Entscheidungsdatum
10.11.2017Index
L72009 Beschaffung Vergabe WienNorm
WVRG 2014 §18Text
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Dr.in Lettner als Vorsitzende, den Richter Dr. Oppel und die Richterin Mag.a Mandl über die Anträge der G. GmbH & Co KG, vertreten durch Rechtsanwälte, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen den Ablauf der Frist für den Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung betreffend das Vergabeverfahren "USV-Anlagen für den 5 Jahresbedarf der Wiener Linien" (Verfahren B68 – Elektro- und Maschinentechnik), auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen den Ablauf der Frist für die den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung betreffend das gegenständliche Nachprüfungsverfahren und auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung betreffend das Vergabeverfahren "USV-Anlagen für den 5 Jahresbedarf der Wiener Linien“ der Wiener Linien GmbH & Co KG, vertreten durch Rechtsanwälte GmbH, den
BESCHLUSS
gefasst:
I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen den Ablauf der Frist für den Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung betreffend das Vergabeverfahren "USV-Anlagen für den 5 Jahresbedarf der Wiener Linien" wird gemäß § 18 WVRG abgewiesen.
II. Das Verfahren betreffend den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen den Ablauf der Frist für den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung wird wegen Gegenstandslosigkeit eingestellt.
III. Der Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung betreffend das Vergabeverfahren "USV-Anlagen für den 5 Jahresbedarf der Wiener Linien“ wird gemäß § 24 Abs. 1 WVRG als verspätet zurückgewiesen.
IV. Der Antragstellerin werden € 4.683,00 an zu viel entrichteter Pauschalgebühr vom Verwaltungsgericht rückerstattet. Im Übrigen hat die Antragstellerin die von ihr entrichtete Pauschalgebühr selbst zu tragen.
V. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
Begründung
Bisheriger Verfahrensgang und entscheidungswesentlicher Sachverhalt:
Die Wiener Linien GmbH & Co KG (im Folgenden: Antragsgegnerin) ist Sektorenauftraggeberin und führt ein offenes Verfahren zur Vergabe eines Auftrages nach dem Bestbieterprinzip. Der Auftrag wurde in der Ausschreibung als Bauauftrag im Oberschwellenbereich bezeichnet. Der geschätzte Auftragswert beträgt € 3.800.000. Leistungsgegenstand ist die Lieferung und Montage von unterbrechungsfreien Stromversorgungsanlagen für U-Bahn und diverse Dienststellen für den 5-Jahresbedarf der Antragsgegnerin.
Die Antragstellerin und die S. GmbH (im Folgenden: präsumtive Zuschlagsempfängerin) haben in diesem Vergabeverfahren jeweils ein Angebot abgegeben.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin am 9.10.2017 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag der präsumtiven Zuschlagsempfängerin zu erteilen (Zuschlagsentscheidung). In dieser Zuschlagsentscheidung hat die Antragsgegnerin die Angebotspreise der Antragstellerin und der präsumtiven Zuschlagsempfängerin sowie die von diesen beiden Bietern jeweils erzielten Punkte im Zuschlagskriterium Preis sowie in den einzelnen Subkriterien betreffend die Qualität bekannt gegeben. Weiters hat die Antragsgegnerin das Ende der Stillhaltefrist mit 20.10.2017 angegeben.
Die zunächst noch nicht rechtsfreundlich vertretene Antragstellerin hat daraufhin der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 12.10.2017 mitgeteilt, dass ihrer Ansicht nach das Angebot der präsumtiven Zuschlagsempfängerin nicht ausschreibungskonform sein könne, und ersucht, die Antragsgegnerin möge die Zuschlagsentscheidung überprüfen. Die Antragsgegnerin hat auf dieses Schreiben innerhalb der Frist für einen etwaigen Nachprüfungsantrag nicht geantwortet.
Am 20.10.2017 nahm die Antragstellerin rechtsfreundliche Unterstützung in Anspruch. Die Antragstellerin ging dabei davon aus, dass es sich beim 20.10.2017 um den letzten Tag der Frist für die Einbringung eines Nachprüfungsantrages handeln würde.
Ebenfalls am 20.10.2017 brachte die Antragstellerin durch ihre nunmehrige rechtsfreundliche Vertretung einen Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung und einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ein. Dabei ging die Antragstellerin davon aus, dass ein Lieferauftrag im Oberschwellenbereich vorliege und der geschätzte Auftragswert mehr als das Zwanzigfache des Schwellenwertes betrage. Die Pauschalgebühr wurde – nach erfolgter Nachreichung einer durch einen Additionsfehler aufgetretenen Divergenz von € 18,00 – für ein diesen Angaben entsprechendes Nachprüfungsverfahren zuzüglich Verfahren auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung entrichtet.
Das Verwaltungsgericht hielt der Antragstellerin mit Schreiben vom 25.10.2017 vor, dass die Antragsfrist je nachdem, ob der Auftrag im Oberschwellenbereich oder im Unterschwellenbereich liegt, am 19.10.2017 oder bereits am 16.10.2017 endete und daher in beiden Fällen verspätet erscheint.
Die Antragstellerin stellte daraufhin mit Schreiben vom 30.10.2017 Anträge auf Wiedereinsetzung gegen den Ablauf der Fristen für den Nachprüfungsantrag und für den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung und begründete diese im Wesentlichen damit, dass sie auf Grund der Angaben der Antragsgegnerin zur Stillhaltefrist den 20.10.2017 für den letzten Tag der Frist gehalten, zunächst die Antragsgegnerin um nähere Begründung bzw. Überprüfung der Zuschlagsentscheidung ersucht und erst am vermeintlich letzten Tag der Antragsfrist rechtsfreundliche Unterstützung in Anspruch genommen habe. Bis zum 20.10.2017 sei die Antragstellerin nicht rechtsfreundlich vertreten gewesen.
Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 31.10.2017 die einstweilige Verfügung erlassen und für die Dauer des Verfahrens betreffend den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumnis der Frist für den Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung und für die Dauer eines gegebenenfalls an eine solche Wiedereinsetzung anschließenden Nachprüfungsverfahrens die Erteilung des Zuschlags untersagt.
Die Antragsgegnerin nahm zu den Wiedereinsetzungsanträgen der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 2.11.2017 im Wesentlichen dahingehend Stellung, dass eine falsche Belehrung über das Ende der Stillhaltefrist an sich noch keinen Wiedereinsetzungsgrund darstelle und die Entscheidung des BVA vom 13.6.2007, N/0046-BVA/02/2007-041, für den Anlassfall nicht einschlägig sei, weil die Entscheidung des BVA den Sonderfall eines Auslandsaufenthaltes des federführend Tätigen zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung betroffen habe, der auf den Anlassfall nicht übertragbar sei.
Die Antragstellerin wies mit Schriftsatz vom 3.11.2017 insbesondere darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung der Zweck der Stillhaltefrist in der Anfechtung der Zuschlagsentscheidung liege (VwGH 24.5.2006, 2006/04/0054) und ein Antragsteller davon ausgehen dürfe, eine Zuschlagsentscheidung innerhalb der bekanntgegebenen Stillhaltefrist anfechten zu können (BVA 13.6.2007, N/0046-BVA/02/2007-041).
Das Verwaltungsgericht hat erwogen:
§ 24 WVRG lautet auszugsweise:
„Antragsfristen
§ 24. (1) Anträge auf Nichtigerklärung einer gesondert anfechtbaren Entscheidung sind bei einer Übermittlung der Entscheidung auf elektronischem Weg oder mittels Telefax sowie bei einer Bekanntmachung der Entscheidung binnen zehn Tagen einzubringen, bei einer Übermittlung auf brieflichem Weg binnen 15 Tagen. Die Frist beginnt mit der Absendung der Entscheidung bzw. mit der erstmaligen Verfügbarkeit der Bekanntmachung.
(2) Bei der Durchführung eines Vergabeverfahrens im Unterschwellenbereich verkürzt sich die Frist auf sieben Tage.
(…)“
§ 18 WVRG lautet:
„Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
§ 18. (1) Wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat – eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.
(3) Über den Antrag hat das Verwaltungsgericht Wien mit Beschluss zu entscheiden.
(4) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.
(5) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags findet keine Wiedereinsetzung statt.“
Die Antragsgegnerin hat den zu vergebenden Auftrag als Bauauftrag im Oberschwellenbereich eingestuft und als solchen bekannt gemacht. Der Auftrag besteht in der Lieferung und Montage von unterbrechungsfreien Stromversorgungsanlagen und enthält daher sowohl eine Liefer- als auch eine Baukomponente. Der Einstufung als Bauauftrag ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes nicht entgegen zu treten.
Als Bauauftrag liegt der Auftrag im Hinblick auf den geschätzten Auftragswert an sich im Unterschwellenbereich, die Antragsgegnerin hat das Vergabeverfahren jedoch als solches im Oberschwellenbereich bekannt gemacht. Zu einer ähnlichen Problematik – ein zu Unrecht im Unterschwellenbereich geführtes Vergabeverfahren – führen die EBRV zum geplanten BVergG 2017 Folgendes aus:
„Die Notwendigkeit der Vereinheitlichung der Fristen im Ober- und Unterschwellenbereich wurde insbesondere vor dem Hintergrund einer Entscheidung des UVS Tirol vom 14. März 2013 (UVS?2012/K4/2499-12) notwendig: Die Entscheidung betraf einen Fall, in dem unzulässiger Weise ein Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich durchgeführt wurde (Direktvergabe), obwohl offensichtlich ein Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich durchzuführen gewesen wäre. Dennoch galten nach Auffassung der Nachprüfungsinstanz die (verkürzten) Fristen für ein Verfahren im Unterschwellenbereich, da sich nach Auffassung des UVS die Fristen alleine danach richten würden, welches Verfahren tatsächlich gewählt wurde. Da dies nach Auffassung der Kommission jedoch einen Verstoß gegen die RMRL bedeutet (Verstoß gegen Art. 2c der RMRL, der eine Mindestfrist von 10 Tagen vorsieht), wurden die Fristen für die Einbringung eines Nachprüfungsantrages vereinheitlicht (und folglich auch die Stillhaltefristen im materiellen Teil angepasst).“
Für den hier vorliegenden Fall eines im Oberschwellenbereich bekannt gemachten, tatsächlich aber im Unterschwellenbereich liegenden Auftrages kann nach Ansicht des Senates dahingestellt bleiben, ob für den Nachprüfungsantrag die siebentägige Frist für Nachprüfungsanträge im Unterschwellenbereich oder die zehntägige Frist für Nachprüfungsanträge im Oberschwellenbereich gilt, weil der Nachprüfungsantrag auch bei Zugrundelegung der längeren Frist nicht rechtzeitig eingebracht worden ist. Geht man zu Gunsten der Antragstellerin von der längeren, zehntägigen Frist für den Oberschwellenbereich aus, so endete die Frist am 19.10.2017. Beim 19.10.2017 handelte es sich um einen Donnerstag und Werktag. Der erst am 20.10.2017 eingebrachte Nachprüfungsantrag war daher verspätet. Die Verspätung des Nachprüfungsantrages wurde auch von der Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 3.11.2017 nicht bestritten.
Wenn die Antragstellerin ihren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen den Ablauf der Fristen betreffend ihre Anträge auf Nichtigerklärung und auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ausdrücklich auf § 71 AVG stützt, so ist ihr zunächst entgegen zu halten, dass gemäß § 3 Abs. 3 WVRG der vierte Teil des AVG im Wiener Vergaberechtsschutz nicht gilt. Da sich § 71 AVG im vierten Teil des AVG befindet, gilt er im Wiener Vergaberechtsschutz nicht. Der Senat hat den Antrag jedoch stattdessen als Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 18 WVRG gewertet. Die Voraussetzungen des § 18 WVRG für die Bewilligung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechen inhaltlich den Voraussetzungen des § 71 AVG, ohne dass ein für den Anlassfall relevanter rechtlicher Unterschied besteht.
Wenn die Antragstellerin auf den Bescheid des Bundesvergabeamtes vom 13.6.2007, N/0046-BVA/02/2007-041, verweist, so ist der Antragstellerin zunächst entgegen zu halten, dass das Bundesvergabeamt in diesem Bescheid von fallspezifischen Voraussetzungen ausgegangen ist. Der Entscheidung des Bundesvergabeamts lag ein Anlassfall zu Grunde, bei dem sich der federführend Tätige zum Zeitpunkt der Zuschlagsentscheidung im Ausland befand, erst zehn Tage nach Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung zurückkehrte, und der zuständige Mitarbeiter im Büro aufgrund der Angaben des Auftraggebers keinen Anlass hatte, den federführend Tätigen während seines Auslandsaufenthaltes wegen einer allfälligen Anfechtung zu kontaktieren, da nach den Angaben des Auftraggebers dafür auch nach Rückkehr noch ausreichend Zeit zur Verfügung stehen werde. Ein über diesen Anlassfall hinausreichender Rechtssatz dahingehend, dass die falsche Angabe der Stillhaltefrist generell einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen würde, kann nach Ansicht des Senates aus dem angeführten Bescheid nicht abgeleitet werden.
Die Antragstellerin hat die Frist für den Nachprüfungsantrag gegenständlich auf Grund eines Rechtsirrtums versäumt. Der Rechtsirrtum lag darin, dass die Antragstellerin auf Grund der unzutreffenden Angabe der Antragsgegnerin in der Zuschlagsentscheidung, dass die Stillhaltefrist am 20.10.2017 enden würde, irrtümlich davon ausging, dass die Frist für den Nachprüfungsantrag gegen die ihr am 9.10.2017 zugestellte Zuschlagsentscheidung am 20.10.2017 enden würde. Ein Rechtsirrtum stellt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur in Ausnahmefällen ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dar, das die Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bilden könnte (VwGH 25.4.2017, Ra 2016/16/0094) Im Zweifel trifft die Partei die Obliegenheit, geeignete Erkundigungen einzuholen (vgl. VwGH 25.4.2014, 2013/21/0240).
Hinzu kommt, dass sich Parteien nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf Auskünfte von Behörden nicht ungeprüft verlassen dürfen. Dazu führen Hengstschläger/Leeb, AVG, § 71, Rz 71, Folgendes aus:
„Ist der Rechtsirrtum darauf zurückzuführen, dass der Partei von Seiten der Behörde eine unrichtige Auskunft erteilt wurde, liegt bei einer darauf beruhenden Säumnis kein minderer Grad des Versehens vor, weil behördliche Auskünfte, Zusagen und dergleichen mangels einer gesetzlich angeordneten bindenden Wirkung die Missachtung zwingender gesetzlicher Regelungen nicht zu rechtfertigen vermögen (VwGH 10.6.1991, 90/15/0115; 16.11.2005, 2004/08/0021; VwGH 1.2.1990, 89/12/0113). (…)“
Weiters führen die zit. Autoren aus (aaO Rz 70):
„Eine bloß leichte Fahrlässigkeit, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu rechtfertigen vermag, wird nur in besonderen Ausnahmefällen angenommen werden können. Ein solcher Ausnahmefall liegt beispielsweise dann vor, wenn die Antwort auf die Rechtsfrage, in welchem Zeitpunkt die (versäumte) verfahrensgegenständliche Frist tatsächlich zu laufen begonnen hat, weder unmittelbar dem Gesetz entnommen werden konnte, noch Lehre oder Rechtsprechung zu dieser Frage zur Verfügung standen. Es kann der rechtskundigen Partei (dem rechtskundigen Parteienvertreter) nicht grobe Sorgfaltswidrigkeit vorgeworfen werden, wenn sie (er) nicht von selbst zu der nachträglich vom VwGH aufgrund diffizile rechtliche Erwägungen judizierten Rechtsansicht gelangt ist (VwGH 17.6.1999, 99/20/0253).“
Diese höchstgerichtliche Rechtsprechung ist nach Ansicht des Senates auf Wiedereinsetzungsanträge im Vergabeverfahren wegen unrichtiger Angabe der Stillhaltefrist sinngemäß zu übertragen. Es trifft zwar zu, dass ein öffentlicher Auftraggeber bzw. im Anlassfall ein Sektorenauftraggeber keine Behörde ist und insoweit definitionsgemäß eine unrichtige Auskunft durch eine Behörde nicht vorliegen kann. Aus der Tatsache, dass ein Sektorenauftraggeber keine Behörde ist, kann nach Ansicht des Senates jedoch nicht geschlossen werden, dass sich ein Bieter auf Angaben des Auftraggebers zur Stillhaltefrist ungeprüft verlassen könne. Den Bieter trifft vielmehr eine vergleichbare Obliegenheit, die Richtigkeit der Angaben des Auftraggebers zur Stillhaltefrist zu prüfen, wie die Verfahrenspartei die Obliegenheit trifft, die Richtigkeit von Behördenangaben zu prüfen.
Hinzu kommt, dass Unternehmern, die sich an Vergabeverfahren beteiligen, als Professionisten und Sachverständige im Sinne des § 1299 ABGB zuzumuten ist, dass sie über die für die Beteiligung an Vergabeverfahren erforderlichen Grundkenntnisse verfügen. Die Antragstellerin hätte daher grundsätzlich in der Lage sein müssen, die Frist für den Nachprüfungsantrag – ausgehend von einer Frist im Oberschwellenbereich – selbst zu beurteilen. Sachverhaltsumstände, die mit dem vom Bundesvergabeamt im zit. Bescheid vom 13.6.2007, N/0046-BVA/02/2007-041, vergleichbar wären, wurden gegenständlich nicht vorgebracht und konnten daher auch nicht festgestellt werden.
Die Fristen für Nichtigerklärungsanträge sind im § 24 WVRG ausdrücklich angeführt. Das Datum der Übermittlung der Zuschlagsentscheidung war für die Antragstellerin offenkundig.
Dass die Angabe der Stillhaltefrist durch die Antragsgegnerin falsch war, war somit nach Ansicht des Senates offenkundig. Dass die Stillhaltefrist unter der für die Antragstellerin günstigeren Annahme des Oberschwellenbereiches bei der im Anlassfall erfolgten Übermittlung der Zuschlagsentscheidung mittels Telefax zehn Tage beträgt, war dem § 273 Abs. 1 BVergG zu entnehmen. Dass in diesem Fall die Frist am 9.10.2017 zu laufen begonnen und daher am Donnerstag, den 19.10.2017 geendet hat, war dem Kalender zu entnehmen. Wenn sich die Antragstellerin somit auf die erkennbar falsche Angabe der Stillhaltefrist verlassen hat, so überschreitet das nach Ansicht des Senates das Ausmaß eines minderen Grad des Versehens.
Wenn die Antragstellerin vorbringt, dass sie sich auf die – unrichtige – Angabe der Stillhaltefrist durch die Antragsgegnerin verlassen und erst am 20.10.2017 (am vermeintlich letzten Tag der Stillhalte- und Antragsfrist) rechtsfreundliche Unterstützung in Anspruch genommen habe, so vermag die Antragstellerin auch damit nicht glaubhaft zu machen, dass sie an der Versäumnis der Frist für den Nichtigerklärungsantrag nur leichte Fahrlässigkeit treffe. Zum einen hätte die Antragstellerin nämlich selbst durch simples Nachlesen des Gesetzestextes und Nachschau im Kalender feststellen können, dass die Antragsfrist bereits am 19.10.2017 endet, und zum anderen hätte die Antragstellerin bei allfälligen Unklarheiten rechtzeitig rechtsfreundliche Unterstützung in Anspruch nehmen können. In beiden Fällen kann davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin in der Lage gewesen wäre, die Antragsfrist einzuhalten. Einer Wertung der Vorgangsweise, die die Antragstellerin gegenständlich eingeschlagen hat, als minderer Grad des Versehens steht die oben angeführte ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegen, dass sich die Partei auf falsche Auskünfte – und somit auch falsche Angaben – der Behörde und somit auch der Auftraggeberin nicht verlassen darf, wenn sie die Richtigkeit einer solchen Angabe durch simples Nachschlagen im Gesetzestext und im Kalender nachprüfen kann.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch die von der Antragstellerin ausgeführte Gleichsetzung von Stillhaltefrist und Antragsfrist unzutreffend ist, zumal es sich um jeweils rechtlich unterschiedliche Fristen handelt, welche auch unterschiedlich gerechnet und unterschiedlich gewahrt werden. Darüber hinaus fällt die Regelung der Anfechtungsfrist in die Zuständigkeit des Wiener Landesgesetzgebers, die Regelung der Stillhaltefrist hingegen in die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers, woraus sich die Möglichkeit von weiteren Unterschieden zwischen diesen beiden Fristen ergibt. Aus diesen Unterschieden wird sichtbar, dass die Antragsfristen mit den Stillhaltefristen nicht gleichzusetzen sind.
Auf etwaige Anforderungen im Zusammenhang mit der Wahrung von Antragsfristen, die sich allenfalls aus den Rechtsmittelrichtlinien und damit verbunden der EU-konformen Auslegung ihrer Umsetzung ergeben könnten, war bereits deswegen nicht einzugehen, weil das gegenständliche Nachprüfungsverfahren nicht in den Anwendungsbereich der Rechtsmittelrichtlinien fällt. Die Anwendung der Sektorenrechtsmittel-Richtlinie (Richtlinie 92/13/EWG idgF) setzt nämlich gemäß deren Art 1 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 15 der Sektoren-Richtlinie (Richtlinie 2014/25/EU) im Fall eines Bauauftrages einen Auftragswert von mehr als 5.186.000,00 € voraus. Ein Bauauftrag mit einem Auftragswert von 3.800.000 € fällt nicht in den Anwendungsbereich der genannten Richtlinien. Daran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass die Antragsgegnerin den Auftrag in ihrer Ausschreibung als Bauauftrag im Oberschwellenbereich bezeichnet hat.
Die Antragstellerin traf daher an der Versäumnis der Frist für den Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung ein über einen minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden, weshalb der Antrag auf Wiedereinsetzung spruchgemäß abzuweisen war.
Die Frist für den Nachprüfungsantrag endete selbst dann, wenn man der Antragstellerin die Ausschreibung als Bauauftrag im Oberschwellenbereich zu Gute halten sollte, bereits vor Einbringung ihres Antrages auf Nichtigerklärung, und zwar gemäß § 24 Abs. 1 WVRG nach Ablauf von zehn Tagen am 19.10.2017. Ihr erst am 20.10.2017 übermittelter und eingebrachter Antrag auf Nichtigerklärung war daher jedenfalls verspätet und nach Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumnis dieser Frist spruchgemäß zurückzuweisen.
Zum Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumnis der Frist für den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ist auszuführen, dass die einstweilige Verfügung erlassen wurde, um der Antragstellerin während des Laufes des Verfahrens insbesondere über ihre Anträge auf Wiedereinsetzung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren. Den provisorischen Rechtsschutz hat die Antragstellerin damit konsumiert und die einstweilige Verfügung tritt mit dem gegenständlichen Beschluss außer Kraft. Der Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumnis der Frist für den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ist somit gegenstandslos.
Zum Eventualantrag, das Nachprüfungsverfahren als Feststellungsverfahren fortzusetzen und festzustellen, dass der Zuschlag nicht gemäß den Angaben in der Ausschreibung dem Angebot mit dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot erteilt wurde, ist auszuführen, dass das Verwaltungsgericht mit einstweiliger Verfügung die Erteilung des Zuschlages bis zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist für den Nachprüfungsantrag sowie bis zum Abschluss des Nachprüfungsverfahrens untersagt hat, der Zuschlag bei Erlassung dieses Beschlusses noch nicht erteilt sein kann und ein Feststellungsverfahren daher unzulässig ist. Der Eventualantrag ist daher mangels erfolgter Zuschlagserteilung unzulässig.
Gemäß § 11 Abs. 2 WVRG kann die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter anderem dann entfallen, wenn der verfahrenseinleitende Antrag zurückzuweisen ist (§ 11 Abs. 2 Z 1 WVRG) oder das Verwaltungsgericht einen sonstigen verfahrensrechtlichen Beschluss zu erlassen hat (§ 11 Abs. 2 Z 3 WVRG). Die Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumnis der Frist für den Nachprüfungsantrag war ein sonstiger verfahrensrechtlicher Beschluss im Sinne des § 11 Abs. 2 Z 3 WVRG, die Zurückweisung des Nachprüfungsantrages ein Beschluss im Sinne des § 11 Abs. 2 Z 1 WVRG. Die übrigen Spruchpunkte waren sonstige verfahrensrechtliche Beschlüsse im Sinne des § 11 Abs. 2 Z 3 WVRG. Der Sachverhalt konnte bereits auf Grund des Parteivorbringens ausreichend beurteilt werden, wobei sich sowohl die Verspätung des Nachprüfungsantrages als auch das Fehlen eines rechtlich ausreichenden Wiedereinsetzungsgrundes bereits aus dem Vorbringen der Antragstellerin ergab. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte daher abgesehen werden.
Bei den Pauschalgebühren wurde davon ausgegangen, dass ein Bauauftrag mit einem geschätzten Auftragswert von € 3.800.000,00 objektiv im Unterschwellenbereich liegt. Es kamen daher die Gebührensätze für einen Bauauftrag im Unterschwellenbereich zur Anwendung. Die Antragstellerin ist bei der Entrichtung der Pauschalgebühren von einem Lieferauftrag im Oberschwellenbereich ausgegangen, der das Zwanzigfache des Schwellenwertes überschreitet. Die Annahme der Antragstellerin, dass der Auftrag als Lieferauftrag im Oberschwellenbereich zu werten sei und das Zwanzigfache des Schwellenwertes überschreite, hat sich nach Vorlage des Vergabeaktes durch die Antragsgegnerin als unzutreffend erwiesen. Die damit von der Antragstellerin offenbar aus advokatischer Vorsicht erfolgte Überzahlung der Pauschalgebühren ist daher spruchgemäß vom Verwaltungsgericht rückzuerstatten. Im Übrigen war die Antragstellerin mit ihren Anträgen nicht erfolgreich, weshalb sie die Pauschalgebühren, soweit keine Überzahlung vorliegt, selbst zu tragen hat.
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Wiedereinsetzungsgrund, Rechtsirrtum, Vorwerfbarkeit, GlaubhaftmachungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.123.077.14327.2017Zuletzt aktualisiert am
21.11.2017