TE Bvwg Beschluss 2017/11/14 I404 2173228-1

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Veröffentlicht am 14.11.2017
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Entscheidungsdatum

14.11.2017

Norm

AlVG §33
AlVG §38
B-VG Art.133 Abs4
Notstandshilfeverordnung §2
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

I404 2173228-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Vorsitzende und die fachkundigen Laienrichter Franz OPBACHER und Erich RONACHER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Reutte Regionale Geschäftsstelle vom 19.07.2017 betreffend Abweisung des Antrages auf Notstandshilfe in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG) behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Reutte zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Frau XXXX (in der Folge Beschwerdeführerin) stellte am 21.06.2017 beim Arbeitsmarktservice Reutte Regionale Geschäftsstelle (in der Folge belangte Behörde) einen Antrag auf Notstandshilfe. Im Antragsformular gab sie an, dass sie verheiratet, aber getrennt lebend sei. Weiters bejahte sie die Frage, ob in ihrem Haushalt Angehörige leben und gab ihre beiden Kinder und ihren Ehemann namentlich an.

2. In der Folge holte die belangte Behörde eine Lohnbescheinigung vom Dienstgeber des Ehemanns der Beschwerdeführerin ein.

3. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 19.01.2017 wurde dem Antrag der Beschwerdeführerin mangels Notlage keine Folge gegeben. Begründend wurde ausgeführt, dass das anrechenbare Einkommen des Gatten der Beschwerdeführerin trotz Berücksichtigung gesetzlicher Freigrenzen den Anspruch auf Notstandshilfe übersteige.

4. Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin rechtzeitig und zulässig ein als Einspruch bezeichnetes Rechtsmittel eingebracht. In diesem Schreiben brachte die Beschwerdeführerin (unter anderem) vor, dass ihr Ehemann und sie nicht im gemeinsamen Haushalt leben würden. Weiters sei sie nicht darüber informiert worden, welche Unterlagen für die Beurteilung gemäß § 2 Abs. 1 (ergänzt: der Notstandshilfeverordnung) erforderlich seien, ob sie nach Abzug von Krediten, Wohnungsaufwand und Krankheitskosten das Einkommen habe, um die notwendigsten Lebensbedürfnisse abzudecken. Sie verstehe nicht, wie ein Antrag ordentlich geprüft werden könne, wenn diverse Kosten und Ausgaben gar nicht bekannt seien.

5. Mit Schreiben vom 12.10.2017 wurde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Akt zur Entscheidung vorgelegt. Gleichzeitig wurde ausgeführt, dass es die belangte Behörde übersehen habe, dass die Beschwerdeführerin von ihrem Gatten in einem getrennten Haushalt lebe. Sie habe dabei übersehen, dass bei der Prüfung der Notlage grundsätzlich nur auf das tatsächlich dem Arbeitslosen zufließende Einkommen abzustellen sei. Aufgrund des Ablaufs der Frist von 10 Wochen für die Erlassung einer möglichen Beschwerdevorentscheidung sei es der Behörde nicht möglich gewesen, entsprechende Ermittlungen durchzuführen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Rechtliche Beurteilung:

1.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht

§ 6 BVwGG lautet wie folgt:

Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

§ 56 Abs. 2 des Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) in der geltenden Fassung lautet wie folgt:

Über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und aus dem Kreis der Arbeitnehmer. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung durch die Geschäftsstelle beträgt zehn Wochen.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Spruchpunkt A) Aufhebung und Zurückverweisung

1.2. Die §§ 28 Abs. 1 bis 3 und 31 VwGVG lauten wie folgt:

Erkenntnisse und Beschlüsse

Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Beschlüsse

§ 31. (1) Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.

(2) An seine Beschlüsse ist das Verwaltungsgericht insoweit gebunden, als sie nicht nur verfahrensleitend sind.

(3) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind § 29 Abs. 1 zweiter Satz, 2a, 2b, 4 und 5 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

§ 33 AlVG 1977 lauten wie folgt:

Notstandshilfe

Voraussetzungen des Anspruches

§ 33. (1) Arbeitslosen, die den Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Übergangsgeld erschöpft haben, kann auf Antrag Notstandshilfe gewährt werden.

(2) Notstandshilfe ist nur zu gewähren, wenn der (die) Arbeitslose der Vermittlung zur Verfügung steht (§ 7 Abs. 2 und 3) und sich in Notlage befindet.

(3) Notlage liegt vor, wenn dem Arbeitslosen die Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse unmöglich ist.

(4) Notstandshilfe kann nur gewährt werden, wenn sich der Arbeitslose innerhalb von fünf Jahren nach Erschöpfung des Anspruches auf Arbeitslosengeld oder Übergangsgeld um die Notstandshilfe bewirbt. Die vorstehende Frist verlängert sich darüber hinaus um Zeiträume gemäß § 15 und gemäß § 81 Abs. 10.

Die § 2 der Notstandshilfeverordnung in der hier anzuwendenden Fassung lautet wie folgt:

Beurteilung der Notlage

§ 2. (1) Notlage liegt vor, wenn das Einkommen des (der) Arbeitslosen und das seines Ehepartners (Lebensgefährten bzw. seiner Lebensgefährtin) zur Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des (der) Arbeitslosen nicht ausreicht.

(2) Bei der Beurteilung der Notlage sind die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des (der) Arbeitslosen selbst sowie des mit dem Arbeitslosen (der Arbeitslosen) im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) zu berücksichtigen. Durch eine vorübergehende Abwesenheit (Kur-, Krankenhausaufenthalt, Arbeitsverrichtung an einem anderen Ort uä.) wird der gemeinsame Haushalt nicht aufgelöst. Gleiches gilt, wenn der (die) Arbeitslose die Hausgemeinschaft mit dem Ehepartner (Lebensgefährte bzw. der Lebensgefährtin) nur deshalb aufgegeben hat oder ihr ferngeblieben ist, um der Anrechnung des Einkommens zu entgehen

1.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Voraussetzungen, unter denen das Verwaltungsgericht von der in § 28 Abs. 3 VwGVG festgelegten Befugnis zur Aufhebung und Zurückverweisung Gebrauch machen darf, im Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, näher präzisiert.

Danach hat die meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichts Vorrang und bildet die Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme, deren Inanspruchnahme begründungspflichtig ist und die strikt auf den ihr gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist. Zur Aufhebung und Zurückverweisung ist das Verwaltungsgericht bei "krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken" befugt, was insbesondere dann der Fall ist, wenn die Verwaltungsbehörde "jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen", "lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt" oder "bloß ansatzweise ermittelt" hat oder wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Behörde "Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer ‚Delegierung' der Entscheidung)".

1.4. Im gegenständlichen Verfahren wurde dem Antrag der Beschwerdeführerin mangels Notlage "keine Folge gegeben" und begründend lediglich ausgeführt, dass das anrechenbare Einkommen des Ehegatten den Anspruch auf Notstandshilfe übersteige.

In der Beschwerde wird geltend gemacht, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Ehegatten nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebe.

Eine Anrechnung des Einkommens der Ehepartners des Arbeitslosen setzt voraus, dass der Arbeitslose im relevanten Zeitraum mit diesem im gemeinsamen Haushalt lebt oder ein solcher gemeinsamer Haushalt zwar nicht besteht, der Arbeitslose aber die Hausgemeinschaft mit seinem Ehepartner nur deshalb aufgegeben hat oder ihr ferngeblieben ist, um der Anrechnung des Einkommens auf die ihm gebührende Notstandshilfe zu entgehen (vgl. die. Erkenntnisse vom 14. September 2005, Zl. 2004/08/0260 und vom 13. August 2003, Zl. 2003/08/0061). Besteht kein gemeinsamer Haushalt, wären jedoch unter bestimmten Voraussetzungen Unterhaltsansprüche des Arbeitslosen gegen den Ehepartner als Einkommen des Arbeitslosen anzurechnen (vgl. dazu VwGH vom 14.03.2013 zu Zl. 2013/08/0022).

Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof zur Anrechnungsvoraussetzung eines gemeinsamen Haushaltes von Ehepartnern ausgeführt, dass die Behörden vor dem Hintergrund des § 90 ABGB, wonach Ehepartner einander zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft sowie (u.a.) auch zum gemeinsamen Wohnen verpflichtet sind, grundsätzlich vom typischen Bild einer aufrechten Ehe ausgehen dürfen, solange nicht die Parteien eine davon abweichende Lebensführung behaupten und die erforderlichen Beweismittel benennen oder beibringen. , Die Beschwerdeführerin hat zunächst bereits in ihrem Antrag auf Notstandshilfe darauf hingewiesen, dass sie von ihrem Ehegatten getrennt lebt. Weiters geht auch aus der Abfrage aus dem zentralen Melderegister hervor, dass die Beschwerdeführerin bereits seit 12.01.2015 keinen gemeinsamen Wohnsitz mit ihrem Mann hat. Eine solche Abfrage hat die belangte Behörde gar nicht getätigt.

Die belangte Behörde hätte daher nicht ohne jegliche Ermittlungen anzustellen, über den Antrag der Beschwerdeführerin (negativ) entscheiden dürfen, sondern hätte sie sich mit den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Notstandshilfeverordnung näher auseinanderzusetzen und dementsprechende Ermittlungen tätigen müssen.

1.5. Im vorliegenden Fall liegt daher nach Ansicht des erkennenden Gerichts ein mangelhafter Sachverhalt vor, zumal zur wesentlichen Frage, ob das Einkommen des Ehegatten überhaupt und wenn ja, in welcher Höhe zu berücksichtigen ist, keinerlei Ermittlungen getätigt hat. Dies trotz der vorliegenden Angaben der Beschwerdeführerin, dass sie von ihrem Ehegatten getrennt lebe.

Die belangte Behörde hätte daher über den Antrag nicht ohne jegliche Prüfung negativ entscheiden dürfen.

1.6. Die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst ist nicht im Interesse der Raschheit gelegen, weil nichts darauf hindeutet, dass die erforderliche Feststellung durch das Bundesverwaltungsgericht selbst, verglichen mit der Feststellung durch die belangte Behörde nach Zurückverweisung mit einem Zeitgewinn verbunden wäre. Es liegt auch kein Anhaltspunkt dafür vor, dass die Feststellung durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Vergleich zur Feststellung durch die Verwaltungsbehörde mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Aufgrund dieser Ausführungen liegen daher alle Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 VwGVG vor und war daher der Bescheid der belangten Behörde aufzuheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Arbeitsmarktservice Reutte zurückverwiesen.

1.7. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.

Weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben.

Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG im vorliegenden Fall nicht zulässig weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, abhängt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als uneinheitlich zu beurteilen und es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, gemeinsamer Haushalt, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Notstandshilfe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:I404.2173228.1.00

Zuletzt aktualisiert am

21.11.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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