Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
VwGG §42 Abs2 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revision des A A in H, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Juni 2017, Zl. W136 2147940-1/7E, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird in seinem Spruchpunkt A) I. wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der aus Syrien stammende Revisionswerber stellte am 21. August 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag betreffend die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit Bescheid vom 12. Jänner 2017 ab. Unter einem wurde dem Revisionswerber von der Behörde der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung, gültig bis 9. Jänner 2018, erteilt.
2 Nach dem im Verwaltungsakt vorhandenen (RSa-)Rückschein betreffend die Zustellung einer Ausfertigung dieses Bescheides sei der Revisionswerber am 16. Jänner 2017 bei einem Zustellversuch an der Abgabestelle in H, nicht angetroffen und deshalb die Verständigung über die (beim Postpartner in H erfolgte) Hinterlegung in die - zu dieser Unterkunft gehörende - Abgabeeinrichtung eingelegt worden. Als Beginn der Abholfrist wurde dem Rückschein zufolge der 17. Jänner 2017 festgelegt.
3 Mit Schreiben vom 15. Februar 2017 erhob der Revisionswerber, vertreten durch einen Rechtsberater, gegen den genannten Bescheid, soweit ihm der Status des Asylberechtigten versagt blieb, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Die Beschwerde langte noch am 15. Februar 2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (per E-Mail) ein. In der Beschwerde führte der Revisionswerber (unter anderem) aus, der Bescheid sei ihm am 18. Jänner 2017 zugestellt worden.
4 Im Rahmen des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht brachte der Revisionswerber, der zudem einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist gestellt hatte, auch vor, sein Quartiergeber habe für sich einen Nachsendeauftrag eingerichtet. Aufgrund dessen habe der Quartiergeber den "gelben Zettel" an der Nachsendeadresse "bekommen". Der Quartiergeber habe versucht, die Postsendung zu beheben. Dies sei allerdings nicht möglich gewesen, weil sie an den Revisionswerber gerichtet gewesen sei. Am 17. Jänner 2017 habe der Revisionswerber vom Quartiergeber die Verständigung über die Hinterlegung erhalten. In der Folge habe der Revisionswerber die Postsendung am 18. Jänner 2017 behoben. Zum Beweis für sein Vorbringen machte der Revisionswerber mehrere Zeugen namhaft.
5 Mit dem in Revision gezogenen Beschluss wies das Bundesverwaltungsgericht - ohne weitere Ermittlungen durchzuführen - die Beschwerde als verspätet zurück (Spruchpunkt A) I.). Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wies das Verwaltungsgericht gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ab (Spruchpunkt A) II.). Weiters sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 In seiner Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren wesentlich - aus, es könne dahingestellt bleiben, ob die Verständigung über die Hinterlegung an jener Abgabeeinrichtung, die zur Unterkunft des Revisionswerbers, an der die Zustellung verfügt worden war, gehört, eingelegt worden sei, oder ob die Verständigung aufgrund eines Nachsendeauftrages des Quartiergebers "in dessen Hände" gelangt sei. Der Revisionswerber habe nämlich ausgeführt, "am 17.01.2017, somit am Tag der Hinterlegung, von seinem Quartiergeber die Verständigung über die Hinterlegung des Schriftstückes erhalten zu haben und den Bescheid am nächsten Tag behoben zu haben". Die Zustellung sei "am 17. Jänner 2017 durch Hinterlegung beim Postamt" erfolgt. Daher habe die Beschwerdefrist von vier Wochen an diesem Tag zu laufen begonnen und am 14. Februar 2017 geendet. Die am 15. Februar 2017 dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl übermittelte Beschwerde sei daher verspätet erhoben worden.
7 Die Erhebung einer Revision sei nicht im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil sowohl die Zurückweisung der Beschwerde als auch die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages mit der Rechtslage und der Rechtsprechung der Höchstgerichte im Einklang stehe.
8 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, wobei in dieser - aufgrund der angeführten Revisionspunkte sowie der Begründung für die Zulässigkeit der Revision, in der ausschließlich auf den im vorangegangen Verfahren behaupteten Zustellmangel Bezug genommen wird - erkennbar allein der Ausspruch der Beschwerdezurückweisung bekämpft wird.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht sowie nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Wie im Weiteren dargelegt wird und die Revision auch aufzeigt, ist das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Die Revision ist im Hinblick auf das Vorbringen zu ihrer Zulässigkeit zulässig. Sie ist auch berechtigt.
10 § 17 Zustellgesetz (ZustG) lautet:
"Hinterlegung
§ 17. (1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.
(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus- , Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.
(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.
(4) Die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung ist auch dann gültig, wenn die im Abs. 2 genannte Verständigung beschädigt oder entfernt wurde."
11 Die in § 17 Abs. 2 ZustG genannte Verständigung des Empfängers von der Hinterlegung ist unabdingbare Voraussetzung einer Zustellung durch Hinterlegung gemäß § 17 Abs. 3 ZustG. Unterbleibt die Hinterlegungsanzeige, so tritt eine wirksame Zustellung durch Hinterlegung gemäß § 17 Abs. 3 ZustG nicht ein. Zwar macht ein - wie hier vorliegender - ordnungsgemäßer Zustellnachweis als öffentliche Urkunde Beweis über die Zustellung; allerdings ist der Gegenbeweis (etwa dass der in der Urkunde bezeugte Vorgang unrichtig sei; vgl. § 292 Abs. 2 ZPO) möglich (vgl. VwGH 30.3.2017, Fr 2015/07/0001, mwN).
12 Entspricht die Form der Zurücklassung nicht dem Gesetz, bleibt die Hinterlegung ohne Wirkung. Die Verständigung ist grundsätzlich in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach, Briefeinwurf) einzulegen. Ob die Abgabeeinrichtung für die Abgabestelle bestimmt ist, ist anhand objektiver Kriterien (Lage, Aufschrift) zu beurteilen, die den Schluss zulassen, der Adressat wolle auf diese Weise schriftliche Mitteilungen entgegennehmen. Lässt sich eine solche Zuordnung nicht treffen, liegt keine Abgabeeinrichtung im Sinne des Gesetzes vor. Gleiches gilt auch, wenn diese (erkennbar) stillgelegt oder in einer ihrer Funktion beeinträchtigenden Weise beschädigt ist, sodass insbesondere der Inhalt für Dritte zugänglich ist. Das Zustellorgan hat die Verständigung der Hinterlegung derart an der Abgabestelle zurückzulassen, dass anzunehmen ist, dass die Art des Zurücklassens die größere Gewähr dafür bietet, dass der Empfänger die Verständigung tatsächlich erhält (vgl. VwGH 8.9.2014, 2013/06/0084).
13 Eine in eine falsche Abgabeeinrichtung, wie hier behauptet: an einer anderen als auf dem Rückschein angegebenen Abgabestelle, eingelegte Verständigung, entspricht nicht dem Gesetz, weil unter "Abgabestelle" in § 17 Abs. 2 ZustG nur die auf der Sendung und dem Rückschein angeführte Abgabestelle gemeint ist (vgl. VwGH 13.11.2012, 2011/05/0193 und 2012/05/0204).
14 Liegt eine Hinterlegung ohne dem Gesetz entsprechende schriftliche Verständigung im Sinn des § 17 Abs. 2 ZustG vor, die nach dem Gesagten keine Rechtswirkungen entfaltet, kommt lediglich eine Heilung der Zustellung nach § 7 ZustG in Betracht (vgl. VwGH 17.9.2012, 2011/23/0506, 24.2.2009, 2008/06/0233, 27.2.2001, 2000/13/0077). Gemäß § 7 ZustG gilt, wenn im Verfahren der Zustellung Mängel unterlaufen, die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist.
Dabei muss es sich um das zuzustellende Dokument handeln. Anders als es offenbar das Bundesverwaltungsgericht vor Augen hat, sieht das Gesetz eine Heilung von Zustellmängeln durch tatsächliches Zukommen der - (nach dem Vorbringen des Revisionswerbers) rechtswidrig erfolgten - schriftlichen Verständigung von der Hinterlegung nicht vor. Auch vermag die bloße Kenntnis vom Vorhandensein eines zuzustellenden Dokuments (hier: des Bescheides) Zustellwirkungen nicht zu entfalten (vgl. VwGH 3.10.2013, 2013/09/0103, sowie VfGH 26.6.1996, B 793/95).
15 Ausgehend von dieser Rechtslage erweist es sich als unzutreffend, wenn das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, es könne die Richtigkeit des Vorbringens des Revisionswerbers dahingestellt lassen. Entspräche dieses - entgegen der im Rückschein beurkundeten Vorgänge - den Tatsachen, wäre die Zustellung durch Hinterlegung nach dem Gesagten als nicht bewirkt anzusehen. Ausgehend vom Tag des behaupteten tatsächlichen Zukommens des vor dem Verwaltungsgericht bekämpften Bescheides wäre die Beschwerde innerhalb der vierwöchigen Frist des § 7 Abs. 4 VwGVG erhoben worden.
16 Das Bundesverwaltungsgericht hat nach dem Gesagten die Rechtslage verkannt und infolge dessen das Vorbringen des Revisionswerbers keiner näheren Überprüfung unterzogen. Der angefochtene Beschluss war daher - im angefochtenen Umfang, sohin in Spruchpunkt A) I. - wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 19. Oktober 2017
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017200290.L00Im RIS seit
22.11.2017Zuletzt aktualisiert am
27.11.2017