TE OGH 2017/11/8 36R229/17v

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Veröffentlicht am 08.11.2017
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Kopf

Das Landesgericht für ZRS Wien als Rekursgericht hat durch seinen Richter Mag. Peter Weiß als Vorsitzenden sowie seine Richterinnen Mag. Susanna Kießwetter und Dr. Gabriele Smudits in der Rechtssache der klagenden Partei F*****, vertreten durch Bichler Zrzavy Rechtsanwälte GmbH in 1030 Wien, wider den Beklagten K*****, vertreten durch Gabler Gibel & Ortner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 1010 Wien, wegen EUR 11.011,-- s.A., infolge Rekurses des Beklagten gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 24. Juli 2017, GZ 4 C 295/17w-8, in nicht öffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung über den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung des Einspruchs gegen den Zahlungsbefehl vom 18.04.2017 nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Der Beklagte ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 717,84 bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin enthalten EUR 119,64 USt.) zu ersetzen.

Text

B e g r ü n d u n g :

Die klagende Partei begehrte mit Mahnklage vom 14.04.2017 die Zahlung von

EUR

11.011,-- s.A. und brachte vor, sie habe vom Beklagten einen Vermittlungsauftrag erhalten und dadurch einen Erwerb von 1/160-Anteilen einer Liegenschaft erreicht, weswegen ihr eine Vermittlungsprovision von 3 % des Kaufpreises, somit EUR 6.000,-- sowie ein Aufwandersatz in Höhe von EUR 5.011,-- gebühren würden. Diese Beträge hafteten trotz Mahnung unberichtigt aus.

Am 18.04.2017 erließ das Erstgericht antragsgemäß einen Zahlungsbefehl, der mangels Einlangens eines Einspruchs in Rechtskraft erwuchs.

Mit Schriftsatz vom 04.07.2017 stellte der Beklagte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist und erhob gleichzeitig Einspruch. Er brachte vor, er habe die Sendung am 25.04.2017 beim Postamt behoben, ungeöffnet mit sich genommen und in sein Büro gebracht, wo er dieses Poststück auf einen Stoß mit zu erledigenden bzw. zu bearbeitenden Dokumenten gelegt habe. Im Lauf des Tages öffne er dann die Schriftstücke und gebe diese zur weiteren Bearbeitung seiner Sekretärin bzw. bearbeite die Dokumente selbst. Im konkreten Fall habe er offenbar beim Sortieren und Lesen des Stapels mit den zu bearbeitenden Dokumenten das zugestellte Schriftstück weder geöffnet, gelesen, noch an seinen Anwalt weitergeleitet. Stattdessen sei dieses Dokument von ihm unbewusst mit anderer geöffneter Post mitabgelegt worden. Persönlicher Hintergrund für dieses Missgeschick sei, dass zum damaligen Zeitpunkt die betagte Mutter des Beklagten schwer erkrankt und seit 19.04.2017 in intensivmedizinischer Behandlung gewesen sei. Aufgrund dieser emotionalen Ausnahmesituation habe er sich auch nicht mehr an den eingeschriebenen Brief erinnert, sondern habe schlichtweg persönliche, familiäre Dinge im Kopf gehabt. Er habe erst am 22.6.2017 von der Mahnklage erfahren, als er durch eine E-Mail seiner Bankbetreuerin ***** bei der Ersten Bank AG von einem eingeleiteten Versteigerungsverfahren seiner Anteile an der Liegenschaft EZ *****, KG *****, Bezirksgericht *****, informiert worden sei. Der Beklagte habe bislang noch nie einen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt. Es handle sich um ein einmaliges Versehen des Beklagten, dass er ein gerichtliches Schriftstück nicht geöffnet und bearbeitet habe. Aufgrund der emotionalen Ausnahmesituation hätte es auch einem sorgfältigen Menschen passieren können, ein Schriftstück falsch abzulegen und es nicht an seinen Rechtsanwalt weiterzuleiten.

Die klagende Partei äußerte sich zum Antrag derart, dass der Beklagte nach eigenem Vorbringen eine gebildete und im (Arbeits-)Alltag offenbar gut organisierte Person und daher der Sorgfaltsmaßstab entsprechend hoch anzusetzen sei. Der Beklagte habe detailliert dargelegt, dass bei ihm ein routinemäßiger Ablauf zur Bearbeitung der Post bestehe, in den auch seine Sekretärin eingebunden sei. Das Übersehen eines als solches erkennbaren gerichtlichen Schriftstücks, zu dessen Behandlung es ebenso einen routinemäßigen Ablauf gebe, könne daher nicht als bloß leicht sorgfaltswidrig gesehen werden.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist ab. Das Erstgericht nahm dabei den auf der Seite 3 der Beschlussausfertigung ersichtlichen Sachverhalt, auf den zwecks Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, als bescheinigt an. Begründend führte es aus, die äußerst bedauerliche Einlieferung der Mutter des Beklagten auf die Intensivstation sei im Zeitpunkt der Behebung des bedingten Zahlungsbefehls bereits knapp eine Woche zurückgelegen, weshalb der Beklagte Zeit gehabt hätte ausreichende Maßnahmen zu treffen, um die sorgfältige Behandlung seiner Post sicherzustellen. Darüber hinaus bekomme der Beklagte, wie aus seinem Vorbringen und seiner eidesstättigen Erklärung ersichtlich sei, öfters gerichtliche Post, weshalb aufgrund einer gewissen rechtlichen Vertrautheit beim Beklagten ein etwas strengerer Maßstab anzulegen sei, als bei einer Person, die noch nie Partei oder sonst Beteiligter eines gerichtlichen Verfahrens gewesen sei. Ein gerichtliches Schriftstück sei darüber hinaus als solches deutlich erkennbar und ein sorgfältiger Mensch würde den Brief umgehend öffnen, um die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Zusammengefasst seien die Umstände, nämlich dass der Beklagte den Brief niemals geöffnet habe, obwohl dieser als gerichtliches Schriftstück erkennbar gewesen sei und dass er trotz Vorliegens einer persönlichen Ausnahmesituation nicht zusätzliche Vorkehrungen getroffen habe, um gerade derartige Sorgfaltslosigkeiten zu vermeiden, nicht mehr als ein Versehen minderen Grades zu betrachten. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei daher abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, ihn dahingehend abzuändern, dass dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattgegeben werde; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

In der Rekursbeantwortung beantragt die klagende Partei, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Sinn des Eventualantrags berechtigt.

Der Beklagte führt unter dem Rekursgrund der Aktenwidrigkeit aus, das Erstgericht habe in seiner rechtlichen Begründung folgende dislozierte Feststellung getroffen:

„Darüber hinaus bekommt der Beklagte wie aus seinem Vorbringen und seiner eidesstättigen Erklärung ersichtlich, öfters gerichtliche Schriftstücke, weshalb aufgrund einer gewissen rechtlichen Vertrautheit beim Beklagten [...]“

Für diese Feststellung fehle es an jeglichen Beweisergebnissen und ebenso an jeglichem Vorbringen des Beklagten. Es handle sich um eine überschießende und zudem aktenwidrige Feststellung. Das Bezirksgericht Josefstadt habe den unzulässigen Schluss gezogen, der Beklagte bekomme „öfters“ Gerichtsstücke. Weder entspreche dies den Tatsachen, noch entspreche dies dem Inhalt der eidesstättigen Erklärung. Was Gerichtsverfahren anbelange, sei der Beklagte unter keinen wie auch immer gearteten Umständen „erfahren“. In der eidesstättigen Erklärung habe sich nur folgende Passage gefunden:

„Sofern sich darin Dokumente befinden, die beispielsweise Gerichtsstücke sind, so leite ich die Dokumente immer sofort an die Kanzlei Gabler Gibel & Ortner Rechtsanwälte GmbH & Co KG bzw. meinem dortigen Anwalt, Dr. Maximilian Zirm, weiter.“

Das Bezirksgericht Josefstadt leite daraus ab, dass ein strengerer Sorgfaltsmaßstab beim Beklagten anzulegen sei. Diese Feststellung habe als aktenwidrig ersatzlos zu entfallen. In der rechtlichen Beurteilung sei in weiterer Folge darauf Rücksicht zu nehmen, dass beim Beklagten eben kein strengerer Sorgfaltsmaßstab anzulegen sei.

Dazu wurde vom Rekurssenat erwogen:

Eine Aktenwidrigkeit besteht nicht in einem Widerspruch zwischen einer Tatsachenfeststellung und irgendeinem vorhandenen Beweismittel, sondern ausschließlich in einem Widerspruch zwischen dem Inhalt eines bestimmten Aktenstücks und dessen Wiedergabe durch das Gericht und zwar nur dann, wenn die Tatsachenfeststellung nicht das Ergebnis eines richterlichen Werturteils ist (vgl Klauser/Kodek, ZPO17, § 503 ZPO E 124). Eine Aktenwidrigkeit liegt nicht schon vor, wenn eine allenfalls mögliche Feststellung nicht getroffen oder eine Feststellung durch Schlussfolgerung getroffen wurde (aaO § 503 E 128).

Im vorliegenden Fall zieht das Erstgericht aus der oben wiedergegebenen Passage in der eidesstättigen Erklärung des Beklagten den Schluss, dass der Beklagte öfter gerichtliche Schriftstücke bekommt. Die Erklärung des Beklagten: "Sofern sich darin Dokumente befinden, die beispielsweise Gerichtsstücke sind, so leite ich die Dokumente immer sofort an die Kanzlei Gabler Gibel & Ortner Rechtsanwälte GmbH & Co KG weiter" vermag die vom Erstgericht getroffene Feststellung durchaus zu stützen. Die Schlussfolgerung des Erstgerichts ist damit nachvollziehbar, eine Aktenwidrigkeit liegt nicht vor. Die weitere Ausführung des Erstgerichts "aufgrund einer gewissen rechtlichen Vertrautheit beim Beklagten sei ein etwas strengerer Maßstab anzulegen" stellt schließlich eine rechtliche Beurteilung daher, auf die später einzugehen sein wird.

Soweit der Berufungswerber mit dem selben Vorbringen auch obige Feststellungen als unrichtige Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung moniert, ist er auf die Ausführungen des Rekursgerichts zu verweisen.

Unter dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung argumentiert der Rekurswerber, dass nach der Rechtsprechung beim „Verlegen“ eines Dokuments ein minderer Grad des Versehens vorliege, wenn ein Fehler begangen werde, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch mache. Bei Beurteilung der zur Säumigkeit führenden Sorgfaltsverletzung sei an nicht rechtskundige Parteien kein strenger Maßstab anzulegen. Insbesondere Aufregungszustände, wozu auch bevorstehende Operationen oder Todesfälle in der Familie, ja sogar die bloße Mitteilung über eine bestehende Schwangerschaft zählten, rechtfertigten einen Antrag auf Wiedereinsetzung. Auch Erinnerungsfehler, wie auch das Verlegen bzw. Vergessen einer Postsendung, sowie Handlungsfehler stellten einen Wiedereinsetzungsgrund dar. Das Erstgericht habe ausgeführt, dass der Beklagte trotz der gravierenden Erkrankung seiner Mutter geeignete Vorkehrungen hätte treffen können, damit gerichtliche Schriftstücke korrekt behandelt würden. Damit stelle das Erstgericht jedoch zu strenge Anforderungen an den anwendbaren Sorgfaltsmaßstab beim Beklagten: Das Treffen von geeigneten, organisatorischen Vorkehrungen könne für eine Person mit einem Unternehmen mit zahlreichen Mitarbeitern zutreffen. Dies sei aber im vorliegenden Fall für den Beklagten als Privatperson nicht möglich, weil der Beklagte einziger Entscheidungsträger sei. Wäre die Ansicht des Erstgerichts richtig, so müsste jede Privatperson, auch wenn sie völlig geschäftsfähig sei, aber sich gerade in einer emotionalen Ausnahmesituation befinde, einen Dritten zuziehen.

Diese vom Rekurswerber zu Recht aufgeworfene Frage kann aber auf Basis der derzeitigen Feststellungen noch nicht abschließend entschieden werden: Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis am rechtzeitigen Erscheinen bei einer Tagsatzung oder an der rechtzeitigen Vornahme an der befristeten Prozesshandlung verhindert wurde, und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte, so ist dieser Partei, soweit das Gesetz nicht anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt (§ 146 Abs 1 ZPO). „Unvorhergesehen“ ist nicht nur ein Ereignis, welches ein Durchschnittsmensch nicht vorhersehen konnte, sondern auch ein solches, welches die Partei nicht einberechnet hat und dessen Eintritt sie auch unter Bedachtnahme auf die ihr persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte. Hätte es die säumige Partei vorhersehen können, hat sie es aber nicht getan, so hindert auch das die Wiedereinsetzung nur, wenn sie mehr als leichtes Verschulden trifft (Gitschthaler in Rechberger4, § 146 ZPO Rz 3). Leichte Fahrlässigkeit liegt vor, wenn das Verhalten auf einem Fehler beruht, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht. Grobe Fahrlässigkeit bedeutet auffallende Sorglosigkeit. Auffallende Sorglosigkeit ist ein extremes Abweichen von der im konkreten Fall gebotenen Sorgfalt (aaO, Rz 71, 74).

Der Sorgfaltsmaßstab ist bei einem beruflich rechtskundigen und im Umgang mit Gerichten vertrauten Menschen deutlich höher anzulegen - insbesondere bei Rechtsanwälten, Notaren, Steuerberatern oder Wirtschaftstreuhändern - als bei rechtsunkundigen Personen (aaO, Rz 8/2; RIS Justiz RS0036784 uva).

Dabei können das Verlegen bzw das Vergessen einer Postsendung sowie Organisations- und Handlungsfehler bei nicht rechtskundigen Personen als Ereignisse iSd § 146 ZPO betrachtet werden (vgl Klauser/Kodek, ZPO17 § 503 ZPO E 31).

In der Entscheidung 38 R 215/03d des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien wurde die Ansicht vertreten, dass einem Beklagten, der eine gerichtliche Briefsendung, die er für sich und als Geschäftsführer einer GmbH in Empfang genommen, jedoch nicht geöffnet, sondern in der auf seinem Schreibtisch befindlichen Ablage deponiert und in der Folge vergessen hatte, grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei.

In MietSlg 47.614 (LGZ Graz zu 3 R 284/94) wurde ausgeführt, dass ein Kaufmann, an den höhere Sorgfaltsmaßstäbe anzulegen seien, grobe Fahrlässigkeit zu verantworten habe, wenn er einen Rückscheinbrief nicht geöffnet und in der Folge verlegt habe, auch wenn er sich zur Zeit der Zustellung in Eile befunden habe.

Dem hier als bescheinigt angenommenen Sachverhalt ist nun zu entnehmen, dass dem Beklagten auch öfter gerichtliche Schriftstücke zugestellt werden. Aus diesem Umstand allein kann jedoch noch nicht geschlossen werden, dass der Beklagte rechtskundig bzw. eine im Umgang mit Gerichten vertraute Person ist. In der Mahnklage wurde ein beidseitiges unternehmensbezogenes Geschäft behauptet, im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führte der Beklagte aus, es sei unstrittig, dass er nicht rechtskundig sei.

Da der Umstand, ob eine Person als rechtskundig zu gelten hat oder nicht, für den Sorgfaltsmaßstab entscheidend ist, wäre es erforderlich gewesen, nach Einvernahme des Beklagten (die als Bescheinigungsmittel auch angeboten worden war) genauere Feststellungen zu treffen, die eine Beurteilung, ob der Beklagte als rechtskundig oder rechtsunkundig anzusehen ist, ermöglichen.

Es liegt daher ein sekundärer Feststellungsmangel vor, weshalb sich eine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses als unumgänglich erweist.

Dabei wird vom Erstgericht weiters zu beachten sein, dass sich die Mutter des Beklagten - nach dem bisher bescheinigten Sachverhalt - im Zeitpunkt der Zustellung des Zahlungsbefehls in intensivmedizinischer Behandlung befand. Allein der Umstand, dass seine Mutter bereits Tage vor der Zustellung ins Krankenhaus eingeliefert worden war, schließt noch nicht aus, dass sich der Beklagte im Zeitpunkt der Zustellung weiterhin in einem emotionalen Ausnahmezustand befunden hätte. Für die Annahme, dass der Beklagte über so eine Organisationsstruktur verfügt, dass es ihm möglich gewesen wäre, Maßnahmen zu treffen, um die sorgfältige Behandlung seiner Post - auch in der emotional belasteten Zeit - zu garantieren, fehlt es ebenso an präzisen Feststellungen.

Im Hinblick auf die schon deswegen gebotene Aufhebung des angefochtenen Beschlusses erübrigt es sich damit, auf die Ausführungen des Beklagten zum behaupteten Verfahrensmangel weiter einzugehen.

Die Kostenentscheidung für das Rekursverfahren gründet auf § 154 ZPO. Trotz des Vorliegens von Entscheidungen, wonach Kosten einer erfolglosen Rekursbeantwortung vom Wiedereinsetzungswerber nicht ersetzt werden müssen (vgl. EFSlg 101.942; LGZ Wien 36 R 50/09h), sieht sich der Rekurssenat nicht veranlasst, diese Rechtsprechung fortzuschreiben. Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass die Entscheidung des Landesgerichts für ZRS Wien zu 43 R 657/02i zwar aus Anlass eines Wiedereinsetzungsverfahrens ergangen ist, dort jedoch letztlich über Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens infolge eines (Kosten-)Rekurses des Beklagten zu entscheiden war. Eine (Rechtsmittel-) Entscheidung über den Kostenpunkt betrifft nicht das Wiedereinsetzungsverfahren in der Sache selbst, weswegen es gerechtfertigt erscheint, für Kostenentscheidungen anlässlich eines Wiedereinsetzungsverfahrens primär die allgemeinen Regelungen der §§ 40, 41 ZPO iVm 11 RATG heranzuziehen. Für das Wiedereinsetzungsverfahren selbst existiert jedoch in Gestalt des § 154 ZPO eine Sondernorm, die insoweit die allgemeinen Kostenersatzregeln verdrängt. Diese sieht vor, dass der Partei, welche die Wiedereinsetzung beantragt hat, ohne Rücksicht darauf, ob dem Antrag stattgegeben wurde oder nicht, unter anderem der Ersatz aller Kosten, welche dem Gegner durch die Versäumung und durch die Verhandlung über den Wiedereinsetzungsantrag verursacht sind, aufzuerlegen ist. Dazu gehört in erster Instanz nach einhelliger Auffassung der Ersatz der Kosten für die Äußerung zu einem Wiedereinsetzungsantrag, selbst wenn der Wiedereinsetzungswerber mit diesem in der Sache erfolgreich (und daher die Äußerung, mit der die Abweisung des Antrags beantragt wurde, nicht erfolgreich) ist (vgl. Obermaier, Kostenhandbuch² Rz 279). Eine überzeugende Begründung, warum dies im Rekursverfahren bei einer (in der Sache) erfolglosen Rekursbeantwortung des Wiedereinsetzungsgegners anders sein sollte, ist weder dem Gesetz, noch der bisherigen Rechtsprechung zu entnehmen. Der erkennende Rekurssenat vertritt daher die Ansicht, dass der im Rekursverfahren erfolgreiche Wiedereinsetzungswerber dennoch infolge der kostenrechtlichen Sondernorm des § 154 ZPO dem unterlegenen Wiedereinsetzungsgegner die Kosten seiner erfolglosen Rekursbeantwortung zu ersetzen hat. Dem steht auch die eventuelle Überlegung, dass diese Linie allenfalls „unnötige“ Rekursbeantwortungen nur aus kostenrechtlichen Gründen provozieren könnte, nicht entgegen. Letztlich steht jeglicher Kostenersatzanspruch gegenüber dem Prozessgegner unter der Voraussetzung der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der jeweiligen Prozesshandlung; dieses Erfordernis wird durch die nunmehr vertretene Ansicht nicht ausgeschlossen. Es kann allerdings nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass die Erstattung einer Rekursbeantwortung zu einem letztlich erfolgreichen Rekurs des Wiedereinsetzungswerbers in der Sache selbst zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich und notwendig wäre.

Trotz der in der Sache aufhebenden Entscheidung des Rekurssenats war somit nicht mit einem Kostenvorbehalt iSd § 52 ZPO für die Rekurskosten vorzugehen, weil diese nach der hier vertretenen Ansicht jedenfalls vom Rekurswerber zu ersetzen sind, weswegen ein Vorbehalt deren späterer Bestimmung nicht erforderlich war.

Textnummer

EWZ0000201

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LG00003:2017:03600R00229.17V.1108.000

Im RIS seit

22.11.2017

Zuletzt aktualisiert am

05.12.2017
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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