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L1000 GemeindeordnungNorm
B-VG Art140 Abs1 Z1 litdLeitsatz
Zurückweisung des Parteiantrags einer Stadtgemeinde mangels rechtzeitiger Beschlussfassung des zuständigen Stadtrates zur Erhebung des AntragsSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Sachverhalt, Antrag und Vorverfahren
1. Mit (in einem außerstreitigen Verfahren ergangenem) Beschluss vom 17. März 2017 erkannte das Landesgericht Korneuburg die einschreitende niederösterreichische Gemeinde für schuldig, der beteiligten Partei im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof € 10.255,26 samt 4 % Zinsen seit 26. Juli 2013 sowie die mit € 7.586,20 bestimmten Verfahrenskosten zu bezahlen. Das Mehrbegehren der beteiligten Partei im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof in der Höhe von € 8.000,– samt 4 % Zinsen seit 26. Juli 2013 wies das Landesgericht Korneuburg ab. Dieser Beschluss wurde der einschreitenden Gemeinde am 20. März 2017 zugestellt.
2. Gegen diesen Beschluss erhob die einschreitende Gemeinde fristgerecht Rekurs und brachte am 3. April 2017 beim Verfassungsgerichtshof den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag auf Aufhebung des letzten Satzes des §27 Abs3 Niederösterreichisches Feuerwehrgesetz 2015, LGBl 85 ("NÖ FG 2015"), ein.
3. Mit Verfügung vom 30. Juni 2017 forderte der Verfassungsgerichtshof die einschreitende Gemeinde auf, dem Verfassungsgerichtshof innerhalb von zwei Wochen den Nachweis über die Beschlussfassung des Gemeindevorstandes (Stadtrates) gemäß §36 Abs1 Z6 NÖ Gemeindeordnung 1973, LGBl 1000-23, (Auszug aus dem Sitzungsprotokoll) hinsichtlich der Einbringung des auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrages vorzulegen.
Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2017 legte die einschreitende Gemeinde dem Verfassungsgerichtshof das Sitzungsprotokoll des Gemeinderates vom 29. März 2017 vor, aus dem sich ergibt, dass in dieser Sitzung die Erhebung des Antrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG beschlossen worden war. Ferner legte die einschreitende Gemeinde ein Sitzungsprotokoll des Stadtrates vom 11. Juli 2017 vor. In dieser Sitzung wurde ebenfalls die Erhebung des vorliegenden Parteiantrages beschlossen.
II. Rechtslage
1. §27 Niederösterreichisches Feuerwehrgesetz 2015, LGBl 85 ("NÖ FG 2015"), lautet (der angefochtene Satz ist hervorgehoben):
"§27
Pflicht zur Hilfeleistung, Duldungsverpflichtung
(1) Bei Bränden oder Gefahren hat jedermann gegen angemessene Entschädigung
1. seine Arbeitskraft für die erforderlichen Hilfsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen,
2. die Entnahme von Löschwasser zu gestatten sowie Sachen, die zur Nachrichtenübermittlung, zur Beförderung von Personen und Löschwasser, Hilfeeinrichtungen und Geräten sowie für andere Hilfsmaßnahmen benötigt werden, beizustellen,
3. das Betreten und die sonstige Benützung seiner Grundstücke und Bauwerke, die Beseitigung von Pflanzen, Einfriedungen, Bauwerken und Teilen hievon, die Entfernung von Fahrzeugen und anderen hinderlichen Gegenständen sowie ähnliche Maßnahmen zu dulden.
(2) Bei der Brand- bzw. Gefahrenbekämpfung ist unter möglichster Schonung von Sachwerten aller Art vorzugehen.
(3) Der Anspruch auf Entschädigung ist bei der Gemeinde geltend zu machen. Darüber ist innerhalb eines Jahres eine gütliche Einigung anzustreben. Wird keine Einigung erzielt, kann die Person, die den vermögensrechtlichen Nachteil erlitten hat, die Festsetzung der Entschädigung durch das Landesgericht, in dessen Sprengel die die Forderung begründende Handlung gesetzt wurde, begehren. Für das gerichtliche Verfahren sind die Bestimmungen des Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetzes, BGBl Nr 71/1954 in der Fassung BGBl I Nr 111/2010, sinngemäß anzuwenden."
2. §§35 f. der Niederösterreichischen Gemeindeordnung 1973, LGBl 1000-23 ("NÖ GO 1973"), lauten auszugsweise:
"2. Abschnitt
Wirkungskreis der Gemeindeorgane und der Gemeinderatsausschüsse
§35
Gemeinderat
Dem Gemeinderat sind, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt wird, folgende Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde zur selbständigen Erledigung vorbehalten:
[…]
16. die Einleitung oder Fortsetzung eines Rechtsstreites, der Abschluß aller Arten von Vergleichen, Verzichten und Anerkenntnissen, sofern es sich nicht um Rechtsmittel in verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten handelt;
[…]
§36
Gemeindevorstand (Stadtrat)
(1) Dem Gemeindevorstand (Stadtrat) obliegen alle in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallenden Angelegenheiten, soweit durch Gesetz nicht anderes bestimmt wird.
(2) Dem Gemeindevorstand sind insbesondere vorbehalten:
[…]
6. Anträge, ausgenommen jene nach §110 Abs3, Beschwerden und Klagen an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof;
[…]."
III. Zur Zulässigkeit
1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.
2. Gemäß §36 Abs2 Z6 NÖ GO 1973 obliegt die Beschlussfassung von Anträgen – abgesehen von im vorliegenden Fall nicht relevanten Anträgen gemäß §110 Abs3 leg.cit. – an den Verfassungsgerichtshof dem Gemeindevorstand (Stadtrat). Der Verfassungsgerichtshof vertritt hinsichtlich Beschwerden nach Art144 B-VG in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass der Erhebung einer derartigen Beschwerde ein innerhalb der Beschwerdefrist gefasster Beschluss des dafür zuständigen Gemeindeorgans zugrunde zu liegen hat (VfSlg 15.563/1999, 17.664/2005, 19.114/2010; VfGH 2.10.2013, B932/2013). Auch die zulässige Erhebung eines Individualantrages durch eine Gemeinde setzt das Vorliegen eines entsprechenden Beschlusses des zuständigen Gemeindeorganes im Zeitpunkt der Einbringung des Antrages voraus (vgl. VfSlg 13.400/1993, 19.894/2013).
3. Diese Überlegungen haben auch für Anträge gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG Gültigkeit:
3.1. Ein auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützter Antrag ist dann rechtzeitig, wenn er vom Rechtsmittelwerber im gerichtlichen Ausgangsverfahren innerhalb der Rechtsmittelfrist gestellt wird (VfGH 30.11.2016, G535/2015; 14.3.2017, G249/2016 ua.). Die Zulässigkeit des Antrages setzt im Fall der Antragstellung durch eine Gemeinde – wie auch bei einer auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde – voraus, dass diesem ein rechtzeitig gefasster Beschluss des zuständigen Gemeindeorgans zugrunde liegt.
3.2. Hievon ist im vorliegenden Fall nicht auszugehen: Der Gemeinderat der einschreitenden niederösterreichischen Gemeinde fasste am 29. März 2017 den Beschluss, den vorliegenden Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG auf Aufhebung des §27 Abs3 letzter Satz NÖ FG 2015 beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Gemäß §36 Abs2 Z6 NÖ GO 1973 ist aber nicht der Gemeinderat sondern der Gemeindevorstand (Stadtrat) zuständig, die Erhebung eines derartigen Antrages an den Verfassungsgerichtshof zu beschließen. §36 Abs2 Z6 NÖ GO 1973 ist insofern die lex specialis zu §35 Z16 NÖ GO 1973, der nur allgemein die Zuständigkeit des Gemeinderates für die Einleitung oder Fortsetzung eines Rechtsstreites regelt.
Der Beschluss des Stadtrates der einschreitenden Gemeinde zur Erhebung des vorliegenden Parteiantrages erfolgte erst am 11. Juli 2017 und somit nach Verstreichen der (vierzehntägigen) Frist für das Rechtsmittel, aus dessen Anlass der Antrag auf Aufhebung des §27 Abs3 letzter Satz NÖ FG 2015 beim Verfassungsgerichtshof gestellt wurde. Dem Antrag mangelt es daher an einer rechtzeitigen Beschlussfassung des zuständigen Organs der einschreitenden Gemeinde.
IV. Ergebnis
Der Antrag ist daher wegen der fehlenden Legitimation der einschreitenden Gemeinde in nichtöffentlicher Sitzung gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG zurückzuweisen.
Schlagworte
VfGH / Parteiantrag, Gemeinderecht, Gemeindevorstand, Gemeinderat, Vertretung nach außen, Feuerpolizei, EntschädigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:G68.2017Zuletzt aktualisiert am
27.11.2017