TE Vwgh Erkenntnis 2017/10/18 Ra 2016/19/0351

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Veröffentlicht am 18.10.2017
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Index

E1P;
E3R E19104000;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

12010P/TXT Grundrechte Charta Art4;
32013R0604 Dublin-III;
ABGB §207;
ABGB §209;
ABGB §21 Abs1;
ABGB §21 Abs2;
ABGB §21;
AsylG 2005 §5 Abs1;
AsylG 2005 §5 Abs3;
AVG §9;
BFA-VG 2014 §10 Abs1;
BFA-VG 2014 §10 Abs2;
BFA-VG 2014 §10 Abs3;
BFA-VG 2014 §10 Abs5;
BFA-VG 2014 §10 Abs6;
BFA-VG 2014 §10;
BFA-VG 2014 §3 Abs2;
B-VG Art133 Abs4;
MRK Art3;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2016/19/0353 Ra 2016/19/0352

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den Beschluss vom 27. September 2016, 1) W233 2134177-1/6E, 2) W233 2134424-1/4E und

3) W233 2134426-1/4E, des Bundesverwaltungsgerichtes, jeweils betreffend einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (mitbeteiligte Parteien: 1. M A, 2. N A, 3. A A, alle vertreten durch Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Erstmitbeteiligte und die Zweitmitbeteiligte, beide Staatsangehörige von Syrien, stellten am 11. Jänner 2016 je einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu diesem Zeitpunkt war die am 1. Jänner 1999 geborene Zweitmitbeteiligte noch minderjährig. Am 16. Mai 2016 brachte sie die gemeinsame Tochter, die Drittmitbeteiligte, zur Welt.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (die revisionswerbende Partei und im Folgenden BFA) richtete am 9. Februar 2016 ein auf Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO gestütztes Aufnahmeersuchen an die kroatischen Behörden und teilte diesen in der Folge mit Schreiben vom 12. April 2016 mit, dass aufgrund von Verfristung Kroatien für die Prüfung der Asylanträge der Mitbeteiligten zuständig geworden sei.

3 Die erste niederschriftliche Einvernahme der Zweitmitbeteiligten vor dem BFA erfolgte am 14. Juni 2016 in Anwesenheit eines Rechtsberaters und einer Vertrauensperson.

4 Mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Mödling "als regionale Organisationseinheit des Landes Niederösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger" vom 27. Juli 2016 wurde das SOS-Kinderdorf Hinterbrühl mit der Pflege und Erziehung der Zweit- und Drittmitbeteiligten beauftragt sowie bevollmächtigt, eine namentlich genannte Rechtsanwaltskanzlei mit deren Vertretung in Asylangelegenheiten zu bevollmächtigen.

5 Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Mödling vom 28. Juli 2016 wurde die Obsorge für die Zweitmitbeteiligte dem Land Niederösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger übertragen. Mit einem weiteren Beschluss des Bezirksgerichtes Mödling vom 26. August 2016 wurde die Obsorge für die Drittmitbeteiligte ihrem Vater, dem Erstmitbeteiligten, übertragen.

6 Mit Mitteilung vom 3. August 2016 an das BFA gab die vertretende Rechtsanwaltskanzlei unter Hinweis auf die Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 27. Juli 2016 bekannt, dass sie die Vertretung aller drei Mitbeteiligten übernommen habe.

7 Eine weitere Einvernahme der Erst- und Zweitmitbeteiligten vor dem BFA fand am 4. August 2016 im Beisein eines Rechtsberaters sowie einer Vertrauensperson, nicht jedoch des rechtsanwaltlichen Vertreters oder eines Behördenvertreters der Bezirkshauptmannschaft Mödling, statt.

8 Mit Bescheiden jeweils vom 9. August 2016 wies das BFA die Anträge der Mitbeteiligten, ohne in die Sache einzutreten, zurück, sprach aus, dass Kroatien für die Prüfung der Anträge zuständig sei, erließ eine Anordnung der Außerlandesbringung und erklärte die Abschiebung der Mitbeteiligten nach Kroatien für zulässig.

9 Der dagegen erhobenen Beschwerden der gewillkürten Vertreter, welcher der Rechtsberater ausdrücklich "beitrat", wurde mit dem nun in Revision gezogenen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27. September 2016 gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG stattgegeben und die Bescheide wurden behoben. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, gemäß § 19 Abs. 5 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) dürften minderjährige Asylwerber nur in Gegenwart ihres gesetzlichen Vertreters einvernommen werden. Zum Zeitpunkt der zweiten Einvernahme sei es dem BFA bekannt gewesen, dass die namentlich genannte Kanzlei mit der anwaltlichen Vertretung der minderjährigen Zweit- und Drittmitbeteiligten bevollmächtigt worden sei. Dennoch habe das BFA die Einvernahme der damals minderjährigen Zweitmitbeteiligten weder in Anwesenheit ihres gesetzlichen noch ihres gewillkürten Vertreters abgeführt. Das Gleiche gelte für die Drittmitbeteiligte. Die Zweitmitbeteiligte habe im Zeitpunkt der Einvernahme nicht die gesetzliche Vertretung ihrer minderjährigen Tochter inne gehabt und hätte daher in ihrem Namen nicht für ihre Tochter sprechen können. Die Einvernahme in Abwesenheit des gesetzlichen Vertreters stelle einen wesentlichen und nicht heilbaren Verfahrensmangel dar.

Weiters sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die erstinstanzliche Behörde in diesem speziellen Einzelfall eine Einzelfallzusicherung von Kroatien für nicht erforderlich gehalten habe. Dieser Fall sei mit dem Urteil des EGMR vom 4. November 2014, Tarakhel, 29217/12, vergleichbar. Der Erstmitbeteiligte leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Auch sei bei ihm die Abklärung einer möglichen Epilepsie angeregt worden. Die Zweitbeteiligte sei eine 17- jährige, minderjährige Mutter und die Drittmitbeteiligte knapp über ein Jahr alt und damit seien beide besonders vulnerable Personen. Es hätte daher einer Einzelfallzusicherung bedurft, dass der Zweitmitbeteiligten Zugang zu einer entsprechenden Obsorgeeinrichtung (kroatischer Jugendwohlfahrtsträger) gewährt würde bzw. eine entsprechende Unterbringung gewährleistet wäre und die Familie nicht getrennt würde. Die angefochtenen Bescheide seien daher gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG aufzuheben gewesen.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision nach Vorlage derselben sowie der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht und nach Einleitung des Vorverfahrens sowie Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die Mitbeteiligten erwogen:

11 Die Revisionswerberin bringt im Rahmen ihrer Zulässigkeitsbegründung vor, es fehle an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob entgegen der Regelungen des § 10 BFA-VG einem Land als Träger der Jugendwohlfahrt ohne einen Obsorgebeschluss vor Zulassung des Verfahrens und Zuweisung zu einer Grundversorgung des Landes im Sinn des § 10 Abs. 3 BFA-VG die gesetzliche Vertretung zukomme und es wirksam einen Rechtsanwalt zur Vertretung einer unbegleiteten Minderjährigen bevollmächtigen könne.

Gemäß § 10 Abs. 3 BFA-VG würden mündige Minderjährige, deren Interessen von ihrem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden könnten, im Zulassungsverfahren vom Rechtsberater gemäß § 49 BFA-VG als gesetzlicher Vertreter vertreten werden. Da die Eltern der minderjährigen Zweitmitbeteiligten nicht in Österreich seien, könnten ihre Interessen nicht durch ihren gesetzlichen Vertreter geltend gemacht werden. Es würde daher § 10 Abs. 3 BFA-VG gelten, wobei mit der Wirksamkeit der Bestellung eines gesetzlichen Vertreters durch das zuständige Pflegschaftsgericht diese Bestimmung nicht mehr anzuwenden sei. Das Land Niederösterreich habe den einschreitenden Rechtsanwalt bereits am 27. Juli 2016 bevollmächtigt, also noch vor Erlassung des Obsorgebeschlusses. Mangels Vertretungsbefugnis habe das Land Niederösterreich den einschreitenden Rechtsanwalt nicht bevollmächtigen können. Die Einvernahmen seien daher im Beisein des Rechtsberaters als gesetzlichen Vertreters durchgeführt worden. Das Bundesverwaltungsgericht weiche außerdem von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, indem es ohne nachvollziehbare Begründung annehme, dass die Sicherheitsvermutung hinsichtlich der Mitbeteiligten widerlegt sei und ohne entsprechende Feststellungen davon ausgehe, dass eine Einzelfallzusicherung Kroatiens erforderlich sei.

12 Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt. 13 § 9 AVG in der im gegenständlichen Fall maßgeblichen

Fassung lautet wie folgt:

"Rechts- und Handlungsfähigkeit

§ 9. Insoweit die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten in Frage kommt, ist sie von der Behörde, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen."

Die maßgeblichen Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) lauten:

"II. Personenrechte der Minderjährigen und der sonst in ihrer Handlungsfähigkeit Beeinträchtigten

§ 21. (1) Minderjährige und Personen, die aus einem anderen Grund als dem ihrer Minderjährigkeit alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten selbst gehörig zu besorgen nicht vermögen, stehen unter dem besonderen Schutz der Gesetze.

(2) Minderjährige sind Personen, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben; haben sie das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet, so sind sie unmündig.

Obsorge der Eltern

§ 177. (1) Beide Elternteile sind mit der Obsorge betraut, wenn sie zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes miteinander verheiratet sind. Gleiches gilt ab dem Zeitpunkt der Eheschließung, wenn sie einander nach der Geburt des Kindes heiraten.

(2) Sind die Eltern zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet, so ist allein die Mutter mit der Obsorge betraut. Die Eltern können aber vor dem Standesbeamten persönlich und unter gleichzeitiger Anwesenheit nach einer Belehrung über die Rechtsfolgen einmalig bestimmen, dass sie beide mit der Obsorge betraut sind, sofern die Obsorge nicht bereits gerichtlich geregelt ist. Die Bestimmung wird wirksam, sobald beide Eltern persönlich vor dem Standesbeamten übereinstimmende Erklärungen abgegeben haben. Innerhalb von acht Wochen ab ihrer Wirksamkeit kann die Bestimmung ohne Begründung durch einseitige Erklärung eines Elternteils gegenüber dem Standesbeamten widerrufen werden. Vorher gesetzte Vertretungshandlungen bleiben davon unberührt.

(3) ...

(4) ...

Von der Obsorge einer anderen Person

§ 204. Soweit nach dem dritten Hauptstück weder Eltern noch Großeltern oder Pflegeeltern mit der Obsorge betraut sind oder betraut werden können und kein Fall des § 207 vorliegt, hat das Gericht unter Beachtung des Wohles des Kindes eine andere geeignete Person mit der Obsorge zu betrauen.

Aufgaben des Jugendwohlfahrtsträgers

§ 207. Wird ein minderjähriges Kind im Inland gefunden und sind dessen Eltern unbekannt, so ist kraft Gesetzes der Jugendwohlfahrtsträger mit der Obsorge betraut. Dies gilt für den Bereich der Vermögensverwaltung und der Vertretung auch, wenn ein Kind im Inland geboren wird und in diesem Bereich kein Elternteil mit der Obsorge betraut ist.

§ 209. Ist eine andere Person mit der Obsorge für einen Minderjährigen ganz oder teilweise zu betrauen und lassen sich dafür Verwandte oder andere nahe stehende oder sonst besonders geeignete Personen nicht finden, so hat das Gericht die Obsorge dem Jugendwohlfahrtsträger zu übertragen. Gleiches gilt, wenn einem Minderjährigen ein Kurator zu bestellen ist.

§ 211. (1) Der Jugendwohlfahrtsträger hat die zur Wahrung des Wohles eines Minderjährigen erforderlichen gerichtlichen Verfügungen im Bereich der Obsorge zu beantragen. Bei Gefahr im Verzug kann er die erforderlichen Maßnahmen der Pflege und Erziehung vorläufig mit Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung selbst treffen; er hat diese Entscheidung unverzüglich, jedenfalls innerhalb von acht Tagen, zu beantragen. Im Umfang der getroffenen Maßnahmen ist der Jugendwohlfahrtsträger vorläufig mit der Obsorge betraut.

(2) Eine einstweilige Verfügung nach den §§ 382b und 382e EO sowie deren Vollzug kann der Jugendwohlfahrtsträger als Vertreter des Minderjährigen beantragen, wenn der sonstige gesetzliche Vertreter einen erforderlichen Antrag nicht unverzüglich gestellt hat; § 208 Abs. 4 gilt hiefür entsprechend."

Die maßgeblichen Bestimmungen des Außerstreitgesetzes

(AußStrG) lauten:

§ 42 AußStrG:

"Rechtskraft

§ 42. Soweit eine Partei einen Beschluss nicht mehr anfechten kann, erwächst er ihr gegenüber in Rechtskraft."

§ 43 AußStrG:

"Beschlusswirkungen

§ 43. (1) Mit der Rechtskraft eines Beschlusses treten Vollstreckbarkeit, Verbindlichkeit der Feststellung oder Rechtsgestaltung ein.

(2) Erstreckt sich die Wirkung eines Beschlusses kraft der Beschaffenheit des Rechtsverhältnisses oder kraft gesetzlicher Vorschriften auf alle aktenkundigen Parteien, so treten seine Wirkungen jedoch erst ein, wenn er von keiner Partei mehr angefochten werden kann.

(3) ...

(4) ...

(5) ..."

§ 10 BFA-VG lautet:

"Handlungsfähigkeit

§ 10. (1) Für den Eintritt der Handlungsfähigkeit in Verfahren vor dem Bundesamt, vor den Vertretungsbehörden gemäß dem

11. Hauptstück des FPG und in einem Verfahren gemäß § 3 Abs. 2 Z 1 bis 6 vor dem Bundesverwaltungsgericht ist ungeachtet der Staatsangehörigkeit des Fremden österreichisches Recht maßgeblich.

(2) In Verfahren vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht ist jeder Elternteil für sich zur Vertretung des Kindes befugt. Widerstreiten die Erklärungen beider Elternteile bei ehelichen Kindern, ist die zeitlich frühere Erklärung relevant; ein Beschwerdeverzicht kann nicht gegen den erklärten Willen eines Elternteils abgegeben werden. Die Vertretung für das uneheliche Kind kommt bei widerstreitenden Erklärungen der Elternteile der Mutter zu, soweit nicht der Vater alleine mit der Obsorge betraut ist.

(3) Ein mündiger Minderjähriger, dessen Interessen von seinem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können, ist berechtigt einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen und einzubringen sowie Verfahrenshandlungen gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu seinem Vorteil zu setzen. Solche Fremde sind in die Erstaufnahmestelle zu verbringen (§ 43 BFA-VG). Gesetzlicher Vertreter für Verfahren vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht ist ab Ankunft in der Erstaufnahmestelle der Rechtsberater (§ 49), nach Zulassung des Verfahrens und nach Zuweisung an eine Betreuungsstelle eines Bundeslandes der örtlich zuständige Jugendwohlfahrtsträger jenes Bundeslandes, in dem der Minderjährige einer Betreuungsstelle zugewiesen wurde. Widerspricht der Rechtsberater (§ 49) vor der ersten Einvernahme im Zulassungsverfahren einer erfolgten Befragung (§ 19 Abs. 1 AsylG 2005) eines mündigen Minderjährigen, ist diese im Beisein des Rechtsberaters zu wiederholen.

(4) Wird gegen einen Minderjährigen, dessen Interessen von seinem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können und der einen Antrag auf internationalen Schutz nicht eingebracht hat, ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG eingeleitet, so ist ab diesem Zeitpunkt für alle weiteren Verfahrenshandlungen vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht der Jugendwohlfahrtsträger, in dessen Sprengel sich der Minderjährige aufhält, gesetzlicher Vertreter.

(5) Entzieht sich der mündige Minderjährige dem Verfahren gemäß § 24 Abs. 1 AsylG 2005 oder lässt sich aus anderen Gründen nach Abs. 3 kein gesetzlicher Vertreter bestimmen, ist der Jugendwohlfahrtsträger, dem die gesetzliche Vertretung zuletzt zukam, gesetzlicher Vertreter bis nach Abs. 3 wieder ein gesetzlicher Vertreter bestimmt wurde. Hatte im bisherigen Verfahren nur der Rechtsberater (§ 49) die gesetzliche Vertretung inne, bleibt dieser gesetzlicher Vertreter, bis die gesetzliche Vertretung nach Abs. 3 erstmals einem Jugendwohlfahrtsträger zufällt.

(6) Ein unmündiger Minderjähriger, dessen Interessen von seinem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können, ist berechtigt einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen sowie Verfahrenshandlungen gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu seinem Vorteil zu setzen. Abweichend von § 17 Abs. 2 AsylG 2005 gilt der Antrag auf internationalen Schutz solcher Fremder als eingebracht, wenn die Antragstellung im Beisein des Rechtsberaters (§ 49) in der Erstaufnahmestelle (§ 4 BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G), BGBl. I Nr. 87/2012) bestätigt wird. Bei einem unmündigen Minderjährigen, dessen Interessen von seinen gesetzlichen Vertretern nicht wahrgenommen werden können, ist der Rechtsberater ab Ankunft in der Erstaufnahmestelle gesetzlicher Vertreter. Solche Fremde dürfen nur im Beisein des Rechtsberaters befragt (§ 19 Abs. 1 AsylG 2005) werden. Im Übrigen gelten die Abs. 3 und 5."

§ 49 BFA-VG normiert:

"Rechtsberatung im Zulassungsverfahren vor dem Bundesamt

§ 49. (1) Im Zulassungsverfahren ist einem Asylwerber kostenlos ein Rechtsberater amtswegig zur Seite zu stellen.

(2) Rechtsberater haben Asylwerber vor jeder einer Mitteilung nach § 29 Abs. 3 Z 3 bis 6 AsylG 2005 folgenden Einvernahme im Zulassungsverfahren über ihr Asylverfahren und ihre Aussichten auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zu beraten; ihnen sind zu diesem Zweck bei Bedarf vom Bundesamt Dolmetscher beizugeben und das bisherige Ermittlungsergebnis im gesamten Umfang zur Verfügung zu stellen. Rechtsberater sind verpflichtet, an allen Einvernahmen zur Wahrung des Parteiengehörs im Zulassungsverfahren teilzunehmen.

(3) Bei unbegleiteten minderjährigen Asylwerbern hat der Rechtsberater als gesetzlicher Vertreter im Zulassungsverfahren bei jeder Befragung und bei jeder Einvernahme teilzunehmen.

(4) ...

(5) ..."

§ 19 Abs. 5 AsylG 2005 lautet:

"Befragungen und Einvernahmen

§ 19. (1) ...

(2) ...

(3) ...

(4) ...

(5) Ein Asylwerber darf in Begleitung einer Vertrauensperson sowie eines Vertreters zu Einvernahmen vor dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht erscheinen; auch wenn ein Rechtsberater (§ 49 BFA-VG) anwesend ist, kann der Asylwerber durch eine Vertrauensperson oder einen Vertreter begleitet werden. Minderjährige Asylwerber dürfen nur in Gegenwart eines gesetzlichen Vertreters einvernommen werden.

(6) ..."

14 Nach § 9 AVG sind Fragen der persönlichen Rechts- und Handlungsfähigkeit von am Verwaltungsverfahren Beteiligten nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist. § 10 BFA-VG sieht (neben anderen - für die hier zu beantwortende Frage aber nicht weiter maßgeblichen - Vorschriften, nach denen bestimmte von Minderjährigen oder deren gesetzlichen Vertretern vorgenommene Verfahrenshandlungen als beachtlich oder unbeachtlich anzusehen sind) in seinem Abs. 1 vor, dass für den Eintritt der Handlungsfähigkeit in Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor den Vertretungsbehörden gemäß dem 11. Hauptstück des FPG und in einem Verfahren gemäß § 3 Abs. 2 Z 1 bis 6 BFA-VG vor dem Bundesverwaltungsgericht ungeachtet der Staatsangehörigkeit des Fremden österreichisches Recht maßgeblich ist. Damit handelt es sich insoweit um eine lex specialis zum Internationalen Privatrechts-Gesetz (IPRG).

Demnach bestimmt sich die Geschäftsfähigkeit eines Menschen primär nach seinem Alter. Mit der Volljährigkeit (=Vollendung des 18. Lebensjahres) erreicht der geistig gesunde österreichische Staatsbürger die volle Geschäftsfähigkeit und ist daher jedenfalls auch prozessfähig (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG I2, § 9 Rz 14). Dies gilt zufolge § 10 Abs. 1 BFA-VG auch für Fremde, die sich in einem in dieser Bestimmung genannten Verfahren befinden. Hingegen stehen Minderjährige, also Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 21 Abs. 2 ABGB), unter dem besonderen Schutz der Gesetze (§ 21 Abs. 1 ABGB) und können daher an sich ohne ausdrückliche oder stillschweigende Einwilligung des gesetzliches Vertreters rechtsgeschäftlich weder verfügen noch sich verpflichten. Sie sind also grundsätzlich geschäftsunfähig und damit auch prozessunfähig (vgl. Hengstschläger/Leeb, aaO).

15 Personen, die nicht prozessfähig sind, nehmen durch ihren gesetzlichen Vertreter am Verwaltungsverfahren teil. Wer gesetzlicher Vertreter ist, richtet sich gemäß § 9 AVG primär nach den Verwaltungsvorschriften und subsidiär nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Minderjährige werden grundsätzlich durch ihre Eltern oder den Obsorgebetrauten vertreten. Zudem enthält das BFA-VG betreffend die gesetzliche Vertretung Minderjähriger sowie die von einem oder mehreren gesetzlichen Vertretern gesetzten Prozesshandlungen weitere Regelungen, insbesondere auch für jenen Fall, in dem die Interessen eines Minderjährigen von seinem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können (vgl. dazu in erster Linie die Bestimmungen des § 10 BFA-VG; zu all dem vorher Gesagten VwGH 25.2.2016, Ra 2016/19/0007).

16 Gemäß der gesetzlichen Anordnung des § 10 Abs. 3 erster Satz BFA-VG ist eine mündige minderjährige Person (vom 14. bis zum vollendeten 18. Lebensjahr), deren Interessen von ihrem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können, berechtigt, selbst einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen und einzubringen sowie Verfahrenshandlungen zu ihrem Vorteil gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu setzen. Gesetzlicher Vertreter für Verfahren vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht ist ab Ankunft in der Erstaufnahmestelle der Rechtsberater. Die Vertretung soll nach Zulassung und Zuweisung an eine Betreuungsstelle an den örtlich zuständigen Jugendwohlfahrtsträger übergehen. Zugelassen zum Verfahren ist der Asylwerber mit Erhalt der Aufenthaltsberechtigungskarte oder wenn die Zulassung mit Verfahrensanordnung dokumentiert wurde.

17 Die hier anzuwendende Regelung des § 10 Abs. 3 BFA-VG fußt auf entsprechenden Vorgängerregelungen früherer Asylgesetze.

18 So war beispielsweise in § 25 Abs. 2 Asylgesetz 1997 (AsylG), BGBl. I Nr. 76/1997, normiert, dass mündige Minderjährige, deren Interessen von ihren gesetzlichen Vertretern nicht wahrgenommen hatten werden können, berechtigt waren, Anträge zu stellen. Gesetzlicher Vertreter wurde mit Einleitung eines Verfahrens der örtlich zuständige Jugendwohlfahrtsträger. Sobald für solche Jugendliche ein gesetzlicher Vertreter gemäß § 95 Abs. 3 Fremdengesetz 1997 einzuschreiten hatte, wurde er auch Vertreter nach diesem Bundesgesetz.

19 Eine differenzierte Vertretungsregelung nach den jeweiligen Verfahrensstadien, dem Zulassungsverfahren und dem daran anschließenden Asylverfahren, sah § 25 Abs. 2 AsylG idF AsylG-Novelle 2003 vor:

Mündige Minderjährige, deren Interessen von ihren gesetzlichen Vertretern nicht wahrgenommen werden können, sind berechtigt, Anträge auf internationalen Schutz zu stellen und einzubringen. Gesetzlicher Vertreter wird mit Einleitung des Zulassungsverfahrens der Rechtsberater in der Erstaufnahmestelle; nach Zulassung des Verfahrens der örtlich zuständige Jugendwohlfahrtsträger jenes Bundeslandes, dessen Betreuungsstelle der Minderjährige zuerst zugewiesen wurde.

Die Erläuternden Bemerkungen zu § 25 AsylG (RV 120 BlgNR, 22. GP 19) führen dazu Folgendes aus:

"Die Änderungen in § 25 nehmen darauf Bedacht, dass unbegleitete Minderjährige eine besonders schutzbedürftige Gruppe von Asylwerbern darstellen. Der Rechtsberater in der Erstaufnahmestelle wird für die Dauer des Zulassungsverfahrens ihr gesetzlicher Vertreter. Nach Zulassung des Verfahrens geht die Zuständigkeit der gesetzlichen Vertretung auf den Jugendwohlfahrtsträger jenes Bundeslandes über, in dessen Vollzugsbereich der Asylwerber erstmals einer Betreuungseinrichtung zugewiesen wird. Es kommt somit - zum Wohle des unbegleiteten Minderjährigen - zu einer Versteinerung der gesetzlichen Vertretungsbefugnis des Jugendwohlfahrtsträgers während der Gesamtdauer des Asylverfahrens. Sind die unbegleiteten Minderjährigen unmündig, so bringt der Rechtsberater auch deren Asylantrag ein".

20 Zu dieser Rechtslage judizierte der Verfassungsgerichtshof, insbesondere zur Frage der Vertretung des mündigen Minderjährigen und der Dauer der Vertretung, dass bis zur Zulassung des Verfahrens der Rechtsberater gesetzlicher Vertreter sei und seine Vertretungsbefugnis ende, sobald erstens das Zulassungsverfahren zu Ende sei und zweitens der Minderjährige der Betreuungsstelle zugewiesen wurde. Dem Gesetz könne nicht unterstellt werden, dass der Minderjährige in der Zeit zwischen der Beendigung des Zulassungsverfahrens und der Zuweisung an eine Betreuungseinrichtung, die unter Umständen nur wenige Tage dauern kann, vom Jugendwohlfahrtsträger des Aufenthaltsortes (§§ 211 ff. ABGB) vertreten werde, so dass der Minderjährige innerhalb kurzer Zeit drei unterschiedliche gesetzliche Vertreter hätte (siehe VfGH vom 9. März 2005, B 1477/04 mit näherer Begründung).

21 Mit dem Fremdenrechtspaket 2005, BGBl. Nr. 100/2005, wurde die Vertretungsregelung für (un)mündige Minderjährige nahezu wortgleich in § 16 AsylG 2005 übernommen und um eine Bestimmung hinsichtlich der Befragung des Asylwerbers nach § 19 Abs. 1 unter Beiziehung des Rechtsberaters ergänzt.

22 Auch in unionsrechtlichen Vorschriften ist die Gewährleistung der Vertretung für unbegleitete Minderjährige implementiert, wie beispielsweise in Art. 24 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Aufnahmerichtlinie), wonach ein unbegleiteter Minderjähriger nach Einreise in das Bundesgebiet so bald wie möglich über einen (gesetzlichen) Vertreter verfügen soll. Ebenso in Art. 25 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Verfahrensrichtlinie), wonach ein Vertreter den unbegleiteten Minderjährigen vertritt und unterstützt.

23 Die nun geltende Bestimmung des § 10 Abs. 3 BFA-VG und der darin ex lege bestehenden gesetzlichen Vertretung erweist sich (auch) als Umsetzung dieser Vorgaben.

Für unmündige Minderjährige trifft § 10 Abs. 6 BFA-VG dahingehend Vorkehrungen, dass der Antrag auf internationalen Schutz als eingebracht gilt, wenn er in der Erstaufnahmestelle im Beisein des Rechtsberaters bestätigt wird. Dieser ist auch ab Ankunft in der Erstaufnahmestelle gesetzlicher Vertreter.

24 Weitere verfahrensrechtliche Sonderregelungen für minderjährige Asylwerber finden sich in § 49 Abs. 3 BFA-VG, wonach bei unbegleiteten minderjährigen Asylwerbern der Rechtsberater als gesetzlicher Vertreter im Zulassungsverfahren bei jeder Befragung und bei jeder Einvernahme teilzunehmen hat sowie in § 19 Abs. 5 AsylG 2005, wonach minderjährige Asylwerber nur in Gegenwart eines gesetzlichen Vertreters einvernommen werden dürfen.

25 Die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts sehen im Falle des Nichtvorliegens der gesetzlichen Vertretung durch die Eltern oder sonstigen obsorgeberechtigten Personen unter anderem Folgendes vor:

26 § 207 ABGB idF BGBl. I Nr. 15/2013 (davor § 211 idF BGBl. I Nr. 135/2000) regelt zwei Fälle, in denen der Jugendwohlfahrtsträger unmittelbar kraft Gesetzes ganz oder teilweise mit der Obsorge betraut ist. Zum einen geht es um die Obsorge über minderjährige, im Inland gefundene Kinder, deren Eltern unbekannt sind, zum anderen um die Vermögensverwaltung und die Vertretung eines minderjährigen Kindes, das im Inland geboren wird und hinsichtlich dessen Vermögensverwaltung kein Elternteil obsorgeverpflichtet und -berechtigt ist (Kathrein in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 211 Rz 4). Der Jugendwohlfahrtsträger wird ipso jure Obsorgeträger und bleibt es, bis das Gericht eine andere Person mit der Obsorge betraut oder die Eltern mit Wegfall der Behinderung in die Obsorge kraft Gesetzes eintreten (Hopf in KBB5 § 207 Rz 2). Die Anwendung des § 207 ABGB kommt aber dort nicht in Betracht, wo die Eltern des Minderjährigen bekannt sind (vgl. dazu OGH 30.8.2016, 4 Ob 150/16m und dort genannte Nachweise).

27 Der Jugendwohlfahrtsträger hat gemäß § 211 ABGB die zur Wahrung des Wohles des Minderjährigen erforderlichen gerichtlichen Verfügungen im Bereich der Obsorge zu beantragen. Bei Gefahr in Verzug kann er die erforderlichen Maßnahmen der Pflege und Erziehung vorläufig mit Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung selbst treffen; er hat diese Entscheidung unverzüglich, jedenfalls innerhalb von acht Tagen, zu beantragen. Im Umfang der getroffenen Maßnahmen ist der Jugendwohlfahrtsträger vorläufig mit der Obsorge betraut.

28 Ausgehend von der Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 10 Abs. 3 BFA-VG, dass die Interessen des mündigen Minderjährigen von seinem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können, soll in diesem Fall im Hinblick auf die besonders schutzwürdige Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Asylwerber eine gesetzliche Vertretung im Asylverfahren gewährleistet werden, konkret durch die zwingende Beiziehung des Rechtsberaters im Zulassungsverfahren und nach Zulassung des Verfahrens und nach Zuweisung an eine Betreuungsstelle durch den örtlich zuständigen Jugendwohlfahrtsträger.

29 Erst wenn mittels pflegschaftsgerichtlichem Beschluss eine geeignete Person oder - wenn eine solche geeignete Person nicht zu finden ist - der Jugendwohlfahrtsträger (§ 209 ABGB) mit der Obsorge betraut ist, fallen die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 erster Satz BFA-VG weg, weil nunmehr keine Vertretungsvakanz mehr vorliegt und der nun betraute Obsorgeberechtigte als gesetzlicher Vertreter die Interessen des Minderjährigen wahrnehmen kann.

30 Die verfahrensrechtliche Sonderbestimmung des § 10 Abs. 3 BFA-VG geht allfälligen zivilrechtlichen Obsorgebetrauungen im Rahmen einer Interimskompetenz nach den §§ 207 ff. ABGB als lex specialis vor. Die asylrechtliche Vertretungsregelung soll den Mangel einer gesetzlichen Vertretung im Verfahren vorläufig bis zur pflegschaftsgerichtlichen Obsorgeübertragung beheben. Damit wird Kontinuität und verfahrensspezifische Unterstützung gewährleistet. Dabei soll mit Blick auf das Asylverfahren rasch ein gesetzlicher Vertreter durch die bereits in den Erstaufnahmestellen situierten Rechtsberater für die Interessen der Minderjährigen eintreten, ohne dass das Vorliegen der Voraussetzungen anderer ex lege Obsorgeberechtigten (wie nach § 207 ABGB) erst überprüft werden müsste.

31 Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass der nunmehrige (historisch gewachsene) § 10 Abs. 3 BFA-VG eine Sonderbestimmung über die gesetzliche Vertretung mündiger Minderjähriger darstellt. Unter Heranziehung der Gesetzesmaterialien zu den Vorgängerbestimmungen und den Intentionen des Gesetzgebers ist davon auszugehen, dass sich die gesetzliche Vertretung eines mündigen Minderjährigen zwar generell nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts richtet, jedoch für das Zulassungsverfahren im Speziellen Abweichungen bestehen.

32 Diese Ausführungen gelten - soweit § 10 Abs. 6 BFA-VG in Bezug auf das Asylverfahren nicht Sonderregelungen trifft - sinngemäß auch für unmündige Minderjährige, zumal § 10 Abs. 6 BFA-VG festlegt, dass "im Übrigen" Abs. 3 (und Abs. 5) des § 10 BFA-VG gilt.

33 Auf den vorliegenden Fall angewendet bedeutet die dargestellte Rechtslage mit Blick auf das vor dem BFA durchgeführte Zulassungsverfahren und der insbesondere am 4. August 2016 erfolgten Einvernahmen der Mitbeteiligten Folgendes:

34 Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Mödling vom 28. Juli 2016 wurde die Obsorge für die minderjährige Zweitmitbeteiligte dem Land Niederösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger übertragen. Im Zeitpunkt der Einvernahmen am 4. August 2016 war dieser Beschluss weder formell noch materiell rechtskräftig (§§ 42, 43 AußStrG), weil die Rechtsmittelfrist nicht abgelaufen war. Der Beschluss entfaltete daher hinsichtlich der Obsorgeübertragung an das Land Niederösterreich für den hier verfahrensgegenständlich relevanten Zeitpunkt noch keine Wirkungen.

35 Zu diesem Zeitpunkt war das Verfahren der minderjährigen Zweitmitbeteiligten noch nicht zugelassen. Die Verfügungen der Bezirkshauptmannschaft Mödling als Kinder- und Jugendhilfeträger in den Schreiben vom 27. Juli 2016 hinsichtlich der Vollmachtserteilungen an einen gewillkürten Rechtsvertreter - somit vor der gerichtlichen Obsorgeübertragung - zeitigten keine Wirkungen für das Zulassungsverfahren.

36 Daher war gemäß § 10 Abs. 3 BFA-VG der Rechtsberater als gesetzlicher Vertreter im Zulassungsverfahren für die Zweitmitbeteiligte aufgrund ihrer Minderjährigkeit heranzuziehen.

37 Anders verhält es sich hinsichtlich der ordnungsgemäßen Vertretung der Drittmitbeteiligten:

38 Sie war zwar in Begleitung ihrer unverheirateten Eltern. Ihre grundsätzlich allein zur Obsorge berechtigte Mutter (§ 177 Abs. 2 ABGB) war jedoch wegen ihrer Minderjährigkeit nicht zur Vertretung berechtigt (§ 158 Abs. 2 ABGB). Die unter Rz 35 enthaltenen Ausführungen gelten auch für die unmündige Drittmitbeteiligte und es konnte aus den dort dargelegten Gründen auch für sie keine wirksame Rechtsvertretung durch den gewillkürten Vertreter erfolgen.

39 § 10 Abs. 2 BFA-VG als verfahrensrechtliche Sonderbestimmung regelt in seinem ersten Satz die Vertretungsbefugnis der Elternteile im allgemeinen ("jeder Elternteil für sich zur Vertretung des Kindes befugt") und jene bei widerstreitenden Erklärungen der Elternteile im Besonderen (Satz zwei und drei). Aus diesen nach Ehelich- und Unehelichkeit differenzierten Regelungen bei widersprechenden Erklärungen der Elternteile (bei ehelichen Kindern zählt die zeitlich frühere Erklärung; bei unehelichen Kindern kommt in einem solchen Fall die Vertretung der Mutter zu, soweit der Vater nicht mit der alleinigen Obsorge betraut ist) geht aber im Gesamtkontext dieser Bestimmung hervor, dass selbst bei unehelichen Kindern grundsätzlich beide Elternteile vertretungsbefugt sind, anderenfalls würde die Regelung bei widersprechenden Erklärungen im Vertretungsfall bei unehelichen Kindern keinen Sinn ergeben. Eine solche Vorrangregelung setzt nämlich denklogisch eine Konfliktsituation beider vertretungsbefugten Elternteile voraus.

40 Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass aufgrund der durch die Minderjährigkeit der Mutter eingeschränkten Handlungsfähigkeit diese die Drittmitbeteiligte nicht wirksam vertreten konnte. Unter Heranziehung des § 10 Abs. 2 BFA-VG konnte jedoch ihr Vater, der Erstmitbeteiligte, die Vertretung ausüben. Dieser wurde nach der Aktenlage jedoch nicht als Vertreter beigezogen.

41 Im Ergebnis erweist sich somit die Rechtsansicht des Bundesverwaltungsgerichtes, das Verfahren sei mit einem Verfahrensmangel behaftet, weil bei der Einvernahme der Zweitmitbeteiligten und den die Drittmitbeteiligten betreffenden Verfahrenshandlungen - trotz Bevollmächtigung einer Rechtsanwaltskanzlei mit der anwaltlichen Vertretung der beiden Minderjährigen durch die Bezirkshauptmannschaft Mödling als Obsorgeberechtigte - weder ihre gesetzlichen noch gewillkürten Vertreter anwesend gewesen seien, als verfehlt.

42 Des Weiteren macht die revisionswerbende Partei zutreffend geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe ohne nachvollziehbare Begründung die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 als widerlegt angenommen und die Rechtsprechung des EGMR zu Italien (EGMR 4.11.2014, Tarakhel, 29217/12) übertragen.

43 Vorweg ist festzuhalten, dass es eine mit dem Urteil in der Rechtssache Tarakhel vergleichbare Rechtsprechung des EGMR zu Kroatien nicht gibt. Der Verwaltungsgerichthof hat sich jüngst in seiner Entscheidung vom 20. Juni 2017, Ra 2016/01/0153, ausführlich und unter Berücksichtigung des entsprechenden unionsrechtlichen Hintergrundes mit der Sicherheitsvermutung nach § 5 Abs. 3 AsylG 2005 beschäftigt und kam zu dem Schluss, dass die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 nur durch eine schwerwiegende, etwa die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC übersteigende allgemeine Änderung der Rechts- und Sachlage im zuständigen Mitgliedstaat widerlegt werden kann.

44 Das Bundesverwaltungsgericht nimmt an, dass die vom EGMR in seiner Entscheidung Tarakhel entwickelten Kriterien in der vorliegenden Konstellation anzuwenden seien, weil es offenbar von Zweifeln an der Sicherheitsvermutung ausgeht. Die genannte Entscheidung betraf die Rückführung einer Familie mit minderjährigen Kindern nach Italien und nahm ausschließlich Bezug auf die dort zum für die Entscheidung wesentlichen Zeitpunkt vorherrschende Unterbringungs- und Versorgungssituation. Dass vor einer Rückführung in einen anderen Dublin-Staat in jedem Fall Garantien über die Unterbringung von Familien einzuholen sind, lässt sich diesem Urteil nicht entnehmen (vgl. VwGH 26.4.2017, Ra 2016/19/0385, mwN).

45 Den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes zu dem Gesundheitszustand des Erstmitbeteiligten sowie der Vulnerabilität der Zweit- und Drittmitbeteiligten aufgrund ihrer Minderjährigkeit stehen keine konkreten Feststellungen zur Unterbringungssituation in Kroatien gegenüber, sodass diese Ausführungen nicht erkennen lassen, dass die Lage in Kroatien mit der in Italien damals vorherrschenden Situation vergleichbar wäre. Die rechtliche Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich der Notwendigkeit der Einholung einer Einzelfallzusicherung wird durch entsprechende Feststellungen, die einer Überprüfung zugänglich sein müssen, nicht getragen.

46 Da das Bundesverwaltungsgericht all dies verkannt hat, ist der angefochtene Beschluss somit - prävalierend - mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war. Auf die weiteren Revisionsausführungen war daher nicht mehr einzugehen.

Wien, am 18. Oktober 2017

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016190351.L00

Im RIS seit

22.11.2017

Zuletzt aktualisiert am

24.11.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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