Entscheidungsdatum
02.11.2017Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I408 2175110-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. MAROKKO, vertreten durch: Verein Menschenrechte Österreich gegen den Bescheid des BFA, Erstaufnahmestelle Ost (EASt-Ost) vom 16.10.2017, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird abgewiesen
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer stellte am 28.02.2016 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.03.2016, Zl. XXXX, abgewiesen und die Ausweisung nach Marokko verfügt wurde. Diese Entscheidung erwuchs mit 15.04.2016 in Rechtskraft. Er begründete seinen damaligen Antrag mit den schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen in seinem Heimatland.
1.2. Am 13.09.2017 stellte der Beschwerdeführer einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz, den er ebenfalls mit den schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen in seinem Heimatland begründete.
1.3 Dem Beschwerdeführer wurde mit Schreiben vom 20.09.2017 zur Kenntnis gebracht, dass die belangte Behörde beabsichtige, diesen Antrag wegen entschiedener Sache abzuweisen und am 03.10.2017 erfolgte eine Einvernahme des Beschwerdeführers. Auch dabei verwies er auf die in Marokko herrschende Armut und dass er hier arbeiten und seine Familie unterstützen möchte.
1.4. Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid wurde dieser Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (I.), dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Marokko zulässig ist (Spruchpunkt II). Zudem wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für eine freiwillige Ausreise besteht.
1.5. Dieser Bescheid wurde vom Beschwerdeführer am 20.10.2017 persönlich ausgefolgt.
1.5. Mit Fax vom 25.10.2017 erhob der Beschwerdeführer über die mit Verfahrensanordnung vom 18.10.2017 zugewiesene Rechtsberatung fristgerecht Beschwerde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist volljährig, ledig, kinderlos, Staatsbürger von Marokko und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.
Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren Krankheit noch ist er längerfristig pflege- oder rehabilitationsbedürftig. Sein Gesundheitszustand steht seiner Rückkehr nicht entgegen.
Zu seinen In Marokko lebenden Angehörigen hat der Beschwerdeführer nach wie vor regelmäßigen Kontakt
In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine familiären Anknüpfungspunkte und auch über keine soziale oder integrative Verfestigung. Der Beschwerdeführer hat in Österreich noch keinen Deutschkurs absolviert.
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte erstmalig am 28.02.2016 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass er Marokko wegen der dort herrschenden schlechten wirtschaftlichen Situation verlassen habe. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.03.2016 rechtskräftig negativ entschieden.
Der Beschwerdeführer hielt sich nach dieser negativen Entscheidung von April 2016 bis Juli 2016 in Genf und von Juli 2016 bis September 2017 in Italien auf.
Am 13.09.2017 stellte der Beschwerdeführer nach neuerlicher illegaler Einreise in Österreich den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Darin machte der Beschwerdeführer wiederum nur wirtschaftlichen Problemen geltend und bringt damit keinen neuen Sachverhalt vor.
1.2. Zu den Feststellungen zur Lage in Marokko:
Marokko ist im regionalen Kontext ein vergleichsweise politisch stabiles Land mit guter touristischer und sicherheitspolitischer Infrastruktur (AA 16.7.2015). Die Grundversorgung der Bevölkerung ist gewährleistet, Brot, Zucker und Gas werden subventioniert. Staatliche soziale Unterstützung ist kaum vorhanden, vielfach sind religiös-karitative Organisationen tätig (AA 10.3.2017). Der informelle Bereich der Wirtschaft wird statistisch nicht erfasst, entfaltet aber erhebliche Absorptionskraft für den Arbeitsmarkt. Fremdsprachenkenntnisse - wie sie z.B. Heimkehrer aufweisen - sind insbesondere in der Tourismusbranche und deren Umfeld nützlich. Arbeitssuchenden steht die Internet-Plattform des nationalen Arbeitsmarktservices ANAPEC zur Verfügung (www.anapec.org), die neben aktueller Beschäftigungssuche auch Zugang zu Fortbildungsmöglichkeiten vermittelt. Unter 30-Jährige, die bestimmte Bildungsebenen erreicht haben, können mit Hilfe des OFPPT (www.ofppt.ma/) eine weiterführende Berufsausbildung einschlagen. Die marokkanische Regierung führt Programme der Armutsbekämpfung (INDH) und des sozialen Wohnbaus. Eine staatlich garantierte Grundversorgung/arbeitsloses Basiseinkommen existiert allerdings nicht. (ÖB 9.2015).
Marokko ist gemäß § 1 Ziffer 9 der Herkunftsstaaten-Verordnung BGBl. II Nr. 177/2009, in der Fassung BGBl. II Nr. 47/2016, ein sicherer Herkunftsstaat.
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Marokko mit Stand 07.07.2017, das die Feststellungen im verfahrensgegenständlichen Bescheid zur Situation in Marokko zweifelsfrei bestätigt.
Die Angaben zu seiner Person beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde und werden auch in der Beschwerde nicht beanstandet.
In der Beschwerde wird weder der Sachverhaltsermittlung noch der Begründung der belangten Behörde substantiiert entgegengetreten, sodass sich der erkennende Richter den Ausführungen der belangten Behörde vollinhaltlich anschließt.
Nur aus dem Umstand, dass in Marokko keine staatlich garantierte Grundversorgung (= keinerlei finanzielle Unterstützung) existiert, kann keine – wie in der Beschwerde moniert - Verletzung der in der EMRK verankerten Grundrechte abgeleitet werden. Derart exzeptionelle Umstände kann aus den vorliegenden Länderfeststellungen jedenfalls nicht entnommen werden und stehen zudem in eklatantem Widerspruch zur Herkunftsstaaten-Verordnung.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.
Der Verwaltungsgerichtshof sprach in seinem Erkenntnis vom 28.05.2014, 2014/20/0017 und -0018, aus, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungs-gericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.
Die genannten Kriterien sind im vorliegenden Fall erfüllt, weil der Sachverhalt durch die belangte Behörde vollständig erhoben wurde und nach wie vor die gebotene Aktualität aufweist. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde wird seitens des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt. Im Übrigen findet sich in der Beschwerdeschrift ein lediglich unsubstantiiertes Vorbringen, welches im gegenständlichen Fall nicht dazu geeignet ist, die erstinstanzliche Entscheidung in Frage zu stellen. In der Beschwerde findet kein neues Tatsachenvorbringen hinsichtlich allfälliger sonstiger Gründe, welche die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gerechtfertigt erscheinen ließe.
Damit ist der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt anzusehen (vgl. § 27 VwGVG), wobei eine mündliche Erörterung auch keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lässt. Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.
3.2. Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides)
Da die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz vom 25.07.2016 gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen hat, ist Beschwerdegegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung dieses Antrages nicht aber der Antrag selbst.
Gemäß § 68 Abs 1 AVG sind Anbringen, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß Abs 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
Eine entschiedene Sache liegt vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert haben (VwGH 21.03.1985, 83/06/0023, ua). Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nichts anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtswirksamen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes – nicht bloß von Nebenumständen – kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl zB VwGH 27.09.2000, 98/12/0057; siehe weiters die bei Walter/Thienel, Die Österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd I, 2. Aufl 1998, E 80 zu § 68 AVG wiedergegebene Judikatur).
Von einer verschiedenen "Sache" iSd § 68 Abs 1 AVG ist auszugehen, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern (vgl VwGH 24.02.2005, 2004/20/0010 bis 0013; VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391; VwGH 20.03.2003, 99/20/0480; VwGH 21.11.2002, 2002/20/0315).
Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben – nochmals – zu überprüfen. Die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (vgl VwGH 19.09.2013, 2011/01/0187; VwGH 25.04.2002, 2000/07/0235; VwGH 15.10.1999, 96/21/0097).
Im gegebenen Fall ist die Entscheidung der belangten Behörde vom vom 16.10.2017, Zl. 1106876003 über den Antrag des Beschwerdeführers vom 28.02.2016 auf internationalen Schutz mit 15.04.2016 in Rechtskraft erwachsen. Dieser Bescheid kann ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr bekämpft werden, weshalb § 68 Abs 1 AVG anzuwenden ist.
Der Asylfolgeantrag stützt sich somit auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt, dem die Rechtskraft des über den Erstantrag absprechenden Bescheides vom 02.03.2016 (rechtskräftig seit 23.02.2016), Zl IFA 110298360/160108316, entgegensteht (vgl VwGH 25.04.2007, 2004/20/0100; VwGH 17.09.2008, 2008/23/0684; VwGH 06.11.2009, 2008/19/0783).
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 68 Aba 1 AVG als unbegründet abzuweisen.
3.3. Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides)
3.3.1. Rechtslage:
Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG ist einer Entscheidung nach dem AsylG mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG, BGBl I Nr 100/2005 idF BGBl I Nr 70/2015) zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs 3a oder 9 Abs 2 AslyG vorliegt.
Gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und kein Fall der §§ 8 Abs 3a oder 9 Abs 2 AsylG (i.e. Feststellung der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem Titel der Art 2 oder 3 EMRK bzw 6. oder 13. ZPEMRK in Fällen des Vorliegens von Aberkennungsgründen) vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Ein Fall der §§ 8 Abs 3a oder 9 Abs 2 AsylG (Nichtzuerkennung bzw. Aberkennung von subsidiärem Schutz wegen Vorliegens von Aberkennungsgründen) liegt im Beschwerdefall nicht vor.
Gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG, BGBl I 87/2012 idF BGBl I Nr 24/2016) ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, einer Ausweisung gemäß § 66 FPG oder eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).
Gemäß § 58 Abs 1 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird (Z 2) oder wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt (Z 5). Gemäß § 58 Abs 2 AsylG hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG (Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK) von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG (bis zum FrÄG 2015: "rechtskräftig") auf Dauer für unzulässig erklärt wird (bis zum FrÄG 2015: "wurde"). Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen (§ 58 Abs 3 AsylG). Auch wenn der Gesetzgeber das Bundesamt im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung zur Prüfung und spruchmäßigen Erledigung der Voraussetzungen der §§ 55 und 57 AsylG von Amts wegen, dh auch ohne dahingehenden Antrag des Beschwerdeführers, verpflichtet, ist die Frage der Erteilung eines solchen Titels auch ohne vorhergehenden Antrag im Beschwerdeverfahren gegen den negativen Bescheid durchsetzbar und daher Gegenstand der Sachentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl VwGH 28.01.2015, Ra 2014/20/0121).
Gemäß § 52 Abs 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.
3.3.2. Anwendung der Rechtslage auf den Beschwerdefall
3.3.2.1. Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG (Spruchpunkt II. 1. Satz des ersten Spruchteils des angefochtenen Bescheides)
Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG wurde vom Beschwerdeführer nicht behauptet und auch aus dem Verwaltungsakt ergeben sich keinerlei Hinweise, die nahe legen würden, dass die Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung in Betracht kommt.
Da somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG nicht gegeben sind, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides – im Umfang des ersten Satzes des ersten Spruchteiles – gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 57 AsylG als unbegründet abzuweisen.
3.3.2.2 Erlassung einer Rückkehrentscheidung und Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt II., zweiter und dritter Teil des angefochtenen Bescheides):
Zu prüfen ist im Weiteren, ob eine Rückkehrentscheidung mit Art 8 EMRK vereinbar ist, weil sie nur dann zulässig wäre und nur im verneinenden Fall ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht käme. Die Vereinbarkeit mit Art 8 EMRK ist aus folgenden Gründen gegeben:
Zunächst im Lichte des Art 8 Abs 1 EMRK zu berücksichtigen, dass der Aufenthalt des - volljährigen und gesunden - Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit seiner erstmaligen Einreise in das Bundesgebiet im Februar 2016 sowie abzüglich seiner Aufenthalte in der Schweiz (April 2016 bis Juli 2016) und in Italien ( Juli 2016 bis September 2017) in Italien rund vierzehn bzw. zwei Monate gedauert hat (vgl dazu etwa das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 08.04.2008, Nnyanzi gegen das Vereinigte Königreich, Nr 21878/06, demzufolge der Gerichtshof es nicht erforderlich erachtete, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob während des fast zehnjährigen Aufenthalts des betreffenden Beschwerdeführers ein Privatleben iSv Art 8 EMRK entstanden ist). Spätestens seit der Abweisung seines Asylantrages mit Bescheid der belangten Behörde vom 17.03.2016 also rund zwei Monate nach seiner Einreise in das Bundesgebiet – musste sich der Beschwerdeführer seines unsicheren Aufenthaltes bewusst sein und ist auch durch seine erfolgte Ausreise dokumentiert.
Außerdem fußt sein gesamter bisheriger Aufenthalt auf einem Asylantrag, den der Beschwerdeführer lediglich aufgrund seiner (zweimaligen) illegalen Einreise in das Bundesgebiet stellen konnte. bzw aufgrund des von ihm gestellten Folgeantrages.
Hinsichtlich eines in Österreich im Sinne des Art 8 EMRK geschütztes Familienleben ist auszuführen, dass sie das Bestehen eines Familienlebens vom Beschwerdeführer bislang verneint wurde.
Es liegen auch keine Hinweise vor, dass der Beschwerdeführer in Hinblick auf seinen vierzehn bzw. zwei Monate andauernden Aufenthalt einen maßgeblichen und überdurchschnittlichen Grad an Integration erlangt hätte, der seinen persönlichen Interessen ein entscheidendes Gewicht verleihen würde: So liegt keine soziale bzw. integrative Verfestigung in Österreich vor, zumal er selbst in Bezug auf seine Aktivitäten in Österreich nur von fallweise vorgenommenen Schwarzarbeiten gesprochen hat.
Dagegen bestehen nach wie vor Bindungen des Beschwerdeführers zu seinem Heimatstaat Marokko, zumal er dort den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht hat und dort hauptsozialisiert wurde, er arabisch spricht und durchaus mit den regionalen Sitten und Gebräuchen der marokkanischen Kultur vertraut ist. Im gegenständlichen Fall kann nicht von einer vollkommenen Entwurzelung des Beschwerdeführers gesprochen werden, zumal auch Familienangehörige nach wie vor in Marokko leben und er mit diesen in Kontakt steht.
Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie der Beschwerdeführer erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Überdies würde dies dazu führen, dass Fremde, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, letztlich schlechter gestellt wären, als ein Fremder, der seinen Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch seine Einreise und durch die Stellung eines letztlich unbegründeten Asylantrages erzwingt. Dies würde in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen, vgl VwGH11.12.2003, 2003/07/0007; vgl dazu auch VfSlg 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass "eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde.").
Dass der Beschwerdeführer strafgerichtlich unbescholten ist, ist zu Gunsten des Beschwerdeführers zu würdigen, vermag aber für sich allein seinem persönlichen Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet ebenfalls keinen positiven Ausschlag zu verleihen (VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029).
Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich steht somit das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens gegenüber; diesem gewichtigen öffentlichen Interesse kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 12.03.2002, 98/18/0260; 18.01.2005, 2004/18/0365).
Vor diesem Hintergrund und nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen kann ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers jedenfalls als im Sinne des Art 8 Abs 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden.
Die im vorliegenden Beschwerdefall vorzunehmende Interessenabwägung schlägt somit zuungunsten des Beschwerdeführers und zugunsten des öffentlichen Interesses an seiner Außerlandesschaffung aus.
Zur die Feststellung, dass eine Abschiebung gemäß § 46 nach Marokko zulässig ist (§ 52 Abs 9 FPG) ist zunächst darauf zu verweisen, dass dem Beschwerdeführer in Marokko keine asylrelevante Verfolgung droht.
Auch dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Marokko die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art 3 EMRK überschritten wäre (zur "Schwelle" des Art 3 EMRK vergleiche VwGH vom 16.07.2003, 2003/01/0059), gibt es im vorliegenden Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt. Der Beschwerdeführer ist volljährig, gesund und somit arbeitsfähig und sollte sich im Falle einer Rückkehr durch Ausübung einer adäquaten Tätigkeit wie zum Beispiel diverser Hilfstätigkeiten und Gelegenheitsarbeiten zum Verdienst seines Lebensunterhaltes imstande sein. Ungeachtet dessen verfügt der Beschwerdeführer über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner dort lebenden Familienangehörigen, sodass er auch nicht auf sich alleine gestellt ist.
Damit ist der Beschwerdeführer nicht durch die Außerlandesschaffung nach Marokko in seinem Recht gemäß Art 3 EMRK verletzt, weil die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz im konkreten Fall gedeckt werden können. Dass der Beschwerdeführer allenfalls in Österreich wirtschaftlich gegenüber seiner Situation in Marokko besser gestellt ist, genügt für die Annahme, er würde in Marokko keine Lebensgrundlage vorfinden und somit seine Existenz nicht decken können, nicht. Hierfür fehlen im vorliegenden Fall alle Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände.
Außerdem besteht ganz allgemein in Marokko derzeit keine solche extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK ausgesetzt wäre. Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht sind auch keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass bezogen auf den Beschwerdeführer ein reales Risiko einer gegen Art 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw der Todesstrafe besteht.
Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides, im Umfang des zweiter und dritter Spruchteils, gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs 9 FPG abzuweisen war.
3.4. Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 55 Abs 1a FPG besteht eine Frist für die freiwillige Ausreise u.a. nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung nach § 68 AVG. Dass eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht besteht, ergibt sich somit unmittelbar aus § 55 Abs 1a FPG 2005.
Daher war auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 55 Abs 1a FPG als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im vorliegenden Fall wurden keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die Beurteilung des Einzelfalles ist in aller Regel nicht reversibel. Das gegenständliche Erkenntnis weicht nicht von der im Entscheidungstext zitierten Rechtsprechung des VwGH ab, sodass die ordentliche Revision im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig ist.
Schlagworte
Folgeantrag, Identität der Sache, Interessenabwägung, öffentlichesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2017:I408.2175110.1.00Zuletzt aktualisiert am
20.11.2017