TE Bvwg Beschluss 2017/11/8 W142 2150335-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.11.2017
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Entscheidungsdatum

08.11.2017

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W142 2150335-1/8E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.01.2017, Zl. 1072080505-150614478, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG idgF behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein Staatsangehöriger von Somalia, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 05.06.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 04.06.2015 fand vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF im Beisein eines Dolmetschers für die somalische Sprache statt. Dort gab der BF zu den Gründen seiner Ausreise wie folgt an: "Ich wollte das Land nicht verlassen. Der Staat Somalia hatte mich wegen der Ausbildung in die Türkei gebracht. Und eines Tages war ich in der Türkei in einer Bibliothek und wollte heilige Bücher kaufen. Die anderen Somalier haben mich dabei gesehen und haben geglaubt, ich bin vom Islam ausgetreten und haben die Bücher zerrissen. Meine Frau wurde mit Steinen in Somalia beworfen und sie haben sie rausgeworfen. Jetzt weiß ich nicht wo sie ist und deshalb bin ich geflüchtet. Sonst gibt es keine weiteren Fluchtgründe."

3. Bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, am 14.12.2016, brachte der BF wie folgt vor (Schreibfehler korrigiert):

"[ ] LA: Können Sie irgendwelche Dokumente vorlegen?

VP: Ja.

Kopie von einer Deutschkursteilnahme und Kopien von Fotos, die aus dem Internet ausgedruckt wurden, werden dem Akt beigelegt.

[ ]

LA: Welche Schulbildung / Ausbildung haben Sie?

VP: Ich war 8 Jahre in der Schule.

LA: Was haben Sie in Ihrer Heimat gemacht, wovon lebten Sie?

VP: Bevor ich ein Soldat wurde, war ich Fischer. Ich bin mit dem Boot gefahren und habe gefischt. Ich bin mit einem Onkel auf seinem Boot mitgefahren.

LA: Wann wurden Sie Soldat?

VP: Im Jahr 2007. Da wurde ich ein Jahr ausgebildet und dann ist die Regierung besiegt worden und ich wurde Fischer. Anfang 2009 begann ich wieder als Soldat zu arbeiten. 2007 wurde ich nur als Soldat ausgebildet.

LA: Was haben Sie dort genau gemacht?

VP: Weil ich gegen die terroristischen Gruppen bin, wollte ich gegen sie kämpfen, sie sind unsere Feinde. Deshalb wurde ich Soldat. Es ist ein Krieg dort ausgebrochen und die Regierung wurde gestürzt, deshalb wurde ich Fischer.

Frage wird wiederholt.

VP: Ich bin von Kismaayo nach Mogadischu gezogen und dort existierte die Regierung noch. Dort wurde ich Soldat. [ ]

VP: Ich wollte meine Heimat nicht verlassen. Ich war wegen meiner Ausbildung in der Türkei. Ich war interessiert an anderen Religionen. Ich habe mich auch schon in Somalia für andere Religionen interessiert. Ich bin sunnitischer Moslem, aber ich wollte die Unterschiede kennenlernen. In Somalia gab es ausländische Soldaten aus Kenia, Äthiopien, Uganda Dschibuti und Burundi. Ich habe mich mit ihnen unterhalten, die meisten waren Christen. Ich habe sie in einem Zimmer besucht, das sie wie eine Kirche behandelten. Ich bin dorthin gekommen. In der Türkei dachte ich, dass ich mehr lesen kann über die anderen Religionen in somalischer Sprache. Ein Freund, der auch interessiert war an anderen Religionen, mit dem bin ich gemeinsam in eine Bibliothek gegangen. Dann haben wir uns dort zwei Bücher gekauft. Mit den Büchern sind wir in unser Militärlager in Istanbul gegangen. Wir haben gelesen in unserer Freizeit. Die Bücher waren auf Englisch und Türkisch geschrieben. Wir haben im selben Zimmer gewohnt. Dann sind somalische Soldaten in unser Zimmer gekommen, einer von den Soldaten hat das Buch gesehen, auf dem Bibel steht. Er hat es gesehen und er hat gleich gefragt, warum die Bücher da waren und hat das Buch aus dem Fenster geworfen. Das zweite Buch wollte er auch wegwerfen, aber mein Freund und ich haben das Buch gehalten. Er hat ein Blatt heraus gerissen.

LA: Wie viele Soldaten waren das?

VP: Zwei Soldaten.

LA: Was war dann?

VP: Dann sind die zwei gegangen. Sie sind zu den anderen somalischen Soldaten gegangen und haben den anderen somalischen Soldaten das herausgerissene Blatt gezeigt. Dann sind die anderen Soldaten böse zu uns gekommen. Dann haben sie uns mit den Fäusten geschlagen. Sie haben uns so geschlagen, dass wir auf den Boden gefallen sind. Die Oberlippe meines Freundes wurde verletzt und ich auf der Wange.

LA: War der Freund auch Soldat?

VP: Ja.

LA: Was war dann?

VP: Die türkischen Soldaten sind gekommen und haben uns getrennt. Wir sind nicht ins Spital gegangen.

LA: Woher wussten die türkischen Soldaten von der Auseinandersetzung?

VP: Es gibt dort Wächter, die schauen, ob man im Zimmer raucht und ob man Alkohol im Lager trinkt. Die haben geschaut, dass Ordnung im Lager herrscht.

LA: Sie wollen mir sagen, dass die somalischen Soldaten, von türkischen Soldaten bewacht wurden?

VP: Ja. Einige waren die Trainer.

LA: Was haben Sie bei der Ausbildung gelernt?

VP: In dieser Zeit mussten wir zuerst die Sprache lernen.

LA: Nur die Sprache haben Sie gelernt?

VP: Ja, nur die Sprache.

LA: Sonst haben Sie nichts gelernt?

VP: Doch wir haben gelernt wie das türkische Heer zu gehen und zu stehen, aber das Wichtigste war damals die Sprache.

LA: Was war dann?

VP: Dann haben die somalischen Soldaten mit der Botschaft gesprochen, mit der somalischen Botschaft in der Türkei. Mein Freund wurde noch zwei Mal von den Soldaten geschlagen. Ein somalischer Militärkommandant ist zu uns in der Türkei gekommen. [ ]

VP: Man hat auch meiner Familie in Somalia gesagt, dass ich zum Christentum konvertiert bin.

LA: Wer hat das behauptet?

VP: Die Männer, die mir uns gekämpft haben, die haben verbreitet, dass wir Bibeln haben und die Kirche besuchen. [ ]

LA: Was war der konkrete Anlass für das Verlassen Ihrer Heimat?

VP: Die Ausbildung in der Türkei.

LA: Wer hat Ihnen vom Mord an Ihrem Freund erzählt?

VP: Ein anderer Bekannter, der uns beide kennt. Ich habe ihn in der Türkei in der Haft kennengelernt.

LA: Warum waren Sie in Haft?

VP: Als wir das Lager verlassen haben, hat man nach uns gesucht. Deshalb. Unsere Bilder wurden verbreitet.

LA: Wie lang waren Sie in Haft?

VP: Ca. 4 Monate.

LA: Wann genau war das?

VP: Am XXXX bis XXXX.

LA: Wie sind Sie freigekommen?

VP: Man hat uns dann freigelassen und die UN Mitarbeiter, die zu uns ins Gefängnis gekommen sind, mit ihnen haben wir gesprochen. Wir wussten nichts Genaues. Wir haben uns beschwert.

LA: Wo waren Sie in Haft? Wie viele Insassen hatte das Gefängnis?

VP: Ich weiß den Namen des Gefängnisses nicht. Es waren viele Gefangene dort. Es sind immer neue gekommen und andere wurden wieder freigelassen. Den Namen des Gefängnisses weiß ich nicht.

LA: Was würden Sie theoretisch im Falle einer Rückkehr in Ihren Heimatstaat befürchten?

VP: Ich habe Angst, dass ich getötet werde, weil sie glauben, dass ich ein Christ bin. [ ]

LA: Was müsste passieren, damit Sie wieder in Ihr Heimatland zurückkehren können?

VP: Dass man Glaubensfreiheit hat.

LA: Sie sagten, dass Sie kein Christ sind?

VP: Wenn ich davon überzeugt werde, werde ich Christ. Ich lese noch darüber.

LA: Sind Sie noch nicht ganz sicher, dass Sie Christ werden wollen?

VP: Ich bin noch nicht sicher. Ich muss mich vergewissern. [ ..]"

4. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das Bundesamt mit Bescheid vom 27.01.2017, Zl. 1072080505-150614478, den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs.1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) ab, wies den Antrag bezüglich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt, gegen ihn wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Begründend wurde in wesentlichen Teilen wie folgt ausgeführt (Schreibfehler korrigiert):

"[ ] Die Kopien der von Ihnen vorgelegten Fotos aus dem Internet sind nicht nur verschwommen, sondern es ist auch völlig unerkennbar, wen und was sie darstellen könnten und somit finden diese im Verfahren keine Berücksichtigung. [ ]

Da Ihnen, wie bereits erörtert, im Herkunftsstaat keine Verfolgung droht und Sie Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat haben, geht die Behörde davon aus, dass Ihnen im Herkunftsstaat auch keine Gefahren drohen, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden.

Es konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass Sie im Falle einer Rückkehr nach Somalia Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Ihr Vorbringen wurde als unglaubwürdig qualifiziert. In Zusammenhalt mit dem persönlichen Eindruck, war der Schluss zu treffen, dass Sie ein nicht den Tatsachen entsprechendes Vorbringen erstattet haben und Sie Ihren Herkunftsstaat nicht aus Furcht vor Verfolgung verlassen haben."

5. Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wurde dem BF am 02.02.2017 mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG die ARGE Rechtsberatung-Diakonie und Volkshilfe gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.

6. Mit dem am 23.02.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl durch seinen Rechtsvertreter eingebrachten Schriftsatz vom selben Tag, erhob der BF Beschwerde gegen den oben genannten Bescheid.

7. Am 29.09.2017 wurde ein Firstsetzungsantrag beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Zu Spruchteil A):

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG. (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG Anm. 11). § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu der vergleichbaren Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG ergibt sich, dass nur Mängel der Sachverhaltsfeststellung d.h. im Tatsachenbereich zur Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit berechtigen (vgl. VwGH 19.01.2009, 2008/07/0168; VwGH 23.5.1985, 84/08/0085).

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit den Erkenntnissen vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten insbesondere Folgendes ausgeführt:

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Art. 129c Abs. 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Diese über die Unvollständigkeit der Einvernahme hinaus gehenden Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sprechen auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der ‚obersten Berufungsbehörde‘ beginnen und zugleich – abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof – bei derselben Behörde enden soll, für die mit der Amtsbeschwerde bekämpfte Entscheidung."

Es besteht kein Grund zur Annahme, dass sich die dargestellte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf die neue Rechtslage übertragen ließe. Es liegt weiterhin nicht im Sinne des Gesetzes, wenn das Bundesverwaltungsgericht erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass es seine umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und folgende für die Auslegung des § 28 VwGVG maßgeblichen Gesichtspunkte aufgezeigt:

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, auch dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt. Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist. Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlange das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck finde, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werde. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen würde daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt habe. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Annahme bestünden, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, 2003/20/0389).

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof in nunmehr ständiger Rechtsprechung, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderte ganzheitliche Würdigung bzw. die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens ist im gegenständlichen Fall unterblieben und ist die belangte Behörde nach dem Dafürhalten des Bundesverwaltungsgerichts ihrer Begründungspflicht nicht im ausreichenden Maße nachgekommen.

So wurde in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt protokolliert, dass der Beschwerdeführer Kopien von Fotos, die aus dem Internet ausgedruckt wurden, dem Akt beigelegt werden (siehe Seite 87 des erstinstanzlichen Aktes). In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer zu diesen Fotos überhaupt nicht näher befragt, insbesondere wer und was auf diesen Fotos zu sehen ist bzw. was er mit diesen Fotos beweisen möchte. Im angefochtenen Bescheid wurde lediglich beweiswürdigend festgehalten, dass die Kopien der vorgelegten Fotos nicht nur verschwommen seien, sondern es auch völlig unerkennbar sei, wen und was sie darstellen könnten und diese deshalb keine Berücksichtigung im Verfahren finden würden. Diese Ausführungen entsprechen jedoch nicht den Tatsachen, zumal auf einem Foto (siehe Seite 123 des erstinstanzlichen Aktes) deutlich eine Gruppe von Soldaten mit zwei Personen, die keine Uniform tragen, in einem Raum zu sehen sind. Auch beinhaltet ein Foto einen Ausschnitt aus einem Video von You Tube Soldaten betreffend (siehe Seite 121 des erstinstanzlichen Aktes). Was der genaue Inhalt dieses Videos ist, wurde von der belangten Behörde jedoch völlig ignoriert. Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Bundesamt daher näher mit den vorgelegten Beweismitteln zu befassen haben und den Beschwerdeführer zu den vorgelegten Fotos eingehend und detailliert zu befragen haben.

Dazu kommt noch, dass es die Behörde verabsäumt hat, die zurzeit vorherrschende Dürre in Somalia in ihren Erwägungen miteinzubeziehen.

Die belangte Behörde wird sich daher nach einer neuerlichen Einvernahme des Beschwerdeführers und unter Heranziehung von entsprechendem, aktuellem Länderdokumentationsmaterial eingehend mit dem individuellen Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen und dabei die aktuellen Länderfeststellungen zu Somalia zu berücksichtigen haben.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann – im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 66 Abs. 2 AVG – nicht im Sinne des Gesetzes liegen.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist – angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes – nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25 Absatz 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF., hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Regelung des § 28 Abs. 3 VwGVG erweist sich als klar und eindeutig (vgl. dazu auch OGH 22.3.1992, 5 Ob 105/90). Die gegenständliche Entscheidung weicht weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063), noch mangelt es an einer derartigen Rechtsprechung; sie ist auch nicht uneinheitlich. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage liegen nicht vor.

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

aktuelle Länderfeststellungen, Behebung der Entscheidung,
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:W142.2150335.1.00

Zuletzt aktualisiert am

21.11.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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