werden, womit sich auch in einer Millionenstadt wie Kairo für den Zweitbeschwerdeführer und mittelbar für seine Familie keine innerstaatliche Fluchtalternative ergibt. Somit würden die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Ägypten aufgrund ihrer Religion asylrelevant verfolgt werden.

Aufgrund der in der Beweiswürdigung und oben dargestellten Situation in Ägypten existiert für die Erstbeschwerdeführer keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative.

Da auch keiner der in Art 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt, war der Erstbeschwerdeführerin gemäß § 3 Abs 1 AsylG der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen.

3.2.2. Zur Zuerkennung des Status von Asylberechtigten an den Dritt- und Viertbeschwerdeführer:

Gemäß § 34 Abs 2 AsylG ist aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn 1. dieser nicht straffällig geworden ist; 2. die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens iSd Art 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und 3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist.

Familienangehörige sind gemäß § 2 Abs 1 Z 22 AsylG, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind als Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers, und der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin deren Familienangehörige im Sinn des § 2 Abs 1 Z 22 AsylG. Es hat sich nicht ergeben, dass das zwischen den Beschwerdeführern bestehende Familienleben in einem anderen Staat fortgesetzt werden könnte.

Da der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer – wie oben dargelegt – der Status der Asylberechtigten zu gewähren war, war dieser Status gemäß § 34 AsylG auch dem Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführerin, bei denen keine der in Art 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegen, zuzuerkennen.

3.2.3. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG war somit festzustellen, dass der Erstbeschwerdeführerin, dem Zweitbeschwerdeführer, dem Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführerin von Gesetzes wegen die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl diesbezüglich insbesondere die höchstgerichtliche Judikatur des VwGH vom 27.04.2011, 2008/23/0124; vom 25.02.2010, 2010/18/0029 sowie vom 11.12.2003, 2003/07/0007), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen, Familienverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:I413.2101876.1.00

Zuletzt aktualisiert am

24.11.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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