TE Lvwg Erkenntnis 2017/10/12 VGW-151/074/4482/2017

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Veröffentlicht am 12.10.2017
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Entscheidungsdatum

12.10.2017

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
60/04 Arbeitsrecht allgemein
62 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

NAG §61 Abs1 Z2
NAG §47 Abs5
AuslBG §2 Abs2
AuslBG §4 Abs2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Mag.a Mandl über die Beschwerde des Herrn J. B., geb. am ...1983, Sta: Uruguay, vertreten durch Rechtsanwältin, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35 - Einwanderung, Staatsbürgerschaft - Aufenthaltsbewilligungen, vom 01.02.2017, Zahl MA35-9/3131749-01, mit welchem gemäß § 61 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Künstler (selbstständig)" abgewiesen wurde,

zu Recht e r k a n n t:

I.     Gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

II.    Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 NAG eine Aufenthaltsbewilligung für den Zweck Künstler (selbständig) für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

III.   Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Der Beschwerdeführer (BF) stellte am 7.7.2016 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Künstler (selbstständig)“, welcher mit Bescheid der belangten Behörde vom 1.2.2017 abgewiesen wurde. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der Stellungnahme des AMS vom 27.1.2017 von der belangten Behörde gefolgt werde, wonach im nunmehr vorgelegten Werkvertrag vom 2.1.2017 eine Vertretungsmöglichkeit eingeräumt worden sei, dies jedoch nicht die Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit begründe. Der BF sei wirtschaftlich von einem Unternehmen abhängig, weshalb zumindest eine Verwendung in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis vorliege. Auch stellten die vom BF laut Werkvertrag wahrzunehmenden Tätigkeiten, nämlich Filmen und Fotografieren bei Aufträgen, Vorbereitung der Kameraausrüstung sowie Postproduktion mittels Videoschnitt, Bildbearbeitung und Datenübertragung von Foto- und Videodateien keine künstlerische Tätigkeit nach dem Regulativ des AuslBG dar.

Dagegen wurde Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien erhoben und zusammengefasst vorgebracht, dass die vom BF beabsichtigte Tätigkeit sowohl eine selbstständig als auch eine künstlerische Tätigkeit sei. Der mit dem Unternehmen „S. B.“ abgeschlossene Werkvertrag vom 2.1.2017 erfülle alle Voraussetzungen für die Qualifizierung als selbstständige Tätigkeit. Der BF sei nicht nur an keine feste Arbeitszeit und keine Weisungen des Werkgebers gebunden, sondern auch in seiner Zeiteinteilung völlig frei und berechtigt, sich durch Dritte vertreten zu lassen. Damit sei die persönliche Abhängigkeit zu verneinen und auch die vom AMS behauptete wirtschaftliche Abhängigkeit nicht gegeben. Der BF versuche als freischaffender Künstler auch andere Einkunftsquellen, etwa durch den Verkauf seiner Kunstwerke an Dritte, zu erschließen. Damit sei die beabsichtigte Erwerbstätigkeit in Österreich jedenfalls als selbstständige Tätigkeit zu beurteilen.

Es handle sich auch um eine künstlerische Tätigkeit bzw. sei die Tätigkeit überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt. Schon im behördlichen Verfahren habe der BF zu einem entsprechenden Vorhalt Stellung genommen und unter Hinweis auf Judikatur des VwGH ausgeführt, dass ein Ausbildungsnachweis von Künstlern aus Drittstaaten nicht zu erbringen, sondern die Ausübung der künstlerischen Tätigkeit glaubhaft zu machen sei. Ebenso wenig stehe die frühere Beschäftigung als Profi-Kameramann der Qualifikation des BF als Künstler entgegen. Die Tätigkeit als Fotograf wie auch als Kameramann könne nicht auf eine bloß handwerkliche Tätigkeit reduziert werden, sondern sei überwiegend von künstlerischen Anteilen geprägt. Einen Auszug seines bisherigen künstlerischen Schaffens könne man unter anderem der Website des BF (www.j...) entnehmen. Der BF habe nicht bloß austauschbare Ansichten festgehalten, sondern sei dessen künstlerische Entscheidung bezüglich Lichtführung, Kontrast, Ausschnitt, Blickwinkel und dergleichen deutlich zu erkennen.

Nach ständiger Judikatur des VwGH kann das Gutachten des AMS überdies entkräftet oder widerlegt werden und ist auch die Niederlassungsbehörde an ein unschlüssiges Gutachten nicht gebunden. Ein Gutachten sei insbesondere dann unschlüssig, wenn bloße Behauptungen aufgestellt würden, ohne dass hierfür eine nachvollziehbare, aus dem festgestellten Sachverhalt logisch ableitbare Begründung erfolge. Im vorliegenden Fall habe sich das AMS darauf beschränkt, verkürzte und nicht auf den Sachverhalt bezogene Behauptungen aufzustellen. Die Ausführungen des AMS seien in keiner Weise schlüssig bzw. substantiiert, da es jeweils an einer Begründung für die geäußerte Ansicht fehle. Vor allem die ausschlaggebende Stellungnahme des AMS vom 18.1.2017, in der es erstmals bestreite, dass es sich um eine künstlerische Tätigkeit handle, sei zu beanstanden. Das AMS sei weder auf den Werkvertrag vom 2.1.2017 eingegangen, noch habe es begründet, weshalb es eine wirtschaftliche Abhängigkeit annehme; auch bleibe das AMS eine Begründung dafür schuldig, weshalb es die künstlerische Qualifikation der Tätigkeit verneint habe. Die belangte Behörde hätte sich auf diese Stellungnahme nicht stützen dürfen, sondern eine eigene Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes vornehmen müssen.

Die Stellungnahme des AMS vom 18.1.2017 sei dem BF nicht mehr zur Äußerung übermittelt worden, obwohl darin neue Argumente, die dem BF bisher nicht bekannt gewesen seien, ins Treffen geführt worden seien, weshalb das Recht des BF auf Wahrung des Parteiengehörs als verletzt angesehen werde.

Die belangte Behörde habe überdies die ihr obliegende Begründungspflicht nach §§ 58 Abs. 2 und 60 AVG verletzt. Die Entscheidungsbegründung der belangten Behörde bestehe aus dem Verweis auf die negative Stellungnahme des AMS und finde sich darin keine umfassende Begründung bzw. kein Eingehen auf das Vorbringen des BF.

Es wurde sohin beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, in der Sache selbst zu entscheiden und den beantragten Aufenthaltstitel zu erteilen, in eventu die Entscheidung aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Am 9. Mai 2017 fand vor dem Verwaltungsgericht Wien die beantragte öffentliche mündliche Verhandlung statt, welche auf 27. Juni 2017 vertagt wurde, da der BF erst wieder in etwa einem Monat ins Bundesgebiet einreisen konnte:

Im Zuge dieser mündlichen Verhandlung wurden fotografische Abbildungen zum Nachweis der künstlerischen Tätigkeit, Urkunden zum Nachweis der Mietgeldentrichtung durch die Freundin des BF und Offerte des BF aufgrund von Anfragen vorgelegt.

Die für den 27. Juni 2017 anberaumte mündliche Verhandlung musste abermals vertagt werden, da laut Angabe der Beschwerdeführervertreterin der BF erst im Oktober wieder einreisen werde. Beantragt wurde die zeugenschaftliche Einvernahme des Werkgebers.

Am 10. Oktober 2017 fand schließlich die öffentliche mündliche Verhandlung statt, welche folgenden Verlauf hatte:

Die BFV führt aus:

Nach dem BGBl. I Nr. 84/2017 vom 14.7.2017 wurde § 61 NAG aufgehoben. Laut einer Aussendung vom 27.7.2017 der Parlamentsdirektion ist das BGBl. Als verfassungswidrig zustande gekommen zur nochmaligen Beschlussfassung zurückgestellt. Die BFV verweist auf einen Hinweis auf Help.gv.at sowie auf die Aussendung der Parlamentsdirektion. Diese Aussendung übermittelt die BFV der Richterin per E-Mail.

Demzufolge wäre heute die alte Rechtslage noch anwendbar, obwohl im RIS bereits das „neue NAG“ veröffentlicht ist.

Vorgelegt wird ein Auszug betreffend die Zahlung der Miete durch die Freundin des BF (Beilage ./G) und ein Zahlungsnachweis betreffend die Leistung der Sozialversicherungsbeiträge per 3.10.2017 (Beilage ./H).

Die BFV bringt noch vor, dass die belangte Behörde den BF manuduzieren hätte sollen, da sie offensichtlich nach der Begründung im angefochtenen Bescheid der Ansicht ist, dass der BF einen anderen Aufenthaltstitel als den beantragten benötige. Deshalb leide der angefochtene Bescheid auch an inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Die BFV führt nach der Zeugeneinvernahme abschließend aus, dass das Schicksal der am 9.5.2017 vorgelegten Angebote (./D bis ./F) unbekannt ist. Der BF erhält ständig neue Anfragen und würde aus diesen vom Werkvertrag unabhängigen Aufträgen ein Einkommen als freischaffender Künstler beziehen. Zusammengerechnet würde dies ein jährliches Einkommen in der Höhe von EUR 18.040,-- brutto ergeben. Nach dem Ergebnis der Aussage des Zeugen überwiegen die Elemente einer selbstständigen Tätigkeit und wurde auch ausgeführt, dass die künstlerischen Aspekte überwiegen würden.

Der als Zeuge vernommene Bruder des BF gab nach Belehrung und Wahrheitserinnerung an:

„Ich bin seit 2002 in Österreich. Ich bin Staatsangehöriger von Uruguay. Ich habe Daueraufenthalt EU. Ich bin Kameramann und selbstständig.

Auf Vorhalt der Auszüge aus dem GISA, das ist genauso aufrecht. P. T. ist meine Schwester. Insgesamt habe ich 5 Geschwister. Mein Bruder (BF) und ich sind in der Mitte.

Mein Unternehmen ist ein 1-Mann-Betrieb. Meine Freundin ist seit ca. 2 Monaten geringfügig bei mir beschäftigt. Sie macht Büro und Buchhaltung.

Mit meinem Bruder (BF) habe ich zuletzt vor einer Woche telefoniert. Wir hören uns ca. 1x in der Woche und das regelmäßig. Meine Geschwister sind bis auf den BF alle in Österreich.

Mein Bruder hatte schon einmal einen Aufenthaltstitel, ich glaube 2003.

Auf die Frage, warum keine Anstellung des BF erwogen wird:

Ich kann maximal EUR 500,--/Monat zahlen, ich habe aber viele Aufträge auch schon für 2018/19 und viele Anfragen. In der Hauptsache handelt es sich um Hochzeitsvideos und Imagevideos. Bereits jetzt gebe ich manche Aufträge weiter, weil ich alleine diese Menge nicht schaffe. Für 2018 habe ich z.B. schon 10 Hochzeitsanfragen weitergegeben. Ich arbeite entweder als Kameramann alleine oder mit 2 Kameras. Im letzteren Fall muss ich den zweiten Kameramann derzeit immer zukaufen und wäre für diese Fälle mein Bruder vorgesehen. Jemanden fix dafür anzustellen, käme auf jeden Fall zu teuer. Für die Zukunft wäre natürlich schon ein zweites Team ein Wunsch.

Die Aufträge für meinen Bruder kämen demnach von mir.

Auf die Frage, wie der BF mit eigenen Aufträgen umgehen wird bzw. kann:

Meiner Ansicht nach werden eigene Aufträge für den BF erst nach einer gewissen Zeit, ich denke in 1 bis 2 Jahren, realistisch sein. Es ist viel Aufwand mit der Erledigung von solchen Aufträgen verbunden (Technik, Büro, Besprechungen etc.). Auch derzeit ist der BF in Uruguay jedenfalls großteils mit solchen Aufträgen beschäftigt.

Um einen solchen Auftragsprozess zu schildern, gebe ich an:

Ein E-Mail wird an mich gerichtet mit einer Anfrage, wenn ich selber keine Zeit habe, wird mein Bruder eingeteilt, der fährt dann vor Ort, dreht den Film und macht die Aufnahme. Das Material dann aufbereiten (Schnitt und Bearbeitung) erfolgt wieder durch mich. Für eine Hochzeit verlange ich z.B. EUR 2.000,-- und in diesem Fall würde mein Bruder die Hälfte verdienen. Die Rechnung käme von mir.

Für den Fall, dass ein Termin z.B. wegen Terminkollision nicht wahrgenommen werden kann, habe ich eine „Reserve“ von zwei bis drei Kameraleuten, die hier einspringen können. Um diese Vertretung würde ich mich kümmern. Auch für den Fall, dass der BF unerwartet ausfällt, soll das so erfolgen.

Auf Vorhalt des Werkvertrages vom 2.1.2017, Punkt V.:

Hier ist daran gedacht, dass der BF seinen Termin und Zeitplan auf jeden Fall mit mir abstimmen muss. Gemeint sind hier mehrtägige Ausflüge, Besuche, aber auch Unfall und Krankheit. Ziel ist, dass die Aufträge erfüllt werden können.

Mögliche Mängel während der Auftragserfüllung und Beschwerden über meinen Bruder wären an mich zu richten und nicht an den BF. Es wäre dann mit den Kunden (z.B. Brautpaar) zu sprechen und natürlich auch mit meinem Bruder dieser Auftrag zu besprechen.

Die Rechnungslegung und Abrechnung erfolgt jedenfalls über mich. Die Zahlung der Kunden erfolgt auf mein Konto.

Auf Vorhalt Punkt III. im Werkvertrag vom 2.1.2017:

Es ist ein Gesamthonorar für ein Jahr vereinbart. Auftragnehmer im Punkt 1 ist hier der Bruder, er legt mir eine Honorarnote. Vor Auftragsausführung lege ich mit meinem Bruder (BF) die Zeit, die er zur Auftragsausführung brauchen wird, fest. In der Regel sind es 10 Stunden pro Auftrag. Die Honorarnote meines Bruders wird dann Zug um Zug beglichen.

Auf die Höhe des Gesamthonorars bin ich unter Zugrundelegung von ca. EUR 1.000,-- monatlich als Entgelt für den Bruder gekommen. Wenn ich vier Hochzeiten im Monat mit meinem Bruder als Assistenten mache, würde er EUR 250,-- pro Hochzeit erhalten.

Sollte die Auftragslage unter den Erwartungen bleiben, sodass der BF weniger leistet als das Gesamthonorar vereinbart ist, so verweise ich auf den Werkvertrag.

Mein Bruder ist von der Ausbildung Fotograf. Zur Unterscheidung zwischen der damit verbundenen handwerklichen Tätigkeit und der künstlerischen Tätigkeit in der Arbeit meines Bruders (BF) gebe ich an:

Es werden von ihm bei den Aufnahmen verschiedene Perspektiven gewählt, verschiedene Techniken angewendet (z.B.: Unschärfe erzeugt, Kontraste verstärkt bzw. gebildet), besondere Motive gewählt, Bildelemente arrangiert, etc. Solche Einstellungen sind bereits bei Bilderstellung und Filmaufnahme möglich und werden von meinem Bruder so erstellt.

Befragt von der BFV gibt der Zeuge weiters an:

Mein Bruder ist aufgrund seiner Ausbildung und seiner Erfahrung imstande, vor Ort, also am Auftragsort, Bilder und Aufnahmen herzustellen, welche in der Arrangierung und den Tonaufnahmen vor Ort ein Werk entstehen lassen, das den oben schon beschriebenen Anforderungen entspricht. Mein Bruder ist hier völlig selbstständig und eigenverantwortlich tätig.

Mein Bruder „überrascht“ auch mich mit gewissen Einstellungen und Aufnahmen, er bringt eine andere Sichtweise und Interpretation, welche Aufsehen erregt und Gefallen findet.

Zum Werkvertrag:

Dass der BF an keine feste Arbeitszeit gebunden ist, heißt, dass er außerhalb der von mir übertragenen Aufträge auch eigene Aufträge haben kann. Bei Auftragsübernahme durch mich, wird mein Bruder schon eingebunden und gefragt, ob er zu diesem Termin Zeit hat. Wenn er an diesem Tag nicht kann, kann er den Auftrag ablehnen und dieser Auftrag wird dann nicht wahrgenommen. Wegen Urlaub koordinieren wir möglichst lange im Voraus, etwa ein Jahr vorher sollte ich wissen, wann und ob er verfügbar ist, um die Aufträge annehmen zu können. Er entscheidet selbst über seine Zeiteinteilung.

Der BF hat seine eigene Fotoausrüstung zu verwenden. Wenn seine technische Ausrüstung kaputt wird, so zahlt er die Reparatur aus eigener Tasche.

Befragt von der VHL gibt der Zeuge weiters an:

Die technische Ausrüstung meines Bruders wird bei ihm zuhause aufbewahrt. Die Geräte sind nicht versichert. Die technische Ausrüstung, von der wir sprechen, passt heutzutage in einen Koffer.

Auf Vorhalt des Werkvertrages vom 2.1.2017, Punkt I. und dass hier die Postproduktion als Gegenstand des Werkes vereinbart ist:

Für die Zukunft ist auf jeden Fall vorgesehen, dass der BF die Auf- und Bearbeitung des Materials auch macht. Derzeit behalte ich diese Tätigkeit jedoch mir vor. Ich bin der Letztverantwortliche. Mein Bruder kann diese Bearbeitung natürlich auch.

Auf Vorhalt des Werkvertrages Punkt II.4.:

Mein Bruder ist auf jeden Fall berechtigt, sich durch Dritte vertreten zu lassen. Praktischerweise wird das in meiner Hand geregelt und für die Zukunft ihm überlassen.“

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Aufgrund des Aktes der belangten Behörde, der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Urkunden und dem Ergebnis der durchgeführten mündlichen Verhandlung, der Einsichtnahme in das Gewerberegister, in das Zentrale Melderegister, in die Daten der Sozialversicherung und in das Zentrale Fremdenregister des Bundesministers für Inneres wird nachstehender Sachverhalt als erwiesen festgestellt:

Der BF ist am ...1983 geboren und Staatsangehöriger von Uruguay. Der Reisepass des BF hat eine Gültigkeit bis 13.4.2026. Der BF hatte bereits einmal im Jahr 2003 einen Aufenthaltstitel.

Der BF stellte am 27.6.2016 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für den Zweck Künstler (selbstständig), welcher mit durch gegenständliche Beschwerde angefochtenem Bescheid abgewiesen wurde.

Der BF ist von Beruf Fotograf. Er übt diesen Beruf auch im Heimatland aus. Der BF verfügt über ein Diplom einer Berufsbildenden Fachhochschule aus Dezember 2006 betreffend Fotografie (in beglaubigter Übersetzung, AS 16) und hat im behördlichen Verfahren eine Bestätigung, wonach er von 2005 bis 2010 als Kameramann gearbeitet habe (in beglaubigter Übersetzung, AS 17), vorgelegt.

Die Mutter des BF ist Österreicherin. Der BF hat fünf Geschwister. Sämtliche Geschwister sind in Österreich.

Der BF verfügt als Mieter einer Wohnung in … Wien über eine Unterkunft, deren gesamte Miete von seiner Freundin entrichtet wird (Beilage ./B und ./G).

Der BF ist laut Versicherungsbestätigung der SVA Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft vom 4.7.2016 seit 1.7.2016 kranken- und unfallversichert. Die Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von monatlich Euro 142,02 werden laut Auszügen aus dem Konto der Freundin des BF von dieser an die SVA überwiesen (Beilage ./C und ./H).

Der zeugenschaftlich vernommene Bruder des BF ist seit dem Jahr 2002 in Österreich und hat „Daueraufenthalt EU“. Er ist selbstständiger Kameramann und verfügt laut Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem Austria seit 13.9.2011 über die Gewerbeberechtigung „Pressefotografen“. Gewerbestandort ist in ... Wien. Es handelt sich dabei um einen sogenannten Einmannbetrieb, wobei seit etwa zwei Monaten die Freundin geringfügig beschäftigt ist. Sie erledigt Büroarbeiten und Buchhaltung.

In der Hauptsache erstellt der Bruders des BF Hochzeitsvideos und Imagevideos, wobei entweder mit einer Kamera oder mit zwei Kameras die Aufnahmen erfolgen und im letzteren Fall derzeit die Leistung des zweiten Kameramannes zugekauft wird. Für diese Fälle wäre auch der BF vorgesehen.

Im behördlichen Verfahren wurden insgesamt drei Werkverträge vorgelegt, welchen drei gutachterliche Stellungnahmen des AMS Wien gegenüberstehen.

Der BF hat zuletzt im behördlichen Verfahren einen Werkvertrag vom 2.1.2017 vorgelegt, welcher zwischen S. B., dem Unternehmensinhaber (im Werkvertrag kurz „Auftraggeber“), und dem BF (im Werkvertrag kurz „Werknehmer“) abgeschlossen ist.

Die dazu ergangene gutachterliche Stellungnahme des AMS vom 18.1.2017 schließt weiterhin die Qualifikation als selbständige Tätigkeit aus und stützt sich dabei darauf, dass die Einräumung der Vertretungsmöglichkeit diesen Umstand nicht zu ändern vermag, ein arbeitnehmerähnliches Verhältnis im Sinn des AuslBG vorliege und zuletzt die laut Werkvertrag wahrzunehmenden Tätigkeiten keine künstlerische Tätigkeit nach dem Regulativ des AuslBG darstellten.

Als Gegenstand des Werkes und Vertragsgegenstand wird unter Punkt I. des Werkvertrages vom 2.1.2017 vereinbart: Filmen und Fotografieren bei Aufträgen, Vorbereitung der Kameraausrüstung vor Einsätzen, Postproduktion: Videoschnitt, Bildbearbeitung, Datenübertragung von Foto- und Videodateien.

Zum offenbaren Widerspruch dieses Punktes zur Aussage des Zeugen, wonach die Aufbereitung des Materials durch ihn (und nicht durch den BF) erfolge, hat der Bruder des BF angegeben, dass Punkt I. eine Regelung sei, die auf die Zukunft abziele, da der BF die Bearbeitung naturgemäß auch durchführen könne, der Bruder sich jedoch diese Tätigkeit derzeit als Letztverantwortlicher vorbehalte.

In Punkt II. des Werkvertrages vom 2.1.2017 wird vereinbart, dass der BF an keine feste Arbeitszeit gebunden und in der Zeiteinteilung völlig frei sei, er das Werk völlig selbstständig und in eigener Verantwortung durchführe, an keinen Dienstort und keine persönliche Weisung des Auftraggebers für die Erstellung des Werkes gebunden sei.

Dazu erklärte der zeugenschaftlich vernommene Bruder des BF, dass der BF selbst über seine Zeiteinteilung entscheide und außerhalb der von ihm übertragenen Aufträge auch eigene Aufträge haben könne. Der BF werde bereits bei Auftragsübernahme, welche durch den Bruder des BF erfolge, eingebunden und gefragt, ob er zu diesem Termin Zeit habe. Gegebenenfalls werde der Auftrag abgelehnt. Bezüglich Urlaub würde möglichst lange im Voraus, etwa ein Jahr vorher, koordiniert werden.

Auf die wiederholt gestellte Frage der Verhandlungsleiterin und der Beschwerdeführervertreterin, worin die selbstständige Tätigkeit und Selbstständigkeit des BF bei seiner Tätigkeit bestehe, legte sich der zeugenschaftlich vernommene Bruder wenig fest bzw. gab wie eben ausgeführt an und verwies auf den Werkvertrag vom 2.1.2017.

Unter Punkt II.3. des Werkvertrages vom 2.1.2017 wird unter anderem geregelt, dass die Beistellung der Fotoausrüstung Sache des BF sei und dieser auf eigenes wirtschaftliches und rechtliches Risiko handle.

Dazu erklärte der zeugenschaftlich vernommene Bruder des BF, dass der BF bei Auftragsausführung seine eigene Fotoausrüstung zu verwenden und auch Reparaturen aus der eigenen Tasche zu bezahlen habe. Die technische Ausrüstung des BF werde bei diesem zu Hause aufbewahrt, die Geräte seien nicht versichert und würden heutzutage in einem Koffer Platz haben.

Unter Punkt II.4. des Werkvertrages vom 2.1.2017 wird unter anderem geregelt, dass der BF berechtigt sei, sich durch Dritte vertreten zu lassen, der Bruder des BF jedoch vorab zu informieren sei.

Auf Vorhalt des Widerspruchs in der zeugenschaftlich Aussage des Bruders des BF, wonach er selber die Vertretung aus einer Reserve von 2-3 Kameraleuten auch bei unerwartetem Ausfall des BF organisiere, gab der Bruder des BF an, dass dieser Punkt regle, dass der BF auf jeden Fall berechtigt sei, sich durch Dritte vertreten zu lassen, dies aus Praktikabilitätsgründen und für den Anfang jedenfalls in seiner Verantwortung liege und er dies regle.

Unter Punkt III. des Werkvertrages vom 2.1.2017 wird unter Punkt 1. vereinbart, dass das Honorar für die vertragsgegenständliche Leistung insgesamt für die gesamte Vertragsdauer Euro 11.340 betrage und sich der BF verpflichte, vor der Auszahlung des vereinbarten Honorars eine Honorarnote beim Bruder des BF (Auftraggeber) vorzulegen. Der vereinbarte Werklohn gebühre nur für die ordnungsgemäße Leistungserbringung, gelte als Pauschalentgelt und bestünden darüber hinaus keine wie immer gearteten Entgelt- oder Vergütungsansprüche.

Zu diesem Punkt führte der zeugenschaftlich vernommene Bruder des BF aus, dass dies ein Gesamthonorar für ein Jahr darstelle und der BF eine Honorarnote zu legen habe, welche vom Bruder des BF Zug um Zug beglichen werde. Zur Höhe des Gesamthonorars gab der Bruder des BF an, dass er hier Euro 1000 monatlich als Entgelt für den BF angenommen habe und bei vier Hochzeiten im Monat mit dem BF als Assistenten der BF Euro 250 pro Hochzeit erhalten würde. Bei einer unvorhersehbaren einbrechenden Auftragslage würde der Bruder des BF wie vereinbart leisten.

Unter Punkt V. des Werkvertrages vom 2.1.2017 wird vereinbart, dass zur besseren Koordinierung durch den Bruder des BF der BF verpflichtet sei, bei Tätigkeitsunterbrechungen von mehr als drei Tagen diese frühestmöglich dem Auftraggeber anzuzeigen.

Dazu gab der Bruder des BF an, dass damit geregelt werde, dass der BF seinen Termin- und Zeitplan auf jeden Fall mit ihm abstimmen müsse. Unter den genannten Tätigkeitsunterbrechungen von mehr als drei Tagen seien mehrtägige Ausflüge, Besuche, aber auch Unfall und Krankheit zu verstehen.

Nach der zeugenschaftlichen Aussage des Bruders des BF stellt sich die Auftragsabwicklung so dar, dass in der Regel eine E-Mail Anfrage an den Bruder des BF gerichtet wird, der, wenn er selber keine Zeit hat, seinen Bruder (BF) einteilt, der dann vor Ort fährt, den Film dreht bzw. die Aufnahmen macht. Die Materialaufbereitung (Schnitt und Bearbeitung) erfolgt dann wieder durch den Bruder des BF. Die Rechnungslegung und Abrechnung erfolgt auch wiederum durch den Bruder des BF und die Zahlung bzw. Überweisung erfolgt auf dessen Konto.

Fest steht sohin, dass der Werkvertrag vom 2.1.2017 für die Dauer von zwölf Monaten ab Erteilung des Aufenthaltstitels an den BF gültig sein soll. Der BF soll in der Hauptsache Hochzeitsvideos und Imagevideos erstellen. Diese Aufträge erhält er von seinem Bruder (Unternehmensinhaber). Die Aufträge werden zwischen dem Bruder des BF und dem BF zeitlich koordiniert. Dem BF ist es erlaubt, außerhalb dieser Aufträge eigene Aufträge anzunehmen. Bei unerwarteten Terminkollisionen oder Ausfällen des BF kümmert sich der Bruder des BF um eine Vertretung, doch ist dazu auch der BF berechtigt. Der BF schuldet das Filmen und Fotografieren bei Aufträgen, die Vorbereitung der Kameraausrüstung für Einsätze und die Bearbeitung des Materials. Der BF hat mit seiner eigenen technischen Ausrüstung diese Aufträge zu bewerkstelligen, seine Ausrüstung selbst zu verwahren und für Reparaturen selbst zu zahlen. Der BF soll ein Gesamthonorar in Höhe von Euro 11.340 erhalten. Hierbei handelt es sich um ein Pauschalhonorar für ein Jahr, wobei der BF nach jedem erledigten Auftrag seinem Bruder eine Honorarnote zu legen hat; der zeitliche Leistungsumfang wird im Voraus zwischen Bruder und BF besprochen und festgelegt. Der Bruder des BF rechnet für den BF als Assistenten bei einer Hochzeit mit einem Entgelt von Euro 250. Mängel bei Auftragsausführung durch den BF sind an den Bruder des BF zu richten, der mit dem BF und dem Kunden deswegen Rücksprache hält. Die Rechnungslegung und Abrechnung erfolgt nur über den Bruder des BF. Die Zahlungen der Kunden erfolgen nur auf das Konto des Bruders des BF (Unternehmer).

Die im Zuge der mündlichen Verhandlung am 9.5.2017 vorgelegten Anfragen und Angebote beziehen sich auf Video- und Fotoaufnahmen für ein Restaurant in ... Wien mit einem Angebotspreis von Euro 1800 (./D), einen Hochzeitsfilmdreh in L. mit einem Angebotspreis von Euro 2700 (./E) und auf Film- und Fotoaufnahmen für ein künstlerisches Video mit Geige mit einem Angebotspreis von Euro 2200 (./F). Das Konvolut an Fotos (./A) zeigt Aufnahmen von Mann und Frau als Paar und werdende Familie und Aufnahmen eines Geigenspielers.

Ob der BF bereits eigene Aufträge hat bzw. hätte, wie in der mündlichen Verhandlung vom 9.5.2017 vorgelegt, oder wie vom Bruder des BF dargestellt, die eigenen Aufträge sich erst nach einer gewissen Zeit ergeben würden, war dahin zu würdigen, dass es unwahrscheinlich und nicht praktikabel erscheint, dass der BF in Uruguay Anfragen zu Aufträgen in Österreich erhält bzw. annimmt. Einzuräumen ist allerdings, dass der BF in Erwartung des positiven Ausgangs des aufenthalts- und niederlassungsrechtlichen Verfahrens auf Anfragen hin Angebote legt. Zum Schicksal von in der mündlichen Verhandlung vom 9.5.2017 vorgelegten Anfragen und Angeboten konnte die BFV keine Auskunft geben. Lebens- und praxisnah erscheint, dass solche Aufträge der Bruder des BF übernimmt bzw. übernommen hat, der von einer sehr starken Auftragslage gesprochen hat, sowie davon, dass bereits zehn Hochzeiten für 2018 weitergegeben werden mussten, da er die zahlreichen Aufträge nicht alleine bewältigen könne.

Rechtlich folgt daraus:

Vorauszuschicken ist, dass das mit BGBl. I Nr. 84/2017 am 14.7.2017 kundgemachte Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017 (FrÄG 2017), mit welcher
§ 61 NAG aufgehoben worden ist, laut einer Aussendung der Parlamentsdirektion vom 27.7.2017 aufgrund eines Formalfehlers verfassungswidrig zustande gekommen ist. Um den formalen Fehler zu beseitigen, braucht es laut dieser Aussendung eine neuerliche Gesetzesinitiative mit anschließender Beschlussfassung im Nationalrat und Bundesrat. Demnach ist das NAG in der Fassung vor dem BGBl. I Nr. 84/2017 vom 14.7.2017 anzuwenden.

Gemäß § 61 Abs. 1 NAG kann Drittstaatsangehörigen eine Aufenthaltsbewilligung als Künstler ausgestellt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen; eine Haftungserklärung ist zulässig; und

1.   (…)

2.   im Fall der Selbstständigkeit, deren Tätigkeit überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt ist, sofern ihr Unterhalt durch das Einkommen gedeckt wird, das sie aus ihrer künstlerischen Tätigkeit beziehen.

§ 47 Abs. 5 gilt sinngemäß.

Gemäß § 47 Abs. 5 NAG ist in den Fällen des Abs. 4 von der Einholung einer schriftlichen Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle oder eines Gutachtens der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice abzusehen, wenn der Antrag

1.   wegen eines Formmangels oder Fehlens einer Voraussetzung gemäß §§ 19-24 zurück- oder abzuweisen ist,

2.   wegen des Mangels einen Quotenplatz zurückzuweisen ist, oder

3.   wegen zwingender Teilungshindernisse gemäß § 11 Abs. 1 abzuweisen ist.

Erwächst die negative Entscheidung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice über die Zulassung im Fall des § 20e Absatz 1 Z 1 AuslBG in Rechtskraft, ist das Verfahren ohne weiteres einzustellen.

Gemäß § 2 Abs. 2 AuslBG gilt als Beschäftigung die Verwendung

a)   in einem Arbeitsverhältnis,

b)   in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis,

c)   (…).

Gemäß § 4 Abs. 2 AuslBG ist Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbstständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen. (…)

Der BF soll nach den getroffenen Feststellungen Aufträge von seinem Bruder nach Absprache und zeitlicher Koordinierung übernehmen. Teils soll der BF als Assistent des Bruders und Unternehmenseigners agieren und mit ihm ein Kamerateam bilden, teils soll er allein Aufträge, die er von seinem Bruder erhält, übernehmen. In der Hauptsache sind dies Filme bei und für Hochzeiten und Imagevideos.

Der Verwaltungsgerichtshof hielt in VwGH 2012/09/0082 vom 23.5.2013 (mwN) fest, dass in § 2 Abs. 2 AuslBG ein eigener Beschäftigungsbegriff - abweichend vom Sozialversicherungsrecht und Arbeitsvertragsrecht - geschaffen wurde, der vor allem den spezifischen Gegebenheiten und verschiedenen Formen, unter denen Ausländer auf dem Arbeitsmarkt tätig werden können, Rechnung trägt und damit jede Tätigkeit in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit erfasst, gleichgültig, ob es sich um ein Arbeitsverhältnis, um ein arbeitnehmerähnliches Rechtsverhältnis, um ein Ausbildungsverhältnis oder um eine sonstige bloße Tätigkeit in Österreich handelt. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausführt, ist der Begriff der Beschäftigung durch § 2 Abs. 2 AuslBG unter anderem in der Weise bestimmt, dass die Verwendung in einem Arbeitsverhältnis oder in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis als Beschäftigung gilt. Maßgebend für diese Einordnung in den genannten Beschäftigungsbegriff ist, dass die festgestellte Tätigkeit in persönlicher bzw. wirtschaftlicher Abhängigkeit des Arbeitenden ausgeübt wird. (…) Bei der Beurteilung des konkret erhobenen Sachverhaltes geht es nicht darum, dass lückenlos alle rechtlichen und faktischen Merkmale festgestellt sind, sondern darum, die vorhandenen Merkmale zu gewichten und sodann das Gesamtbild daraufhin zu bewerten, ob wirtschaftliche Unselbständigkeit vorliegt oder nicht. Das totale Fehlen des einen oder anderen Merkmales muss dabei nicht entscheidend ins Gewicht fallen. Die vorhandenen Merkmale werden in aller Regel unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Ihre Bewertung erfolgt nach einer Art 'beweglichem System', in dem das unterschiedliche Gewicht der einzelnen Tatbestandsmerkmale zueinander derart in eine Beziehung zu setzen ist, dass man berücksichtigt, dass eine Art von wechselseitiger Kompensation der einzelnen Gewichte vorgenommen wird. Das bedeutet nichts anderes, als dass das Fehlen wie auch eine schwache Ausprägung des einen oder anderen Merkmales durch ein besonders stark ausgeprägtes Vorhandensein eines anderen oder mehrerer anderer Merkmale ausgeglichen bzw. überkompensiert werden kann (vgl. z.B. VwGH vom 22. Februar 2006, Zl. 2002/09/0187).

Zur Frage, ob der BF selbständig tätig ist oder als Arbeitnehmer bzw. arbeitnehmerähnlich beschäftigt ist, ist demnach eine gewichtende Abwägung vorzunehmen.

Der BF ist aufgrund des Werkvertrages nicht verpflichtet, sich um Aufträge zu bemühen. Die Anfragen langen nach dem vom Zeugen dargestellten Prozess als Mail beim Bruder des BF ein, der Kundengespräche führt, Angebote legt, die Rechnungslegung beauftragt und die Zahlung/Überweisung entgegennimmt. Der BF ist nach den getroffenen Feststellungen berechtigt, sich vertreten zu lassen, es trifft ihn keine persönliche Arbeitspflicht. Der BF ist in seiner Zeiteinteilung weitgehend frei, die Termine werden vorab mit ihm abgesprochen, sodass der Auftrag angenommen werden kann. Der BF hat eigene Betriebsmittel zu verwenden, für diese trägt er das wirtschaftliche und rechtliche Risiko. Da der BF auch eigene Aufträge wahrnehmen kann, ist seine Tätigkeit nicht an die Aufträge des Bruders des BF alleine gebunden. Der BF hat eigene Aufträge, für welche er das Erfolgsrisiko trägt.

Dem gegenüber steht, dass das Einkommen aus eigenen Aufträgen nicht die alleinige oder überwiegende Grundlage für die wirtschaftliche Existenz darstellt. Der BF steht somit in einer wirtschaftlichen Abhängigkeit zum Bruder, wobei anzumerken ist, dass nach der vorliegenden Regelung im Werkvertrag das Honorar für ein Jahr in Höhe von Euro 11.340 auch bei schlechter bzw. nachlassender Auftragslage dem BF zu entrichten ist. Die einzige Einschränkung bezüglich des Pauschalentgeltes ist in Punkt III.1. zweiter Absatz des Werkvertrages vom 2.1.2017 vorgesehen, der den Werklohn nur für die ordnungsgemäße Leistungserbringung vorsieht. Bei mangelhafter Erfüllung eines Auftrages durch den BF wird nach der Darstellung des Zeugen nicht der BF, sondern der Bruder des BF zur Verantwortung gezogen, der dann wiederum den Kundenkontakt pflegt und mit dem BF über den Auftrag zu sprechen hat, was der Maßregelung eines Arbeitnehmers nahe kommt.

Zusammengefasst ist der BF demnach an keine feste Arbeitszeit gebunden und in seiner Zeiteinteilung weitgehend frei, er führt das Werk selbständig, jedoch nicht in eigener Verantwortung durch, da z.B. Beschwerden über die Auftragserfüllung an den Bruder und nicht an den BF gerichtet werden, jedoch vorgesehen ist, dass das Honorar nur bei ordnungsgemäßer Leistungserbringung zu zahlen ist. Von Eigenverantwortung ist jedoch dann wieder auszugehen, da der Bruder des BF glaubhaft angegeben hat, dass der BF künstlerische Einstellungen beim Filmdreh und bei Fotoaufnahmen eigenständig vor Ort bereits vornehmen kann. Der BF ist an keinen Dienstort gebunden, was in der Natur der Auftragserfüllung vor Ort liegt. Da der BF – jedenfalls für die Anfangszeit – keine Postproduktion vornimmt, ist eine Bindung an einen Dienstort ebenso nicht gegeben. Von einer völligen Weisungsfreiheit des BF kann nicht ausgegangen werden, da der BF seinen Zeit- und Terminplan mit seinem Bruder und Auftraggeber koordinieren und ggf. Maßregelungen in Zusammenhang mit Aufträgen hinnehmen muss, was auch in Punkt II.2. des Werkvertrages vom 2.1.2017 zum Ausdruck kommt. Der Bruder des BF ging bei der Veranschlagung des Gesamthonorars von vier Hochzeiten pro Monat aus, womit eine gewisse Regelmäßigkeit der Arbeitsleistung einhergeht. Der BF ist – da eigene Aufträge (noch) nicht die große Rolle spielen – auf die Entlohnung durch den Bruder des BF angewiesen, wobei ihm das Entgelt nach der Regelung des Werkvertrages auch bei schlechter Auftragslage zusteht. Der BF erfüllt Aufträge für seinen Bruder, diesem fließt der wirtschaftliche Erfolg zu, welche zuletzt genannten Aspekte für eine arbeitnehmerähnliche Stellung sprechen.

Bei der Gewichtung im Sinn der oben zitierten Rechtsprechung kommt dem Übergeben eines Auftrages an den BF zur selbständigen Erstellung und Bearbeitung großes Gewicht zu, da der Zeuge betont hat, dass vorrangiges Ziel ist, die Aufträge zu erfüllen. Nach Erfüllen des Auftrages erhält der BF nach Vorlage eines Honorars den Werklohn, welcher im Vorhinein mit dem Bruder und Auftraggeber festgelegt wird, da das zeitliche Ausmaß festgelegt wird. Das Honorar steht nur bei ordnungsgemäßer Leistungserbringung zu, womit der BF das wirtschaftliche Risiko trägt. Der BF hat mit eigenen Betriebsmitteln den Erfolg herzustellen und trägt für seine technische Ausrüstung die rechtliche und wirtschaftliche Verantwortung. Der BF hat das Recht, sich vertreten zu lassen, womit keine persönliche Arbeitspflicht besteht, sondern die Werkerstellung im Mittelpunkt steht.

Die Gewichtung ergibt sohin das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit des BF als Werknehmer.

§ 61 Abs. 1 Z 2 NAG verlangt weiters, dass die Tätigkeit überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt ist.

In der gutachterlichen Stellungnahme des AMS Wien vom 18.1.2017 wurde festgehalten, dass die laut Werkvertrag wahrzunehmenden Tätigkeiten keine künstlerische Tätigkeit nach dem Regulativ des AuslBG darstellen.

Nach der Judikatur bedarf es zur Beurteilung, ob eine künstlerische Tätigkeit überhaupt vorliegt, weder der Erbringung eines Qualitäts- noch eines Ausbildungsnachweises (vgl. VwGH 21.10.1998, 96/09/0294). Eine solche Tätigkeit unterliegt auch nicht dem Werturteil der Behörde (VwGH 9.10.2006, 2005/09/0094).

Der BF hat im behördlichen Verfahren mit einem Diplom den Abschluss einer berufsbildenden Fachhochschule aus dem Bereich Fotografie sowie mit einer Bestätigung Berufserfahrung als Kameramann nachgewiesen. Im Verfahren wurden Fotoaufnahmen (Konvolut Blg./A) vorgelegt.

Zum Tatbestandsmerkmal der überwiegend künstlerischen Gestaltung wird auf die im Verfahren beigebrachten Unterlagen verwiesen, womit unter Beachtung der zitierten Judikatur nach Ansicht des Gerichtes die überwiegend künstlerische Gestaltung glaubhaft gemacht wurde und dieses Tatbestandsmerkmal als erfüllt anzusehen ist. Des Weiteren hat der BF durch die Übernahme der Aufträge von seinem Bruder und die vorgelegten eigenen Angebote dargelegt, dass durch dieses Einkommen sein Unterhalt gedeckt wird (vgl. VwGH 8.8.2009, 2008/22/0639 zum Einkommen aus künstlerischer Tätigkeit).

Den in den gutachterlichen Stellungnahmen des AMS geäußerten Bedenken war nach den Ergebnissen der durchgeführten mündlichen Verhandlung und den im Beschwerdeverfahren vorgelegten Urkunden letztlich nicht zu folgen. Der BF hat mit dem zuletzt vorgelegten Werkvertrag vom 2.1.2017, der unbestritten den Parteiwillen abbildet, ein befristetes Vertragsverhältnis und die Möglichkeit der Vertretung hinsichtlich der zu erbringenden Leistungen nachgewiesen sowie nach der oben zitierten Judikatur des VwGH eine (überwiegend) künstlerische Tätigkeit glaubhaft gemacht.

Die Voraussetzungen des ersten Teiles des NAG sind nach den getroffenen Feststellungen erfüllt und Versagungs- oder Hinderungsgründe sind im Verfahren nicht zu Tage getreten. Die im § 61 Abs. 1 Z 2 NAG normierten Voraussetzungen sind ebenso erfüllt, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

Die Dauer des erteilten Aufenthaltstitels gründet auf § 20 Abs. 1 NAG.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Beschäftigungsbegriff, Werkvertrag, Dienstvertrag, wirtschaftliche Abhängigkeit, künstlerische Tätigkeit

Anmerkung

VwGH v. 28.1.2021, Ra 2017/22/0225; Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.151.074.4482.2017

Zuletzt aktualisiert am

05.03.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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