Entscheidungsdatum
07.11.2017Norm
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1Spruch
G314 1310100-2/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, kosovarischer Staatsangehöriger, vertreten durch den Rechtsanwalt XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.03.2017, Zl. XXXX, betreffend den Antrag auf internationalen Schutz nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene
Bescheid dahin abgeändert, dass es in vollständiger Neufassung lautet:
"1. Der Antrag auf internationalen Schutz vom XXXX wird gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.
2. Dem Beschwerdeführer wird ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 9 BFA-VG ist eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig. Dem Beschwerdeführer wird gemäß §§ 55 Abs 1 und 58 Abs 2 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung plus" iSd § 54 Abs 1 Z 1 AsylG erteilt."
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (BF) reiste am XXXX.2006 schlepperunterstützt in Österreich ein und beantragte am XXXX.2006 erstmals internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er an, ihn habe ein serbischer Polizist unterstützt, als er als Jugendlicher in XXXX Zigaretten verkauft habe; nun werde er im Kosovo von albanischen Landsleuten wegen des Vorwurfs der Zusammenarbeit mit der serbischen Polizei verfolgt.
Dieser Antrag wurde vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 09.02.2007 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Kosovo abgewiesen und der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Kosovo ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung des BF gab der Unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 28.09.2007 nicht Folge.
Der BF verließ Österreich nicht. Am XXXX.2009 stellte er einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz und gab an, die im Vorverfahren angegebenen Fluchtgründe seien nach wie vor aufrecht. Dieser Antrag wurde mit dem Bescheid des Bundesasylamts vom 01.07.2009 gemäß § 68 AsylG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Kosovo ausgewiesen. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
Am XXXX.2017 beantragte der BF neuerlich internationalen Schutz und gab an, seit der letzten Antragstellung habe sich nichts geändert; es lägen noch immer dieselben Fluchtgründe vor. Nach der Erstbefragung wurde er am XXXX.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zu diesem neuerlichen Folgeantrag vernommen.
Mit dem oben genannten Bescheid wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom XXXX.2017 gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Dem BF wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG erteilt; gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Kosovo zulässig ist (Spruchpunkt II.). Gemäß § 55 Abs 1a FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt III.). Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der BF keinen Sachverhalt vorgebracht habe, der nach Abschluss der Vorverfahren entstanden sei und dem Asylrelevanz zukomme. Eine Rückkehrentscheidung sei zulässig, weil den privaten Interessen des BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich ein geringerer Stellenwert zukomme als den öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung. Der BF halte sich zwar seit 2006 in Österreich auf, habe aber nie von einer Berechtigung zum dauerhaften Aufenthalt ausgehen können. Er sei nicht selbsterhaltungsfähig und habe seinen Lebensunterhalt durch Schwarzarbeit verdient. Er habe keinen intensiven Kontakt zu seinem in Österreich lebenden Onkel. Aufgrund einer strafgerichtlichen Verurteilung wegen Drogenhandels sei gegen den BF ein fünfjähriges Einreiseverbot erlassen worden, dessen Gültigkeit mit dem Tag seiner Ausreise beginne. Es bestünde nach wie vor eine starke Bindung zu seinem Herkunftsstaat.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des BF mit den Anträgen, dem Antrag auf internationalen Schutz stattzugeben, in eventu, ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG zu erteilen, die Rückkehrentscheidung aufzuheben und seine Abschiebung in den Kosovo für unzulässig zu erklären, in eventu, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen. Außerdem beantragte der BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Er bringt zusammengefasst vor, dass nach wie vor die Gefahr bestünde, dass er im Kosovo umgebracht würde. Er werde einerseits von Serben als Albaner und andererseits von Albanern als serbischer Spion verfolgt. Das BFA sei nicht ausreichend auf seine individuelle Situation eingegangen. Seit dem Erstantrag habe sich die Situation geändert. Der BF lebe seit über zehn Jahren in Österreich und habe hier starke soziale Bindungen. Er habe keine staatlichen Leistungen in Anspruch genommen. Sein Herkunftsstaat sei ihm aufgrund des langen Aufenthalts in Österreich fremd; er stünde dort vor dem Nichts. Er sei bis auf einen Vorfall 2011 unauffällig geblieben. Die Rückkehrentscheidung sei nicht verhältnismäßig und verstoße gegen die EMRK.
Die Beschwerde und die Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vorgelegt. Mit Beschluss des BVwG vom 12.04.2017 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Bei der Beschwerdeverhandlung am 15.05.2017 wurde der BF vernommen.
Feststellungen:
Der BF gehört der albanischen Volksgruppe im Kosovo an und bekennt sich zum Islam, ist aber nicht religiös. Seine Muttersprache ist Albanisch. Er ist ledig und kinderlos. Im Kosovo leben keine nahen Angehörigen des BF mehr. Seine Eltern sind bereits verstorben; sein Bruder lebt in Deutschland.
Ein Onkel des BF, XXXX, lebt mit seiner Familie seit langem in Österreich. Der BF hat derzeit kaum Kontakt zu ihm. Er hat im Bundesgebiet keine weiteren familiären Anknüpfungspunkte.
Der BF wuchs im Kosovo auf und absolvierte dort von XXXX bis XXXX die Grundschule und danach eine allgemeinbildende höhere Schule, die er im XXXX abschloss. Im Anschluss daran begann er ein XXXX Studium an der Universität, das er nach kurzer Zeit abbrechen musste. Danach ging er im Kosovo Gelegenheitsarbeiten ohne Anmeldung (hauptsächlich in der XXXX) nach. Zuletzt wohnte er in einer Mietwohnung in XXXX.
Der BF verließ den Kosovo im XXXX 2006 und hält sich seither in Österreich auf. Seit XXXX.2006 verfügt er (abgesehen von zwei Wochen im Juli 2011) durchgehend über Hauptwohnsitzmeldungen in Österreich. Seit XXXX 2012 wohnt er in einer kleinen Mietwohnung in XXXX. Er verfügt - abgesehen von der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber - über keine Aufenthaltsgenehmigung.
Der BF verfügt über Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Am XXXX.2016 bestand er eine Prüfung des Österreichischen Integrationsfonds über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen. Das Prüfungszeugnis legte er im Verfahren vor. Seit 2009 verfügt er über eine österreichische Lenkberechtigung für die Klasse B.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er bezog nur im XXXX und XXXX 2006 Grundversorgungsleistungen. Danach war er immer wieder ohne Beschäftigungsbewilligung und ohne Anmeldung zur Sozialversicherung erwerbstätig, um für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Zwischen XXXX 2012 und XXXX 2014 bestanden für insgesamt ca. 22 Monate vollversicherte Beschäftigungsverhältnisse bei XXXX und im XXXX. Im XXXX 2014 wurde dem BF eine Fahrbewilligung für XXXX erteilt. Derzeit übt er keine erlaubte Erwerbstätigkeit aus. Der BF hat eine Vollzeitbeschäftigung als Arbeiter in einem XXXX in Aussicht, wenn eine Berechtigung zur Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit vorliegt.
In seiner Freizeit spielt der BF XXXX, z.B. im albanischen Verein "XXXX" in XXXX, dessen Mitglied er seit 2013 ist. Er hat in Österreich Freunde und Bekannte und ist mit einer hier niedergelassenen türkischen Staatsangehörigen liiert, mit der er aber nicht zusammenlebt.
Der BF wurde mit dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX, XXXX, wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (Verkauf von zumindest 60 g Kokain an bekannte und unbekannte Abnehmer zwischen XXXX 2009 und XXXX.2010; Erwerb und Besitz einer unbekannten Menge Kokain zum Eigenkonsum) zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt; davon wurde ein Teil von acht Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Dabei wurden das reumütige Geständnis und die Unbescholtenheit des BF als mildernd, die Fortsetzung durch längere Zeit und das Zusammentreffen von Vergehen und Verbrechen als erschwerend gewertet. Der BF verbüßte den unbedingten Teil der Freiheitsstrafe zwischen XXXX.2010 und XXXX.2011 in der Justizanstalt XXXX. Diese Verurteilung wurde mittlerweile getilgt, sodass im Strafregister der Republik Österreich keine Verurteilung des BF (mehr) aufscheint.
Mit dem Bescheid der Bundespolizeidirektion XXXX vom 07.04.2011 idF des Bescheids des Unabhängigen Verwaltungssenats für die XXXX vom 12.12.2013 wurden gegen den BF wegen seiner strafgerichtlichen Verurteilung eine Rückkehrentscheidung und ein fünfjähriges Einreiseverbot erlassen.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem Akteninhalt. Der chronologische Ablauf ist auch im Fremdenregister nachvollziehbar.
Die Feststellungen basieren auf den vorliegenden Beweismitteln, insbesondere auf den plausiblen und schlüssigen Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung und auf den von ihm vorgelegten Dokumenten. Es liegen kaum entscheidungserhebliche Widersprüche vor.
Die Feststellungen zur Identität und zu den persönlichen und familiären Verhältnissen des BF beruhen auf seinen konsistenten Angaben dazu. Seine Identität wird auch durch die dem BFA vorgelegten Ausweise belegt. Der BF gab Albanisch als seine Muttersprache an; eine Verständigung mit Dolmetschern für diese Sprache war problemlos möglich. Er erklärte bei seinen Einvernahmen stets, ledig zu sein und keine Sorgepflichten zu haben. Die Feststellungen zu familiären Anknüpfungspunkten in Österreich und im Kosovo basieren auf seinen Angaben gegenüber dem BFA und bei der Beschwerdeverhandlung. Anlässlich seines ersten Asylantrags legte er die Sterbeurkunden seiner Eltern vor.
Die Feststellungen zur Ausbildung und zur Berufstätigkeit des BF im Kosovo beruhen auf seinen nachvollziehbaren Angaben dazu. Er legte eine beglaubigte Übersetzung seines Abschlusszeugnisses vor (Beilage ./A).
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass dem BF in Österreich Aufenthaltstitel (abgesehen von der Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber) erteilt wurden; solche sind insbesondere auch nicht im Fremdenregister dokumentiert. Der BF gab bei der Beschwerdeverhandlung an, seit 2006 in Österreich zu leben. Dies deckt sich mit dem Zentralen Melderegister (ZMR), aus dem sich seither fast durchgehend Wohnsitzmeldungen, hauptsächlich in XXXX, ergeben. Seit XXXX.2012 ist er dort an der Adresse XXXX gemeldet. Aus der Bestätigung des XXXX vom XXXX.2016 (Beilage ./E) ergibt sich, dass er dort eine kleine Mietwohnung bewohnt.
Die Deutschkenntnisse des BF ergeben sich aus dem Prüfungszeugnis des Österreichischen Integrationsfonds vom XXXX.2016 (Beilage ./D). Auch bei der Beschwerdeverhandlung war eine elementare Kommunikation auf Deutsch mit ihm möglich. Im Akt erliegt eine Kopie des österreichischen Führerscheins des BF.
Es gibt keine Indizien für gesundheitliche Probleme des BF. Er bezeichnete sich stets als gesund. Da er zwischen 2012 und 2014 immer wieder erwerbstätig war und auch jetzt eine Vollzeitbeschäftigung anstrebt, wie sich aus der vorgelegten Einstellungszusage der XXXX vom XXXX.2017 (Beilage ./F) ergibt, ist davon auszugehen, dass er arbeitsfähig ist. Der BF gestand zu, zur Sicherung seines Lebensunterhalts in Österreich "schwarz" gearbeitet zu haben.
Der BF gab an, über einen XXXXschein zu verfügen. Bei der dazu vorgelegten Beilage ./C handelt es sich um eine (innerbetriebliche) Fahrbewilligung zum Führen von XXXX anhand eines XXXX, die dem BF 2014 erteilt wurde.
Der Bezug von Grundversorgungsleistungen (nur) im XXXX und XXXX 2006 ergibt sich aus dem Speicherauszug aus dem GVS-Betreuungsinformationssystem. Im Versicherungsdatenauszug des BF (Beilage ./G) sind in der Zeit zwischen XXXX 2012 und XXXX 2014 vollversicherte Dienstverhältnisse für insgesamt 681 Tage dokumentiert; dies entspricht ca. 22 Monaten. Aus dem Versicherungsdatenauszug ergeben sich keine Hinweise auf den Bezug von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe.
Die Beziehung des BF zu XXXXwird anhand seiner Angaben dazu in der Beschwerdeverhandlung festgestellt. Aufgrund seines langen Aufenthalts hier ist nachvollziehbar, dass er soziale Kontakte geknüpft und Freundschaften geschlossen hat. Seine Mitgliedschaft im Verein "XXXX" ergibt sich auch aus der Bestätigung Beilage ./B.
Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung des BF und zu den Erschwerungs- und Milderungsgründen basieren auf dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX, XXXX. Die Verbüßung des unbedingten Teils der Freiheitsstrafe ergibt sich auch aus der Meldung in der Justizanstalt XXXX laut ZMR. Da im aktuellen Strafregisterauszug keine Verurteilung des BF aufscheint, ist davon auszugehen, dass diese Verurteilung mittlerweile getilgt wurde. Dies entspricht § 43 Abs 2 StGB iVm § 2 TilgungsG. Der BF gilt daher als strafgerichtlich unbescholten.
Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines fünfjährigen Einreiseverbots gegen den BF ergibt sich aus dem vom Landesverwaltungsgericht XXXX übermittelten Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats XXXX vom 12.12.2013, XXXX, in dem auch der Inhalt des erstinstanzlichen Bescheids der Bundespolizeidirektion XXXX vom 07.04.2011, XXXX, wiedergegeben wird. Der BF gab zwar bei der Beschwerdeverhandlung an, darüber nichts zu wissen; dies ist aber nicht glaubhaft, weil er gegen den erstinstanzlichen Bescheid eine Berufung erhob, der mit dem Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats XXXX nur teilweise Folge gegeben wurde. Aufgrund der Tatsache, dass der Bescheid seinem (damaligen und nunmehrigen) anwaltlichen Vertreter zugestellt wurde, der der Beschwerdeverhandlung lebensnah bestätigte, ihn an den BF weitergeleitet zu haben, ist es ebenfalls äußerst unwahrscheinlich, dass der BF keine Kenntnis davon hatte.
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A) 1.:
Gemäß § 68 Abs 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die (außer in den Fällen der §§ 69 und 71 AVG) die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheids begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs 2 und 4 AVG findet.
Verschiedene "Sachen" iSd § 68 Abs 1 AVG liegen vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern. Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhalts die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Eine neue Sachentscheidung ist auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor dem Abschluss des vorangegangenen Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen. Einem Asylfolgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft der über den Erstantrag absprechenden Entscheidung entgegen. Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls feststellbar - zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0783).
Liegt keine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vor und ist in dem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt keine Änderung eingetreten, so steht die Rechtskraft des ergangenen Bescheids dem neuerlichen Antrag entgegen. (VwGH 21.10.1999, 98/20/0467; vgl auch VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307). Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen (VwGH 25.02.2016, Ra 2015/19/0267). Im Folgeantragsverfahren können - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur neu entstandene Tatsachen, die einen im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren geänderten Sachverhalt begründen, zu einer neuen Sachentscheidung führen, nicht aber solche, die bereits vor Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens bestanden haben (VwGH 08.09.2015, Ra 2014/18/0089).
Das BVwG muss somit prüfen, ob das BFA auf Grund des zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist (vgl VwGH 12.10.2016, Ra 2015/18/0221; 25.04.2017, Ra 2016/01/0307). Die Prüfung der Zulässigkeit des Folgeantrags wegen geänderten Sachverhalts hat - von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen - nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen. Im Rechtsmittelverfahren ist ausschließlich zu prüfen, ob das BFA zu Recht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass keine wesentliche Sachverhaltsänderung eingetreten ist (VwGH 24.06.2014, Ra 2014/19/0018). Als Vergleichsbescheid ist derjenige heranzuziehen, mit dem zuletzt materiell in der Sache entschieden wurde (VwGH 15.03.2010, 2006/01/0316).
Da sich hier weder die maßgebliche Rechtslage noch das Begehren des BF seit der Abweisung seines ersten Antrags auf internationalen Schutz geändert hat und er keine Änderung des maßgeblichen Sachverhalts behaupten, zumal er in seinem nunmehr zweiten Folgeantrag wieder die bereits erledigten Fluchtgründe geltend macht, ist es von vornherein ausgeschlossen, die Frage der Gewährung von Asyl und subsidiärem Schutz nunmehr anders zu beurteilen. Der BF bringt insoweit keinen geänderten Sachverhalt vor, zumal sich auch die Verhältnisse im Kosovo nicht maßgeblich geändert haben.
Der BF hat keine neuen Tatsachen vorgebracht, die einen Folgeantrag rechtfertigen. Da sich auch die Lage in seinem Herkunftsstaat nicht maßgeblich geändert hat, erweist sich die Zurückweisung des neuerlichen Folgeantrags sowohl in Bezug auf die Gewährung des Status eines Asylberechtigten als auch in Bezug auf die Gewährung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten als richtig. Einer inhaltlichen Erledigung des neuen Antrags auf internationalen Schutz steht die rechtskräftige Abweisung des ersten Antrags entgegen. Die Zurückweisung des nunmehr dritten Antrags des BF auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist daher zu bestätigen.
Zu Spruchpunkt A) 2.:
Wenn ein Antrag auf internationalen Schutz zurück- oder abgewiesen wird, der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ist gemäß § 58 Abs 1 AsylG von Amts wegen die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG zu prüfen. Gemäß § 58 Abs 3 AsylG ist darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.
Eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" ist gemäß § 57 Abs 1 AsylG Drittstaatsangehörigen, die sich im Bundesgebiet aufhalten, zu erteilen, wenn entweder der Aufenthalt gemäß § 46a Abs 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen weiterhin vorliegen, sofern sie keine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit sind und nicht wegen eines Verbrechens verurteilt wurden, oder zur Gewährleistung der Strafverfolgung oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von damit im Zusammenhang stehenden zivilrechtlichen Ansprüchen. Letztlich ist ein solcher Aufenthaltstitel auch Opfern von Gewalt zu erteilen, wenn eine einstweilige Verfügung nach § 382b EO ("Schutz vor Gewalt in Wohnungen") oder nach § 382e EO ("Allgemeiner Schutz vor Gewalt") erlassen wurde oder hätte erlassen werden können, wenn dies zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
Der Aufenthalt des BF in Österreich war zu keiner Zeit geduldet iSd § 46a FPG. Anhaltspunkte dafür, dass er Zeuge oder Opfer strafbarer Handlungen oder Opfer von Gewalt wurde, wurden nicht behauptet und sind auch nicht hervorgekommen. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Abs 1 AsylG liegen daher nicht vor.
Eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs 2 AsylG ist ebensowenig erfolgt wie eine Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 3a AsylG.
Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung über die Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem achten Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird und auch kein Fall der §§ 8 Abs 3a oder
9 Abs 2 AsylG vorliegt.
Gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und kein Fall der §§ 8 Abs 3a oder 9 Abs 2 AsylG vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Gemäß § 52 Abs 9 FPG hat das BFA gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.
Die Zurückweisung eines Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache nach § 68 AVG ist mit einer Entscheidung über die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 52 Abs 2 Z 2 FPG zu verbinden. Wenn eine relevante Sachverhaltsänderung im Hinblick auf das Privat- und Familienleben eingetreten ist, kann eine negative Entscheidung über einen Folgeantrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs 1 AVG mit einem Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG verbunden werden (siehe VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082 unter Hinweis auf EB RV 582 BlgNR 25. GP, 15).
Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Drittstaatsangehörigen eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß
§ 9 Abs 1 BFA-VG nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß
§ 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.
Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG jedenfalls begründet abzusprechen, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese auf Dauer unzulässig ist. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung ist nur dann von Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger und Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.
Wird eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt, ist gemäß § 58 Abs 2 AsylG amtswegig zu prüfen, ob ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG zu erteilen ist.
Gemäß § 55 Abs 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs 2 ASVG) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des § 55 Abs 1 Z 1 AsylG vor, ist gemäß § 55 Abs 2 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.
Eine "Aufenthaltsberechtigung plus" berechtigt gemäß § 54 Abs 1 Z 1 AsylG zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG). Eine "Aufenthaltsberechtigung" berechtigt gemäß § 54 Abs 1 Z 2 AsylG zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist.
Gemäß § 9 Abs 4 IntG ist das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 IntG (Z 1) oder einen gleichwertigen Nachweis (Z 2) vorlegt, über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs 1 UG oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht (Z 3), einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs 1 oder 2 NAG besitzt (Z 4) oder als Inhaber eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung - Künstler" gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz genannten Kunstsparte ausübt (Z 5). Mit der Integrationsprüfung gemäß § 11 IntG ist festzustellen, ob ein Drittstaatsangehöriger über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt.
Bei Beurteilung der Frage, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK geboten ist, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sind Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig anzusehen (VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325).
Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:
Der BF ist kosovarischer Staatsangehöriger und somit Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG. Die Rückkehrentscheidung greift zwar nicht in sein Familien- wohl aber massiv in sein Privatleben ein. Er lebt seit Ende 2006, also seit 11 Jahren, durchgehend in Österreich. Zwar wird das dadurch erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich dadurch gemindert, dass der BF keine Veranlassung hatte, nach dem negativen Ausgang seines Asylverfahrens von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen, zumal grundsätzlich nach dem Verlust des vorläufig während des Asylverfahrens bestehenden Rechts zum Aufenthalt den rechtmäßigen Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet wiederherzustellen ist (vgl VwGH 07.09.2016, Ra 2016/19/0168) und dass sein Privatleben im Bundesgebiet zu einem Zeitpunkt entstand, in dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war. Dies hat aber vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen ist und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung führt (vgl VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325 mwN).
Dem BF sind auch Verstöße gegen die öffentliche Ordnung anzulasten, weil er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt und unerlaubt erwerbstätig war. Seine vollversicherte Beschäftigung zwischen 2012 und 2014, der Erwerb von Qualifikationen (Führerschein, Fahrbewilligung) und von Deutschkenntnissen, die Möglichkeit einer künftigen legalen Berufstätigkeit, das Vorhandensein einer gesicherten Unterkunft sowie sein Freundes- und Bekanntenkreis sprechen aber dafür, dass er die in Österreich verbrachte Zeit zur sozialen und beruflichen Integration genutzt hat.
Wenngleich noch Bindungen zum Herkunftsstaat des BF bestehen, weil er dort aufgewachsen ist, die Schule besucht hat und eine übliche Sprache spricht, werden diese dadurch relativiert, dass er sich mehr als zehn Jahre lang nicht mehr dort aufhielt und dort auch keine Bezugspersonen hat. Der Behörde anzulastende überlange Verzögerungen der Asylverfahren des BF liegen zwar nicht vor, jedoch wurde nach der rechtskräftigen Abweisung seines ersten Asylantrags im September 2007 trotz seiner strafgerichtlichen Verurteilung und der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots nie der Versuch einer Abschiebung unternommen, obwohl der BF seine Identität nicht verschleierte und sich nicht verborgen hielt, sondern stets eine aufrechte Meldung aufwies.
Zwar wird die für die Integration wesentliche soziale Komponente durch vom Fremden begangene Straftaten erheblich beeinträchtigt (VwGH 30.01.2007, 2004/21/0045), wobei Drogenhandel ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (VwGH Ra 2015/01/0249), jedoch ist zu berücksichtigen, dass sich der BF nach dem Vollzug des unbedingten Teils der Freiheitsstrafe nun bereits jahrelang nichts mehr zuschulden kommen ließ und er aufgrund der Tilgung der Verurteilung gemäß § 1 Abs 4 TilgungsG als gerichtlich unbescholten gilt.
Die Verstöße des BF gegen die öffentliche Ordnung fallen vor dem Hintergrund seines über zehnjährigen, wenn auch großteils nicht rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet und seiner Integrationsbemühungen nicht so schwer ins Gewicht, dass sie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen. Im Ergebnis überwiegt somit das Interesse der BF an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung, sodass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.
Es wird dabei nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt, doch ist in diesem konkreten Einzelfall in einer Gesamtschau und in einer gewichteten Abwägung aller Umstände das Interesse an der Fortführung des Privatlebens des BF in Österreich höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.
Da der BF nachgewiesen hat, dass er eine Prüfung des Österreichischen Integrationsfonds über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen erfolgreich abgelegt hat, und über einen Schulabschluss verfügt, der zum Besuch einer Universität berechtigt, ist ihm in teilweiser Stattgebung der Beschwerde eine "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 54 Abs 1 Z 1 AsylG iVm § 55 Abs 1 AsylG zu erteilen. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist insoweit abzuändern, Spruchpunkt III. hat ersatzlos zu entfallen.
Zu Spruchteil B):
Die Revision nach Art 133 Abs 4 B-VG war nicht zuzulassen, weil es sich bei der Interessenabwägung gemäß Art 8 EMRK, die das Schwergewicht der Beschwerde bildet, um eine typische Einzelfallbeurteilung handelt.
Schlagworte
Aufenthalt im Bundesgebiet, Aufenthaltsberechtigung plus, Dauer,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2017:G314.1310100.2.01Zuletzt aktualisiert am
22.11.2017