TE Lvwg Erkenntnis 2017/9/21 VGW-242/021/RP25/6181/2017

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.09.2017
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Entscheidungsdatum

21.09.2017

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
L92009 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung Wien

Norm

AVG §39 Abs3
AVG §52
AVG §68
AVG §69
WMG §8 Abs3

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Landesrechtspfleger OAR Neustifter über die Beschwerde des Herrn P. K., vertreten durch Kriegsopfer- und Behindertenverband, gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, Sozialzentrum für den ... Bezirk, vom 29.03.2017, Zl. SH/2017/01450210-001,

zu Recht e r k a n n t:

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben, sodass die mit dem Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, Sozialzentrum für den ... Bezirk, vom 16.02..2017, Zl. MA 40 - SH/2017/01295634-001, (betreffend Lebensunterhalt und Grundbetrag für den Wohnbedarf von monatlich EUR 837,76 von 01.03.2017 bis 28.02.2018 zzgl. Sonderzahlungen im Mai und Oktober 2017 von je EUR 837,76 und Leistungen bei Krankheit sowie eine Mietbeihilfe von 01.03.2017 bis 28.02.2018 in der Höhe von monatlich EUR 145,54) gestaltete Rechtslage wieder hergestellt ist.

Entscheidungsgründe

Mit dem Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, Sozialzentrum für den ... Bezirk, vom 16.02.2017, Zl. MA 40 - SH/2017/01295634-001, wurden aufgrund des Antrags des Hilfe suchenden vom 03.01.2017 diesem die im obigen Spruch ausgeführten Leistungen der bedarfsorientierten Mindestsicherung zuerkannt.

Diesem Bescheid vorangehend fand die letzte Untersuchung hinsichtlich der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit des Hilfe suchenden am 21.03.2016 statt, wonach befristete Arbeits- und Kursunfähigkeit bis 21.03.2017, also für ein Jahr, festgestellt worden war. (Anmerkung: laut dem Akt beigefügten Unterlagen bestand bereits seit Jahren davor ein so genannter „Dauerleistungsanspruch“ infolge jeweils mindestens 1-jährliger Arbeitsunfähigkeit).

Offenbar gemeinsam mit einem bis 24.02.2017 befristeten Verbesserungsauftrag gemäß § 32 Abs. 3 WMG (siehe AS Nr. 261 bis 265) vom 10.02.2017, Zl. MA 40 – SH/2017/01273594, wegen fehlender Formalvoraussetzungen des Antrages (vorerst fehlende Unterschriften sowie Personen-, Einkommens- und Vermögensdaten) wurde der Hilfe suchende mittels eines beigefügten Bogens betreffend weitere erforderliche Unterlagen für die Bearbeitung des Antrags auf Mindestsicherung und einer von ihm zu unterschreibenden Zustimmungserklärung zur Datenübermittlung im Zusammenhang mit der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit durch die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) darauf hingewiesen, dass auch die unterschriebene beigeschlossene Zustimmungserklärung zu retournieren sei.

Am 17.02.2017 erfolgte auf Basis der unterfertigten Zustimmungserklärung des Hilfe suchenden per Fax eine Datenübermittlung an die PVA und zugleich eine Auftragserteilung zur Erstellung eines Gutachtens betreffend die Arbeitsfähigkeit des Hilfe suchenden.

Im Akt der belangten Behörde selbst liegt lediglich eine chefärztliche Stellungnahme vom 15.03.2017 mit folgendem Text vor:

„Gemäß ärztlichem Gutachten vom 14.03.2017 ist Arbeitsfähigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt gegeben.“

Der Amtssignatur ist nicht zu entnehmen wer dieses Schreiben gezeichnet hat, da lediglich eine Benutzer-ID ersichtlich ist.

Ein vollständiges ärztliches Gutachten befindet sich jedoch nicht im Akt.

 

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 29.03.2017, Zl. SH/2017/01450210-001, wurde die zuletzt mit Bescheid vom 16.02.2017, Zl. MA 40 - SH/2017/01295634-001, zuerkannte Leistung mit 30.04.2017 eingestellt und ab 01.05.2017 bis 28.02.2018 folgende neu bemessene Leistungen zuerkannt:

Zur Deckung des Lebensunterhaltes und des Grundbetrages zur Deckung des Wohnbedarfes monatlich € 837,76 zzgl. einer (nunmehr niedrigeren) Mietbeihilfe von monatlich € 49,20.

Zugesprochen wurden auch Leistungen bei Krankheit (Schwangerschaft und Entbindung) durch Übernahme der Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung.

Sonderzahlungen im Mai und Oktober 2017 wurden nicht mehr zuerkannt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die jedenfalls rechtzeitig erhobene Beschwerde des Hilfe suchenden und nunmehrigen Beschwerdeführers vom 19.04.2017, in der dieser Folgendes vorbringt:

„In umseits näher bezeichneter Rechtssache hat die belangte Behörde mit Bescheid vom 29.03.2017 die mit Bescheid vom 16.02.2017 zuerkannte Leistung mit 30.04.2017 eingestellt und eine Leistung zur Deckung des Lebensunterhaltes und den Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs zuerkannt sowie für den über den Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs hinaus den Bedarf einer Mietbeihilfe zuerkannt.

Dieser Bescheid ist rechtswidrig. Dazu wird Nachstehendes ausgeführt:

Die belangte Behörde hat sich bei ihrer Entscheidung auf das eingeholte allgemeinmedizinische Gutachten von Dr. L. gestützt. Gemäß diesem ärztlichen Gutachten vom 14.03.2017 sei eine Arbeitsfähigkeit gegeben.

Dieses Gutachten ist jedoch nicht ausreichend zur Beurteilung des psychiatrischen bzw. neurologischen Beschwerdebildes und der massiven Beeinträchtigungen, welche sich aus den Erkrankungen bzw. der Medikation ergeben.

Der Beschwerdeführer leidet an Colon irritabile. Der Beschwerdeführer leidet weiters an einer somatoformen Schmerzstörung, Cluster Kopfschmerz, Zustand nach Schleudertrauma und rezidivierender depressiver Störung. Der Beschwerdeführer ist wegen dieser Erkrankungen in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung, muss sich regelmäßig massieren lassen, und ist in der Schmerzambulanz des KH in Behandlung.

Beweis:

? beiliegende Therapiebehandlung der Psychotherapeutischen Praxis vom 27.02.2017

? Behandlungsbestätigung des Massageinstitut J. vom 28.02.2017

? Eintrag Ambulanzbesuch Schmerzambulanz KH Wien vom 19.01.2017

? Befundbericht von Dr. T. und Dr. Ko. vom 20.10.2015, 12.04.2016 und 17.01.2017

? einzuholendes Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich der

Neurologie/Psychiatrie

Es ist seit der im Auftrag der belangten Behörde durchgeführten Untersuchung am 21.03.2016 der F.-Universität Wien keine Änderung eingetreten. Es ist nicht nachvollziehbar, dass bei gleichbleibendem Gesundheitszustand sich die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit ändern konnte. Es wird darauf hingewiesen, dass das Gutachten der F.-universität auch auf Testergebnissen aus einer klinisch-psychologischen Untersuchung beruht, während sich der nunmehr bekämpfte Bescheid lediglich auf ein allgemeinmedizinisches Gutachten ohne klinisch-psychologischer Untersuchung bezieht.

In diesem Punkt ist das allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten unzureichend und stellt keine taugliche Grundlage für die Entscheidung der belangten Behörde dar.

Es wäre jedenfalls ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen gewesen.

Beweis:

? beiliegendes Gutachten vom 07.04.2016

? Durchführung einer mündlichen Verhandlung

Der Beschwerdeführer ermüdet im Besonderen an Tagen an dem es ihm schlechter geht sehr schnell und hat Konzentrationsprobleme, sodass ihm an diesen Tagen keine Arbeit möglich ist. Beim Beschwerdeführer schließen schon die zu erwartenden Krankenstandstage eine Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt aus. Der Beschwerdeführer ist aufgrund seiner Erkrankung sehr kälteempfindlich und muss sich aus diesem Grund im Besonderen bei Wind auch im Sommer warm kleiden und kann andererseits keine enge Kleidung tragen.

Beweis:

?    w.o.

?    Eintrag der Schmerzambulanz vom 25.01.2016

? fachärztlicher Befundbericht von Dr. H. vom 21.04.2015

?    Ambulanzkarte der B. vom 18.02.2014

In Zusammenschau der Erkrankungen besteht nach wie vor eine Arbeitsunfähigkeit. Die psychische und körperliche Belastbarkeit ist aufgrund der Schmerzsymptomatik so stark eingeschränkt, dass eine Arbeitsfähigkeit nicht gegeben ist. Auch ist mit vermehrten Krankenständen zu rechnen. Bei Einholung eines Fachgutachtens aus dem Bereich Neurologie/Psychiatrie sowie der richtigen Würdigung der vorgelegten Befunde hätte die belangte Behörde zu dem Ergebnis kommen müssen, dass weiterhin Arbeitsunfähigkeit gegeben ist.

Beweis:

?    w.o.

Aus genannten Gründen stellt die Beschwerdeführer die

ANTRÄGE

1. Das Bundesverwaltungsgericht möge der Beschwerde Folge geben, den erstinstanzlichen Bescheid aufheben und nicht nur eine Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts und des Grundbetrages zur Deckung des Wohnbedarfs im gesetzlichen Ausmaß, sondern auch gemäß § 8 Abs. 3 WMG zustehend Sonderzahlungen im gesetzlichen Ausmaß sowie die Mietbeihilfe im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren

2. In eventu, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

P. K.

Beweis wurde geführt durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten unbedenklichen Verwaltungsakt.

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Das Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) lautet auszugsweise:

§ 8. (3) Personen, die das Regelpensionsalter nach dem ASVG erreicht haben und volljährigen, auf die Dauer von mindestens einem Jahr arbeitsunfähigen Personen ist zum monatlich wiederkehrenden Mindeststandard jährlich in den Monaten Mai und Oktober je eine Sonderzahlung in der Höhe des Mindeststandards zuzuerkennen. Ein 13. oder 14. Monatsbezug, den die Person von anderer Seite erhält, ist auf diese Sonderzahlungen anzurechnen.

§ 16. (1) Wenn eine Hilfe suchende oder empfangende Person trotz Aufforderung unter Setzung einer angemessenen Frist und nachweislichem Hinweis auf die Rechtsfolgen ohne triftigen Grund nicht rechtzeitig mitwirkt, indem sie

1.

die zur Durchführung des Verfahrens von der Behörde verlangten Angaben nicht macht oder

2.

die von der Behörde verlangten Unterlagen nicht vorlegt oder

3.

soweit nicht für die Anrechnung die statistisch errechneten Durchschnittsbedarfssätze herangezogen werden können, gesetzliche oder vertragliche Ansprüche, die der zumindest teilweisen Deckung der Bedarfe nach § 3 dienen, nicht nachhaltig, auch behördlich (gerichtlich), verfolgt, wobei eine offenbar aussichtslose, unzumutbare oder mit unverhältnismäßigem Kostenrisiko verbundene Geltendmachung von Ansprüchen nicht verlangt werden kann,

ist die Leistung einzustellen oder abzulehnen. Eine Nachzahlung für die Zeit der Einstellung oder Ablehnung unterbleibt. Ein triftiger Verhinderungsgrund ist von der Hilfe suchenden oder empfangenden Person glaubhaft zu machen und entsprechend zu bescheinigen.

(2) Die im Rahmen der Bemessung auf eine Hilfe suchende oder empfangende Person entfallende Leistung ist einzustellen oder abzulehnen, wenn sie unter den in Abs. 1, erster Halbsatz genannten Voraussetzungen nicht mitwirkt, indem sie der Aufforderung zu einer ärztlichen Untersuchung nicht nachkommt.

(3) Bei einer Einstellung oder Ablehnung nach Abs. 2 ändert sich der auf die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft anzuwendende Mindeststandard nicht.

Das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) lautet auszugsweise:

§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG 1991) lautet auszugsweise:

§ 39. (3) Wenn die Sache zur Entscheidung reif ist, kann die Behörde das Ermittlungsverfahren für geschlossen erklären. Neue Tatsachen und Beweismittel sind von der Behörde nur zu berücksichtigen, wenn sie allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens eine anderslautende Entscheidung der Sache herbeiführen könnten.

§ 52. (1) Wird die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige notwendig, so sind die der Behörde beigegebenen oder zur Verfügung stehenden amtlichen Sachverständigen (Amtssachverständige) beizuziehen.

(2) Wenn Amtssachverständige nicht zur Verfügung stehen oder es mit Rücksicht auf die Besonderheit des Falles geboten ist, kann die Behörde aber ausnahmsweise andere geeignete Personen als Sachverständige (nichtamtliche Sachverständige) heranziehen.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, so kann die Behörde dennoch nichtamtliche Sachverständige heranziehen, wenn davon eine wesentliche Beschleunigung des Verfahrens zu erwarten ist. Die Heranziehung ist jedoch nur zulässig, wenn sie von demjenigen, über dessen Ansuchen das Verfahren eingeleitet wurde, angeregt wird und die daraus entstehenden Kosten einen von dieser Partei bestimmten Betrag voraussichtlich nicht überschreiten.

(4) Der Bestellung zum nichtamtlichen Sachverständigen hat Folge zu leisten, wer zur Erstattung von Gutachten der erforderten Art öffentlich bestellt ist oder wer die Wissenschaft, die Kunst oder das Gewerbe, deren Kenntnis die Voraussetzung der geforderten Begutachtung ist, öffentlich als Erwerb ausübt oder zu deren Ausübung öffentlich angestellt oder ermächtigt ist. Nichtamtliche Sachverständige sind zu beeiden, wenn sie nicht schon für die Erstattung von Gutachten der erforderten Art im allgemeinen beeidet sind. Die §§ 49 und 50 gelten auch für nichtamtliche Sachverständige.

§ 68. (1) Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, sind, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

(2) Von Amts wegen können Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, sowohl von der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, als auch in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden.

(3) Andere Bescheide kann die Behörde, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat, oder die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde im öffentlichen Interesse insoweit abändern, als dies zur Beseitigung von das Leben oder die Gesundheit von Menschen gefährdenden Missständen oder zur Abwehr schwerer volkswirtschaftlicher Schädigungen notwendig und unvermeidlich ist. In allen Fällen hat die Behörde mit möglichster Schonung erworbener Rechte vorzugehen.

(4) Außerdem können Bescheide von Amts wegen in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde als nichtig erklärt werden, wenn der Bescheid

1.

von einer unzuständigen Behörde oder von einer nicht richtig zusammengesetzten Kollegialbehörde erlassen wurde,

2.

einen strafgesetzwidrigen Erfolg herbeiführen würde,

3.

tatsächlich undurchführbar ist oder

4.

an einem durch gesetzliche Vorschrift ausdrücklich mit Nichtigkeit bedrohten Fehler leidet.

(5) Nach Ablauf von drei Jahren nach dem in § 63 Abs. 5 bezeichneten Zeitpunkt ist eine Nichtigerklärung aus den Gründen des Abs. 4 Z 1 nicht mehr zulässig.

(6) Die der Behörde in den Verwaltungsvorschriften eingeräumten Befugnisse zur Zurücknahme oder Einschränkung einer Berechtigung außerhalb eines Berufungsverfahrens bleiben unberührt.

(7) Auf die Ausübung des der Behörde gemäß den Abs. 2 bis 4 zustehenden Abänderungs- und Behebungsrechts steht niemandem ein Anspruch zu. Mutwillige Aufsichtsbeschwerden und Abänderungsanträge sind nach § 35 zu ahnden.

§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

1.

der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

2.

neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder

3.

der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde;

4.

nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

(2) …

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat.

Ein Sachverständigengutachten, das von der Behörde - oder dem Verwaltungsgericht (Hinweis E VwGH vom 17. November 2015, Ra 2015/03/0058, mwN) - ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt wird, muss einen Befund und das Gutachten im engeren Sinn enthalten sowie ausreichend begründet sein (Hinweis E VwGH vom 27. Februar 2015, 2012/06/0063, mwN). Der Befund besteht in der Angabe der tatsächlichen Grundlagen, auf denen das Gutachten (im engeren Sinn) aufbaut, und der Art, wie sie beschafft wurden. Während somit der Befund die vom Sachverständigen vorgenommenen Tatsachenfeststellungen enthält, bilden die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Fähigkeiten benötigt, das Gutachten im engeren Sinn (Hinweis E VwGH vom 27. April 2016, Ra 2015/10/0076).

Nur ein schlüssiges und nachvollziehbares Gutachten ist von einer Gegenpartei zu entkräften, während schlichte Feststellungen des Sachverständigen, die nicht weiter begründet sind, nicht widerlegt werden müssen. Denn das Erfordernis der Widerlegung eines von der Behörde eingeholten Sachverständigengutachtens auf gleicher fachlicher Ebene greift nur ein, wenn ein vollständiges, schlüssiges und widerspruchsfreies Gutachten vorliegt. Dabei hat der Sachverständige seine Sach- und Ortskenntnis schriftlich im Rahmen des Befundes, der eine von ihm - wenn auch etwa unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden, wie beispielsweise der Zitierung entsprechender Fachliteratur - vorgenommene Tatsachenfeststellung darstellt, soweit zu konkretisieren, dass sie für Dritte nachvollziehbar ist. Einwendungen gegen die Schlüssigkeit eines Gutachtens einschließlich der Behauptung, die Befundaufnahme sei unzureichend bzw. der Sachverständige gehe von unrichtigen Voraussetzungen aus, haben somit ebenso wie Einwendungen gegen die Vollständigkeit des Gutachtens auch dann Gewicht, wenn sie nicht auf gleicher fachlicher Ebene angesiedelt sind, also insbesondere auch ohne Gegengutachten erhoben werden (Hinweis E VwGH vom 27. Februar 2015, 2012/06/0063, mwN).

Die Behörde hat ein Gutachten eines Sachverständigen somit nicht nur auf seine Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit hin zu prüfen (Hinweis E VwGH vom 12. Oktober 2004, 2003/05/0019, mwH), sondern sie ist auch gehalten, sich im Rahmen der Begründung des Bescheides mit dem Gutachten auseinander zu setzen und es entsprechend zu würdigen; VwGH 09.09.2015, Zahl 2013/03/0120.

Die im Akt befindliche „Chefärztliche Stellungnahme“ ersetzt jedenfalls nicht ein Sachverständigengutachten zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit. Ein bzw. das ärztliche Sachverständigengutachten samt Befund lag der belangten Behörde im Entscheidungszeitpunkt zumindest nicht aktenkundig vor, sodass sie sich kein Bild über dessen Schlüssigkeit machen konnte, und zwar weder im Hinblick auf allfällige Abweichungen zum Vorgutachten der F.-Universität (FU), noch was die Schlüssigkeit des Gutachtens der PVA in sich selbst betrifft.

Der bekämpfte Bescheid hätte daher schon mangels eines aktenkundigen vollständige ärztlichen Sachverständigengutachtens nicht ergehen dürfen.

Bemerkt wird, dass die vorliegende „Chefärztliche Stellungnahme“ allein auch nicht ausreicht, die im Beschwerdeverfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen, die z.T. sehr einschränkende Beeinträchtigungen ausweisen, zu entkräften.

Hinzu kommt, dass trotz des vorigen Gutachtens der F.-Universität, vom 21.03.2016, das eine Arbeitsunfähigkeit lediglich bis 21.03.2017 bescheinigt hat, eine bescheidmäßige Leistungszuerkennung jedoch bis 28.02.2018, also erheblich über die ärztlich befundene vorläufige Arbeitsunfähigkeit hinaus, erfolgt ist und somit für den Hilfe suchenden das Recht auf den weiteren Bezug einer „Dauerleistung“ im Rahmen der bedarfsorientierten Mindestsicherung was den Anspruch auf Sonderzahlungen und einen anderen Anteil der Grundkosten für den Wohnbedarf und somit auch eine für die Hilfe suchende günstigere Berechnung Mietbeihilfe bis 28.02.2018 mit sich gebracht hat, obwohl schon Erhebungen bzw. Beweisaufnahmen eingeleitet wurde, ob auch weiterhin mindestens 1-jährige Arbeitsunfähigkeit vorliegt.

Das Wiener Mindestsicherungsgesetz selbst kennt nur eine Leistungseinstellung gemäß § 16 WMG bei Verletzung der Mitwirkungspflicht im Verfahren. Im vorliegenden Fall ist der Beschwerdeführer jedoch seinen Mitwirkungspflichten sogar ohne ausdrücklich auf § 16 WMG gestützte Aufforderung ordnungsgemäß nachgekommen, indem er eine Zustimmungserklärung im Zusammenhang mit einer Untersuchung bei der PVA retourniert und sich in der Folge auch einer ärztlichen Begutachtung bei der PVA unterzogen hat. Somit kommt eine materiellrechtliche Einstellung einer bereits zuerkannten Leistung auf Basis des § 16 WMG nicht in Betracht.

Somit bleibt der belangten Behörde lediglich die Möglichkeit der Prüfung, ob eine verfahrensrechtliche „Einstellung“ (Anm.: nämlich im Sinne eines umfassenderen, über die materiellrechtliche Einstellungsmöglichkeit des § 16 WMG hinausgehenden Begriffes) in Betracht kommt.

Hiefür bietet sich am ehesten das Rechtsinstrument gemäß § 69 AVG (Wiederaufnahme des Verfahrens) unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze der Rechtskraft bzw. Rechtskraftfähigkeit von Bescheiden (§ 68 AVG) an.

Diesen Weg hat die belangte Behörde jedoch nicht eingeschlagen, sondern hätte mit ihrer Vorgangsweise dem inzwischen rechtskräftigen Bescheid vom 16.02.2017 faktisch die materielle Rechtskraft genommen, in dem sie einfach einen neuen Bescheid, nämlich den nunmehr angefochtenen vom 29.03.2017, Zl. MA 40 - SH/2017/ 01450210-001, erlassen hat, der jedoch rechtzeitig und im Endergebnis zu Recht vom Beschwerdeführer angefochten wurde. Die belangte Behörde hat sich dabei auch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob sie aus verfahrensrechtlicher Sicht (Wiederaufnahme des Verfahrens) überhaupt die Rechtskraft des Bescheides vom 16.02.2016 durchbrechen durfte.

Mit der Erlassung des Bescheides vom 16.02.2016 hat die belangte Behörde - zumindest implizit - das diesem vorangegangene Ermittlungsverfahren im Sinne des § 39 Abs. 3 AVG, 1. Satz, beendet. Sie hat also nicht auf das Vorliegen des bereits davor eingeleiteten Ermittlungen bzw. des Beweisverfahrens gewartet, sondern offenbar die bis dahin vorgelegenen Ermittlungs- und Beweisergebnisse (einschließlich des Gutachtens der FU) für ausreichend erachtet und dem Hilfe suchenden eine Dauerleistung einschließlich Sonderzahlungen im Rahmen der bedarfsorientierten Mindestsicherung mit Bescheid zuerkannt.

Es ist geradezu offenkundig, dass nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens, im Rahmen dessen auf das Zuwarten der Ergebnisse bereits eingeleiteter weiteren Ermittlungen oder Beweisaufnahmen im Ergebnis verzichtet wurde und weil das mit Antrag vom 03.01.2017 eingeleitete Verfahren mit Bescheid vom 16.02.2016 sogar gänzlich abgeschlossen wurde, die Behörde schon im Erlassungszeitpunktes des Bescheides zumindest in Kauf genommen hat, dass die materielle Rechtskraft des Bescheides durch eine allenfalls andere Beurteilung der Frage der Arbeitsfähigkeit durch die PVA durchbrochen werden kann.

Die Erlassung eines Bescheides mit solcher Art von Vornherein eingeschränkter materieller Rechtskraft ist der österreichischen Rechtsordnung schon im Interesse der Rechtssicherheit in all jenen Fällen fremd, in denen nicht das Gesetz selbst auf Basis besonderer und gleichheitskonformer sachlicher Rechtfertigung anderes vorsieht. In diesem Zusammenhang ist vor allem auf § 68 AVG sowie auf die allfällige Wiederaufnahme eines Verfahrens gemäß § 69 AVG zu verweisen, wo solche Ausnahmen geregelt sind.

Sohin war es nicht möglich, die letztlich im vollen Umfang eingetretene formelle und materielle Rechtskraft des Bescheides vom 16.02.2017 ohne weiteres mit dem angefochtenen und nunmehr aufgehobenen Bescheid vom 29.03.2017 zu durchbrechen.

Aufgrund der prävalierenden (Anm.: d.h. vorherrschenden) Rechtswidrigkeit in Bezug auf die Durchbrechung der Rechtskraft eines früher ergangenen Bescheides durch den angefochtenen, war auf weitere formal- und materiellrechtliche Detailfragen nicht weiter einzugehen.

Da zu dem angefochtenen Bescheid auch kein Antrag des nunmehrigen Beschwerdeführers geführt hat, sondern dieser letztlich von Amts wegen erlassen wurde, war der Bescheid nicht bloß mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen, zumal durch die Aufhebung mittels aufhebender Sachentscheidung (Erkenntnis) kein rechtsleerer Raum entsteht, sondern die mit Bescheid vom 16.02.2017 gestaltete Rechtslage ohnehin wieder in Kraft tritt.

Mit der erfolgten „ersatzlosen“ Behebung des angefochtenen Bescheides ist es der belangten Behörde freilich nicht gänzlich untersagt, aus einem in Bezug auf die Durchbrechung der Rechtskraft geltender Bescheide gerechtfertigten Anlass, insbesondere der Kenntnis von eingetretenen oder aufgrund von konkreten Umständen anzunehmenden oder gemeldeten Änderungen, „Einstellungen“ (Anm.: im weiteren Sinne als gemäß § 16 WMG) bzw. in der Folge Neubemessungen von Leistungen vorzunehmen.

 

Zu den Grundsätzen des § 68 AVG 1991, die als elementar für die gesamte Rechtskraftlehre von Bescheiden anzusehen sind (siehe die Ausführungen von Walter/Mayer Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts), sei in diesem Zusammenhang vor allem darauf hingewiesen, dass in Fällen der Durchbrechung der Rechtskraft die Behörde stets mit möglichster Schonung erworbener Rechte vorzugehen hat. Dieser fundamentale Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist keineswegs nur auf die Fälle des § 68 Abs. 3 AVG 1991 beschränkt, wie folgender Rechtssatz aus dem Erkenntnis des VwGH vom 29.11.1973, Zl. 1354/72, VwSlg 8511 A/1973, zeigt:

„Der Gedanke der Schonung erworbener Rechte besitzt in der österreichischen Rechtsordnung (zB Art 119a Abs 7 letzter Satz B-VG, § 68 Abs 3 AVG 1950, § 2 Abs 1 VVG (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit), § 61 Abs 1 PensionsG 1965, §§ 1 Abs 2, 76 KOVG) insbesondere im Hinblick auf § 5 ABGB eine derart fundamentale Bedeutung, dass die Erhaltung wohlerworbener Rechte immer dort anzunehmen ist, wo ein Gesetz nicht das Gegenteil festlegt.“

Schlagworte

Verfahrensrecht, Ermittlungsverfahren, Einstellung, Rechtskraft, Wiederaufnahme, Beweisaufnahme, Sachverständigengutachten; Mindestsicherung, Dauerleistung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.242.021.RP25.6181.2017

Zuletzt aktualisiert am

21.11.2017
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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