Entscheidungsdatum
31.10.2017Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L521 2164723-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias KOPF, LL.M. über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, 1090 Wien, Alser Straße 20, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2017, Zl. 1087009903-151331075, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 27.07.2017 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
II. Der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 wird gemäß § 6 AVG 1991 mangels Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes zurückgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 13.09.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Ilz-AGM am 14.09.2015 gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei XXXX in Bagdad geboren und habe dort zuletzt gelebt, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und der islamischen Glaubensrichtung sowie verheiratet. Er habe im Irak von 1990 bis 1993 die Grundschule in Kut besucht und zuletzt als Bäcker gearbeitet. Seine Eltern und mehrere Geschwister sowie seine Gattin seien im Irak oder einem anderen Drittstaat aufhältig. Ein Bruder befinde sich in Österreich.
Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, den Irak am 29.08.2015 illegal mit einem Bus über Erbil in die Türkei nach Izmir verlassen zu haben. Von der dortigen Küste sei er auf dem Seeweg nach Griechenland gelangt. Anschließend sei er mit verschiedenen Verkehrsmitteln sowie zu Fuß über Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich gereist.
Zu den Gründen seiner Ausreise aus dem Heimatland befragt, führte der Beschwerdeführer aus, er habe oft Drohungen von Terrormilizen erhalten. Entweder würde er sich diesen anschließen oder würde er getötet werden. Des Weiteren sei das Leben in Bagdad sehr gefährlich. Bei einer Rückkehr hätte er Angst vor den Terrormilizen und der gefährlichen Lage.
2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 05.01.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in arabischer Sprache von einem Organwalter der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen.
Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht zu haben. Zudem sei alles korrekt protokolliert.
Zur Person und den Lebensumständen befragt gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen. Er sei XXXX im Gouvernement XXXX geboren, Angehöriger der arabischen Volksgruppe, Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung, geschieden und kinderlos. Seine Eltern seien verstorben. Ein Bruder sei im Irak und ein weiterer Bruder unbekannten Aufenthalts. Ein dritter Bruder und seine Schwester befänden sich in Österreich. Er habe - bevor er sich nach Erbil begeben habe – in Bagdad im Bezirk XXXX gelebt. In Erbil sei er bis zu seiner Ausreise geblieben. Des Weiteren habe er drei Jahre in al-Kut die Schule besucht und einige Jahre später bis kurz vor dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein als Bäcker gearbeitet. Anschließend habe sein älterer Bruder ein Geschäft für Mobiltelefone eröffnet und habe er mit diesem gearbeitet. Ende 2012/ Anfang 2013 sei er bei einem Christen in einem Laden für alkoholische Getränke tätig gewesen.
Im Hinblick auf seinen Reiseweg wiederholte der Beschwerdeführer, auf dem Seeweg schlepperunterstützt von der Türkei ausgehend illegal nach Griechenland gelangt zu sein.
Die Fragen, ob er im Herkunftsland oder hier Strafrechtsdelikte begangen habe, ein offizieller Haftbefehl gegen ihn im Heimatland bestehe, er aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit bzw. Religionszugehörigkeit Probleme in der Heimat gehabt habe oder er persönlich jemals Probleme mit den Behörden (oder staatsähnlichen Institutionen) seines Heimatlandes gehabt habe, verneinte der Beschwerdeführer.
Zu den Gründen für das Verlassen seines Heimatstaates befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er 2013 bei einem Christen in einem Alkoholladen gearbeitet hätte. Einmal sei eine Gruppe Vermummter erschienen, die ihnen den Verkauf verboten hätten, weil dies har?m sei. Es sei jedoch nichts passiert. Nach drei oder vier Monaten seien diese erneut gekommen. Sein Arbeitgeber - ein älterer Herr - habe ihn aufgefordert, dieser Gruppe zu erklären, dass dies ihre einzige Einnahmequelle sei. Die Gruppe sei weggegangen und nach einer gewissen Zeit in Militäruniform, vermummt und bewaffnet zurückgekommen. Man habe ihnen wieder gesagt, dass es har?m sei, solche Getränke zu verkaufen. Eine der Personen habe ihn angeschrien und beschimpft, was er nicht ausgehalten habe. Sein Arbeitgeber habe ihn zu beruhigen versucht. Irgendwo in der Nähe sei eine Schnapsflasche gewesen. Die mit ihm diskutierende Person habe ihm auf die Schläfe geschlagen, woraufhin er ohnmächtig geworden sei und stark geblutet hätte. Die Vermummten hätten sich entfernt. Nach einem Tag im Krankenhaus habe ihm ein Freund geraten, dieses zu verlassen. Der Arbeitgeber sei untergetaucht gewesen. Zunächst sei er bei einem Onkel mütterlicherseits gewesen, dann habe er zwischen verschiedenen Hotels gependelt und sei nach Erbil zu einer arabischen Freundin gezogen.
Nachgefragt zu Details gab der Beschwerdeführer unter anderem an, dass es sich bei der Gruppe um die Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq gehandelt habe. Im Juni 2013 sei es keine Bedrohung, sondern eine Ermahnung gewesen. Im September und Dezember 2013 sei es zu den Bedrohungen gekommen, wobei man ihn im Dezember 2013 geschlagen habe. Die Gruppe habe auch Geschäfte in anderen Bezirken aufgesucht und gesagt, dies sei gesetzlich verboten und har?m. Dies habe ihm der Arbeitgeber erzählt. Der Laden habe den Namen XXXX geführt. Es habe jedoch kein Schild gegeben. Der Arbeitgeber habe den Namen XXXX getragen. Den Nachnamen wisse er nicht. Schriftliche Drohungen habe es nicht gegeben. Ein Freund habe ihn vor der Ausreise überzeugt, insbesondere weil er bedroht werden würde. Zudem seien alle Grenzen offen gewesen. Bis dato habe es keine direkt gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen gegeben, aber wäre er im Irak geblieben, hätte man ihn schon längst getötet. Bei einer Rückkehr in den Irak würde man ihn töten. Die Milizen müssten verschwinden, damit er wieder in den Irak zurückkehren könne. Diese hätten alles unter ihre Kontrolle gebracht.
In der Folge wurden dem Beschwerdeführer Fragen bezüglich seines Privat- und Familienlebens in Österreich gestellt.
Dem Beschwerdeführer wurde abschließend die Möglichkeit eingeräumt, die erörterten länderkundlichen Berichte zum Irak ausgehändigt zu erhalten und innerhalb von einer Woche hiezu eine Stellungnahme einzubringen.
Der Beschwerdeführer verzichtete auf diese Möglichkeit.
Im Gefolge seiner Einvernahme brachte der Beschwerdeführer eine irakische Wohnsitzkarte im Original bei.
3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Absatz 9 Fremdenpolizeigesetz 2005 unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Begründend führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe der Einvernahme des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person aus, es sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer seine Ausreisegründe vor der belangten Behörde nicht glaubhaft vorgebracht habe. Etwaige Gefahrensituationen ausgehend von irakischen Behörden/ Institutionen würden nicht vorliegen.
In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Dem Beschwerdeführer sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, da er im Irak über genügend Anknüpfungspunkte verfüge und keine reale Gefahr einer Verletzung in elementaren Rechte sowie keine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts drohe. Dem Beschwerdeführer sei schließlich kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen.
4. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
5. Gegen den dem Beschwerdeführer am 03.07.2017 zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
In dieser wird beantragt, den angefochtenen Bescheid abzuändern und dem Antrag auf internationalen Schutz Folge zu geben und dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen oder hilfsweise den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen oder einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach §§ 57 und 55 AsylG zu erteilen und darüber hinaus die Rückkehrentscheidung samt der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung aufzuheben. Abschließend wird jedenfalls eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begehrt.
Des Weiteren wird moniert, dass die Art und Weise, in welcher die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit abgesprochen habe, nicht den Anforderungen der amtswegigen Ermittlungspflicht entsprechen würden.
In der Sache wird nach Wiederholung der bereits vorgebrachten Ausreisegründe im Wesentlichen vorgebracht, der irakische Staat sei nicht schutzfähig und -willig. Ferner bestehe für Araber auch keine innerstaatliche Fluchtalternative in den nordirakischen Kurdengebieten.
Zum Antrag auf subsidiären Schutz sei anzumerken, dass der Irak die Kontrolle über große Teile des Staatsgebietes verloren habe, sei es an die Terroristen des Islamischen Staates oder die verschiedenen außer Kontrolle geratenen Milizen. Im Falle einer Rückkehr sei ein echtes Risiko einer Art. 2 bzw. 3 EMRK widersprechenden Behandlung gegeben, weil der Beschwerdeführer wegen des Verkaufs von Alkohol Probleme mit der Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq gehabt habe.
6. Die Beschwerdevorlage langte mit 18.07.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren – im Gefolge einer Unzuständigkeitseinrede des Leiters der Gerichtabteilung, dem das Verfahren zunächst zugewiesen worden war – der nunmehr zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.
7. Am 27.07.2017 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, des Bruders des Beschwerdeführers, XXXX , geb. XXXX , L521 2123397-1, der bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation und eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt. Das gegenständliche Verfahren wurde zunächst zur gemeinsamen Verhandlung mit dem Beschwerdeverfahren des Bruders des Beschwerdeführers verbunden. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand aktueller Länderdokumentationsunterlagen erörtert, welche dem Beschwerdeführer zur Abgabe einer Stellungnahme ausgefolgt wurden.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist der mündlichen Verhandlung entschuldigt ferngeblieben.
8. Mit Schreiben vom 16.08.2017 übermittelte die bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation mehrere Unterlagen bezüglich der Integration des Beschwerdeführers in Österreich. Konkret handelte es sich hiebei um eine Teilnahmebestätigung für einen Deutschkurs, Bescheinigungen der Caritas und der Wohnsitzgemeinde über die Verrichtung gemeinnütziger Arbeit, eine Teilnahmebestätigung über einen Werte- und Orientierungskurs und ein Referenzschreiben des Quartierbetreuers.
9. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 19.09.2017 wurden der bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation des Beschwerdeführers seitens des Bundesverwaltungsgerichts – unter Setzung einer zweiwöchigen Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ab Zustellung dieses Schreibens – die aktuellen länderkundlichen Informationen zur Lage im Irak vom 04.09.2017 zur Kenntnis gebracht.
Bis zum Entscheidungszeitpunkt wurde vom Beschwerdeführer keine Stellungnahme in Vorlage gebracht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angegebenen Namen. Sein Stammesname - lautet XXXX . Er ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung. Er wurde am XXXX im Gouvernement W?si? in der Stadt XXXX geboren und wuchs dort auf. Etwa ab seinem 18. Lebensjahr lebte er in Bagdad, zuletzt im Bezirk XXXX in einem Miethaus. Der Beschwerdeführer ist geschieden und hat keine Kinder.
Der Beschwerdeführer besuchte im Irak mehrere Jahre die Schule. Anschließend arbeitete er - zuletzt in Erbil - als Brotbäcker.
Die Eltern des Beschwerdeführers sind verstorben. Zwei Brüder des Beschwerdeführers sind im Irak unbekannten Aufenthaltes. Im Herkunftsstaat befinden sich derzeit eine Schwägerin und eine Nichte in Bagdad im Bezirk XXXX . Zudem leben im Irak drei Onkel und zwei Tanten. Die Onkel und eine Tante sind ebenfalls in Bagdad und eine Tante im Gouvernement XXXX aufhältig.
Einem weiteren Bruder des Beschwerdeführers, XXXX , geb. XXXX , und einem Neffen, XXXX , geb. XXXX , wurde jeweils mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2016 gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Die gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide vom 26.02.2016 hinsichtlich des Antrags auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemeinsam erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.09.2017 rechtskräftig als als unbegründet abgewiesen.
Die Schwester des Beschwerdeführers, XXXX , geb. XXXX , ist ebenfalls als Asylwerberin in Österreich aufhältig. Deren Asylverfahren ist gegenwärtig vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anhängig.
Am 29.08.2015 verließ der Beschwerdeführer den Irak illegal von Erbil ausgehend mit einem Bus in die Türkei und reiste in weiterer Folge schlepperunterstützt nach Österreich, wo er im September 2015 einreiste und am 13.09.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
1.2. Der Beschwerdeführer gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit zu gewärtigen.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise Drohungen oder Übergriffen seitens der schiitischen Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq ausgesetzt war.
Es kann ferner nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer sonstigen individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.
1.3. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschlichen Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.
Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeitsfähiger Mensch mit hinreichender Ausbildung in der Schule und Berufserfahrung als Brotbäcker. Der Beschwerdeführer verfügt über eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat.
1.4. Der Beschwerdeführer hält sich seit Mitte September 2015 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel. Er ist strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer bezieht seit der Antragstellung bis dato Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und bewohnt eine Asylunterkunft. Er ist nicht legal erwerbstätig, verrichtete jedoch gemeinnützige Arbeiten in seinem Asylquartier und seiner Wohnsitzgemeinde. Über eine konkrete Erwerbstätigkeit am regulären Arbeitsmarkt verfügt der Beschwerdeführer nicht, ihm wurde jedoch eine Beschäftigung – etwa im Lebensmittelhandel – in Aussicht gestellt.
Die Schwester, ein Bruder und ein Neffe des Beschwerdeführers befinden sich in Österreich. Im Übrigen pflegt der Beschwerdeführer normale soziale Kontakte zu Asylwerbern und österreichischen Staatsbürgern. Ein Quartierbetreuer bzw. die Caritas attestiert dem Beschwerdeführer ein netter, hilfsbereiter, pünktlicher und ruhiger sowie verlässlicher Mann zu sein.
Der Beschwerdeführer ist für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig.
Der Beschwerdeführer besucht(e) Deutschkurse, verfügt jedoch erst über rudimentäre Kenntnisse der deutschen Sprache.
1.5. Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der angeführten Quellen getroffen:
1. Politische Lage
Im März 2003 kam es zum Einmarsch von Truppen einer Koalition, die von den USA angeführt wurde (BBC 12.7.2017). Als Grund hierfür wurden Massenvernichtungswaffen angegeben, deren Existenz jedoch nie bestätigt werden konnte. Nach dem im März 2003 erfolgten Sturz von Saddam Hussein, einem Angehörigen der sunnitischen Minderheit, wurden die Regierungen von Vertretern der schiitischen Mehrheitsbevölkerung geführt (BPB 9.11.2015). Mit 2003 begann der Aufstieg von [vorwiegend] irantreuen bzw. dem Iran nahestehenden schiitischen Parteien/Milizen, denen die amerikanischen Invasoren erlaubten, aus dem iranischen Exil in ihre Heimat zurückzukehren (SWP 8.2016; vgl. Hiltermann 26.4.2017). Es konnte nach der Entmachtung Husseins weder eine umfassende Demokratisierung noch eine Stabilisierung erreicht werden, da die Strukturen des neuen politischen Systems das Land entlang ethnisch-konfessioneller Linien fragmentierten (BPB 9.11.2015). Die von der US-Besatzung beschlossene Auflösung der irakischen Armee sowie das Verbot der Baath-Partei ließen viele Sunniten, darunter erfahrene Militärs, radikalen islamistischen Gruppen zuströmen (Spiegel 18.4.2015). Die sunnitische Minderheit fühlte sich zunehmend diskriminiert und radikale Anführer konnten immer mehr Anhänger gewinnen (AI 28.5.2008). Zudem hatte die Demontage der irakischen Armee und irakischen Sicherheitskräfte durch die US-geführte Koalition ein Sicherheitsvakuum hinterlassen, das die schiitischen Milizen zu füllen versuchten, wodurch es zu einem sunnitischen Aufstand kam (Hiltermann 26.4.2017). Die US-Regierung (sowohl die Bush-, als auch die Obama-Regierung) arbeitete zum Teil mit diesen Kräften (Badr-Miliz) zusammen, und verschloss vor den Gewaltexzessen der schiitischen Milizen gegenüber der sunnitischen Bevölkerung die Augen (Reuters 14.12.2015). Während die Revolte der Sunniten gegen die US-Präsenz seit 2003 eher eine nationalistisch als eine religiös geprägte Bewegung war, entwickelte die Revolte zunehmend einen dominanten radikal-sunnitisch-islamistischen Zug. Der in der Folge entstehende konfessionelle Bürgerkrieg (ca. 2005 bis 2007) führte zu einer Änderung der US-Politik im Irak, die wiederum die Niederlage von Al-Qaida im Irak (AQI) herbeiführte. Doch dadurch, dass das Problem der Ausgrenzung der Sunniten weiter bestehen blieb, kam es zu weiteren Protesten in den sunnitischen Gebieten in den Jahren 2013 und 2014, daraufhin zu einer gewaltsamen Antwort von Seiten des Staates und danach zur Übernahme sunnitischer Gebiete durch eine noch radikalere Version von Al-Qaida – durch die Organisation "Islamischer Staat" [IS, auch ISIS oder ISIL, vormals ISI, arabisch Daesh] (Hiltermann 26.4.2017). Diese konnte in große Teile der sunnitischen Gebiete im Westen des Irak, in kurdische Gebiete im Norden des Irak und in Teile Syriens vordringen (ACCORD 12.2016). Als die nach der Entmachtung Saddam Husseins neu aufgestellte Armee vorübergehend "kollabierte", mobilisierten schiitische Führer in Notwehr ihre Gefolgschaft, wodurch die schiitischen Milizen (allen voran die Badr Organisation, Asaib Ahl al-Haq und Kataeb Hezbollah, mit Unterstützung des Irans) verstärkt auf den Plan traten und sich nordwärts in die sunnitischen Gebiete bewegten (Hiltermann 26.4.2017).
Das politische Geschehen ist trotz großer Erfolge bei der Rückeroberung von IS weiterhin vom Kampf gegen den IS geprägt (ÖB 12.2016). Seit Ende 2015 wird der IS mit einem Bündnis auf Zeit aus irakischem Militär, kurdischen Peschmerga, schiitischen Milizen und Luftschlägen der internationalen US-geführten Anti-IS-Koalition bekämpft (AA 7.2.2017).
Staatsform & Parteien
Der Irak ist formal-konstitutionell eine republikanische, demokratische, föderal organisierte und parlamentarische Republik. So sieht es die gültige Verfassung von 2005 vor. Sitz von Regierung und Parlament ist Bagdad. Staatspräsident ist seit dem 24.07.2014 der Kurde Fuad Massum, Angehöriger der irakisch-kurdischen Partei Patriotic Union of Kurdistan - PUK. Ein Teil des föderalen Staates ist auch das kurdische Autonomiegebiet, das im Nordosten des Iraks angesiedelt ist. Diese Föderale Region Kurdistan hat weitgehende Souveränität. Sie verfügt über eigene exekutive, legislative und judikative Organe und besitzt seit 2009 eine eigene Verfassung, sowie gesonderte Militäreinheiten, die Peschmerga (LIP 6.2015). Im Irak gibt es eine Vielzahl von Parteien (zu einer Anerkennung genügen laut Parteiengesetz 500 Unterschriften). Sie haben sich vor und nach den Wahlen zu Bündnissen zusammengeschlossen (AA 7.2.2017).
Wahlen & Premierminister
Die letzten nationalen Wahlen, die im April 2014 stattfanden, hatte zwar abermals der zuvor amtierende Premierminister Nouri al-Maliki gewonnen, da es jedoch auf Grund seines autoritären und pro-schiitischen Regierungsstils massive Widerstände gegen ihn gab, trat er im August 2014 auf kurdischen, internationalen, aber auch auf innerparteilichen Druck hin zurück (GIZ 6.2015). Maliki wird unter anderem vorgeworfen, mit seiner sunnitenfeindlichen Politik (Ausgrenzung von sunnitischen Politikern, Niederschlagung sunnitischer Demonstrationen, etc.) deutlich zur Entstehung radikaler sunnitischer Gruppen, wie dem IS, beigetragen zu haben (Qantara 17.8.2015; vgl. auch Abschnitt "Sicherheitslage"). Infolge dessen wurde die schiitisch dominierte Regierung des Premierministers Nuri al-Maliki von einer nationalen Einheitsregierung mit Beteiligung von Sunniten und Kurden unter dem gemäßigteren Premierminister Haidar al-Abadi abgelöst (HRW 29.1.2015). Abadi ist ebenfalls Schiite und ein Parteikollege Malikis in der Da‘wa-Partei. Er ist mit dem Versprechen angetreten, das ethno-religiöse Spektrum der irakischen Bevölkerung wieder stärker abzudecken (GIZ 6.2015), und zunächst konnten durch seine Ernennung zum irakischen Premierminister tatsächlich einige gesellschaftliche Gräben geschmälert werden. Von einer tatsächlichen Versöhnung zwischen den ethnischen und religiösen Gruppierungen ist jedoch nichts zu bemerken (ÖB 12.2016). Die Besetzung aller politischen Führungspositionen, so auch der Kabinettsposten, folgt seit Jahren einem Kalkül ethnisch/religiöser Balance. Die sunnitischen Regierungs- und Parlamentsmitglieder stehen unter Druck, da ihre Kooperation in Bagdad bislang kaum dazu beitrug, ihre Klientel zu schützen (ÖB 12.2016). Das irakische Parlament wählte den moderaten sunnitischen Politiker Salim al-Jabouri zum Parlamentspräsidenten (Al Arabiya 15.7.2014).
Abadis Reformen sind bislang nur oberflächlicher Natur oder harren noch ihrer Umsetzung. Unterstützt werden die Reformpläne der Regierung bislang immerhin durch die höchste geistliche Autorität der Schiiten, Großajatollah Al-Sistani (AA 7.2.2017). Insgesamt ist die Zentralregierung aber schwach, Premierminister Abadi kann gegen die internen Rivalitäten der schiitischen Parteien nicht viel ausrichten. Er ist von zahlreichen Herausforderern umgeben: Dem Ex-Premierminister Nouri al-Maliki, dem Oppositionsführer und populärer Priester Muqtada al-Sadr, sowie den anderen Anführern schiitischer Milizen (Stansfield 26.4.2017).
Das irakische Parlament hat am 29.01.2017 die neuen Minister für Verteidigung und Inneres bestätigt. Der Armeegeneral Erfan al-Hiyali von der sunnitischen Minderheit im Land wird künftig das Verteidigungsministerium führen. Kasim al-Aradschi von der schiitischen Badr-Organisation leitet das Ressort Inneres. Ministerpräsident Haider al-Abadi lobte die Entscheidung des Parlaments als "guten Fortschritt zu einer entscheidenden Zeit". Beide Posten waren monatelang unbesetzt (ORF, 30.01.2017).
Schiitische Milizen, Rolle des Ex-Premierminister Maliki und Einfluss des Iran
Abadi hat mit dem Iran-freundlichen Ex-Premierminister Maliki (nunmehr Vize-Premierminister und Vorsitzender der State of Law Coalition, sowie Da‘wa-Parteiführer) einen starken Widersacher innerhalb seiner Partei. Ein Problem Abadis ist auch die Macht der schiitischen Milizen – einerseits unverzichtbar für Abadi im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (Standard 5.11.2015), gleichzeitig wird deren Einsatz aber von der sunnitischen Bevölkerung als das "Austreiben des Teufels mit dem Beelzebub" gesehen. Das Vertrauen der sunnitischen Bevölkerung in die schiitisch dominierte Zentralregierung bleibt weiterhin minimal. Der Einsatz dieser Milizen im Kampf gegen den IS wird von Sunniten meist abgelehnt, sie fürchten ein ruchloses Vorgehen der Milizen und dulden daher oft die sunnitischen Extremisten in ihren Gebieten. Berichte zu Übergriffen der schiitischen Milizen konterkarieren die Versuche von Premierminister Haidar al-Abadi, den arabischen Sunniten wieder Vertrauen in den irakischen Staat einzuflößen (ÖB 12.2016). Bezüglich der schiitischen Milizen spielt auch der schiitisch dominierte Iran eine große Rolle, der insgesamt einen großen Einfluss auf den Irak ausübt. An den Schalthebeln der Macht in Bagdad werden selbst hochrangige irakische Kabinettsmitglieder von der iranischen Führung abgesegnet oder "hinauskomplementiert". Dadurch kommt es auch dazu, dass Gesetze verabschiedet werden, wie z. B. jenes vom November 2016, das die schiitischen Milizen effektiv zu einem permanenten Fixum der irakischen Sicherheitskräfte macht (NYTimes 15.7.2017), und sie im Rahmen der Dachorganisation PMF (auch PMU, Popular Mobilisation Forces/Units, Volksmobilisierung, arabisch Al-Hashd al-Shaabi) der irakischen Armee gleichstellt (Harrer 9.12.2016). Diese Integration der schiitischen Milizen in die Regierungskräfte, die von vielen sunnitischen Politikern bekämpft wurde (HRW 16.2.2017), ist mehr formeller Natur, um den äußeren Schein zu wahren. In der Realität gibt es im Irak keine offizielle Instanz (auch nicht die Regierung), die die Fähigkeit hat, die Milizen zu kontrollieren (Hiltermann 26.4.2017). Die Eingliederung der Milizen in die irakische Sicherheitsstruktur sichert ihnen einerseits eine Finanzierung durch den Irak, während die [effektive] Kontrolle über einige der mächtigsten Einheiten weiterhin dem Iran obliegt. Dem Iran geht es dabei nicht nur um die weitere Ausbreitung der Kontrolle über irakisches Gebiet, sondern auch darum, einen Korridor zu den Stellvertreterkräften in Syrien und im Libanon zu bilden. Was im März 2017 passierte, nämlich, dass Iran-gestützte schiitische Milizen zum ersten Mal den gesamten Weg westwärts bis zur syrisch-irakischen Grenze vorstoßen konnten, quer durch irakisches, vorwiegend sunnitisches Gebiet, veranschaulicht dieses Vorhaben (ICG 31.5.2017; vgl. NY Times 15.7.2017). Der ehemalige Premierminister Maliki, der sich bereits zu seiner Amtszeit stark in Richtung Iran gelehnt hatte, und der nach Ende seiner Amtszeit weiterhin massiv von der Zusammenarbeit mit dem Iran profitierte, spielt heute auf politischer Ebene in Bezug auf die PMF eine zentrale Rolle. Unter anderem aufgrund der Schwäche des Irakischen Staates, der Dominanz des Irans, sowie ganz besonders aufgrund der Hilfe, die der reguläre irakische Sicherheitsapparat für das Zurückschlagen des IS benötigt(e), blieb Abadi keine andere Wahl, als den PMF-Milizen zu noch weiterem Einfluss zu verhelfen – in Fortsetzung der bezüglich der Milizen vorangetriebenen Legitimierungspolitik Malikis. Die PMF sind somit einerseits eine vom Staat mittlerweile legitimierte und der Armee gleichgestellte Dachorganisation von - fast ausschließlich - schiitischen Milizen, gleichzeitig werden sie aber von nicht-staatlichen Anführern befehligt (Carnegie 28.4.2017). Maliki versucht, an die Spitze der irakischen Politik zurückzukehren, und hat als Verbündete dabei den Iran und "seine" neue Hausmacht, die schiitischen Milizen (Harrer 13.2.2017). Gegen dieses Vorhaben regt sich insbesondere auch im Süden verstärkter Widerstand: Die Anhänger der Sadr-Bewegung [Muqtada al-Sadr: Führer der Sadr-Bewegung, einer politischen Partei, sowie Führer der Saraya al-Salam] wollen mittels Demonstrationen die Hoffnung Malikis auf eine Rückkehr verhindern. Ein innerschiitischer Konflikt zwischen Sadristen und Maliki-Anhängern ist spürbar, auch wenn diesbezügliche militärische Auseinandersetzungen unwahrscheinlich sind (Al Monitor 26.1.2017). Zu solchen Auseinandersetzungen war es zwischen diesen beiden Lagern im Jahr 2008 in Basra gekommen (BBC 12.7.2017).
Die Sadr-Bewegung ist aber auch gegenüber Abadis Regierung kritisch eingestellt. Muqtada al-Sadr stilisiert sich als irakischer Nationalist, der gegen den konfessionell-ethnischen Proporz in der irakischen Politik ankämpft, der jedoch andererseits Abadis Reformen zum Teil sogar blockiert, wie z.B. Abadis Versuch, eine Technokratenregierung aufzustellen. Darüber hinaus führt die Sadr-Bewegung regierungskritische Demonstrationen durch, die – trotz Aufrufs Sadrs, friedlich zu protestieren – außer Kontrolle geraten können und zuletzt im Februar 2017 in Bagdad zur wiederholten Erstürmung der Grünen Zone führten. Die Proteste der Sadr-Bewegung spielen Maliki in die Hände und schwächen Abadi zusätzlich, der in der Schusslinie zwischen Sadr und Maliki steht (Harrer 13.2.2017). In Hinblick auf die Parlamentswahl im Jahr 2018 und einen möglichen Erfolg des pro-iranischen Maliki, näherte sich Premierminister Abadi einer Koalition einflussreicher schiitischer religiöser und politischer Führer (darunter auch besagter Muqtada al-Sadr) an, mit dem Ziel Maliki zu isolieren (IFK 9.6.2017).
Der gemeinsame Gegner IS schweißte 2014 das Land und teilweise auch die Bevölkerung etwas zusammen, doch die Bruchlinien bleiben insbesondere mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS akut: Nicht nur zwischen Schiiten und Sunniten oder innerhalb der schiitischen Kräfte, sondern auch zwischen der KRI (Kurdische Region im Irak) und der Zentralregierung, innerhalb der kurdischen Gruppierungen sowie zwischen de facto allen Mehrheitsbevölkerungen und Religionen und den Minderheiten in ihrem Bereich. Mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS gehen auch ein verstärkter Terrorismus, neue humanitäre Herausforderungen und wiederaufflammende Spannungen einher. Eine ethnisch-religiöse Aussöhnung hat nicht stattgefunden. Die Gefahr eines weiteren Zerfalls des Staates, samt bewaffneten Auseinandersetzungen ist nach wie vor nicht gebannt (ÖB 12.2016). Insbesondere ist auch unklar, ob die vom IS zurückeroberten sunnitischen Gebiete auf eine Weise verwaltet werden, die nicht erneuten Unfrieden und eine erneute Rebellion (unter dem Banner des IS oder einer anderen Organisation) provozieren wird (OA/EASO 2.2017). Die Islamisten genießen im Irak in der Bevölkerung nach wie vor Unterstützung, da sie sich als Beschützer der sunnitischen Gemeinschaft präsentieren. Der IS ist ja ursprünglich vorrangig eine irakische Organisation mit starken lokalen Wurzeln (Stansfield 26.4.2017), und selbst das Zurückschlagen des IS in Mossul vermag es nicht, die schiitisch-sunnitischen Spannungen zu lösen, die das Ergebnis einer mangelnden politischen Übereinkunft sind (USCIRF 26.4.2017). Die Gewalt, der die Sunniten seit der US-geführten Invasion im Irak von Seiten Iran-gestützter Regierungen und Milizen ausgesetzt waren [und sind], hat in der sunnitisch-arabischen Bevölkerung ein tiefgreifendes und gefährliches Gefühl der Viktimisierung bewirkt, das Rekrutierungsbemühungen von Jihadisten in die Hände spielt (ICG 22.3.2017). Die Rolle der internationalen Koalition gegen den IS ist zwiespältig. Während diese sich selbst als unparteiischen Akteur sehen mag (abgesehen vom Kampf gegen den IS), sehen das die irakischen Akteure anders, die die Koalition alleine schon auf Grund der Wahl ihrer Verbündeten als völlig parteiisch ansehen (ICG 31.5.2017).
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