TE Bvwg Erkenntnis 2017/10/31 I415 2173623-1

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Veröffentlicht am 31.10.2017
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Entscheidungsdatum

31.10.2017

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AVG 1950 §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

Spruch

I415 2173623-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb.XXXX, StA. Marokko, vertreten durch den "Verein Menschenrechte Österreich" in 1090 Wien, Alser Straße 20, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.10.2017, Zl. 1002537406/171079303, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet und beantragte zur Gz. 1002537406 / 14434566 erstmalig am 05.03.2014 internationalen Schutz, den er wie folgt begründete:

"Ich werde in meiner Heimat von den marokkanischen Besetzern unterdrückt und diskriminiert. Ich habe dort keinerlei Rechte und keine Möglichkeit auf ein freies Leben."

Der Beschwerdeführer entzog sich in weiterer Folge dem Verfahren und reiste über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien, Slowenien in die Schweiz.

2. Am 19.05.2017 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, nachdem er – wie er im Rahmen der Erstbefragung vor der Landespolizeidirektion Salzburg am 20.05.2017 ausführte – am 18.05.2017 mittels LKW nach Österreich eingereist war. Auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer an, als Reiseziel Schweden erreichen zu wollen. Befragt, was der Beschwerdeführer über den Aufenthalt in den durchgereisten EU-Ländern angeben könne, führte dieser aus: "In den EU-Ländern haben wir Marokkaner keine Chance auf Asyl."

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 29.06.2017 gab der Beschwerdeführer befragt, warum er sein Land verlassen habe, Nachfolgendes zu Protokoll: "Ich habe politische Probleme in Marokko. 20 Freunde von mir sind eingesperrt worden, aufgrund der politischen Probleme. Am 20.02.2012 haben wir gegen die Regierung demonstriert und bin ich zur West-Sahara geflohen und seitdem bin ich auf der Flucht."

Mit Bescheid vom 18.07.2017, Zl. 1002537406 / 170607247, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten "gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF" (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Marokko gemäß "§ 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG" (Spruchpunkt II.) ab. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen "gemäß § 57 AsylG" nicht erteilt. "Gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF" wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung "gemäß § 52 Abs. 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF" erlassen. Weiters wurde "gemäß § 52 Abs. 9 FPG" festgestellt, dass seine Abschiebung "gemäß § 46 FPG" nach Marokko zulässig ist (Spruchpunkt III.) und "gemäß § 55 Abs 1a FPG" keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt IV.). Letztlich wurde einer Beschwerde "gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 18 Abs. 1 Ziffer 1 BFA-VG, BGBl Nr. 87/2012, idgF", die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.). Mit Aktenvermerk vom 25.07.2017 hielt das BFA fest, dass der Beschwerdeführer nicht in der Asylunterkunft anzutreffen und auch dort nicht mehr gemeldet war, weshalb gegenständlicher Bescheid nicht wie vom BFA ersucht, dem Beschwerdeführer durch die zuständige PI persönlich ausgefolgt werden konnte. Eine Mitteilung über die Änderung der Abgabestelle durch den Asylwerber wäre unterlassen worden und wäre dem BFA keine Abgabesteller bekannt. Eine Meldeüberprüfung beim Meldeamt wäre negativ verlaufen, weshalb der Bescheid gem. § 8 Abs 1 iVm § 23 Abs 1 ZustG am 25.07.2017 bei der Behörde im Akt hinterlegt worden wäre. Der Bescheid des BFA vom 18.07.2017, Zl. 1002537406 / 170607247, erwuchs am 09.08.2017 unbekämpft erstinstanzlich in Rechtskraft und erging seitens des BFA am 11.08.2017 ein Festnahmeauftrag aufgrund §§ 34 Abs 5 und 47 Abs 1 BFA-VG.

3. In seiner Einvernahme zur Erlassung der Schubhaft vor dem BFA am 18.09.2017 gab der Beschwerdeführer auf Nachfrage, ob er in Holland in Schubhaft gewesen wäre, bekannt, dass er dort in einem Lager gewesen wäre und von dort direkt nach Österreich überstellt worden wäre. In Österreich habe er keine Familienangehörigen, in Marokko jedoch jeweils zwei Brüder und Schwestern. In die Abschiebung willige er jedenfalls nicht ein und werde er sich umbringen, bevor er nach Marokko abgeschoben werde. Befragt, ob er krank sei, einen Arzt oder Medikamente benötige, führte der Beschwerdeführer aus, an Asthma zu leiden und in Holland wegen Diabetes in Behandlung gewesen zu sein.

4. Am 20.09.2017 stellte der Beschwerdeführer nach seiner Rücküberstellung aus den Niederlanden aus dem Stande der Schubhaft bei der LPD Wien Abteilung Fremdenpolizei und Anhaltevollzug mündlich einen (Folge-)Asylantrag mit den Worten: "Ich möchte einen Asylantrag stellen." Auf die Frage nach dem Vorliegen neuer Fluchtgründe führte der Beschwerdeführer aus wie folgt: "Meine Asylgründe bleiben aufrecht. Die Gründe habe ich schon beim ersten Antrag ausführlich vorgelegt."

In seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 27.09.2017 gab der Beschwerdeführer auf Nachfrage an, dass sich seine identitätsbezeugenden Dokumente bei einem Freund in Holland befänden und er letztmalig Ende 2015 aus seinem Heimatstaat Marokko ausgereist wäre. Nach Marokko letztmalig eingereist wäre Anfang 2015. Auf Vorhalt, dass dies in Widerspruch mit einer erkennungsdienstlichen Behandlung seiner Person Mitte 2015 in Italien stehe, entgegnete der Beschwerdeführer, dass es auch sein könne, dass er im Sommer 2015 abgeschoben worden sei. Er könne sich nicht mehr an alles erinnern und sei seine Psyche belastet. Auf Nachfrage verneinte der Beschwerdeführer Deutschkenntnisse. Auf Nachfrage, ob seine Fluchtgründe aus dem ersten Verfahren noch weiter bestünden, bejahte dies der Beschwerdeführer und gab an in seiner Heimat gefoltert worden zu sein. Befragt, ob es Neuigkeiten betreffend seiner Fluchtgründe gebe, verneinte dies der Beschwerdeführer mit dem Hinweis "Die alten Fluchtgründe bleiben aufrecht.". Befragt, ob er Einsicht in die Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsstaat Marokko nehmen wolle, gab der Beschwerdeführer an: "Ich kenne meine Heimat, ich brauche das nicht. Der Präsident meiner Partei wurde für seine politische Aktivität eingesperrt. Inwiefern ist dieses Land sicher."

5. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 02.10.2017, Zl. 1002537406 / 171079303, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Folgeantrag des Beschwerdeführers wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I.). Zugleich erteilte sie ihm keine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, sprach über ihn eine Rückkehrentscheidung aus und erklärte gemäß § 52 Abs 9 FPG seine Abschiebung nach Marokko gemäß § 46 FPG für zulässig (Spruchpunkt II.). Eine Frist für seine freiwillige Ausreise gewährte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs 1a FPG nicht (Spruchpunkt III.).

6. Mit Schriftsatz seines Rechtsvertreters vom 12.10.2017 erhob der Beschwerdeführer vollinhaltlich Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist volljährig, ledig, Staatsbürger von Marokko, gehört der Volksgruppe der Berber an und bekennt sich zum moslemischen Glauben.

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren Krankheit noch ist er längerfristig pflege- oder rehabilitationsbedürftig. Sein Gesundheitszustand steht seiner Rückkehr nicht entgegen.

In Marokko befinden sich zwei Brüder und zwei Schwestern des Beschwerdeführers.

In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine familiären Anknüpfungspunkte und auch über keine soziale oder integrative Verfestigung.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer reiste erstmals im März 2014 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein, stellte einen Asylantrag und entzog sich in weiterer Folge dem Verfahren durch Ausreise ins Ausland. Am 19.05.2017 stellte der Beschwerdeführer erneut einen Asylantrag unter der Angabe politischer Probleme in seinem Herkunftsstaat Marokko.

Das BFA entschied den Antrag mit Bescheid vom 18.07.2017, Zl. 1002537406 / 170607247, negativ und wies es den Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet aus. Besagter Bescheid des BFA erwuchs am 09.08.2017 unbekämpft erstinstanzlich in Rechtskraft.

Am stellte der Beschwerdeführer einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, den er ebenfalls mit politischen Problemen in seinem Heimatstaat begründete. Das Vorliegen neuer Fluchtgründe machte der Beschwerdeführer nicht geltend. Das BFA wies diesen Folgeantrag mit Bescheid vom 02.10.2017, Zl. 1002537406 / 171079303, wegen entschiedener Sache zurück.

1.2. Zu den Feststellungen zur Lage in Marokko:

Marokko ist ein sicherer Herkunftsstaat. Es ist politisch wie sicherheitspolitisch ein stabiles Land. Marokko ist fähig und willig, seine Bürger zu schützen. Justiz und Sicherheitsapparate funktionieren. Die Justiz ist gemäß der geltenden Verfassung unabhängig. Ein rechtsstaatliches, faires Verfahren mit dem Recht, Berufung einzulegen, ist gesetzlich gewährleistet. Über Beeinflussung der Gerichte durch Korruption oder durch außergerichtliche Einflussmaßnahmen wird berichtet. Der Sicherheitsapparat besteht aus Polizei- und paramilitärischen Organisationen. Eine zivile Kontrolle über Sicherheitskräfte ist abgesehen von Einzelfällen effektiv. Folter steht unter Strafe, wobei Berichte über Folterungen und Gewaltanwendung gegenüber Gefangenen bestehen. Die in Marokko verbreitete Korruption steht unter Strafe, welche aber nicht effektiv vollzogen wird. Eine Reform der Korruptionsbekämpfungsbehörde ist geplant, aber noch nicht verwirklicht.

Marokko verfügt über einen umfassenden Grundrechtebestand, lediglich das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit fehlt. Die Grundrechte werden durch den Vorbehalt in Bezug auf die Monarchie, den islamischen Charakter von Staat und Gesellschaft und die territoriale Integrität beschränkt. Ferner fehlen zT Durchführungsgesetze. Allgemein bestehen grundrechtliche Probleme hinsichtlich der Sicherheitskräfte sowie schlechter Haftbedingungen.

Staatliche Repressionen gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer religiösen Überzeugung können nicht festgestellt werden.

Die Haftbedingungen sind generell schlecht und entsprechen nicht internationalen Standards. Hygienische Verhältnisse und die medizinische Versorgung in Gefängnissen sind nicht gut. Gefängnisse sind in Marokko überbelegt. Es existieren Berichte über folterähnliche Praktiken in Gefängnissen. Die Todesstrafe wird weiterhin in Marokko verhängt. Seit 1993 wurden aber keine Todesstrafen mehr vollstreckt.

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid vom 02.10.2017 getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten.

Medizinische Versorgung

Die medizinische Grundversorgung ist vor allem im städtischen Raum weitgehend gesichert. Medizinische Dienste sind kostenpflichtig und werden bei bestehender gesetzlicher Krankenversicherung von dieser erstattet. Es gibt einen großen qualitativen Unterschied zwischen öffentlicher und (teurer) privater Krankenversorgung. Selbst modern gut ausgestattete medizinische Einrichtungen garantieren keine europäischen Standards. In den Medien finden sich regelmäßig Berichte über wenig motiviertes Personal insbesondere in den öffentlichen Krankenhäusern, das unter schwierigen Arbeitsbedingungen und schlechter Bezahlung leidet. Eine Behandlung kann oft nur mit einem Eigenanteil sichergestellt werden. Insbesondere das Hilfspersonal ist oft unzureichend ausgebildet, Krankenwagen sind in der Regel ungenügend ausgestattet. Die Notfallversorgung ist wegen Überlastung der Notaufnahmen in den Städten nicht immer gewährleistet, auf dem Land ist sie insbesondere in den abgelegenen Bergregionen unzureichend (AA 10.3.2017).

Chronische und psychiatrische Krankheiten oder auch AIDS-Dauerbehandlungen lassen sich in Marokko vorzugsweise in privaten Krankenhäusern behandeln. Bei teuren Spezialmedikamenten soll es in der öffentlichen Gesundheitsversorgung bisweilen zu Engpässen kommen. Bei entsprechender Finanzkraft ist allerdings fast jedes lokal produzierte oder importierte Medikament erhältlich (AA 10.3.2017).

Im Bereich der Basis-Gesundheitsversorgung wurde 2012 das Programm RAMED eingeführt und erstreckt sich auf 8,5 Mio. Einwohner der untersten Einkommensschichten bzw. vulnerable Personen, die bisher keinen Krankenversicherungsschutz genossen. Im Oktober 2012 waren bereits 1,2 Mio. Personen im RAMED erfasst (knapp 3 Prozent der Haushalte). RAMED wird vom Sozialversicherungsträger ANAM administriert, der auch die Pflichtkrankenversicherung AMO der unselbständig Beschäftigten verwaltet. Zugang haben Haushaltsvorstände und deren Haushaltsangehörige, die keiner anderen Pflicht-Krankenversicherung unterliegen. Die Teilnahme an RAMED ist gratis ("Carte RAMED"), lediglich vulnerable Personen zahlen einen geringen Beitrag (11 € pro Jahr pro Person). Ansprechbar sind die Leistungen im staatlichen Gesundheitssystem (Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung und Vorsorge sowie Krankenhäuser) im Bereich der Allgemein- und Fachmedizin, stationärer Behandlung, Röntgendiagnostik etc. Die Dichte und Bestückung der medizinischen Versorgung ist auf einer Website des Gesundheitsministeriums einsehbar (ÖB 9.2015). Mittellose Personen können auf Antrag bei der Präfektur eine "Carte RAMED" erhalten. Bei Vorlage dieser Karte sind Behandlungen kostenfrei (AA 10.3.2017).

Auf 1.775 Einwohner entfällt ein Arzt. 141 öffentliche Krankenhäuser führen etwas mehr als 27.000 Betten (ein Spitalsbett auf ca. 1.200 Einwohner); daneben bestehen 2.689 Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung. Inhaber der Carte RAMED können bei diesen Einrichtungen medizinische Leistungen kostenfrei ansprechen. Freilich ist anzumerken, dass dieser öffentliche Gesundheitssektor in seiner Ausstattung und Qualität und Hygiene überwiegend nicht mit europäischen Standards zu vergleichen ist. Lange Wartezeiten und Mangel an medizinischen Versorgungsgütern und Arzneien sind zu beobachten. Wer weder unter das RAMED-System fällt, noch aus einem Anstellungsverhältnis pflichtversichert ist, muss für medizinische Leistungen aus eigenem aufkommen (ÖB 9.2015).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (10.3.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko (Stand: März 2017)

-

ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (9.2015): Asylländerbericht Marokko

Dem Beschwerdeführer droht im Falle seiner Rückkehr keine Gefährdung in seinem Herkunftsstaat.

Marokko ist gemäß § 1 Z 9 der Herkunftsstaaten-Verordnung BGBl II Nr 177/2009, in der Fassung BGBl II Nr 47/2016, ein sicherer Herkunftsstaat.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Marokko mit Stand 07.07.2017.

Der Beschwerdeführer bestreitet den von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt nicht substantiiert und erstattete in der Beschwerde auch kein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen, sodass das Bundesverwaltungsgericht den maßgeblichen Sachverhalt als ausreichend ermittelt ansieht und sich der von der belangten Behörde vorgenommenen, nachvollziehbaren Beweiswürdigung vollumfänglich anschließt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seiner Volljährigkeit, seinem Familienstand, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seiner Konfession gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufkommen lässt.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich ist durch den vorliegenden Verwaltungsakt und die Einsichtnahme das Zentrale Melderegister sowie durch seine Aussagen in den niederschriftlichen Einvernahmen belegt.

Zuletzt bestätigte der Beschwerdeführer in seinen Einvernahme vom 18.09.2017 und 27.09.2017 glaubhaft, dass er gesund sei und er an keiner schwerwiegenden Krankheit leide. Zwar gibt der Beschwerdeführer an, an Asthma sowie Diabetes zu leiden, jedoch ist dies in Marokko behandelbar. Allfällige medizinische Unterlagen, die seine gesundheitliche Beeinträchtigung bestätigen würden, brachte der Beschwerdeführer nicht in Vorlage. Auch ließ sich auch den Einvernahmeprotokollen nicht ableiten, dass der psychische und physische Gesundheitszustand des Beschwerdeführers seiner Einvernahmen entgegengestanden wäre. Die Feststellung, dass sein Gesundheitszustand einer Rückkehr nicht entgegensteht, gründet sich vor allem auch aus den Angaben der Länderberichte, wonach die medizinische Grundversorgung vor allem im städtischen Raum weitgehend gesichert ist. Auch wenn medizinische Dienste kostenpflichtig sind, werden sie bei bestehender gesetzlicher Krankenversicherung von dieser erstattet. Selbst wenn die modern und gut ausgestatteten medizinischen Einrichtungen keine europäischen Standards garantieren, ist eine Versorgung im Bereich der Basis-Gesundheitsversorgung gewährleistet und sind Leistungen im staatlichen Gesundheitssystem (Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung und Vorsorge sowie Krankenhäuser) im Bereich der Allgemein- und Fachmedizin, stationärer Behandlung, Röntgendiagnostik etc. abrufbar. Ferner ist der Schluss zulässig, dass häufige Medikamente, die dem Beschwerdeführer allenfalls in Österreich oder den Niederlanden verschrieben wurden, auch in Marokko verschreibbar sind, oder jedenfalls wirkungsgleiche. Zudem verfügt Marokko mit dem Programm RAMED über eine Basis-Gesundheitsversorgung, welche sich auf 8,5 Mio. Einwohner der untersten Einkommensschichten bzw. vulnerable Personen, die bisher keinen Krankenversicherungsschutz genossen haben, erstreckt.

Dass sich in Marokko zwei Brüder und zwei Schwestern des Beschwerdeführers befinden, bestätigte der Beschwerdeführer zuletzt in der Einvernahme vor dem BFA am 18.09.2017.

Aus den Angaben des Beschwerdeführers leitet sich die Feststellung ab, dass er in Österreich über keinerlei familiäre Anknüpfungspunkte aufweist.

Weder aus dem Verwaltungsakt noch aus den Angaben des Beschwerdeführers in den Administrativverfahren ergibt sich, dass der Beschwerdeführer darüber hinaus soziale bzw. integrative Verfestigungen in Österreich aufweist.

Dass der Beschwerdeführer in Österreich strafgerichtlich unbescholten ist, leitet sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 17.10.2017 ab.

Die Feststellungen zu dem bereits rechtskräftig abgeschlossenen vorangegangenen Asylverfahren sowie dem gegenständlichen Asylverfahren und zu den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Fluchtgründen stützen sich auf seine Angaben in dem vorangegangenen erstinstanzlichen Asylverfahren und der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt.

Das gegenständliche Verfahren begründet der Beschwerdeführer mit dem aufrechten Bestehen der in seinem Erstverfahren genannten Fluchtgründe und bringt keine neue neuen Fluchtmotive vor ("Meine Asylgründe bleiben aufrecht. Die Gründe habe ich schon beim ersten Antrag ausführlich vorgelegt.").

2.3. Zum Herkunftsstaat:

Bezüglich der Erkenntnisquellen zur Lage im Herkunftsstaat wurden sowohl Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie bspw. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen, wie zum Beispiel der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, herangezogen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln und wurden die dem gegenständlichen Erkenntnis zugrunde gelegten Länderberichte vom Beschwerdeführer im Zuge der Beschwerde nicht beanstandet.

Der Länderbericht wurde dem Beschwerdeführer zuletzt im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 27.09.2017 zur Kenntnis gebracht und ihm die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt. Von dieser Möglichkeit nahm der Beschwerdeführer mit den Worten "Ich kenne meine Heimat, ich brauche das nicht." explizit keinen Gebrauch.

Ein Abgleich mit den aktuellen Länderberichten zu Marokko (Stand 07.07.2017) zeigt, dass sich im Hinblick auf das Vorbringen und zur Rückkehr des Beschwerdeführers keine maßgebliche Änderung eingetreten ist.

Auf Basis der vorliegenden Länderinformationsblätter und der darin enthaltenen Quellen gelangte das Bundesverwaltungsgericht zur Überzeugung, dass den Beschwerdeführer keine reale Gefahr der Folter, der Todesstrafe, einer unmenschlichen Behandlung oder Bestrafung oder seine persönlichen Unversehrtheit aufgrund eines zwischen- oder innerstaatlichen Konflikts droht und Marokko aufgrund dieser Umstände – unabhängig davon, dass Marokko nach der Herkunftsstaatenverordnung als sicherer Herkunftsstaat gilt – als sicherer Herkunftsstaat zu qualifizieren ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1 Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides)

Da die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz vom 02.10.2017 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen hat, ist Beschwerdegegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung dieses Antrages nicht aber der Antrag selbst.

Gemäß § 68 Abs 1 AVG sind Anbringen, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß Abs 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Eine entschiedene Sache liegt vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert haben (VwGH 21.03.1985, 83/06/0023, ua). Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nichts anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtswirksamen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes – nicht bloß von Nebenumständen – kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl zB VwGH 27.09.2000, 98/12/0057; siehe weiters die bei Walter/Thienel, Die Österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd I, 2. Aufl 1998, E 80 zu § 68 AVG wiedergegebene Judikatur).

Es ist Sache der Partei, die in einer rechtskräftig entschiedenen Angelegenheit eine neuerliche Sachentscheidung begehrt, dieses Begehren zu begründen (VwGH 08.09.1977, 2609/76).

Von einer verschiedenen "Sache" iSd § 68 Abs 1 AVG ist auszugehen, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern (vgl VwGH 24.02.2005, 2004/20/0010 bis 0013; VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391; VwGH 20.03.2003, 99/20/0480; VwGH 21.11.2002, 2002/20/0315).

Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben – nochmals – zu überprüfen. Die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (vgl VwGH 19.09.2013, 2011/01/0187; VwGH 25.04.2002, 2000/07/0235; VwGH 15.10.1999, 96/21/0097).

Ist davon auszugehen, dass ein Asylwerber einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz auf behauptete Tatsachen stützt, die bereits zum Zeitpunkt des ersten Asylverfahrens bestanden haben, die dieser jedoch nicht bereits im ersten Verfahren vorgebracht hat, liegt schon aus diesem Grund keine Sachverhaltsänderung vor und ist der weitere Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen (vgl VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391; VwGH 24.08.2004; 2003/01/0431; VwGH 21.11.2002, 2002/20/0315; VwGH 24.02.2000, 99/20/0173; VwGH 21.10.1999, 98/20/0467).

Im gegebenen Fall ist die Entscheidung der belangten Behörde vom 18.07.2017, Zl. 1002537406 / 170607247, über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 19.05.2017 am 09.08.2017 unbekämpft erstinstanzlich in Rechtskraft erwachsen. Dieser Bescheid kann mit einem ordentlichen Rechtsmittel nicht mehr bekämpft werden, weshalb § 68 Abs 1 AVG anzuwenden ist.

Der Beschwerdeführer behauptete keine Änderung des Sachverhalts. Die Tatsachen und Beweismittel bestanden schon vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens. Mit den vom Beschwerdeführer abermals geltend gemachten politischen Problemen bezieht er sich zur individuellen Begründung seines nunmehr zweiten Antrages auf internationalen Schutz ausschließlich auf Umstände, die bereits Gegenstand des vorangegangenen, rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens waren. Damit wird im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).

Der Folgeantrag stützt sich somit auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt, dem die Rechtskraft des über den Erstantrag absprechenden Bescheides vom 18.07.2017, Zl. 1002537406 / 170607247, (rechtskräftig seit 09.08.2017), entgegensteht (vgl VwGH 25.04.2007, 2004/20/0100; VwGH 17.09.2008, 2008/23/0684; VwGH 06.11.2009, 2008/19/0783).

Da weder in der maßgeblichen Sachlage, und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des Beschwerdeführers gelegen ist, noch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen ist, noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten ist, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens gegenüber dem Vorbescheid nicht von vornherein als ausgeschlossen scheinen ließe, liegt – wie die belangte Behörde zu Recht entschieden hat – eine entschiedene Sache iSd § 68 Abs 1 AVG vor, über welche nicht neuerlich meritorisch entschieden werden kann. Die Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten bzw. eines subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache erfolgte damit zu Recht.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 68 Abs 1 AVG als unbegründet abzuweisen.

3.2 Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides)

3.2.1 Rechtslage:

Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG ist einer Entscheidung nach dem AsylG mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG, BGBl I Nr 100/2005 idF BGBl I Nr 70/2015) zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs 3a oder 9 Abs 2 AslyG vorliegt.

Gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und kein Fall der §§ 8 Abs 3a oder 9 Abs 2 AsylG (i.e. Feststellung der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem Titel der Art 2 oder 3 EMRK bzw 6. oder 13. ZPEMRK in Fällen des Vorliegens von Aberkennungsgründen) vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Ein Fall der §§ 8 Abs 3a oder 9 Abs 2 AsylG (Nichtzuerkennung bzw. Aberkennung von subsidiärem Schutz wegen Vorliegens von Aberkennungsgründen) liegt im Beschwerdefall nicht vor.

Gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG, BGBl I 87/2012 idF BGBl I Nr 24/2016) ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, einer Ausweisung gemäß § 66 FPG oder eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Gemäß § 58 Abs 1 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird (Z 2) oder wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt (Z 5). Gemäß § 58 Abs 2 AsylG hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG (Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK) von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG (bis zum FrÄG 2015: "rechtskräftig") auf Dauer für unzulässig erklärt wird (bis zum FrÄG 2015: "wurde"). Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen (§ 58 Abs 3 AsylG). Auch wenn der Gesetzgeber das Bundesamt im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung zur Prüfung und spruchmäßigen Erledigung der Voraussetzungen der §§ 55 und 57 AsylG von Amts wegen, dh. auch ohne dahingehenden Antrag des Beschwerdeführers, verpflichtet, ist die Frage der Erteilung eines solchen Titels auch ohne vorhergehenden Antrag im Beschwerdeverfahren gegen den negativen Bescheid durchsetzbar und daher Gegenstand der Sachentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/20/0121).

Gemäß § 52 Abs 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

3.2.2. Anwendung der Rechtslage auf den Beschwerdefall

3.2.2.1. Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG (Spruchpunkt II. erster Satz des angefochtenen Bescheides)

Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG wurde vom Beschwerdeführer nicht behauptet und auch aus dem Verwaltungsakt ergeben sich keinerlei Hinweise, die nahe legen würden, dass die Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung in Betracht kommt.

Da somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG nicht gegeben sind, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides – im Umfang des ersten Satzes – gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 57 AsylG als unbegründet abzuweisen.

3.2.2.2 Erlassung einer Rückkehrentscheidung und Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt II., zweiter und dritter Satz des angefochtenen Bescheides):

Zunächst ist im Lichte des Art 8 Abs 1 EMRK zu berücksichtigen, dass der Aufenthalt des - volljährigen und gesunden - Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit seiner letztmaligen Einreise in das Bundesgebiet (spätestens) am 18.09.2017 rund eineinhalb Monate gedauert hat (vgl dazu etwa das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 08.04.2008, Nnyanzi gegen das Vereinigte Königreich, Nr 21878/06, demzufolge der Gerichtshof es nicht erforderlich erachtete, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob während des fast zehnjährigen Aufenthalts des betreffenden Beschwerdeführers ein Privatleben iSv Art 8 EMRK entstanden ist). Wie lange der Beschwerdeführer seit seiner erstmaligen Einreise ins Bundesgebiet im März 2014 insgesamt im Bundesgebiet aufhältig war, lässt sich – zumindest auf Grundlage des Zentralen Melderegisters – nicht feststellen.

Sein gesamter bisheriger Aufenthalt fußt auf einem Asylantrag, den der Beschwerdeführer lediglich aufgrund seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet stellen konnte bzw. aufgrund des von ihm gestellten Folgeantrages.

Hinsichtlich eines in Österreich im Sinne des Art 8 EMRK geschütztes Familienleben ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer das Bestehen eines derartigen nicht behauptet und seitens des Bundesverwaltungsgerichtes auch nicht festgestellt werden konnte.

Es liegen auch keine Hinweise vor, dass der Beschwerdeführer in Hinblick auf seinen sehr kurzen Aufenthalt im Bundesgebiet einen maßgeblichen und überdurchschnittlichen Grad an Integration erlangt hätte, der seinen persönlichen Interessen ein entscheidendes Gewicht verleihen würde: So liegt keine soziale bzw. integrative Verfestigung in Österreich vor. Die Mitgliedschaft in einem Verein oder einer sonstigen Organisation verneinte der Beschwerdeführer bislang. Einen Nachweis über die Absolvierung eines Deutschkurses oder einer Deutschprüfung erbrachte er nicht.

Dagegen kann nach wie vor Bindungen des Beschwerdeführers zu seinem Heimatstaat Marokko ausgegangen werden, zumal er dort den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht hat, zwei seiner Brüder und Schwestern nach wie vor im Herkunftsstaat leben und er dort hauptsozialisiert wurde, er arabisch spricht und durchaus mit den regionalen Sitten und Gebräuchen der marokkanischen Kultur vertraut ist. Im gegenständlichen Fall kann nicht von einer vollkommenen Entwurzelung des Beschwerdeführers gesprochen werden.

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie der Beschwerdeführer erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Überdies würde dies dazu führen, dass Fremde, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, letztlich schlechter gestellt wären, als ein Fremder, der seinen Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch seine Einreise und durch die Stellung eines letztlich unbegründeten Asylantrages erzwingt. Dies würde in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen, vgl VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007; vgl dazu auch VfSlg 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass "eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde.").

Dem persönlichen Interesse des Beschwerdeführers auf einen Verbleib im Bundesgebiet steht das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens gegenüber; diesem gewichtigen öffentlichen Interesse kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 12.03.2002, 98/18/0260; 18.01.2005, 2004/18/0365).

Vor diesem Hintergrund und nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen kann ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers jedenfalls als im Sinne des Art 8 Abs 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden.

Die im vorliegenden Beschwerdefall vorzunehmende Interessenabwägung schlägt somit zuungunsten des Beschwerdeführers und zugunsten des öffentlichen Interesses an seiner Außerlandesschaffung aus.

Zur Feststellung, dass eine Abschiebung gemäß § 46 nach Marokko zulässig ist (§ 52 Abs 9 FPG) ist zunächst darauf zu verweisen, dass dem Beschwerdeführer in Marokko keine asylrelevante Verfolgung droht.

Auch dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Marokko die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art 3 EMRK überschritten wäre (zur "Schwelle" des Art 3 EMRK vergleiche VwGH vom 16.07.2003, 2003/01/0059), gibt es im vorliegenden Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt. Der Beschwerdeführer ist volljährig, gesund und somit arbeitsfähig. Er sollte sich im Falle einer Rückkehr durch die Ausübung diverser Hilfstätigkeiten und Gelegenheitsarbeiten zum Verdienst seines Lebensunterhaltes imstande sein.

Damit ist der Beschwerdeführer nicht durch die Außerlandesschaffung nach Marokko in seinem Recht gemäß Art 3 EMRK verletzt, weil die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz im konkreten Fall gedeckt werden können. Dass der Beschwerdeführer allenfalls in Österreich wirtschaftlich gegenüber seiner Situation in Marokko besser gestellt ist, genügt für die Annahme, er würde in Marokko keine Lebensgrundlage vorfinden und somit seine Existenz nicht decken können, nicht. Hierfür fehlen im vorliegenden Fall alle Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände.

Außerdem besteht ganz allgemein in Marokko derzeit keine solche extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK ausgesetzt wäre. Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht sind auch keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass bezogen auf den Beschwerdeführer ein reales Risiko einer gegen Art 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides, im Umfang des zweiten und dritten Satzes, gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs 9 FPG abzuweisen war.

3.2.2.3. Zum Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkte III. des angefochtenen Bescheides):

Dass eine Frist für die freiwillige Ausreise für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG nicht besteht, ergibt sich schon unmittelbar aus § 55 Abs. 1a Fremdenpolizeigesetz 2005, sodass der Beschwerdeführer auch nicht in seinen Rechten verletzt sein kann.

4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Der Verwaltungsgerichtshof sprach in seinem Erkenntnis vom 28.05.2014, 2014/20/0017 und -0018, aus, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

Wie in der Beweiswürdigung dargelegt, sind die genannten Kriterien im vorliegenden Fall erfüllt, da der Sachverhalt durch die belangte Behörde vollständig erhoben wurde und nach wie vor die gebotene Aktualität aufweist. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde wird seitens des Bundesverwaltungsgerichts vollinhaltlich bestätigt. Im Übrigen vermag das Vorbringen in der Beschwerdeschrift die erstinstanzliche Entscheidung nicht in Frage zu stellen. In der Beschwerde findet kein neues Tatsachenvorbringen hinsichtlich allfälliger sonstiger Gründe, welche die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gerechtfertigt erscheinen ließe.

Damit ist der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt anzusehen (vgl. § 27 VwGVG), wobei eine mündliche Erörterung auch keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lässt. Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im vorliegenden Fall wurden keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die Beurteilung des Einzelfalles ist in aller Regel nicht reversibel. Das gegenständliche Erkenntnis weicht nicht von der im Entscheidungstext zitierten Rechtsprechung des VwGH ab, sodass die ordentliche Revision im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig ist.

Schlagworte

Folgeantrag, Identität der Sache, Interessenabwägung, öffentliches
Interesse, Prozesshindernis der entschiedenen Sache,
Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:I415.2173623.1.00

Zuletzt aktualisiert am

20.11.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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