TE Bvwg Erkenntnis 2017/10/27 W191 2130933-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.10.2017
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Entscheidungsdatum

27.10.2017

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W191 2130933-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von HerrnXXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch XXXX, Rechtsanwältin, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.07.2016, Zahl 1048114105-140282915, nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen am 26.09.2016 und 09.10.2017 zu Recht:

A)

I. Gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 wirdXXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

II. Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 31.10.2018 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben am 14.12.2014 irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und wurde im Zuge einer fremdenrechtlichen Kontrolle am 15.12.2014 am Hauptbahnhof in Wien mangels eines gültigen Aufenthaltstitels aufgegriffen und vorläufig festgenommen. Er stellte einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

Eine EURODAC-Abfrage vom 15.12.2014 ergab, dass der BF am 05.11.2014 in Samos (Griechenland) erkennungsdienstlich behandelt worden war.

1.2. In seiner Erstbefragung am 15.12.2014 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, Landespolizeidirektion Wien, Abteilung Fremdenpolizei und Anhaltevollzug, gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei siebzehn Jahre alt (geboren am XXXX), stamme aus Helmand, sei Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, schiitischer Moslem und ledig. Er habe in Helmand fünf Jahre die Grundschule besucht und sei Hilfsarbeiter gewesen.

Er habe seine Heimat vor ca. einem Jahr schlepperunterstützt zu Fuß Richtung Iran verlassen, wo er ca. neun Monate lang in der Stadt Isfahan verbracht habe, und sei dann über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn bis nach Österreich gereist. Er sei in Griechenland und Ungarn aufgegriffen und erkennungsdienstlich behandelt worden, einen Asylantrag habe er in diesen Ländern nicht gestellt. Gestern habe er ein Flüchtlingslager in Ungarn verlassen und sei per Reisezug mit zwei Landsleuten von Budapest nach Wien gefahren, wo sie von Zivilpolizisten kontrolliert und festgenommen worden seien. Sie hätten um Asyl angesucht. Die Schlepperkosten hatten 300 Euro betragen.

Als Fluchtgrund gab der BF an, dass er seine Heimat aufgrund des Krieges verlassen habe. Außerdem sei die Sicherheitslage in Afghanistan sehr schlecht. Weiters habe er für die Amerikaner in Helmand als Reinigungskraft gearbeitet und auch weitere Arbeiten ausgeführt. Wegen dieser Tätigkeit sei er von den Taliban bzw. ihm unbekannten Personen bedroht worden. Deshalb sei er gezwungen gewesen, seine Heimat zu verlassen.

1.3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) hatte Zweifel an dem vom BF angegebenen Alter und veranlasste eine multifaktorielle sachverständige medizinische Altersschätzung. Dem Gutachten der Medizinischen Universität Wien, Zentrum für Anatomie und Zellbiologie vom 25.02.2015 zufolge – nach einer radiologischen Untersuchung der Hand und des Schlüsselbeines sowie einer körperlichen Untersuchung am 02.02.2015 – war der BF zum Zeitpunkt der Asylantragstellung und zum Zeitpunkt der Untersuchung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht volljährig, das angegebene Geburtsdatum XXXX widerspreche nicht den radiologischen und medizinisch-diagnostischen Befunden.

1.4. Das BFA führte Konsultationen mit dem Mitgliedstaat Ungarn betreffend die Zuständigkeit für das Asylverfahren des BF, die aber offensichtlich negativ verliefen, wenn dies auch dem Akt nicht leicht nachvollziehbar zu entnehmen ist.

Der BF wurde offenbar unter Ausfolgung einer Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG – wenngleich auch dies dem Akt nicht leicht nachvollziehbar zu entnehmen ist – zum Asylverfahren zugelassen.

1.5. Bei seiner Einvernahme am 14.01.2016 vor dem BFA, Regionaldirektion Kärnten, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari, bestätigte der BF die Richtigkeit seiner bisher gemachten Angaben und führte diese auf Nachfragen näher aus. Er machte Angaben zu seiner gesundheitlichen Situation und legte dazu Belege vor.

Zu seinen Lebensumständen und seinem Fluchtvorbringen befragt gab der BF an, er sei in der Stadt LASHKAR GAH im gleichnamigen Distrikt in der Provinz Hilmand [Helmand] geboren und habe dort mit seinen Eltern und zwei Brüdern gelebt, deren Namen und Alter der BF angab. Sie hätten ein großes Haus und von der Vermietung einer Hälfte davon lebe seine Familie. Er habe einen Onkel mütterlicherseits in der Provinz Herat.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der BF an, dass er ca. zwei Jahre lang für ausländische Kräfte (Organisation XXXX aus Großbritannien im Camp XXXX für Soldaten von Großbritannien, Amerika und Kanada) als Reinigungskraft arbeiten habe müssen, da sein Vater alt sei. Viele ihrer Nachbarn seien Paschtunen gewesen, die ihn wegen seiner angegebenen Tätigkeit als Ungläubigen bezeichnet hätten. Sieben bis acht Personen hätten ihn einmal abends, als er beim Abendessen gewesen wäre, mit der Kuh und Schafen in ein Zimmer gesperrt und geschlagen. Sie hätten ihn gezwungen, ihnen Geld zu geben. Auf Nachfragen machte der BF weitere Angaben zu diesem Vorfall. Danach sei er nach Hause gekommen und in derselben Nacht in die Provinz Nimroz und von dort in den Iran gefahren. Im Iran habe er neun Monate lang in einer Fabrik gearbeitet und dort auch gewohnt. Ob es das Camp noch gebe, wisse er nicht, er habe Afghanistan vor ca. zwei Jahren verlassen.

Der BF legte Fotos von ihm gemeinsam mit Frauen, die im Camp stationierte britische Soldatinnen gewesen seien, vor. Dem BF wurde vorgehalten, dass laut Internet das Camp im März 2014, also bevor er Afghanistan verlassen habe, geschlossen worden sei.

Laut Niederschrift wurden mit dem BF "die Feststellungen der Staatendokumentation zur Situation in seinem Heimatland erörtert". Der BF gab dazu an, er wolle schriftlich nicht Stellung nehmen. In der "Helmand Provinz" sei es derzeit unsicher. Vor ca. einem Monat seien ca. 90 Soldaten umgebracht worden.

Im Falle seiner Rückkehr sei Afghanistan für ihn unsicher, die Paschtunen würden ihn umbringen.

1.6. Dem Akt liegt ein Schreiben des BFA vom 04.04.2016 mit der Überschrift "Änderung der Staatendokumentation" ein, demzufolge sich "die an diese Aufforderung zur Stellungnahme angefügten Punkte der Staatendokumentation Ihr Heimatland Afghanistan betreffend geändert" hätten und offenbar dem BF mit der Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme binnen Frist übermittelt wurden.

1.7. Bei seiner Einvernahme am 03.05.2016 vor dem BFA, Regionaldirektion Kärnten, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari, wurden dem BF "die Feststellungen der Staatendokumentation zur Situation in meinem Heimatland, durch Übersetzung eines Dolmetschers in meine Muttersprache, erörtert".

Der BF gab dazu laut Niederschrift an (Schreibfehler im Original):

"Schriftlich möchte ich nicht Stellung nehmen. Ich habe keine Ahnung, ich bin nicht in Afghanistan. Vielleicht ist es so wie sie es erzählt haben."

Im Verfahren vor dem BFA wurden seitens des BF keine Beweismittel oder Belege für sein Vorbringen in Vorlage gebracht oder weitere Beweisanträge gestellt.

1.8. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 05.07.2016 den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 15.12.2014 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 oder 55 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des BF sei unglaubhaft. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen und es komme daher auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG nicht in Betracht. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse – im Gegensatz zu seinem Fluchtvorbringen – glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Seine Fluchtgeschichte habe der BF nicht glaubhaft machen können, da seine Angaben mehrfach unplausibel gewesen seien, wofür mehrere Punkte angeführt wurden.

Die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz an den BF begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul zur Verfügung stünde. Das Bestehen eines sozialen Netzes wurde dabei angenommen, ohne die Grundlage hiefür zu erläutern.

Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wurde dem BF mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG die ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.

1.9. Gegen diesen Bescheid richtete sich das mit Schreiben seines Rechtsberaters, den der BF zur Vertretung bevollmächtigte, fristgerecht eingebrachte Rechtsmittel der Beschwerde, mit dem der Bescheid gesamtinhaltlich wegen "Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, infolge dessen eine mangelhafte Beweiswürdigung und eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorgenommen worden" sei, "sowie infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften" angefochten wurde.

In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen moniert, dass das Ermittlungsverfahren mangelhaft geblieben sei und dass die Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid zu allgemein und somit nicht hinreichend seien. Es wurden mehrere Seiten aus diversen Berichten (unter anderem zur Lage der Hazara, teilweise in englischer Sprache) zitiert, und wurden unter Anführung und Zitierung diverser Judikatur Rechtsausführungen getätigt.

Zitiert wurde unter anderem aus einem Erkenntnis des VfGH zu einer Entscheidung des Asylgerichtshofes (VfGH 07.06.2013, U2436/2012), in der dieser ausgeführt hätte:

"Soweit der AsylGH in der angefochtenen Entscheidung implizit das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul bejaht, kommt diesen Ausführungen kein Begründungswert zu, weil sich der Beschwerdeführer vor seiner Flucht weder in Kabul aufgehalten hat noch über irgendwelche sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte in Kabul verfügt und sich aus den Länderfeststellungen des BAA ergibt, dass eine Ansiedlung in Kabul für mittellose Männer ohne persönliche Anknüpfungspunkte nur unter großen Schwierigkeiten möglich ist (vgl VfGH 13.03.2013, U2185/12)."

1.11. Vor dem BVwG wurde durch den erkennenden Richter in der gegenständlichen Rechtssache am 26.09.2016 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durchgeführt, zu der der BF persönlich in Begleitung seiner damaligen anwältlichen Vertreterin erschien.

Das BFA verzichtete im Vorhinein auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Die Verhandlungsschrift wurde dem BFA übermittelt.

Dem BF wurden der bisherige Verfahrensgang und der Akteninhalt erläutert und zur Akteneinsicht angeboten.

Dabei gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift, Schreibfehler korrigiert):

"RI [Richter]: Was ist Ihre Muttersprache?

BF: Dari. Ich spreche darüber hinaus Paschtu und ein bisschen Urdu und Deutsch.

RI an D [Dolmetsch]: In welcher Sprache übersetzen Sie für den BF?

D: Dari.

[ ]

Der BF hat bisher keine Bescheinigungsmittel zu seiner Identität und zu seinem Fluchtvorbringen vorgelegt. Er legt vor im Original fünf Fotos, auf denen er gemeinsam mit seiner englischen Mitarbeiterin, die regelmäßig seine Arbeit überprüft hat, sowie einem anderen, indischen Vorgesetzten zu sehen ist. Diese Fotos werden in Kopie zum Akt genommen.

Die BFV [Vertreterin des BF] legt weiters vor eine Bestätigung von XXXX vom 14.01.2014 darüber, dass der BF dort gearbeitet hat, sowie weiters einen Auszug aus dem Internet betreffend XXXX. Weiters legt er vor das Kuvert, mit dem ein Freund des BF diese Bestätigung aus Afghanistan an einen Freund des BF in Wien geschickt hätte.

BFV: Ich möchte anmerken, dass hinsichtlich des Zeitraumes in dieser Bestätigung mehr als drei Jahre aufscheinen. Tatsächlich hat der BF lediglich zwei Jahre dort gearbeitet.

Die BFV legt weiters vor Belege zur Integration des BF (Deutschkursbestätigungen, Empfehlungsschreiben, Kursbestätigungen), die in Kopie zum Akt genommen werden.

RI: Sie haben bei Ihrer Einvernahme noch gesagt, dass Ihre Tazkira noch bei Ihren Eltern ist?

BF: In meinem Wohnort gibt es kein Postamt, und meine Eltern haben auch niemanden gefunden, der mir meine Tazkira hätte schicken können.

[ ]

RI: Wann haben Sie Ihren Herkunftsstaat zuletzt genau verlassen?

BF: Ende 2013, ich denke im Dezember, ich weiß es nicht genau.

[ ]

RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF: Ja, ich habe Kontakt zu meinem Vater ca. einmal pro Monat telefonisch oder im Internet.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

[ ]

RI: Wieso kann Ihre Familie dort unbehelligt leben?

BF: Die Taliban sagen, ich habe mit den Ausländern gearbeitet, und die anderen Mitglieder meiner Familie haben mit den Ausländern nicht gearbeitet.

RI: War es nicht so, dass das Camp im März 2014 geschlossen hat und Sie deswegen unmittelbar danach ausgereist sind?

BF: Als ich Afghanistan verlassen habe, gab es noch immer dieses Camp. Ich weiß nicht, wann es geschlossen wurde.

RI: Sie wurden von den Taliban verletzt, haben Sie davon heute noch gesundheitliche Folgen? BF: Ja ich habe immer noch Genickschmerzen und nehme dagegen Tabletten. Ich habe diesbezüglich ärztliche Belege vorgelegt.

[ ]

RI gibt BFV die Möglichkeit, zu den bisherigen Angaben der Parteien sowie zu den herkunftsstaatsbezogenen Berichten eine mündliche Stellungnahme abzugeben oder Fragen zu stellen.

BFV: XXXX, waren Sie schon einmal in Kabul?

BF: Nein.

BFV: Haben Sie Familie in Kabul?

BF: Nein.

BFV: Haben Sie Freunde oder sonstige Personen, die Ihnen helfen könnten in Kabul?

BF: Nein.

BFV: Haben Sie eine abgeschlossene Ausbildung?

BF: Nein.

BFV: Was würde passieren, wenn Sie nach Kabul zurückkehren müssten?

BF: Meine ganze Familie ist in Helmand, ich habe niemanden in Kabul, der mich unterstützen könnte.

[ ]"

Das erkennende Gericht brachte zusätzliche Erkenntnisquellen zum Herkunftstaat des BF in das Verfahren ein.

Das BFA beantragte nicht die Abweisung der Beschwerde.

1.12. Mit Erkenntnis vom 07.11.2016, W191 2130933-1/12E, wies das erkennende Gericht die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet ab. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 07.11.2017 erteilt.

Das BVwG erklärte die Revision gegen dieses Erkenntnis gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

In der Begründung dieser Entscheidung traf das BVwG Feststellungen zur Person des BF und zu seinem Herkunftsstaat. Er habe sein Vorbringen, dass er aufgrund seiner Tätigkeit als Reinigungskraft bei einer internationalen Organisation von den Taliban mit dem Tod bedroht werde, nicht glaubhaft gemacht. Er hätte auch nicht glaubhaft vermittelt, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre.

Der BF habe glaubhaft gemacht, dass ihm im Falle seiner Verbringung in den Herkunftsstaat aufgrund seiner individuellen Situation (Familiensituation, Lebensumstände) im Zusammenhang mit der Lage in seiner Herkunftsregion ein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK), drohe.

Eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative stehe ihm nicht zur Verfügung.

1.13. Erkennbar nur gegen die Spruchpunkte II. und III. dieses Erkenntnisses des BVwG richtete sich die Amtsrevision des BFA, welche zu ihrer Zulässigkeit – unter Verweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) vom 08.09.2016, Ra 2016/20/0063, und den Beschluss vom 13.09.2016, Ra 2016/01/0096 – unter anderem vorbrachte, dass entgegen der Ansicht des BVwG von einer Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative für den BF in Kabul auszugehen sei. Es bestehe überdies keine einheitliche Linie zu dieser Frage, da oftmals unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) davon ausgegangen werde, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative für volljährige, gesunde und arbeitsfähige Personen – anders als nach der aktuellen Rechtsprechung des VwGH – in Kabul grundsätzlich dann nicht zur Verfügung stehe, wenn sich die Person vor ihrer Flucht weder in Kabul aufgehalten habe noch über dortige familiäre Anknüpfungspunkte verfüge (vgl. die Entscheidungen des VfGH vom 07.06.2013, U 2436/2012, und vom 27.11.2013, U 825/2012). Das BVwG habe zu dieser Frage keine konkreten Feststellungen getroffen, weshalb ein Begründungsmangel vorliege.

1.14. Der VwGH erklärte mit Erkenntnis vom 10.08.2017, Ra 2016/20/0389-6, die Amtsrevision "aufgrund des aufgezeigten Abweichens des BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen der Zuerkennung von subsidiärem Schutz" für zulässig.

Die Prüfung des Vorliegens einer realen Gefahr im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG stelle eine rechtliche Beurteilung dar, die auf Basis der getroffenen Feststellungen zu erfolgen habe. Das BVwG habe mit seinen Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis zwar die Möglichkeit einer schwierigen Lebenssituation für den BF im Fall seiner Rückführung in den Herkunftsstaat bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht aufgezeigt. Die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit einer Verletzung des Art. 3 EMRK im Sinn der obigen Rechtsgrundsätze werde damit aber nicht dargetan (verwiesen wurde dazu auf die dg. Erkenntnisse vom 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, vom 08.09.2016, Ra 2016/20/0063, und vom 25.04.2017, Ra 2017/01/0016, jeweils mwN, bzw. zur Frage einer innerstaatlichen Fluchtalternative für einen gesunden und arbeitsfähigen afghanischen Staatsangehörigen den dg. Beschluss vom 13.09.2016, Ra 2016/01/0096, mit dem eine Revision als unzulässig zurückgewiesen worden war).

Das BVwG sei somit von der Rechtsprechung abgewichen, weshalb die Entscheidung im Umfang der angefochtenen Spruchpunkte A. II. und A. III. wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben sei.

Der VwGH hat sich dabei mit der Frage der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG – und entsprechend der mehrjährigen Judikatur des VfGH (zuletzt: VfGH E 1197/2016-12 vom 23.02.2017, wo der VfGH die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz an einen afghanischen Staatsangehörigen aus Ghazni, der die Polizeischule in Kabul besucht hatte, behoben hat, weil das BVwG "zu konkreten sozialen Kontakten des Beschwerdeführers in Kabul [ ] keinerlei Feststellungen" getroffen hätte") – nicht auseinandergesetzt.

1.15. Das BVwG führte am 09.10.2017 eine weitere öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der der BF persönlich mit seiner nunmehrigen anwältlichen Vertreterin und einer Vertrauensperson erschien.

Die belangte Behörde blieb der Verhandlung ohne Angabe von Gründen fern.

Dabei gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

" [ ]

RI: Was ist Ihre Muttersprache?

BF: Dari. Ich spreche auch Paschtu und ein bisschen Urdu und Deutsch.

RI an D: In welcher Sprache übersetzen Sie für den BF?

D: Dari.

RI befragt BF, ob er D gut verstehe; dies wird bejaht.

Zur heutigen Situation:

RI: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?

BF: Ja.

RI: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?

BF: Nein.

[ ]

Bezüglich seiner Integration legt der BF eine Mappe mit Integrationsbelegen vor, die in Kopie zum Akt genommen werden (Deutschkurs- und Prüfungszeugnisse, Werte- und Orientierungskurs, Empfehlungsschreiben).

BF: Ich habe bereits die A2-Prüfung bestanden, aber noch kein Zeugnis erhalten. Ich habe eine schriftliche Bestätigung des Pizza-Betriebes ‚XXXX‘ in der XXXX in 1160 Wien, dass ich ab nächstem Monat dort in der Küche als Gehilfe arbeiten kann.

BFV: Diese Zusage wird binnen einer Woche nachgesandt werden.

[ ]

Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen

Lebensumständen:

RI: Sind die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zu Ihrem Namen und Geburtsdatum sowie zu Ihrer Staatsangehörigkeit korrekt?

BF: Ja.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?

BF: Ich bin schiitischer Moslem.

RI: Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?

BF: Ich bin ledig und nicht verlobt.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?

BF: Nein.

RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.

RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch die D verstehen können?

BF: Ja.

RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und auf Deutsch beantwortet hat.

RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF: Ich spiele manchmal mit meinen Freunden Fußball, ich bin aber bei keinem Verein.

RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?

BF: Nein.

RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF: Vor vier Monaten habe ich mit meinen Eltern telefonischen Kontakt gehabt, zu dieser Zeit waren sie in Helmand.

RI: Haben Sie Grund anzunehmen, dass sich Ihre Familie jetzt nicht mehr in Helmand aufhält?

BF: Ja, damals war Helmand von den Taliban großteils besetzt, sie waren in der Nähe der Stadt. Sie haben meinen Vater beim Eingang des Hauses aufgegriffen und mitgenommen. Meine Mutter hatte mir am Telefon gesagt, dass sie Helmand verlässt und mit meinen zwei Brüdern nach Nimroz gehen wird.

RI: Und was ist mit Ihrem Vater?

BF: Ich hatte danach keinen Kontakt mehr zu meiner Familie, daher weiß ich nichts über meinen Vater.

RI: Warum glauben Sie, haben die Taliban Ihren Vater mitgenommen?

BF: Weil ich für die Amerikaner gearbeitet habe und deshalb vor den Taliban geflüchtet bin. Damals hatten die Taliban keinen Zugriff auf die Stadt, später als sie bis zur Stadt vorgedrungen sind, haben sie meinen Vater mitgenommen. Ich weiß nicht, ob mein Vater noch am Leben ist. Normalerweise, wenn die Taliban jemanden mitnehmen, lassen sie diesen nicht am Leben.

Zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

RI: Die Frage der Zuerkennung von Asyl ist nach rechtskräftiger Erledigung des Antrages und der Beschwerde des BF gegen den Bescheid des BFA vom 05.07.2016 nicht mehr Gegenstand dieses Verfahrens. Der BF hat ein Höchstgericht des öffentlichen Rechts nicht angerufen. Die Beschwerde des BFA, aufgrund derer Teile des Erkenntnisses des BVwG vom 07.11.2016 aufgehoben wurden, richtete sich nur gegen die Spruchpunkte II., III. und IV. des genannten Bescheides.

RI: Wie waren Ihre Lebensverhältnisse zuhause in Helmand, wovon haben Sie gelebt?

BF: Ich habe in Afghanistan selbst für Ausländer gearbeitet und habe 270 USD im Monat verdient. Davon konnte meine Familie leben, unsere finanzielle Situation war sehr gut. Außerdem hatten wir ein Haus, eine Hälfte des Hauses haben wir vermietet, und auch davon haben wir monatlich Geld bekommen.

RI: Nachdem Sie weggegangen sind, wovon hat dann Ihre Familie gelebt?

BF: Von der Miete des Hauses.

RI: Hat Ihr Vater nicht gearbeitet?

BF: Nein.

RI. Warum nicht?

BF: Mein Vater war krank und alt. Er war ca. 53 Jahre alt und hatte Hepatitis C und er hatte Knochenschmerzen, vor allem in den Beinen.

RI: Hat er früher gearbeitet?

BF: Er hat früher als Tischler gearbeitet, ich weiß aber nicht, wie lange, es ist einige Jahre her.

RI: Sie haben neun Monate lang in Isfahan gelebt, wo waren Sie da untergebracht?

BF: Ich habe in einem Steinmetzbetrieb gearbeitet und habe dort auch einen Schlafplatz bekommen.

RI: Wer hat Ihre Reise nach Europa bezahlt?

BF: Ich habe selbst gearbeitet und das Geld zur Seite gelegt.

RI. Wie Sie damals im Iran waren, hatten Sie damals zu Ihrer Familie Kontakt?

BF: Ja, ca. einmal im Monat haben wir telefoniert.

Der RI bringt [ ]

Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte. Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.

Der RI folgt BFV diese herkunftsstaatsbezogenen Berichte in Kopie aus und gibt ihr die Möglichkeit, dazu sowie zu den bisherigen Angaben des BF eine Stellungnahme abzugeben oder diesem Fragen zu stellen.

BFV an BF: Haben Sie Verwandte oder Bekannte in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat, und waren Sie schon einmal dort aufhältig?

BF: In Herat lebte früher mein Onkel mütterlicherseits, er lebt derzeit in Pakistan. Ich selbst habe Helmand nie verlassen.

Ermittlungsermächtigung:

RI: Sind Sie damit einverstanden, dass entsprechend den vom Bundesverwaltungsgericht zu treffenden Anordnungen in Ihrem Herkunftsstaat allenfalls Erhebungen unter Verwendung Ihrer personenbezogenen Daten durchgeführt werden, wobei diese jedenfalls nicht an staatliche Stellen Ihres Herkunftsstaates weitergegeben werden?

BF: Ja.

RI befragt BFV, ob sie noch etwas Ergänzendes vorbringen will; dies wird verneint.

RI befragt BF, ob er noch etwas Ergänzendes vorbringen will.

BF: Ich habe mich gefreut, dass ich subsidiären Schutz bekommen habe und bedauere es, dass das Höchstgericht gemeint hat, dass das nicht gerechtfertigt war.

RI befragt BF, ob er D gut verstanden habe; dies wird bejaht. [ ]"

Das erkennende Gericht brachte weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.).

Das BFA beantragte nicht die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde und beteiligte sich auch sonst nicht am Verfahren vor dem BVwG.

Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 15.12.2014 und der Einvernahmen vor dem BFA am 14.01.2016 und 03.05.2016, das multifaktorielle medizinische Sachverständigengutachten betreffend das Alter des BF, die vom BF vorgelegten Belege (betreffend seine Gesundheit sowie sein Fluchtvorbringen) sowie die Beschwerde vom 21.07.2016

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 21.01.2016, Aktenseiten 195 bis 250)

* Einsicht in das Erkenntnis des BVwG vom 10.08.2017, Ra 2016/20/0389-6

* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlungen vor dem BVwG am 26.09.2016 und 09.10.2017 sowie Einsichtnahme in die vom BF vorgelegten (bzw. nachgesendeten) Belege zu seiner Integration

* Einsichtnahme in den Gerichtsakt des BVwG und in folgende in der weiteren öffentlichen mündlichen Verhandlung am 09.10.2017 vom BVwG zusätzlich in das Verfahren eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:

o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat sowie in der Provinz Helmand (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, zuletzt aktualisiert am 25.09.2017)

o Zusammenfassung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom April 2016 und Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern vom Dezember 2016

o Artikel in Asylmagazin 3/2017 "Überleben in Afghanistan? Zur humanitären Lage von Rückkehrenden und ihren Chancen auf familiäre Unterstützung" von Friederike Stahlmann sowie Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) vom 12.04.2017, "Notiz Afghanistan, Alltag in Kabul", festgehalten von der Schweizer Migrationsbehörde vom 20.06.2017

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

3.1. Zur Person des BF:

3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX, geboren am XXXX, ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari, er spricht auch Paschtu und ein bisschen Urdu und Deutsch.

3.1.2. Lebensumstände des BF:

Der BF stammt aus dem Ort XXXX im gleichnamigen Distrikt in der Provinz Helmand und lebte dort mit seinen Eltern und zwei Brüdern. Sie hatten ein großes Haus und lebten, da der Vater alt und krank war und nicht mehr seiner Erwerbstätigkeit als Tischler nachgehen konnte, von den Einnahmen aus der Vermietung einer Haushälfte sowie der Tätigkeit des BF als Reinigungskraft bei der britischen Organisation XXXX im Camp XXXX.

Der BF besuchte fünf Klassen der Grundschule und arbeitete ab ca. 14 Jahren ca. zwei Jahre lang als Reinigungskraft bei einer internationalen Organisation. Aufgrund angegebener Schwierigkeiten verließ er ca. Ende 2013 Afghanistan und verbrachte neun Monate in Isfahan (Iran), wo er bei einem Steinmetzbetrieb arbeitete und wohnte.

Nach den Angaben des BF wurde in der Zwischenzeit der Vater des BF von den Taliban, die nun bis zur Stadt vorgedrungen waren, mitgenommen. Die Mutter hätte mitgeteilt, mit den beiden Brüdern des BF in die Nachbarprovinz Nimroz gehen zu wollen.

3.2. Die Frage der asylrelevanten Verfolgung des BF in seinem Herkunftsstaat ist nach rechtskräftiger Abweisung der Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz vom 15.12.2014 mit Erkenntnis des BVwG vom 07.11.2016, Zahl W191 2130933-1/12E, nicht mehr Gegenstand dieses Verfahrens. Einen Gerichtshof des öffentlichen Rechts hat der BF gegen diese Entscheidung nicht angerufen.

Gegenstand dieses Verfahrens ist nach Behebung der Spruchpunkte II. und III. der genannten Entscheidung des BVwG aufgrund einer Amtsrevision des BFA durch den VwGH mit Erkenntnis vom 10.08.2017, Ra 2016/20/0389-6 nur mehr die Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz sowie der Zuerkennung eines Aufenthaltstitels bzw. die Erlassung einer Rückkehrentscheidung.

3.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

3.3.1. Dem BF, einem Angehörigen der Volksgruppe der Hazara, würde derzeit bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Helmand, einer besonders volatilen Provinz Afghanistans, in der die Taliban (überwiegend Angehörige der Volksgruppe der Paschtunen) sehr aktiv und präsent sind, ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

3.3.2. Eine Rückkehr und Ansiedelung außerhalb seiner Herkunftsprovinz, insbesondere in der Stadt Kabul, ist dem BF aufgrund seiner individuellen Umstände (mangels familiärer Anknüpfungspunkte, mangels Kenntnis der dortigen Gegebenheiten, Örtlichkeiten und Lebensgewohnheiten) nicht zumutbar, zumal er auch dort Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

3.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

3.4.1. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, zuletzt aktualisiert am 25.09.2017, Schreibfehler teilweise korrigiert):

Politische Lage:

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.) und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl. auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.01.2004).

Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.01.2017), nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017).

Parlament und Parlamentswahlen:

Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9.2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.01.2017).

Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.04.2016 vgl. auch: CRS 12.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 13.04.2016).

Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge zum Teil über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9.2016).

Parteien:

Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einigen von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, das von allen Parteien verlangte, sich neu zu registrieren, und zum Ziel hatte, ihre Anzahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber anscheinend nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).

Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder ein Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani verbrachte selbst die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 9.2016).

Friedens- und Versöhnungsprozess:

Im afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess gibt es weiterhin keine greifbaren Fortschritte. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Die Reintegration versöhnungswilliger Aufständischer bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 9.2016).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG):

Nach zweijährigen Verhandlungen (Die Zeit 22.09.2016) unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das der Hezb-e Islami Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtet sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Einen Tag nach Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der Hezb-e Islami und der Regierung erklärte erstere in einer Stellungnahme eine Waffenruhe (The Express Tribune 30.09.2016). Das Abkommen beinhaltet unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Sobald internationale Sanktionen aufgehoben sind, wird von Hekmatyar erwartet, nach 20 Jahren aus dem Exil nach Afghanistan zurückkehren. Im Jahr 2003 war Hekmatyar von den USA zum "internationalen Terroristen" erklärt worden (NYT 29.09.2016). Schlussendlich wurden im Februar 2017 die Sanktionen gegen Hekmatyar von den Vereinten Nationen aufgehoben (BBC News 04.02.2017).

Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.01.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint Einzelberichten zufolge auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.02.2017).

INSO beziffert die Gesamtzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle in Afghanistan im Jahr 2016 mit 28.838 (INSO 2017).

Mit Stand September 2016 schätzt die Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghanischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.01.2017).

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen – ausgeführt durch die Polizei und das Militär – landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 05.01.2017).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: Intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen den Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.08. – 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

Kontrolle von Distrikten und Regionen:

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im dritten Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.01.2017).

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. –einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal an: Zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit fünf von sechs Distrikten und Helmand mit acht von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.01.2017).

Rebellengruppen:

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin, durch Bedrohungen, Entführungen und gezielte Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistische Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan – gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihre Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).

Taliban und ihre Offensive:

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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