Index
E6J;Norm
61983CJ0267 Aissatou Diatta VORAB;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde der J S (vormals S) in Schwanenstadt, geboren am 8. März 1964, vertreten durch Mag. Christian Schönhuber, Rechtsanwalt in
4690 Schwanenstadt, Stadtplatz 28, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 28. Dezember 1999, Zl. St 231/99, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes und Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Berufung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 28. Dezember 1999 wurde das von der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck mit Bescheid vom 20. Oktober 1999 gemäß § 36 Abs. 1 iVm §§ 37 und 39 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, gegen die Beschwerdeführerin, eine tschechische Staatsangehörige, für die Dauer von zehn Jahren erlassene Aufenthaltsverbot und der unter einem gemäß § 64 Abs. 2 AVG ausgesprochene Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer (allfälligen) Berufung im Grund des § 66 Abs. 4 AVG bestätigt.
Die Beschwerdeführerin sei erstmals am 22. Juli 1997 sichtvermerksfrei nach Österreich eingereist und habe am 29. Juli 1997 bei Herrn K. einen ordentlichen Wohnsitz begründet. Nach ihren Angaben sei sie am 7. September 1997 wieder in ihre Heimat ausgereist. Am 2. September 1998 habe sie neuerlich nach sichtvermerksfreier Einreise einen ordentlichen Wohnsitz an einer österreichischen Adresse begründet. Sie habe am 7. September 1998 einen österreichischen Staatsangehörigen geheiratet und habe angegeben, mit diesem an der genannten Adresse zu wohnen. Am 16. Oktober 1998 habe sie einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit ihrem österreichischen Ehegatten gestellt. Auf Grund ihrer Angaben sei ihr eine Niederlassungsbewilligung mit einer Gültigkeitsdauer bis 15. Oktober 1999 erteilt worden. Die Beschwerdeführerin habe den Mietvertrag für die gemeinsame Unterkunft trotz Aufforderung nicht vorgelegt. Daraufhin sei sie mit Ladungsbescheid vom 21. Juni 1999 zur Klärung des Sachverhaltes vorgeladen worden. Das Poststück sei jedoch mit der Vermerk: "Empfänger benützt die Abgabestelle nicht mehr; verzogen; neue Adresse unbekannt" retourniert worden.
In der Folge sei bekannt geworden, dass sich die Beschwerdeführerin tatsächlich bei ihrem Lebensgefährten K., einem türkischen Staatsangehörigen, in Schwanenstadt aufhalte. Die Ehe mit dem österreichischen Staatsangehörigen habe sie nur deshalb geschlossen, um sich auf diese Weise einen Aufenthaltstitel zu verschaffen. Für die Eheschließung sei vom Lebensgefährten der Beschwerdeführerin ein Betrag von S 20.000,-- an den österreichischen Ehegatten der Beschwerdeführerin bezahlt worden.
Nach Ablauf der Gültigkeitsdauer ihrer Niederlassungsbewilligung habe die Beschwerdeführerin keinen weiteren Antrag gestellt. Sie halte sich daher nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Sie habe keinen ausreichenden Krankenversicherungsschutz nachgewiesen. Aus welchen Quellen sie ihren Lebensunterhalt bestreite, sei nicht bekannt. Nach der amtswegigen Abmeldung von der "Scheinadresse" bei ihrem österreichischen Ehegatten verfüge sie über keinen "ordentlichen Wohnsitz" im Bundesgebiet. An der Adresse ihres Lebensgefährten K. sowie an der Adresse eines von diesem geführten Lokals übernehme sie jedoch laufend Postsendungen.
Das Eingehen einer Ehe zwecks Beschaffung einer Aufenthaltsberechtigung bzw. eines Befreiungsscheines stelle einen evidenten Rechtsmissbrauch dar, der eine Beeinträchtigung des geordneten menschlichen Zusammenlebens und solcherart eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung bewirke. Aus diesem Grund sei die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes gerechtfertigt.
Da sich die Beschwerdeführerin seit zwei Jahren mit ihrem Lebensgefährten im Bundesgebiet aufhalte, sei das Aufenthaltsverbot mit einem Eingriff in die persönlichen Interessen verbunden. Auf Grund der Beeinträchtigung der maßgeblichen öffentlichen Interessen durch die Eingehung der "Scheinehe" sei das Aufenthaltsverbot im Licht des § 37 Abs. 1 FrG gerechtfertigt. Die Abstandnahme von der Erlassung dieser Maßnahme wöge wesentlich schwerer als die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin.
Nach der von der Erstbehörde bemessenen Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes könne erwartet werden, dass sich die Beschwerdeführerin wieder an die österreichischen Normen halten werde.
"Von einer gesonderten Absprache über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung konnte insofern Abstand genommen werden, als die Verwaltungsangelegenheit bereits einer Gesamterledigung zugeführt wurde."
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Da entgegen der Beschwerdemeinung für die Beurteilung der vorliegend relevanten Frage, ob die Beschwerdeführerin die Ehe - gegen Entgelt - geschlossen und nie ein Familienleben mit ihrem Gatten geführt hat, weder die Nichtigerklärung der Ehe (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. April 1999, Zl. 99/18/0044) noch die Einleitung eines entsprechenden Gerichtsverfahrens erforderlich ist, vielmehr diese Frage von der Fremdenpolizeibehörde selbst zu beurteilen ist, liegt die geltend gemachte Unzuständigkeit der belangten Behörde nicht vor.
2. Die Beschwerdeführerin ist unstrittig mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet. Nach § 49 Abs. 1 erster Satz FrG genießen Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs. 3 FrG, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, Niederlassungsfreiheit; für sie gelten, sofern im Folgenden nicht anderes gesagt wird, die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem 1. Abschnitt des 4. Hauptstückes dieses Gesetzes. Zu den in § 47 Abs. 3 FrG genannten Angehörigen zählt u.a. der Ehegatte (Z. 1), ohne dass der Gesetzgeber hier auf ein gemeinsames Familienleben abstellt. Da sich gemäß § 27 Ehegesetz niemand auf die Nichtigkeit einer Ehe berufen kann, so lange nicht die Ehe durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden ist, kommt es für die Stellung als begünstigter Angehöriger eines Österreichers auch nicht darauf an, ob Gründe für die Nichtigerklärung einer (formal bestehenden) Ehe vorliegen. (Vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. März 2000, Zl. 99/18/0269.) Auf die Beschwerdeführerin findet daher die Bestimmung des § 48 Abs. 1 erster Satz FrG Anwendung, derzufolge die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige nur zulässig ist, wenn auf Grund ihres Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Der bloße Umstand, dass die belangte Behörde im Spruch ihres Bescheides das Aufenthaltsverbot allein auf § 36 Abs. 1 FrG und nicht auf § 48 Abs. 1 leg. cit. gestützt hat, bewirkte keine Verletzung subjektiver Rechte der Beschwerdeführerin, weil § 36 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. bei der Frage, ob gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, weiterhin insofern von Bedeutung ist, als ein Aufenthaltsverbot nur bei Vorliegen der in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen erlassen werden darf. Auf den Katalog des § 36 Abs. 2 leg. cit. kann dabei als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden. (Vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2000, Zl. 2000/18/0008.)
3.1. Gemäß § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG hat als bestimmte Tatsache, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Grund des Abs. 1 dieser Bestimmung rechtfertigen kann, insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt und für die Eheschließung einen Vermögensvorteil geleistet hat.
Die Eingehung einer Ehe ohne Führung eines Familienlebens und Berufung auf diese Ehe zur Erlangung eines Aufenthaltstitels stellt gemäß § 34 Abs. 1 Z. 3 FrG einen Grund für die Ausweisung eines Fremden, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verfahrens zur Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels im Bundesgebiet aufhält, dar.
Die gegenüber der Ausweisung, die den Fremden zur Ausreise verpflichtet, ohne einer neuerlichen Einreise entgegenzustehen, einen gravierenderen Eingriff in die persönliche Sphäre darstellende Maßnahme des Aufenthaltsverbotes, das den Fremden für die Dauer der Gültigkeit von der Einreise in das Bundesgebiet ausschließt, ist im Fall einer rechtsmissbräuchlichen Eheschließung somit nur vorgesehen, wenn der Fremde für die Eheschließung einen Vermögensvorteil geleistet hat. Der Gesetzgeber bewertet somit die von einem Fremden, der sich die rechtsmissbräuchliche Eheschließung "erkauft", ausgehende Gefährdung der öffentlichen Interessen höher als die Gefährdung dieser Interessen durch einen Fremden, der für die Eheschließung keinen Vermögensvorteil leistet.
Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Fremde den für die Eheschließung geleisteten Vermögensvorteil aus seinem eigenen Vermögen aufbringt oder ihm dafür Mittel von einer dritten Person - etwa geschenkweise - zur Verfügung gestellt werden. Ebenso kann es keinen Unterschied machen, ob der Vermögensvorteil, der die Gegenleistung für die Eheschließung darstellt, vom Fremden selbst oder mit dessen Wissen von einer dritten Person geleistet wird. In all diesen Fällen schreckt der Fremde nicht davor zurück, eine gegen Bezahlung zu Stande gekommene Ehe ohne Führung eines gemeinsamen Familienlebens einzugehen und sich unter Berufung auf diese Ehe fremdenrechtlich relevante Vorteile zu verschaffen.
3.2. Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde lediglich festgestellt, dass der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin für die Eheschließung S 20.000,-- an den österreichischen Ehegatten der Beschwerdeführerin bezahlt habe, nicht aber, ob die Beschwerdeführerin von dieser Zahlung gewusst hat.
Auf Grundlage des festgestellten Sachverhaltes kann daher nicht beurteilt werden, ob der Tatbestand des - als "Orientierungsmaßstab heranzuziehenden - § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG erfüllt ist.
4.1. Die belangte Behörde vertrat indes die Ansicht, dass die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme schon deshalb gerechtfertigt sei, weil die Beschwerdeführerin eine Ehe rechtsmissbräuchlich eingegangen sei, um sich fremdenrechtlich bedeutsame Vorteile zu verschaffen. Dies entspricht der ständigen hg. Judikatur zu § 18 Abs. 1 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992 (im Folgenden: FrG 1992) etwa dem Erkenntnis vom 29. Juni 1995, Zl. 95/18/0970.
Diese Rechtsprechung kann aber nicht auf die Bestimmung des § 36 Abs. 1 FrG übertragen werden. Nunmehr ist nämlich durch § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG - das FrG 1992 enthielt keinen entsprechenden Tatbestand - klargestellt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die rechtsmissbräuchliche Eheschließung nur unter den in dieser Norm festgelegten Voraussetzungen die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertigen können soll.
Es ist zwar rechtlich unbedenklich, gegen einen Fremden - der weder EWR-Bürger noch begünstigter Drittstaatsangehöriger ist - ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, wenn kein Tatbestand des § 36 Abs. 2 FrG erfüllt ist, doch müssen dafür triftige Gründe vorliegen, die die in § 36 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertigen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Jänner 2000, Zl. 98/18/0375).
Da dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden kann, er habe in diesem Bereich EWR-Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige schlechter behandeln wollen als übrige Fremde, kann auch ein auf § 48 Abs. 1 FrG gestütztes Aufenthaltsverbot, wenn keiner der - als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehenden - Tatbestände des § 36 Abs. 2 leg. cit. erfüllt ist, nur bei Vorliegen triftiger Gründe hiefür erlassen werden.
4.2. Die belangte Behörde hat zur Begründung ihrer Ansicht, dass die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, ausschließlich das in der rechtsmissbräuchlichen Eheschließung und der Berufung auf diese Ehe zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Vorteile gelegene Fehlverhalten der Beschwerdeführerin herangezogen. Darüber hinausgehende Gründe für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes hat sie in diese Beurteilung nicht einbezogen.
Die Ansicht der belangten Behörde, dass die genannte Annahme gerechtfertigt sei, beruht somit auf einer Verkennung der Rechtslage.
5. Da der angefochtene Bescheid in seinem Ausspruch über das Aufenthaltsverbot schon aus den dargestellten Gründen inhaltlich rechtswidrig ist, kann es dahinstehen, ob der belangten Behörde bei der Ermittlung des ihrer Entscheidung zu Grunde gelegten Sachverhaltes die in der Beschwerde gerügten Mängel unterlaufen sind. Eben sowenig braucht auf die Bekämpfung der Beweiswürdigung eingegangen zu werden.
6. Da die belangte Behörde den Ausspruch der Erstbehörde über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer (allfälligen) Berufung im Spruch ihres Bescheides bestätigt hat, steht die Passage in der Bescheidbegründung, wonach von einem derartigen Abspruch Abstand genommen habe werden können, mit dem Spruch in Widerspruch. Auf Grund dessen leidet der angefochtene Bescheid auch insoweit an inhaltlicher Rechtswidrigkeit (vgl. dazu die bei Dolp,
Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S 575 wiedergegebene hg. Judikatur).
Hinzugefügt sei, dass das Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin - die nach der Aktenlage während des Berufungsverfahrens weder abgeschoben wurde noch freiwillig das Bundesgebiet verlassen hat - hinsichtlich dieses Ausspruches deshalb gegeben ist, weil das Aufenthaltsverbotsverfahren infolge Aufhebung des angefochtenen Bescheides in das Berufungsstadium zurücktritt und infolge dessen nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde über die Berufung gegen den Abspruch der Erstbehörde betreffend den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Berufung - abgesondert - zu Gunsten des Beschwerdeführers entscheidet.
7. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zur Gänze wegen Rechtwidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
8. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 3. August 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:2000180026.X00Im RIS seit
11.01.2002Zuletzt aktualisiert am
21.11.2011