Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 7. November 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Vasile M***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren und durch Einbruch begangenen räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1 und 3, Abs 2 Z 1 (iVm Abs 1 Z 1), 130 Abs 2 erster und zweiter Fall (jeweils iVm Abs 1 erster Fall), Abs 3 (iVm Abs 1 erster Fall), 131 erster und (gemeint:) dritter Fall, 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 19. Mai 2017, GZ 42 Hv 45/17m-160, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion des vom Schuldspruch I umfassten Täterverhaltens (auch) nach § 131 dritter Fall StGB (I/2/a/iv), demzufolge auch in der zu I gebildeten Subsumtionseinheit und im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.
Mit ihren gegen den Strafausspruch gerichteten Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten gegen das Adhäsionserkenntnis werden die Akten zunächst dem Oberlandesgericht Wien übermittelt.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Vasile M***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren und durch
Einbruch begangenen
räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1 und (richtig:) 2, Abs 2 Z 1 (iVm Abs 1 Z 1), 130 Abs 2 erster und zweiter Fall (jeweils iVm Abs 1 erster Fall), Abs 3 (iVm Abs 1 erster Fall), 131 erster und (gemeint:) dritter Fall, 15 StGB (I) sowie der Vergehen (richtig:) Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB (II), der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (III), des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 StGB (IV) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (V) schuldig erkannt.
Danach hat er – soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant –
(I) zwischen 22. November 2015 und 7. Mai 2016 in W***** und an anderen Orten des Bundesgebiets in den im Urteil im Einzelnen dargestellten 104 Fällen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz gewerbsmäßig anderen fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld, Schmuck und sonstige Wertsachen, in einem
– teilweise (I/1/b und e, I/4/c, I/8/b/c/i und d/i, I/14/c und I/16) jeweils – 5.000 Euro übersteigenden Wert, in zwei Fällen durch Aufbrechen eines Behältnisses (I/8/d/ii und I/9/b/i), in zahlreichen Fällen durch Einbruch in Gebäude, Lagerplätze und andere umschlossene Räume sowie in zahlreichen weiteren Fällen durch Einbruch in Wohnstätten weggenommen und wegzunehmen versucht, wobei er in zwei Fällen bei den Diebstählen auf frischer Tat betreten wurde und – jeweils um sich die weggenommenen Sachen zu erhalten – in einem Fall Gewalt gegen eine Person anwendete, was eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen zur Folge hatte (I/2/a/iv), und in einem Fall Personen mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) bedrohte (I/5/b), und zwar
...
2/a/iv) am 19. Jänner 2016 dem Franz R***** 4.000 Euro Bargeld und zwei Armbanduhren weggenommen, indem er das Kellerfenster von dessen Wohnhaus aufbrach, die Räumlichkeiten durchsuchte, das Bargeld an sich nahm und den Genannten, der ihn im Schlafzimmer überrascht hatte, mit einer Schreckschusspistole und einer Axt auf den Kopf schlug und mehrere Schüsse aus der Waffe abgab, um mit seiner Beute aus dem Kellerfenster zu fliehen, wobei das Opfer durch die Gewaltanwendung „einen Tinnitus am linken Ohr“ erlitt;
...
5/b) am 18. Jänner 2016 Andreas und Benjamin S***** und Johann G***** Schmuck, eine Digitalkamera und 4.000 Euro Bargeld weggenommen, indem er ein Hoftor überstieg, die Tür des Wintergartens zu deren Wohnhaus mit einer Axt aufzwängte, die Wertgegenstände und das Bargeld an sich nahm, sodann – nachdem ihn die Genannten bei der Tat überrascht hatten – über das Einfahrtstor auf die Straße sprang und eine mitgeführte Waffe drohend gegen die Diebstahlsopfer richtete, um mit seiner Beute ungestört fliehen zu können;
...
(II) am 10. Februar 2016 in W***** ein unbares Zahlungsmittel, über das er nicht oder nicht alleine verfügen darf, nämlich die Bankomatkarte der Eveline Sc*****, mit dem Vorsatz, dessen Verwendung im Rechtsverkehr zu verhindern, unterdrückt, indem er das unbare Zahlungsmittel an sich nahm;
(III) am 10. Februar 2016 in W***** Urkunden, über die er nicht verfügen darf, nämlich eine Sparkarte der B***** sowie eine Jahreskarte der W*****, beide lautend auf Eveline Sc*****, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache, nämlich der Geschäftsbeziehung der Genannten zur B***** und des Nachweises einer „gültigen Fahrlizenz“ für die W*****, gebraucht werden, unterdrückt, indem er die Urkunden an sich nahm;
(IV) am 29. Jänner 2016 in G***** ein Fahrzeug, das zum Antrieb mit Maschinenkraft eingerichtet ist, nämlich einen nicht zum Verkehr zugelassenen Geländewagen der Marke S***** ohne Einwilligung des Berechtigten, Josef P*****, in Gebrauch genommen, indem er das Fahrzeug mit angestecktem Zündschlüssel in Betrieb nahm und damit zum Bahnhof in Wi***** fuhr;
(V) am 19. Februar 2016 in M***** Irene Gl*****, die ihn bei der Ausführung eines Einbruchsdiebstahls in ihr Wohnhaus überrascht hatte, vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihr Pfefferspray ins Gesicht sprühte, wodurch sie Verätzungen im Augenbereich erlitt.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof zunächst von einem – vom Beschwerdeführer nicht geltend gemachten, ihm gleichwohl nachteiligen – Subsumtionsfehler zum Schuldspruch I/2/a/iv (Z 10), der von Amts wegen aufzugreifen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
Die Annahme der Erfolgsqualifikation des § 131 zweiter Fall StGB setzt voraus, dass aus der Gewaltanwendung eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen resultiert, worunter zu verstehen ist, dass sie eine der in § 85 Abs 1 StGB angeführten Folgen nach sich zieht, die „für immer“ oder doch „für lange Zeit“ besteht (vgl dazu Burgstaller/Fabrizy in WK² StGB §
85 Rz 17 ff).
Den – durch grundsätzlich zulässigen Verweis auf den Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO; vgl RIS-Justiz RS0098936 [T15]) getroffenen – diesbezüglichen Feststellungen ist lediglich zu entnehmen, dass das Tatopfer „einen Tinnitus am linken Ohr“ erlitt (US 23 iVm US 3), was per se weder eine
schwere Schädigung des Gehörs (§ 85 Abs 1 Z 1 StGB) beschreibt, noch etwas über die Dauer der Verletzung aussagt. Zu diesen nach dem Vorgesagten entscheidenden Kriterien bedürfte es aber – selbst wenn man Notorietät unterstellt – entsprechender Feststellungen (vgl RIS-Justiz RS0124169; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 348, 463, 600).
Die Verwendung der verba legalia „Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen“ im Referat der entscheidenden Tatsachen im Erkenntnis (US 20) und in den rechtlichen Ausführungen zur objektiven und subjektiven Erfolgszurechnung (US 26) bleibt daher ohne
Sachverhaltsbezug und trägt die Subsumtion nach § 131 dritter Fall StGB nicht (RIS-Justiz RS0119090).
Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen erfordert die Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang.
Eines Eingehens auf die – ausschließlich gegen die Annahme der von der Kassation betroffenen Qualifikation gerichtete – Tatsachenrüge (Z 5a) zum Schuldspruch I/2/a/iv bedurfte es daher nicht.
Im Übrigen verfehlt die Nichtigkeitsbeschwerde ihr Ziel.
Mit Blick auf die Urteilsannahmen zum Schuldspruch V, nach denen es der Beschwerdeführer ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, Irene Gl***** durch das Besprühen mit Pfefferspray in ihr Gesicht zu verletzen (US 24), spricht die Beschwerde mit ausschließlich gegen die Feststellung zum tatsächlichen Eintritt einer Verletzung des Tatopfers in Form von Verätzungen der Augen gerichteten Einwänden (Z 5 vierter Fall, Z 5a) bloß die nicht schuld- oder subsumtionsrelevante (RIS-Justiz RS0122138) Abgrenzung von
Versuch und
Vollendung an. Eine Bekämpfung solcherart nur für die Strafbemessung maßgebender
entscheidender Tatsachen mit
Mängel- oder Tatsachenrüge kommt jedoch nicht in Betracht (RIS-Justiz RS0117499, RS0099869; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 680 und 693).
Soweit der Rechtsmittelwerber in diesem Zusammenhang (auch) die unterbliebene Einholung eines diesbezüglichen Sachverständigengutachtens kritisiert, macht er im Übrigen – im Sinn einer Aufklärungsrüge (Z 5a) – einen Mangel in der Sachverhaltsermittlung geltend, ohne aber darzulegen, wodurch er an der Ausübung seines Rechts, die begehrte Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung sachgerecht zu beantragen, gehindert war (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480; RIS-Justiz RS0115823).
Ob der Angeklagte zu I/5/b nur Andreas S***** oder – wovon das Erstgericht ausging (US 23 iVm US 6) – auch die beiden anderen Diebstahlsopfer mit der Waffe bedrohte, ist gleichfalls weder für die Schuld- noch die Subsumtionsfrage entscheidend und daher kein (zulässiger) Gegenstand der Mängelrüge.
Davon abgesehen liegt insoweit nominell geltend gemachte Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) nur bei (erheblicher) unrichtiger Wiedergabe des Inhalts von Beweismitteln vor (RIS-Justiz RS0099431), was die Beschwerde gar nicht behauptet.
Entgegen dem Vorwurf offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen „zur subjektiven Tatseite sämtlicher Delikte“ begegnet deren Ableitung aus dem äußeren Geschehen (US 25) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit keinen Bedenken. Der Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrunde liegendes Wollen oder Wissen ist nämlich rechtsstaatlich vertretbar und bei – wie hier – leugnenden Angeklagten in aller Regel methodisch gar nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0116882, RS0098671). Zudem vernachlässigt die Beschwerde prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0119370) die weiteren Ausführungen zum auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatz und zur Gewerbsmäßigkeit (Schuldspruch I; vgl US 25).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Bleibt anzumerken, dass die Urteilsannahmen zum Schuldspruch I die Subsumtion nach § 130 Abs 2 erster Fall StGB – entgegen der Ansicht der Generalprokuratur – zu tragen vermögen. Die Tatrichter stellten dazu nämlich – nach dem Vorgesagten durch zulässigen Verweis auf das Referat der entscheidenden Tatsachen im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) – unmissverständlich fest, dass einzelne der dem Beschwerdeführer angelasteten Diebstähle (jeweils) an Sachen mit einem 5.000 Euro übersteigenden Wert begangen wurden (vgl erneut I/1/b und e, I/4/c, I/8/b/c/i und d/i, I/14/c und I/16; US 23 iVm US 2, 6, 9, 16 f, 19; RIS-Justiz RS0091990) und nahmen bei ihren Konstatierungen zur Gewerbsmäßigkeit ausdrücklich auch auf § 128 Abs 1 StGB Bezug (US 20). Daraus im Verein mit den weiteren diesbezüglichen Ausführungen in den Entscheidungsgründen (US 24) geht – trotz der dort missverständlichen Formulierung („fremde bewegliche Sachen in einem insgesamt 5.000 Euro übersteigenden Wert“; US 24) – der Wille des Erstgerichts, auch die insoweit erforderliche subjektive Tatseite (eine auf die wiederkehrende Begehung von schadensqualifiziertem Diebstahl nach § 128 Abs 1 Z 5 StGB gerichtete Absicht) festzustellen, gerade noch deutlich genug hervor.
Mit ihren gegen den Strafausspruch gerichteten Berufungen waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf die insoweit kassatorische Entscheidung zu verweisen.
Demgegenüber blieb der Zuspruch an die Privatbeteiligten, der die Schuldsprüche I/5/b, I/8/d/i, I/9/a/iii (vgl US 11 iVm ON 138 f) und I/13/a/ii (vgl US 14 iVm ON 134) betrifft, von der amtswegigen Maßnahme unberührt (§ 289 StPO), sodass die Akten
zur Entscheidung über die dagegen gerichtete
Berufung des Angeklagten vorerst dem
Oberlandesgericht zuzuleiten waren (§ 285i StPO).
Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO; sie erstreckt sich nicht auf das amtswegige Vorgehen (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12).
Schlagworte
3 Alle Os-EntscheidungenTextnummer
E119862European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2017:0140OS00085.17G.1107.000Im RIS seit
23.11.2017Zuletzt aktualisiert am
23.11.2017