TE Vfgh Erkenntnis 2017/10/11 E2201/2017

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Veröffentlicht am 11.10.2017
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BFA-VG §16 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm mangels Anwendung der vom VfGH aufgehobenen Neufassung der Regelung des BFA-VerfahrensG über die verkürzte Beschwerdefrist; keine Präjudizialität der - denkunmöglich - angewendeten alten Fassung

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Beschluss nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

II. Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Rumäniens. Nachdem er in den Jahren 2014 und 2015 strafgerichtlich verurteilt worden war, erließ das Bundes-amt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 7. Februar 2017 gemäß §67 Abs1 und 2 FPG "idgF" ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.) unter Gewährung eines Durchsetzungsaufschubes von einem Monat gemäß §70 Abs3 FPG "idgF" (Spruchpunkt II.). In der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides ist die Beschwerdefrist mit zwei Wochen angegeben.

2.       Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 11. Mai 2017 wegen Verspätung zurück (Spruch-punkt I.), ebenso wie den nach Vorhalt der Verspätung gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Spruchpunkt II.). Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht aus, der Bescheid sei dem Beschwerdeführer am 9. Februar 2017 rechtmäßig zugestellt worden. Gemäß "§16 Abs1 erster Satz BFA-VG, in der Fassung BGBl I Nr 70/2015" betrage die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA "in den Fällen des §3 Abs2 Z1, 2, 4 und 7 zwei Wochen, sofern nichts anderes bestimmt ist". Die Beschwerdefrist habe am 23. Februar 2017 geendet, sodass sich die am 24. Februar 2017 beim BFA eingebrachte Beschwerde als verspätet erweise. Ein Verspätungsvorhalt des Bundesverwaltungsgerichtes sei vom Beschwerdeführer am 31. März 2017 übernommen worden. Daraufhin habe der Beschwerdeführer am 18. April 2017 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Auf Grund der zu diesem Zeitpunkt bereits verstrichenen vierzehn Tage ab Kenntnis des Verspätungsvorhaltes sei auch der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückzuweisen.

3.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der – ausschließlich – die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet wird. "§16 Abs1 BFA-VG" bestimme, "dass die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesamtes in den Fällen des §3 Abs2 Zif. 2, 4 und 7 zwei Wochen" betrage. Die Normierung einer derart kurzen Frist in einer hochsensiblen Materie, wie im vorliegenden Fall einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, sei "generell rechtswidrig im Sinne von verfassungswidrig".

4.       Das BFA und das Bundesverwaltungsgericht haben die Verwaltungs- bzw. Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift bzw. Äußerung aber Abstand genommen.

II.      Rechtslage

1.       Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 70/2015 (§3 BFA-VG) bzw. idF BGBl I 24/2016 (§16 BFA-VG), lauten:

"Zuständigkeiten

Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl

§3. (1) Behörde im Inland nach diesem Bundesgesetz ist das Bundesamt mit bundesweiter Zuständigkeit.

(2) Dem Bundesamt obliegt

1.  die Zuerkennung und die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten an Fremde in Österreich gemäß dem AsylG 2005,

2.  die Gewährung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß dem AsylG 2005,

3.  die Anordnung der Abschiebung, die Feststellung der Duldung und die Vollstreckung von Rückführungsentscheidungen von EWR-Staaten gemäß dem 7. Hauptstück des FPG,

4.  die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gemäß dem 8. Hauptstück des FPG,

5.  die Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde gemäß dem 11. Hauptstück des FPG,

6.  die Vorschreibung von Kosten gemäß §53 und

7.  die Führung von Verfahren nach dem Grundversorgungsgesetz – Bund 2005 (GVG-B 2005), BGBl Nr 405/1991, mit Ausnahme von Verwaltungsstrafverfahren.

(3) [...]

Beschwerdeverfahren

Beschwerdefrist und Wirkung von Beschwerden

§16. (1) Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesamtes beträgt in den Fällen des §3 Abs2 Z2, 4 und 7 zwei Wochen, sofern nichts anderes bestimmt ist. Dies gilt auch in den Fällen des §3 Abs2 Z1, sofern die Entscheidung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist. §7 Abs4 erster Satz Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I Nr 33/2013 ist, sofern es sich bei dem Fremden im Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, diesfalls nicht anwendbar.

(2) [...]"

2.       §16 Abs1 BFA-VG, BGBl I 87/2012 idF BGBl I 70/2015 lautete:

"Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesamtes beträgt in den Fällen des §3 Abs2 Z1, 2, 4 und 7 zwei Wochen, sofern nichts anderes bestimmt ist. §7 Abs4 erster Satz Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I Nr 33/2013 ist, sofern es sich bei dem Fremden im Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, diesfalls nicht anwendbar."

III.    Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet:

1.       Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich in der Begründung seiner Entscheidung auf die in §16 Abs1 BFA-VG idF BGBl I 70/2015 normierte zweiwöchige Beschwerdefrist. Diese Fassung des §16 Abs1 BFA-VG (BGBl I 70/2015) gibt das Bundesverwaltungsgericht auch im Wortlaut wieder. Die Bestimmung in dieser Fassung stand im Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes jedoch nicht mehr in Geltung. Nachdem der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 23. Februar 2016, G589/2015 ua., den Ausdruck "1," in §16 Abs1 BFA-VG idF BGBl I 70/2015 als verfassungswidrig aufgehoben hatte, novellierte der Gesetzgeber mit BGBl I 24/2016 auch §16 Abs1 BFA-VG; diese Neufassung des §16 Abs1 BFA-VG wurde mit BGBl I 24/2016 am 20. Mai 2016 kundgemacht und trat gemäß Art49 Abs1 B-VG – mangels ausdrücklicher abweichender Bestimmung – mit Ablauf des Tages ihrer Kundmachung in Kraft.

2.       Das Bundesverwaltungsgericht zieht daher explizit eine denkunmöglich anzuwendende Norm heran (vgl. VfSlg 11.644/1988), deren Prüfung dem Verfassungsgerichtshof verwehrt ist (zB VfSlg 4625/1963, 8999/1980).

Vielmehr hätte das Bundesverwaltungsgericht in seinem Entscheidungszeitpunkt die mit BGBl I 24/2016 kundgemachte Fassung des §16 Abs1 BFA-VG anzuwenden gehabt.

Eine solche Bestimmung, die das Bundesverwaltungsgericht anwenden hätte müssen, aber tatsächlich nicht angewendet hat, ist zwar vor dem Verfassungsgerichtshof grundsätzlich präjudiziell (zB VfSlg 3307/1958, 4571/1963, 5598/1967, 8647/1979, 16.116/2001, 19.948/2015). Sie hätte vom Verfassungsgerichtshof auch anlässlich des vorliegenden Falles in Prüfung gezogen werden können (vgl. VfSlg 11.644/1988). Mit Erkenntnis vom 26. September 2017, G134/2017 ua., hat der Verfassungsgerichtshof aus Anlass einer anderen Beschwerde die Wortfolge "2, 4 und" sowie den zweiten Satz in §16 Abs1 BFA-VG, BGBl I 87/2012 idF BGBl I 24/2016, auch als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass diese Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind.

3.       Eine Verletzung des Beschwerdeführers wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Norm liegt aber nicht vor, weil das Bundesverwaltungsgericht die als verfassungswidrig aufgehobene Norm gerade nicht angewendet hat. Die vom Bundesverwaltungsgericht – denkunmöglich – angewendete Fassung des §16 Abs1 BFA-VG ist für den Verfassungsgerichtshof nicht präjudiziell.

4.       Mangels Behauptung einer solchen Rechtsverletzung in der Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, ob der Beschwerdeführer in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde (VfSlg 9447/1982, 14.299/1995, 20.054/2016).

IV.      Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Beschluss nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

2.       Ob der Beschwerdeführer durch die angefochtene Entscheidung in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde, war dabei nicht zu prüfen, weil die Beschwerde eine derartige Rechtsverletzung nicht geltend macht.

3.       Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

4.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, Fremdenrecht, Verwaltungsverfahren, Verwaltungsgerichtsverfahren, Fristen, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:E2201.2017

Zuletzt aktualisiert am

21.11.2017
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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