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25/01 StrafprozessNorm
B-VG Art140 Abs1 Z1 litdLeitsatz
Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung einer Regelung der StPO über das Widerspruchsrecht gegen die Sicherstellung von schriftlichen Aufzeichnungen oder Datenträgern als zu eng gefasstSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Mit ihrem auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag begehrt die antragstellende Partei, eine Wirtschaftstreuhandgesellschaft, aus Anlass ihrer gegen den in einem näher bezeichneten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren ergangenen Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 7. April 2017, Z 334 HR 436/08g-1, erhobenen Beschwerde die Aufhebung der Wortfolge "von der Sicherstellung betroffene oder anwesende" in §112 Abs1 der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl 631, idF BGBl I 29/2012. Mit dem angeführten Beschluss wurde das in dieser Strafsache gegen mehrere Beschuldigte wegen §§146, 147 Abs1 Z1 und Abs3, 148 zweiter Fall; 153 Abs1, Abs3 zweiter Fall; 12 StGB und weiterer strafbarer Handlungen auf Grund von Widersprüchen (u.a. von der vor dem Verfassungsgerichtshof antragstellenden Wirtschaftstreuhandgesellschaft) anhängig gewesene Sichtungsverfahren betreffend physische Unterlagen und elektronische Datenbestände, welche im Zuge einer Hausdurchsuchung in den Räumlichkeiten einer Bank sichergestellt bzw. von dieser später nachgereicht worden sind, von Amts wegen beendet.
Die durch die angefochtene Wortfolge bewirkte Einschränkung des Widerspruchsrechtes des §112 StPO auf betroffene oder anwesende Personen verstoße – so die antragstellende Gesellschaft – gegen Art6 (Abs3 litb und c) und 8 EMRK sowie gegen Art7, 18 und 90 Abs2 B-VG.
II. Die für die Beurteilung des vorliegenden Antrages maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen lauten (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):
"8. Hauptstück
Ermittlungsmaßnahmen und Beweisaufnahme
1. Abschnitt
Sicherstellung, Beschlagnahme […]
Definitionen
§109. Im Sinne dieses Gesetzes ist
1. 'Sicherstellung'
a. die vorläufige Begründung der Verfügungsmacht über Gegenstände und
b. das vorläufige Verbot der Herausgabe von Gegenständen oder anderen Vermögenswerten an Dritte (Drittverbot) und das vorläufige Verbot der Veräußerung oder Verpfändung solcher Gegenstände und Werte,
[…]
Sicherstellung
§110. (1) Sicherstellung ist zulässig, wenn sie
1. aus Beweisgründen,
2. zur Sicherung privatrechtlicher Ansprüche oder
3. zur Sicherung der Konfiskation (§19a StGB), des Verfalls (§20 StGB), des erweiterten Verfalls (§20b StGB), der Einziehung (§26 StGB) oder einer anderen gesetzlich vorgesehenen vermögensrechtlichen Anordnung
erforderlich scheint.
(2) Sicherstellung ist von der Staatsanwaltschaft anzuordnen und von der Kriminalpolizei durchzuführen.
[…]
(4) Die Sicherstellung von Gegenständen aus Beweisgründen (Abs1 Z1) ist nicht zulässig und jedenfalls auf Verlangen der betroffenen Person aufzuheben, soweit und sobald der Beweiszweck durch Bild-, Ton- oder sonstige Aufnahmen oder durch Kopien schriftlicher Aufzeichnungen oder automationsunterstützt verarbeiteter Daten erfüllt werden kann und nicht anzunehmen ist, dass die sichergestellten Gegenstände selbst oder die Originale der sichergestellten Informationen in der Hauptverhandlung in Augenschein zu nehmen sein werden.
§111. (1) Jede Person, die Gegenstände oder Vermögenswerte, die sichergestellt werden sollen, in ihrer Verfügungsmacht hat, ist verpflichtet (§93 Abs2), diese auf Verlangen der Kriminalpolizei herauszugeben oder die Sicherstellung auf andere Weise zu ermöglichen. Diese Pflicht kann erforderlichenfalls auch mittels Durchsuchung von Personen oder Wohnungen erzwungen werden; dabei sind die §§119 bis 122 sinngemäß anzuwenden.
(2) Sollen auf Datenträgern gespeicherte Informationen sichergestellt werden, so hat jedermann Zugang zu diesen Informationen zu gewähren und auf Verlangen einen elektronischen Datenträger in einem allgemein gebräuchlichen Dateiformat auszufolgen oder herstellen zu lassen. Überdies hat er die Herstellung einer Sicherungskopie der auf den Datenträgern gespeicherten Informationen zu dulden.
(3) Personen, die nicht selbst der Tat beschuldigt sind, sind auf ihren Antrag die angemessenen und ortsüblichen Kosten zu ersetzen, die ihr durch die Trennung von Urkunden oder sonstigen beweiserheblichen Gegenständen von anderen oder durch die Ausfolgung von Kopien notwendigerweise entstanden sind.
(4) In jedem Fall ist der von der Sicherstellung betroffenen Person sogleich oder längstens binnen 24 Stunden eine Bestätigung über die Sicherstellung auszufolgen oder zuzustellen und sie über das Recht, Einspruch zu erheben (§106) und eine gerichtliche Entscheidung über die Aufhebung oder Fortsetzung der Sicherstellung zu beantragen (§115), zu informieren. Von einer Sicherstellung zur Sicherung einer Entscheidung über privatrechtliche Ansprüche (§110 Abs1 Z2) ist, soweit möglich, auch das Opfer zu verständigen.
§112. (1) Widerspricht die von der Sicherstellung betroffene oder anwesende Person, auch wenn sie selbst der Tat beschuldigt ist, der Sicherstellung von schriftlichen Aufzeichnungen oder Datenträgern unter Berufung auf ein gesetzlich anerkanntes Recht auf Verschwiegenheit, das bei sonstiger Nichtigkeit nicht durch Sicherstellung umgangen werden darf, so sind diese Unterlagen auf geeignete Art und Weise gegen unbefugte Einsichtnahme oder Veränderung zu sichern und bei Gericht zu hinterlegen. Auf Antrag des Betroffenen sind die Unterlagen jedoch bei der Staatsanwaltschaft zu hinterlegen, die sie vom Ermittlungsakt getrennt aufzubewahren hat. In beiden Fällen dürfen die Unterlagen von Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei nicht eingesehen werden, solange nicht über die Einsicht nach den folgenden Absätzen entschieden worden ist.
(2) Der Betroffene ist aufzufordern, binnen einer angemessenen, 14 Tage nicht unterschreitenden Frist jene Teile der Aufzeichnungen oder Datenträger konkret zu bezeichnen, deren Offenlegung eine Umgehung seiner Verschwiegenheit bedeuten würde; zu diesem Zweck ist er berechtigt, in die hinterlegten Unterlagen Einsicht zu nehmen. Unterlässt der Betroffene eine solche Bezeichnung, so sind die Unterlagen zum Akt zu nehmen und auszuwerten. Anderenfalls hat das Gericht, im Fall eines Antrags nach Abs1 vorletzter Satz jedoch die Staatsanwaltschaft die Unterlagen unter Beiziehung des Betroffenen sowie gegebenenfalls geeigneter Hilfskräfte oder eines Sachverständigen zu sichten und anzuordnen, ob und in welchem Umfang sie zum Akt genommen werden dürfen. Unterlagen, die nicht zum Akt genommen werden, sind dem Betroffenen auszufolgen. Aus deren Sichtung gewonnene Erkenntnisse dürfen bei sonstiger Nichtigkeit nicht für weitere Ermittlungen oder als Beweis verwendet werden.
(3) Gegen die Anordnung der Staatsanwaltschaft kann der Betroffene Einspruch erheben, in welchem Fall die Unterlagen dem Gericht vorzulegen sind, das zu entscheiden hat, ob und in welchem Umfang sie zum Akt genommen werden dürfen; Abs2 letzter Satz gilt. Einer Beschwerde gegen den Beschluss des Gerichts kommt aufschiebende Wirkung zu."
III. Der Antrag ist unzulässig, weil der Aufhebungsumfang nicht richtig abgegrenzt wurde:
1. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt erhält und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.
Aus dieser Grundposition folgt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011). Es ist dem Verfassungsgerichtshof verwehrt, der Norm durch Aufhebung bloßer Teile einen völlig veränderten, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbaren Inhalt zu verleihen, weil dies im Ergebnis geradezu ein Akt positiver Gesetzgebung wäre (VfSlg 13.915/1994; VfGH 14.3.2017, G14/2016).
Ein Gesetzesprüfungsverfahren soll dazu dienen, die behauptete Verfassungswidrigkeit – wenn sie tatsächlich vorläge – zu beseitigen. Unzulässig ist ein Antrag daher dann, wenn die Aufhebung einer Bestimmung beantragt ist, welche die angenommene Verfassungswidrigkeit gar nicht beseitigen würde (VfSlg 8461/1978; in diesem Sinne etwa auch VfSlg 16.191/2001 mwN und 18.891/2009).
2. Bei systematischer, die unmittelbar vor der (den Widerspruch regelnden) Bestimmung des §112 StPO enthaltene, auf die Mitwirkungspflicht bei der Sicherstellung bezogene Vorschrift des §111 Abs1 StPO mitberücksichtigender Auslegung des um die angefochtene Wortfolge bereinigten §112 Abs1 StPO würde die behauptete Verfassungswidrigkeit nicht beseitigt: §111 Abs1 leg.cit. verpflichtet jene Person zur Herausgabe, welche die sicherzustellenden Gegenstände und Vermögenswerte in ihrer Verfügungsmacht hat. Angesichts dessen wäre selbst im Fall der Aufhebung des bekämpften Teiles des §112 Abs1 leg.cit. nach der dann verbleibenden Textierung dieser Bestimmung "die Person", der ein Widerspruchsrecht zustünde, (weiterhin) nur jener Geheimnisträger, in dessen Gewahrsame sich die schriftlichen Aufzeichnungen oder Datenträger befinden.
Demgegenüber würde im Fall der Aufhebung der hier angefochtenen Wortfolge der verbleibenden Bestimmung ihrem Wortlaut nach ein Inhalt zukommen, der dem Gesetzgeber nicht zusinnbar wäre: Nach Aufhebung des bekämpften Satzteils "von der Sicherstellung betroffene oder anwesende" würde der verbleibende Wortlaut des §112 Abs1 StPO ("Widerspricht die Person der Sicherstellung […]") nämlich dazu führen, dass jeder Person (iS eines Geheimnisträgers bzw. jener Person, die das Anwesenheitsrecht des jeweiligen Geheimnisträgers substituiert) – und zwar unabhängig davon, ob diese die schriftlichen Aufzeichnungen oder den Datenträger jemals in ihrer Verfügungsmacht hatte – ein Widerspruchsrecht eingeräumt wäre. Dies gäbe der Vorschrift aber einen vom Gesetzgeber nicht gewollten Sinngehalt und käme einem positiven Akt der Gesetzgebung gleich, der dem Verfassungsgerichtshof nicht zukommt (VfSlg 12.465/1990, 13.140/1992, 13.915/1994, 15.283/1998; VfGH 18.2.2015, G434/2015).
3. Welcher der beiden Auslegungsvarianten man auch anhängt, erweist sich das Aufhebungsbegehren jedenfalls als zu eng gefasst. Der Antrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.
Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
VfGH / Parteiantrag, VfGH / Prüfungsumfang, StrafprozessrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:G83.2017Zuletzt aktualisiert am
23.11.2017