TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/3 L513 2164898-1

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Veröffentlicht am 03.11.2017
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Entscheidungsdatum

03.11.2017

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L513 2164898-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. DDr. Friedrich KINZLBAUER, LL.M über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.06.2017, Zl. 15-1080696300-150989565, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß den § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt den nachfolgenden Sachverhalt als erwiesen an:

I.1. Bisheriger Verfahrenshergang

I.1.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als "BF" bezeichnet), ein Staatsangehöriger des Irak und der sunnitischen Religionsgemeinschaft zugehörig, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 01.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu wurde er erstbefragt und zu den im Akt ersichtlichen Daten von einem Sicherheitsorgan niederschriftlich einvernommen.

Im Rahmen der Erstbefragung am 02.08.2015 (AS 21 - 31) gab der Beschwerdeführer hinsichtlich der Fluchtgründe zu Protokoll, dass in seinem Land keine Arbeit gebe, von der er leben könnte. IS-Truppen hätten Menschen wahllos getötet, Häuser in die Luft gesprengt und junge Leute rekrutiert. Wenn ein junger Mann nicht mitmachen wolle, werde er gezwungen. Aus diesem Grunde habe er beschlossen, den Irak zu verlassen. Bei einer weiteren Erstbefragung am 22.09.2015 erklärte er, weil er Polizist wäre und von der IS mit dem Umbringen bedroht worden zu sein, habe er den Irak verlassen. Sein Bruder und der Cousin wären umgebracht worden und ihr Haus bombardiert worden.

Am 20.03.2017 erfolgte eine Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge kurz als "BFA" bezeichnet) (AS 81 - 89). Zu seinen Ausreisegründen befragt, erklärte der BF, dass er in der Sektion des Geheimdienstes in der Administration tätig gewesen wäre. Im April 2014 wäre Daesh gekommen und hätte die Leute in den Häusern getötet. Primär wären Polizisten davon betroffen gewesen. Im Mai 2014 wäre er deshalb nach Ramadi geflohen. Er hätte dort bei seiner Tante bis August 2014 gewohnt. Er hätte nach wie vor bei der Administration gearbeitet, aber bei der Tante geschlafen. Am 1.8.2014 habe er die Arbeit verlassen und wäre am 2.8.2014 mit der Mutter nach Bagdad gegangen. Am 25.8.2014 wie er alleine in den Norden von Irak gegangen. Bis 12.3.2015 wäre er dort geblieben. Anschließend wäre er legal mit dem Flugzeug in die Türkei geflogen. Daesh wolle ihn töten, da er vom Abu Rischa Clan und Polizist wäre. Auch die Regierung hätte sich zu einer Miliz entwickelt. Entweder würde er für Daesh oder die Miliz arbeiten. Das habe er jedoch nicht gewollt. Dies wären die Gründe dafür gewesen, warum er den Irak verlassen habe. Er wäre von Daesh angerufen worden und sie hätten ihm gesagt, dass sie ihn töten würden.

Im Rahmen der Einvernahme brachte der BF auch den Personalausweis, den Staatsbürgerschaftsnachweis, eine Polizeikarte und 2 griechische Schreiben in Vorlage.

I.1.2. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid des BFA (AS 133 - 228) gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

I.1.2.1. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Irak traf das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ausführliche Feststellungen.

I.1.2.2. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete das BFA das Vorbringen des BF als nicht glaubhaft.

I.1.2.3. In der rechtlichen Beurteilung wurde begründend dargelegt, warum der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG biete und warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr iSd § 8 Abs. 1 AsylG ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wurde, weshalb gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass dessen Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Letztlich wurde erläutert, weshalb die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

I.1.2.4. Hinsichtlich des Inhaltes des angefochtenen Bescheides im Detail wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.

I.1.3. Mit Verfahrensanordnung vom 03.07.2017 (AS 117) wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

I.1.4. Gegen den angefochtenen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 17.07.2017 innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben (AS 241 - 262).

I.1.4.1. In der Beschwerde werden Mangelhaftigkeit des Verfahrens, mangelhafte bzw. unrichtige Bescheidbegründung sowie unrichtige rechtliche Beurteilung moniert. Des Weiteren wird im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt.

I.1.4.2. Das BFA spreche dem BF die Glaubwürdigkeit ab. Als der Beschwerdeführer offiziell 14 Tage Urlaub erhalten habe, wäre er am 2.8.2014 mit seiner Mutter nach Bagdad gereist, wo sie von der Tante aufgenommen worden wären. Wenig später wäre er nach Sulaimaniyya (Kurdistan) gereist. Dort wäre er 4 bis 5 Monate verbleiben. Er hätte sich somit länger als erlaubt vom Polizeidienst entfernt, weshalb er als Verräter angesehen worden wäre. Er hätte auch Nachricht vom IS erhalten, in der er bedroht worden sei, dass sein Haus durchsucht und beschmiert worden wäre. Der IS wolle den Beschwerdeführer töten, da er Mitglied des Abu Rischa Clans und Polizist wäre. Er könne sich von dieser Gefahr lediglich freikaufen, wenn er sich verpflichte, für den IS zu kämpfen. Diesbezüglich wird auf beigefügte Länderfeststellungen verwiesen. Hätte die Behörde diese Länderberichte herangezogen, hätte sie feststellen müssen, dass dem Beschwerdeführer als unerlaubt vom Dienst ferngebliebenen Polizisten im gesamten Irak Verfolgung drohe. Auch wäre er als Sunnit massiven Diskriminierungen ausgesetzt gewesen. Er werde daher im Irak aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der für die Regierung tätig gewesenen Polizisten bzw. hinsichtlich der Verfolgung durch die Regierung/Milizen der Gruppe der unerlaubt vom Dienst ferngebliebenen Polizisten verfolgt. Zum Beweis hätte der Beschwerdeführer eine Polizeikarte und nunmehr ein Lichtbild, das ihn in Uniform zeige, vorgelegt. Wenn die Behörde ausführe, dass der Beschwerdeführer als Polizist nicht ausreisen hätte dürfen, so wäre festzustellen, dass die Behörde ihn befragen hätte müssen. Dieser hätte angegeben, dass er während des Urlaubes lediglich Inlandsreisen unternommen habe und dass in der autonomen Provinz Kurdistan die Reisepässe nur mit den eigenen Geheimdienstlisten abgeglichen werden, auf welchen der Beschwerdeführer nicht aufscheine, weshalb er unbehelligt ausreisen habe können. So hätte der Beschwerdeführer vorgebracht, dass er bei einer Art Hilfspolizei gewesen wäre. Es wird auf verschiedene Berichte von Medien, NGO-s und Länderberichten verwiesen.

Darüber hinaus wird die Verletzung der Ermittlungspflicht und der Wahrung des Parteiengehörs moniert.

I.1.4.3. Abschließend wird daher beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge

*die angefochtene Entscheidung dahingehend abändern, dass dem Antrag auf internationalen Schutz Folge gegeben und dem BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt werde;

* in eventu die angefochtene Entscheidung dahingehend abändern, dass gem. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt werde, weil eine Rückkehr in den Irak eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2 und 3 EMRK bedeuten würde;

* in eventu die angefochtene Entscheidung zur Gänze beheben und die Sache zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens an das BFA zurückverweisen

* und eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen.

I.1.4.5. Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde im Detail wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.

I.1.5. Mit Schreiben vom 28.7.2017 wurde vom BF eine Aufnahmebestätigung in den Polizeidienst als Beweis seiner Zugehörigkeit zur Polizei vorgelegt.

I.1.5.1. Mit Schreiben des hg. Gericht vom 2.8.2017 wurde der BF ersucht, das Original der am 28.7.2017 übermittelten Kopie der Aufnahmebestätigung in den Polizeidienst vorzulegen.

I.1.5.2. Mit Schreiben vom 7.8.2017 wurde vom BF erklärt, dass ihm das Original nicht zugängig wäre und er daher die vorgelegte Aufnahmebestätigung als Beweismittel zurückziehe.

I.1.6.

Hinsichtlich des Verfahrensherganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensbestimmungen

1.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

1.2. Anzuwendendes Verfahrensrecht

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

1.3. Prüfungsumfang

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

1.4. Verweise, Wiederholungen

1.4.1. Das erkennende ist Gericht berechtigt, auf die außer Zweifel stehende Aktenlage (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) zu verweisen, weshalb auch hierauf im gegenständlichen Umfang verwiesen wird.

1.4.2. Ebenso ist es nicht unzulässig, Teile der Begründung des Bescheides der Verwaltungsbehörde wörtlich wiederzugeben. Es widerspricht aber grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen eines (insoweit erstmals entscheidenden) Gerichts, wenn sich der Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung nicht aus der Gerichtsentscheidung selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung des Bescheides ergibt. Die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (Erk. d. VfGH v. 7.11.2008, U67/08-9 mwN).

1.4.3. Grundsätzlich ist im gegenständlichen Fall anzuführen, dass das BFA ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchführte und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung in der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenfasste. Das BFA hat sich sowohl mit dem individuellen Vorbringen auseinander gesetzt, als auch ausführliche Sachverhaltsfeststellungen zur allgemeinen Situation im Irak auf Grundlage ausreichend aktuellen und unbedenklichen Berichtsmaterials getroffen und in zutreffenden Zusammenhang mit der Situation des BF gebracht.

2. Zur Entscheidungsbegründung:

2.1. Basierend auf dem Ergebnis des Beweisverfahrens sind folgende Feststellungen zu treffen:

2.1.1. Der Beschwerdeführer

Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger und ist sunnitischen Glaubens.

Die Identität des Antragstellers konnte aufgrund der Beibringung von geeigneten Dokumenten festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer besuchte 9 Jahre die Schule im Irak. Seine Mutter und zwei Schwestern mit ihren Familien sind weiterhin dort aufhältig. In Österreich befinden sich ein Bruder, ein weiterer Halbbruder sowie zwei Schwestern. Alle mit ihren Familien. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeitsfähiger Mensch mit bestehenden Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage.

2.1.2. Behauptete Ausreisegründe aus dem Herkunftsstaat

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von Angehörigen der schiitischen Milizen in Zusammenhang mit seiner Rekrutierung bedroht worden wäre. Desweiteren kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von den Angehörigen des IS bedroht wurde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder Verfolgung in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.

2.1.3. Der Beschwerdeführer hält sich seit August 2015 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel.

In Österreich leben Geschwister des Beschwerdeführers ebenfalls als Asylwerber. Er verfügt über keine sonstigen relevanten familiären und privaten Anknüpfungspunkte in Österreich.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich noch keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen und bezieht Leistungen der Grundversorgung für Asylwerber, wobei er grundsätzlich erwerbsfähig ist. Er ist alleinstehend und pflegt normale soziale Kontakte. Er besucht einen Deutschkurs, wobei hiezu keine Beweismittel vorgelegt wurden. Anderweitige Integrationsschritte hat der Beschwerdeführer nicht ergriffen.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

2.1.4. Die Lage im Herkunftsstaat Irak

Zur aktuellen Lage im Irak wird auf die länderkundlichen Feststellungen der belangten Behörde im bekämpften Bescheid verwiesen, die auch der gegenständlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde gelegt werden. Insbesondere wurden nachstehende länderkundliche Feststellungen (unter Heranziehung der im angefochtenen Bescheid im Detail angeführten und nachstehend abgekürzt zitierten Quellen) getroffen:

Wien am 08.04.2016

(letzte Kurzinformation eingefügt am 16.2.2017)

Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformation vom 16.2.2017:

Update Sicherheitslage allgemein: (Relevant für Abschnitt 3 - Sicherheitslage und 5 - Sicherheitskräfte)

Iraqi Body Count dokumentierte für 2016 über 16.000 zivile Todesfälle durch Gewalt (hier nach Monaten aufgeschlüsselt: Jänner bis Dezember 2016):

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(Iraqi Body Count 13.2.2017):

Neben den derzeit aufgrund der Mossul-Offensive besonders hohen zivilen Todeszahlen in der Provinz Ninewa sterben auch in Bagdad täglich mehrere Menschen durch Gewalt (insbesondere durch improvisierte Sprengsätze). Die Liste der täglichen zivilen gewaltsamen Todesfälle auf Iraqi Body Count liest sich exemplarisch folgendermaßen:

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(Iraqi Body Count 14.2.2017)

UNAMI, die UN-Mission für den Irak, veröffentlichte die folgenden Zahlen, die von Seiten der Staatendokumentation zu einer Grafik zusammengefasst wurden:

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(Quelle: Zahlen UNAMI 1.2.2017, Darstellung: Staatendokumentation)

Bei dieser Statistik handelt es sich um absolute Mindestzahlen. UNAMI wurde bei der Verifizierung der Opfer behindert. Darüber hinaus starb eine unbekannte Zahl an Menschen auf Grund von indirekten Folgen des Konfliktes, wie das Fehlen von Wasser, Nahrung, medizinischer Versorgung, etc. Des Weiteren ist zu beachten, dass UNAMI nach Beginn der Offensive zur Rückeroberung Mossuls und anderer Gebiete in Ninewa zahlreiche Berichte von zivilen Todesopfern erhalten hat, die aufgrund der Lage nicht verifiziert werden konnten. UNAMI lieferte für den Monat Dez. 2016 keine Zahlen der getöteten Iraker insgesamt, sondern ausschließlich Zahlen für die zivilen Opfer. Bei jenen Monaten, die mit Stern versehen sind, ist die Zahl der in Anbar getöteten Zivilisten nicht enthalten ist.

Die Zahl der Zivilpersonen, die im Jänner 2017 im Irak getötet wurden, beträgt 382, die Zahl der Verletzten 908. Bagdad war, wie fast jeden Monat die am stärksten betroffene Provinz, Ninewa und Salahuddin waren ebenfalls besonders stark betroffen (UNAMI 1.2.2017).

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Seit August 2014 wurden im Irak von Seiten der US-geführten Koalition über 10.000 Luftschläge durchgeführt. Bis Februar 2016 waren es noch knapp 7.000 Luftschläge, die bis dahin durchgeführt worden waren (BBC 20.1.2017).

Die folgende Grafik zeigt die groben Kontrollgebiete der unterschiedlichen Akteure, wobei die Kategorie "Iraqi government" auch die Popular Mobilisation Forces (Volksmobilisierungseinheiten / Hashd al-Shaabi – bestehend aus fast ausschließlich schiitischen Milizen) umfasst:

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(BBC 20.1.2017)

2016 war für den Irak ein weiteres turbulentes Kriegsjahr. Die Terrormiliz Islamischer Staat büßte durch den Verlust wichtiger Städte (u.a. Ramadi Anfang 2016 und Falluja im Juni 2016) massiv an Territorium ein. [ ] Die derzeit laufende Offensive zur Rückeroberung Mossuls ist nach wie vor im Gange. Der IS, der noch knapp 4.000 Kämpfer in Mossul haben dürfte, wehrt sich mit Selbstmordkommandos, Scharfschützen, Drohnenbomben und chemischen Waffen, wie Chlor- und Senfgas (IFK 1.2017). (Näheres zu Mossul s. u.)

Die territoriale Zurückdrängung des IS hat die Zahl der terroristischen Anschläge in den genannten Provinzen nicht wesentlich verringert, in manchen Fällen sogar eine asymmetrische Kriegsführung des IS mit verstärkten terroristischen Aktivitäten provoziert (AA 7.2.2017). Der IS führte im Irak im Jahr 2016 über ein Dutzend Selbstmordanschläge und Autobomben-Anschläge durch. Am 3. Juli 2016 kamen bei einem Autobomben-Anschlag in Bagdad über 200 Menschen ums Leben, hunderte weitere wurden verletzt. Der IS hält weiterhin ungefähr 3.200 jesidische Frauen und Kinder fest, die meisten davon werden in Syrien festgehalten (HRW 1.2017).

Laut UNAMI hat der IS seine Anschläge zunehmend auf Märkten und in Wohngegenden verübt, und hat dabei vorwiegend auf Zivilisten, auch Frauen, Kinder und ältere Personen abgezielt (UNAMI 1.2.2017). Am 2.1.2017 fand beispielsweise in einer belebten Straße im schiitisch dominierten Viertel Sadr City in Bagdad ein größerer Autobombenanschlag statt, bei dem 35 Menschen starben und über 60 verletzt wurden (BBC 2.1.2017).

Im Zusammenhang mit der Zurückdrängung des Kontrollgebietes des IS sieht das Institute for the Study of War (ISW) bereits jetzt das erneute Aufflammen von Aufständen von Seiten der Sunniten im Irak, die durch die Schwächung des IS und den dadurch entstehenden Freiraum wieder Fuß fassen können. Regierungsfeindliche Gruppen formieren sich einerseits, weil die Sunniten im konfessionell geprägten Konflikt von der schiitisch dominierten Regierung weiterhin zunehmend marginalisiert werden, und sie Angst vor den an Bedeutung gewinnenden vom Iran aus gelenkten schiitischen Milizen haben. Andererseits werden diese Probleme von Seiten der bereits/nach wie vor existierenden radikalen Gruppen wie Al Qaeda und ex-/neo-baathistischen Gruppen wie Jaysh al-Rijal al-Tariqa al-Naqshbandiya (JRTN) benutzt, um sunnitische Bürger für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Diese Gruppen sind - Annahmen des ISW zufolge - bereits jetzt zunehmend für Anschläge im Irak verantwortlich. Die US-geführte Koalition gegen den IS habe sich zu sehr auf das Zurückdrängen des IS konzentriert und andere Organisationen vernachlässigt (ISW 7.2.2017).

Bei der Rückeroberung IS-kontrollierter Gebiete kam es weiterhin zu Exekutionen, Folter und Misshandlungen der örtlichen Bevölkerung durch schiitische Milizen der Popular Mobilisation Forces (HRW 1.2017).

Bzgl. der schiitisch-schiitischen Konflikte in Bagdad und im Süden des Landes s. Abschnitt über Innenpolitik.

Rund 17 Millionen Menschen (53 Prozent der Bevölkerung) sind im Irak von Gewalt betroffen. Die irakischen Sicherheitskräfte sind nicht in der Lage, den Schutz der Bürger sicherzustellen. Gerichte und Sicherheitskräfte verfügen nicht über ausreichend qualifiziertes Personal, es fehlt an rechtsstaatlichem Grundverständnis. Gewalttaten bleiben oft straflos. Die Schwäche der irakischen Sicherheitskräfte erlaubt es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa’ib Ahl al-Haq und der Kata’ib Hisbollah, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. (AA 7.2.2017).

Mossul-Offensive: (Relevant für Abschnitt 3 - Sicherheitslage)

Die seit zwei Jahren geplante Offensive auf die zweitgrößte Stadt des Irak, Mossul, die Hochburg des IS im Irak, startete überstürzt im Oktober 2016, ohne die Frage der politischen Nachfolge in Mossul geklärt zu haben. Die Kampagne wird von einer sehr heterogenen Koalition aus lokalen und regionalen Akteuren mit unterschiedlichen Interessen geführt (IFK 1.2017).

Die irakische Armee hatte in der letzten Januarwoche des Jahres 2017 – mehr als drei Monate nach dem Start der Offensive – den Ostteil Mossuls für befreit erklärt. Die Extremisten wehren sich jedoch heftig und setzen dabei vor allem sprengstoffbeladene Autos mit Selbstmordattentätern oder Scharfschützen ein. Bis zur vollständigen Einnahme der Stadt dürfte es noch Wochen oder Monate dauern (Standard 1.2.2017).

Der [bevölkerungsreichere] Westteil Mossuls ist nach wie vor in den Händen des IS. Die Vereinten Nationen rechnen mit Militäraktionen zur Rückeroberung des Westteils in den kommenden Wochen. Ein Massenexodus kann dabei nicht ausgeschlossen werden. Aus dem Ostteil sind laut IOM (International Organization for Migration) im Zuge der Kämpfe 180.000 Menschen geflohen, 550.000 seien vor Ort geblieben (NNZ 24.1.2017).

Allgemein wird angenommen, dass die Einheiten bei der Eroberung des Westteiles auf noch größeren Widerstand treffen werden. Darüber hinaus verzeichnet die von den USA trainierte und ausgestattete Eliteeinheit Counter Terrorism Service (CTS), auf die sich der Irak bei der Eroberung Mossuls hauptsächlich verlässt, massive Verluste ("über 50 Prozent"). Auch bei der irakischen Armee würde es herbe Verluste geben, wobei jedoch die irakischen Behörden selbst keine Zahlen bekanntgeben (Al-Jazeera 31.1.2017).

Im Zuge der Offensive zur Rückeroberung der IS-Gebiete in und um Mossul evakuierte der IS Zivilisten, um diese als menschliche Schutzschilde zu benutzen (HRW 1.2017).

Die schiitischen Milizen (inzwischen rechtlich der regulären Armee gleichgestellt – s.u.) werden von vielen (insbesondere von vielen Sunniten) mehr gefürchtet als der IS. Ihnen werden Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen vorgeworfen. Zeugen berichten von Folter, Schlägen und Ermordungen. Im Zuge der Befreiung der Stadt Mossul nimmt das Terrain, das die Milizen unter ihrer Kontrolle haben, stark zu. Die Stadt Mossul ist von den Milizen [und den kurdischen Peschmerga] umzingelt (BBC 3.12.2016), wobei vereinbart war, dass die Milizen die Stadt nicht betreten werden, jedoch wird berichtet, dass (vermutliche) Miliz-Angehörige im Ostteil der Stadt auf Zivilisten schießen (MEM 8.2.2017).

Innenpolitik (Relevant für Abschnitt 2 – Politische Lage):

Die derzeitigen Anti-IS-Operationen sind zwar insofern erfolgreich, als sie den IS schwächen, gleichzeitig verschärfen sie aber die politische Instabilität. Die vom Iran unterstützten schiitischen Milizen haben gemeinsam mit der Partei des Ex-Premiers Nouri al-Maliki dem amtierenden Premier Abadi gedroht, ein Misstrauensvotum gegen ihn auszusprechen. Abadi steht in Gefahr sein Amt zu verlieren, und muss Zugeständnisse gegenüber den Milizen machen. Abadi war es beispielsweise auch nicht möglich, die Milizen davon abzuhalten, ihre Operationen in Tal Afar wieder aufzunehmen (ISW 7.2.2017).

Zusätzlich dazu hat das irakische Parlament im November 2016 die Volksmobilisierungseinheiten (Popular Mobilisation Forces/Hashd al-Shaabi) – jene Milizen, die wie die irakischen Sicherheitskräfte gegen den IS kämpfen – rechtlich der Armee gleichgestellt. [ ] Die meisten dieser Milizen sind schiitisch, etliche davon sind vom Iran abhängig, sind radikal und werden der Verbrechen an Sunniten beschuldigt. [ ] Diese rechtliche Gleichstellung ist ganz nach dem Geschmack von Expremier Nuri al-Maliki, der zurück an die Macht will und dessen neue politische Hausmacht die Milizen sind (Standard 28.11.2016).

Maliki gelingt es auch zunehmend mit Misstrauensanträgen gegenüber Abadis Ministern die Regierung zerbröckeln zu lassen. Der Verteidigungsminister und der Finanzminister wurden im Jahr 2016 bereits entlassen (Standard 23.9.2016). Über die Sommermonate 2016 wurden mit derartigen Methoden bereits fünf Minister erfolgreich abgesetzt (AA 7.2.2017).

Auch für die Region Kurdistan im Irak ist die Frage, ob Maliki zurück an die Macht kommt, von großer Bedeutung. Massoud Barzani, der Präsident der Kurdischen Regionalregierung [Amtszeit bereits abgelaufen - er befindet sich aber nach wie vor Amt], hat immer wieder mit Ankündigungen, die Unabhängigkeit Kurdistans erklären zu wollen, aufhorchen lassen. Falls Maliki zurückkehren würde, würde er dies in die Tat umsetzen, so Barzani (Ekurd Daily 23.1.2017).

Insbesondere auch im Süden des Irak regt sich verstärkter Widerstand gegen Malikis Vorhaben, an die Spitze der Macht zurückkehren zu wollen. Die Anhänger der Sadr-Bewegung wollen mittels Demonstrationen die Hoffnung Malikis auf eine Rückkehr verhindern. Ein inner-schiitischer Konflikt zwischen Sadristen und Maliki-Anhängern ist spürbar, auch wenn diesbezügliche militärische Auseinandersetzungen unwahrscheinlich sind (Al Monitor 26.12.2017). Am 11. Februar kam es in Bagdad allerdings zu schiitisch-schiitischen Zusammenstößen. Sicherheitskräfte der schiitisch dominierten Regierung schossen auf schiitische Demonstranten der regierungskritischen Sadr-Bewegung. Dabei wurden mindestens 6 Personen getötet, weitere hunderte wurden verletzt, außerdem wurden dabei Raketen in die "Green Zone" (ehemalige internationale Zone, in der sich viele Regierungs- und Botschaftsgebäude befinden) geschossen. Gerichtet war die Demonstration v.a. gegen den konfessionell-ethnischen Proporz in der irakischen Politik. Die Sadr-Bewegung richtet sich zwar v.a. auch gegen eine Rückkehr Malikis, gerade diesem könnte jedoch der Aktivismus Sadrs nutzen, da er den amtierenden Premier Abadi zusätzlich schwächt (MEE 12.2.2017, vgl. Standard 13.2.2017).

Flüchtlinge/Internvertriebene (Relevant für Abschnitt 11 - IDPs und Flüchtlinge):

Rund 3 Millionen Menschen wurden seit Januar 2014 intern-vertrieben, an ihre Heimatorte konnten in dieser Zeit rund 1,5 Millionen zurückkehren. Die folgende Grafik veranschaulicht die Zahl der IDPs nach der jeweiligen Region, in die sie geflüchtet sind:

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(IOM 2.2.2017)

In der Region Kurdistan-Irak alleine halten sich mehr als 11,3 Millionen Binnenvertriebene auf. Über 10 Millionen Menschen, also rund ein Drittel der Bevölkerung, sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (AA 7.2.2017). Bezüglich der Rückkehr von IDPs ist insbesondere Tikrit nennenswert, das eine unerwartete Wendung erlebt hat. Nachdem die Popular Mobilisation Forces nach der Rückeroberung in einem Racheakt zunächst ganze Stadtteile niederbrannten und andere Menschenrechtsverletzungen begingen (MOI 11.2.2016), konnten inzwischen die meisten der ursprünglichen Einwohner Tikrits zurückkehren. Allerdings ist der Großteil der Stadt zerstört und die Infrastruktur noch nicht wieder vollständig hergestellt (WP 23.11.2016).

Beispielsweise wird berichtet, dass von den rund 50.000 Familien, die von Salahuddin nach Kirkuk kamen, es nur 20.000 Familien möglich war, in rückeroberte Gebiete zurückzukehren, die übrigen Familien beschuldigen schiitische Milizen, dass diese sie nicht zurückkehren lassen würden (Rudaw 10.1.2017).

Innerhalb der letzten zwei Jahre seien ungefähr 900.000 Vertriebene nach Hause zurückgekehrt (Stand 23.11.2016), vorwiegend in sunnitische Städte wie Fallujah, Ramadi und Tikrit. An Orte zurückzukehren, an denen Sunniten in Nachbarschaft mit Schiiten oder Kurden gelebt hatten, ist für Sunniten besonders schwierig, und Hunderttausenden war dies nicht möglich, obwohl der IS dort bereits verdrängt wurde. Sunniten leiden unter dem Pauschalverdacht, mit dem IS zu sympathisieren. In manchen Orten, die die Popular Mobilisation Forces vom IS zurückerobert hatten, werden überhaupt keine ehemaligen Ortseinwohner zurückgelassen. Oft spielen dabei auch Stammeskonflikte oder Rachefeldzüge eine Rolle (WP 23.11.2016). Für Rückkehrer besteht oft auch die Gefahr, Opfer von explosiven Kampfmittelrückständen zu werden. Teilweise werden IDPs von Behörden aufgefordert in ihre Häuser zurückzukehren, obwohl die sehr reale Gefahr besteht, dass diese mit Sprengfallen versehen sind (MRG 22.12.2016).

Tikrit kann, wie erwähnt, am ehesten noch als "Erfolg" gesehen werden, da laut Washington Post über 90 Prozent der Bevölkerung in diese Stadt zurückkehren konnten (Stand Nov. 2016), Auf lange Sicht sei dieser Erfolg aber fraglich, da keine ausreichenden finanziellen Mittel vorhanden seien, um das wiederaufzubauen, was im Zuge des Konfliktes zerstört wurde. Die irakische Regierung hat im Zuge des Konfliktes innerhalb kürzester Zeit fast die Hälft ihres Einkommens verloren, und das während sie große Mengen an finanziellen Mitteln für militärische Offensiven aufbringen musste/muss (WP 23.11.2016). Auf Grund der massiven finanziellen Schwierigkeiten kämpfen die irakische Regierung und die Regionalregierung Kurdistans auch auf Grund von Ressourcenproblemen mit der Bewältigung der IDP-Krise. Die irakischen Streitkräfte und die Streitkräfte der Regionalregierung tragen zur Unsicherheit der IDPs bei, indem sie sich zu wenig um den Schutz und die Unterstützung der vom Konflikt betroffenen IDPs kümmern, wodurch viele Vertriebene um ihr Leben kämpfen müssen, obwohl sie sich bereits in von der Regierung kontrollierten Gebieten befinden (MRG 22.12.2016).

Von der Mossul-Offensive sind laut UNHCR rund 1,5 Millionen Menschen in und um Mossul betroffen. Über 144.000 Menschen in und um Mossul zählen derzeit zu den Vertriebenen, über 23.000 konnten nach Beginn der Offensive wieder an ihren Herkunftsort zurückkehren. Die folgende Grafik zeigt die durch die Offensive ausgelösten Flüchtlingsströme:

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Die missliche Lage der IDPs wird zum Teil ausgenützt. So werden IDPs - Vorwürfen zufolge - teilweise von Milizen zwangsrekrutiert (auch Minderjährige). Die in Flüchtlingscamps untergebrachten IDPs haben häufig das Problem, dass ihre Bewegungsfreiheit drastisch eingeschränkt ist, sowie dass Milizen ihnen die Papiere abnehmen und für lange Zeit nicht zurückgeben. Ein zusätzliches Problem ist, dass sie nicht mit ihren Familien kommunizieren können, da ihnen die Mobiltelefone abgenommen werden (UNHCR 20.1.2017, vgl. Al-Jazeera 1.2.2017).

Quellen:

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Al-Jazeera (1.2.2017): Iraq's displaced 'in another prison' after fleeing ISIL,

http://www.aljazeera.com/indepth/opinion/2017/01/iraq-displaced-prison-fleeing-isil-170130070309929.html, Zugriff 14.2.2017

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Al-Jazeera (31.1.2017): Taking west Mosul: A bridge too far?, http://www.aljazeera.com/indepth/opinion/2017/01/west-mosul-bridge-170130133948071.html, Zugriff 13.2.2017

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AA – Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage der Republik Irak

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BBC (20.1.2017): Islamic State and the crisis in Iraq and Syria in maps, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-27838034 , Zugriff 10.2.2017

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Ekurd Daily (23.1.2017): Barzani: Kurdistan would declare independence if Maliki becomes Iraqi PM again, http://ekurd.net/kurdistan-independence-maliki-2017-01-23, Zugriff 13.2.2017

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HRW - Human Rights Watch (1.2017): Report: Iraq: Events of 2016, https://www.hrw.org/world-report/2017/country-chapters/iraq , Zugriff 13.22017

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Al Monitor (26.12.2016): Can public outcry in southern Iraq end Maliki’s political ambitions?,

http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/01/southern-iraq-muqtada-maliki-abadi-reform-shiite-protest.html, Zugriff 13.2.2017

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ISW - Institute for the Study of War (7.2.2017): Warning Update:

Iraq’s Sunni Insurgency Begins as ISIS Loses Ground in Mosul,

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Middle East Eye (12.2.2017): Inter-Shia tension mounts in Baghdad after clashes,

http://www.middleeasteye.net/news/inter-shia-tension-mounts-baghdad-after-clashes-1268563748, Zugriff 13.2.2017

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MRG - Minority Rights Group International: Humanitarian challenges in Iraq’s displacement crisis, 22. Dezember 2016 (verfügbar auf ecoi.net)

http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1483364807_irk.pdf (Zugriff am 14. Februar 2017)

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http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2016/02/life-in-iraqs-tikrit-returns-to-normal.html, Zugriff 13.2.2017

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Neue Züricher Zeitung (24.1.2017): 750'000 Personen in Mosul in Gefahr,

https://www.nzz.ch/international/irak-750000-personen-in-mosul-in-gefahr-ld.141529, Zugriff 13.2.2017

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Rudaw (10.1.2017): Tikrit IDPs accuse Shiite forces of blocking their return, 'Untrue' says official , http://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/100120172, Zugriff 13.2.2017

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Standard (1.2.2017): Elf tote Zivilisten bei IS-Beschuss in Mossul,

http://derstandard.at/2000051937966/Elf-tote-Zivilisten-bei-IS-Beschuss-in-Mossul, Zugriff 13.2.2017

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Standard (13.2.2017): Schiiten gegen Schiiten im Irak, http://derstandard.at/2000052505984/Schiiten-gegen-Schiiten-im-Irak, Zugriff 13.2.2017

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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