TE Lvwg Beschluss 2017/9/26 VGW-242/021/RP25/6770/2017

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Veröffentlicht am 26.09.2017
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Entscheidungsdatum

26.09.2017

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
10/07 Verwaltungsgerichtshof
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
L92009 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung Wien

Norm

VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1
VwGG §33 Abs1
B-VG Art. 132 Abs1 Z1

Text

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Landesrechtspfleger OAR Neustifter über die Beschwerde des Herrn V. C., Wien, R.-Gasse, gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, Soziales, Sozial- u. Gesundheitsrecht, Region .., Sozialzentrum …, vom 10.04.2017, Zl. MA 40-SH/2017/01488757-001, den

BESCHLUSS

gefasst:

Gemäß § 28 Abs.  1 und § 31 Abs. 1 VwGVG in Verbindung mit dem analog anzuwendenden § 33 Abs. 1 VwGG wird die Beschwerde für gegenstandslos geworden erklärt und das Beschwerdeverfahren eingestellt.

Entscheidungsgründe

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 10.04.2017, Zl. MA 40-SH/2017/01488757-001, wurde laut dessen Spruch „die zuletzt mit Bescheid/en vom 27.03.2017, Zl. MA 40 - SH/2017/01439063-001 zuerkannte Leistung mit 31.04.2017“ eingestellt.

Bei der Anführung dieser Bescheiddaten handelt es sich ganz offenkundig um einen Irrtum, da dieser Bescheid lediglich eine Rückforderung von Leistungen der Mindestsicherung betrifft und damit keinerlei Leistungen, die mit dem angefochtenen Bescheid eingestellt werden hätten können, gewährt worden waren. Gemeint war offensichtlich viel mehr die Einstellung der mit Bescheid vom 17.03.2017, Zl. MA 40 - SH/2017/01408418-001, gewährten Leistungen der bedarfsorientierten Mindestsicherung vom 03.10.2016 bis 30.9.2017 für den Lebensunterhalt und den Grundbetrag für den Wohnbedarf zuerkannt worden waren.

Trotz dieses Versehens ergibt sich jedoch letztlich aus dem Akteninhalt, welche zuerkannten Leistungen mit dem angefochtenen Bescheid eingestellt und neu bemessen werden sollten. Daher geht das Verwaltungsgericht von der Einstellung der mit Bescheid vom 17.03.2017, Zl. MA 40 - SH/2017/01408418-001, gewährten Leistungen durch den angefochtenen Bescheid aus.

Grund für die Einstellung Neubemessung der Leistung war insbesondere die Kürzung von Leistungen gemäß § 15 Abs. 1 WMG für Mai 2017.

In der per E-Mail erhobenen fristgerechten Beschwerde vom 19.04.2017 führt der Beschwerdeführer aus, dass er pro Monat für die Miete € 500, für Strom € 50, für Internet € 30 und für das SIM Karten-Guthaben € 20 und für Alimente € 100 zahle. Er bekomme von der MA 40 keine Mietbeihilfe und habe für manche Monate nicht das ganze Geld bekommen. Er habe eine sehr schwierige finanzielle Situation.

Er bitte um Prüfung seiner Situation.

Anzumerken ist, dass sämtliche bis dahin zuerkannten, eingestellten bzw. neu bemessenen Leistungen ihren Ursprung im Antrag auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung vom 3.10.2016 fanden, im Rahmen dessen eine Mietbeihilfe nicht beantragt worden war.

Am 11.08.2017 erließ die belangte Behörde unter Zl. MA 40 - SH/2017/01914286-001, einem Bescheid, mit dem es wiederum zu einer Einstellung und Neubemessung von Leistungen zur Deckung des Lebensunterhaltes einschließlich des Grundbetrages zur Deckung des Wohnbedarfes gekommen ist, wobei zwar die Einstellung der Leistung mit 31.08.2017 ausgesprochen wurde, jedoch auch Leistungen für den Lebensunterhalt und den Grundbetrag für den Wohnbedarf ab 03.10.2016 bis 31.08.2017 festgesetzt wurden.

Aus den vorgelegten Akten ist keine weitere Beschwerde ersichtlich, die gegen den Bescheid vom 11.08.2017, Zl. MA 40 - SH/2017/01914286-001, eingebracht worden wäre.

Da mit dem einzig angefochtenen Bescheid vom 10.04.2017, Zl. MA 40-SH/2017/01488757-001, die zuvor zuerkannten Leistungen mit 30.04.2017 eingestellt worden waren und die belangte Behörde am 11.08.2017 den Bescheid Zl. MA 40 - SH/2017/01914286-001 erlassen hat, mit dem auch über die im angefochtenen Bescheid vom 10.04.2017 aufscheinenden Zuerkennungszeiträume Bedarfsorientierte Mindestsicherung neuerlich entschieden wurde, ist an die Stelle des angefochtenen Bescheides vom 10.4.2017 nunmehr der Bescheid vom 11.8.2017 getreten.

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Eine Bescheidbeschwerde ist wegen Fehlens der Beschwerdeberechtigung dann zurückzuweisen, wenn der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid unabhängig von der Frage seiner Gesetzmäßigkeit in seinen Rechten nicht verletzt sein kann. Ein solcher Fall liegt auch dann vor, wenn ein späterer Bescheid einen früheren Bescheid beseitigt hat. Durch die Erlassung des Bescheides vom 11.08.2017 nach Erhebung der Beschwerde (Beschwerdeeingang bei der belangten Behörde am 19.04.2017) gegen den Bescheid vom 10.04.2017 hat Letzterer - unbeschadet der Rechtsrichtigkeit des späteren Bescheides - seine Wirkung verloren.

Zur Zeit der Einbringung der Beschwerde (19.04.2017) stand der damit bekämpfte Bescheid vom 10.04.2017 noch im Rechtsbestand und die Beschwerde war damit im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung zulässig. Ebenso war der Beschwerdeführer behaupteter Maßen auch noch formell und materiell durch den abweisenden Bescheid beschwert. Eine Zurückweisung wegen (ursprünglicher) Unzulässigkeit der Beschwerdeerhebung kommt daher nicht in Betracht.

Mit der Erlassung des späteren Bescheides vom 11.08.2017, mit dem Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes und der Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfes zuerkannt wurden, konnte der Beschwerdeführer jedoch nicht mehr in seinem in der Beschwerde geltend gemachten Recht auf solche Leistungen für einander überschneidende Zuerkennungseiträume durch den früheren Bescheid vom 10.04.2017 verletzt sein.

 

(Vgl. im Umkehrschluss den Beschluss des VwGH vom 01.10.2004, Zl. 2001/12/0148, sowie das Erkenntnis des VwGH vom 16. September 1994, Zl. 94/17/0159, mit weiteren Nachweisen aus Lehre und Vorjudikatur; weiters die in Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens 6, bei E 17 zu § 68 AVG wiedergegebene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).

Gemäß § 33 Abs 1 VwGG (in der zum Entscheidungszeitpunkt am 16.09.1994 geltenden Fassung ist), wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Beschwerdeführer (nunmehr „Revisionswerber“) klaglos gestellt wurde, nach dessen Einvernahme die Beschwerde (nunmehr „Revision“) in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren EINZUSTELLEN. Eine derartige Klaglosstellung (im engeren Sinn) setzt allerdings eine Beseitigung des beim VwGH angefochtenen Bescheides durch wen und aus welchem Titel auch immer, insbesondere eine formelle Aufhebung durch die belangte Behörde oder die allenfalls in Betracht kommende Oberbehörde oder durch den VfGH voraus (Hinweis: Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit/3, 307). (VwGH v. 16.09.1994, Zl. 94/17/0159).

Im Übrigen hätte - falls sich der Beschwerdeführer durch den späteren Bescheid vom 11.08.2017 in seinen subjektiven Rechten neuerlich verletzt gefühlt hätte - die Möglichkeit bestanden, innerhalb der gesetzlichen Frist Beschwerde gegen diesen zu erheben.

Mangels einer ausdrücklichen Bestimmung im VwGVG über die Einstellung des Verfahrens, die dem § 33 Abs. 1 VwGG gleicht oder in der Grundlinie ähnlich ist und aufgrund des Umstandes, dass im Verfahren der Verwaltungsgerichte gleich bzw. ähnlich gelagerte Konstellationen – wie etwa im gegenständlichen Fall – vorliegen können, folgt, dass der Gesetzgeber das Fehlen einer solchen Bestimmung nicht geplant hat, sodass eine analoge Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG soweit zulässig ist, als dem keine Bestimmung im VwGVG entgegen steht. Letzteres ist gegenständlich lediglich insoweit der Fall, als gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von einer mündlichen Verhandlung (und damit von einer „Einvernahme“) abgesehen werden kann, als der Akt erkennen lässt, dass eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Auch § 6 Art. 1 EMRK sowie Art. 47 der Europäischen Grundrechtscharta stehen dem nicht entgegen, zumal eine Anfechtung des später erlassenen Bescheides vom 11.08.2017 möglich gewesen ist und in einem folgenden fairen Verfahren („fair trial“) die Frage des Rechtes auf Mindestsicherung dem Grunde und der Höhe nach vor dem Verwaltungsgericht im neuerlichen Beschwerdefall geprüft werden hätte können.

Durch den später erlassenen Bescheid vom 11.08.2017 wurde der Beschwerdeführer somit klaglos gestellt und ist somit durch den früheren Bescheid vom 10.04.2017, der als Anfechtungsgegenstand weggefallen ist, nicht mehr beschwert.

Im vorliegenden Fall trat der spätere Bescheid vom 11.08.2017 an die Stelle des früheren Bescheides vom 10.04.2017. Aus rechtlicher Sicht liegt eine materielle, also inhaltliche Derogation nach dem Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ (Erklärung: die spätere erlassene Rechtsnorm hebt die früher erlassene auf, wobei nicht nur generelle Rechtsnormen wie Gesetze und Verordnungen, sondern auch Bescheide als individuelle, nach außen in Erscheinung tretende individuelle Rechtsnormen zu sehen sind) ohne formeller ausdrücklicher Aufhebung, vor.

Auch wenn eine bloß materielle Derogation infolge der Rechtskraftwirkung einmal erlassener Bescheide grundsätzlich durch die Rechtsordnung nicht verfolgt wird, fehlt es dem Verwaltungsgericht Wien an einer rechtsinstitutionell vorgesehenen Möglichkeit, unangefochten gebliebene Verwaltungsakte, mit denen früheren Entscheidungen materiell derogiert wird, von sich aus dem Rechtsbestand zu nehmen.

 

Aufgrund der ursprünglichen Zulässigkeit der Beschwerde und des erst späteren Wegfalles der Beschwer bzw. des angefochtenen Bescheides während des schon anhängigen und bis dahin zulässigen Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht, war die Beschwerde nicht schon an der Schwelle („ a limine“) des Verwaltungsgerichtes als unzulässig zurückzuweisen, sondern war die Beschwerde nunmehr für gegenstandslos zu erklären und das Beschwerdeverfahren spruchgemäß erst mit dem Wegfall des Anfechtungsgegenstandes einzustellen.

Der VwGH kommt in seinem Erkenntnis vom 28.01.2016, Zl. Ra 2015/11/0027, im Übrigen zum selben Ergebnis:

Der VwGH vertrat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass ein bei ihm anhängiges Beschwerdeverfahren auch im Falle einer Amtsbeschwerde (Art. 131 Abs. 2 B-VG aF) bei Wegfall des rechtlichen Interesses an einer meritorischen Entscheidung in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG wegen Gegenstandslosigkeit einzustellen war. Diese Rechtsprechung hat er auch für eine Revision nach Art. 133 Abs. 6 B-VG gegen eine Entscheidung eines VwG für maßgebend erklärt (Hinweis B vom 19. Dezember 2014, Ro 2014/02/0115 mwN.). Ebenso vertritt der VwGH in ständiger Rechtsprechung, dass sich § 33 Abs. 1 VwGG entnehmen lasse, dass der Gesetzgeber das Rechtsschutzbedürfnis als Prozessvoraussetzung für das Verfahren vor dem VwGH versteht. Liegt diese Voraussetzung schon bei Einbringung einer Revision nicht vor, ist diese unzulässig, fällt die Voraussetzung erst nach Einbringung einer zulässigen Revision weg, so führt dies zu einer Einstellung des Verfahrens (Hinweis B vom 30. Jänner 2013, 2011/03/0228, B vom 23. Oktober 2013, 2013/03/0111, den bereits erwähnten B vom 19. Dezember 2014 sowie den B vom 9. September 2015, Zl. Ro 2015/03/0028).

Diese Überlegungen können auf das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht übertragen werden.

War die Beschwerde im Zeitpunkt ihrer Erhebung zulässig, ist durch eine Änderung der Rechtslage aber das Rechtsschutzbedürfnis (bzw. die Beschwerdelegitimation) nachträglich weggefallen, ist die Beschwerde als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

Im Hinblick auf die analoge Sach- und Rechtslage war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Verfahrensrecht; Mindestsicherung; Einstellung; Beschwer; Derogation, Fair Trial, Gesetzeslücke, Analogie

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.242.021.RP25.6770.2017

Zuletzt aktualisiert am

21.11.2017
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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