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L6650 FlurverfassungNorm
B-VG Art138 Abs1 Z1Leitsatz
Entscheidung eines verneinenden Kompetenzkonfliktes zwischen einem Bezirksgericht und dem Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde; Feststellung der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zur Entscheidung über eine - mit einer Zusammenlegung in keinem Zusammenhang stehende - Schadenersatzforderung für ein GrundstückSpruch
I. Zur Entscheidung über den vom Antragsteller gegen die beteiligte Partei geltend gemachten Anspruch auf Bezahlung von € 6.784,69 samt Zinsen ist das Bezirksgerichte Reutte zuständig.
II. Der entgegen stehende Beschluss des Bezirksgerichtes Reutte vom 5. Dezember 2016, 3 C 114/16s, wird aufgehoben.
III. Der Bund (Bundesminister für Justiz) ist schuldig, dem Antragsteller zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Antrag und Vorverfahren
1. Mit seinem auf Art138 Abs1 Z1 B-VG und §46 Abs1 Z1 VfGG gestützten Antrag begehrt der Einschreiter die Entscheidung eines verneinenden Kompetenzkonfliktes zwischen dem Bezirksgericht Reutte und dem Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde. Diesem Begehren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.1. Mit Bescheid vom 23. Juni 2016, Z ZBS-ZH402/661-2016, wies die Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde den Antrag des Einschreiters, die beteiligte Partei sei schuldig, ihm (auf Grund der durch die Bauführung der beteiligten Partei auf deren Grundstücken an seinem benachbarten Anwesen entstanden, näher umschriebenen Schäden) € 6.784,69 samt Zinsen zu bezahlen, wegen Unzuständigkeit zurück und verwies ihn auf den Rechtsweg. Begründend führte sie aus, dass das näher bezeichnete Grundstück des Antragstellers, an dem die behaupteten Schäden entstanden sein sollten, deren Ersatz von der beteiligten Partei begehrt werde, nicht (mehr) im Zusammenlegungsgebiet Nesselwängle liege und daher für den gestellten Antrag keine Zuständigkeit der Agrarbehörde gemäß §72 Abs4 und 5 Tiroler Flurverfassungslandesgesetz 1996 (in der Folge: TFLG 1996), LGBl 74 idF LGBl 70/2014, bestehe.
1.2. Mit Beschluss vom 5. Dezember 2016, 3 C 114/16s, wies das Bezirksgericht Reutte die Mahnklage des Einschreiters des Inhaltes, die beteiligte Partei sei schuldig, ihm (auf Grund der durch die Bauführung der beteiligten Partei auf deren Grundstücken an seinem benachbarten Anwesen entstanden, näher umschriebenen Schäden) € 6.784,69 samt Zinsen zu bezahlen, mit der Begründung als unzulässig zurück, dass sich die Klage gegen die Eigentümerin eines vom Zusammenlegungsverfahren erfassten Grundstückes richte und sich ausdrücklich auf behauptete Störungen beziehe, die von diesem Grundstück ausgehen würden. Die begehrte Entscheidung hätte unmittelbare Folgen für das Grundstück der beteiligten Partei (zB bei Untersagung von weiterer Bautätigkeit oder Einschränkung der Verwendungsmöglichkeit), was auch für die Besitz- und Eigentumsverhältnisse eine Rolle spiele.
2. Das Bezirksgericht Reutte und das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde haben die Gerichts- bzw. Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Äußerung jedoch – wie auch die beteiligte Partei – Abstand genommen.
II. Rechtslage
§72 TFLG 1996 lautet:
"§72
Zuständigkeit der Agrarbehörde im Zuge eines Verfahrens
(1) Die Verordnungen über die Einleitung und den Abschluß und über die Einstellung eines Zusammenlegungsverfahrens und über die Begründung bzw. Auflösung einer Zusammenlegungsgemeinschaft sind im 'Boten für Tirol' kundzumachen.
(2) Der Eintritt der Rechtskraft der Entscheidungen über die Einleitung und über den Abschluss von Flurbereinigungs-, Regulierungs- oder Teilungsverfahren sowie von Auseinandersetzungsverfahren ist an der Amtstafel der Agrarbehörde und durch Anschlag an der Amtstafel jener Gemeinden, in denen die Grundstücke liegen, auf die sich das Verfahren bezieht, bei Grundstücken im Sinn des §33 Abs2 litc Z2 jedenfalls auch durch Anschlag an der Amtstafel der substanzberechtigten Gemeinde, durch zwei Wochen öffentlich bekanntzumachen.
(3) Die Einleitung und der Abschluß eines Verfahrens sind den zuständigen Grundbuchsgerichten, Bezirksverwaltungsbehörden, Vermessungsbehörden, Gemeinden, der Landwirtschaftskammer und dem Obmann der Bezirkslandwirtschaftskammer mitzuteilen.
(4) Die Zuständigkeit der Agrarbehörde erstreckt sich von der Einleitung bis zum Abschluss eines Zusammenlegungs-, Flurbereinigungs-, Teilungs-, Auseinandersetzungs- oder Regulierungsverfahrens, sofern sich aus dem Abs7 nichts anderes ergibt, auf die Verhandlung und Entscheidung über alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die zum Zweck der Durchführung der Zusammenlegung, Flurbereinigung, Teilung, Regulierung oder Auseinandersetzung in das Verfahren einbezogen werden müssen. Während dieses Zeitraumes ist in diesen Angelegenheiten die Zuständigkeit der Behörden ausgeschlossen, in deren Wirkungskreis die Angelegenheiten sonst gehören.
(5) Diese Zuständigkeit der Agrarbehörde erstreckt sich insbesondere auf:
a) Streitigkeiten über Eigentum und Besitz an den in das Verfahren einbezogenen Grundstücken;
b) Streitigkeiten über den Grenzverlauf der in lita angeführten Grundstücke einschließlich der Streitigkeiten über den Grenzverlauf zwischen einbezogenen und nicht einbezogenen Grundstücken;
c) Streitigkeiten über Gegenleistungen für die Benutzung von in das Verfahren einbezogenen Grundstücken.
(6) Soweit nichts anderes bestimmt ist, sind von der Agrarbehörde die Normen, die sonst für diese Angelegenheiten gelten (z. B. die Vorschriften des bürgerlichen Rechtes, des Wasser- und Forstrechtes), anzuwenden.
(7) Von der Zuständigkeit der Agrarbehörde sind ausgeschlossen:
a) Streitigkeiten der im Abs5 erwähnten Art, die vor Einleitung des Agrarverfahrens bereits vor dem ordentlichen Richter anhängig waren;
b) Streitigkeiten über Eigentum und Besitz an Liegenschaften, mit denen ein Anteil an den agrargemeinschaftlichen Grundstücken, ein Benutzungs- und Verwaltungsrecht oder ein Anspruch auf Gegenleistungen bezüglich solcher Grundstücke verbunden ist;
c) die Angelegenheiten der Eisenbahnen, der Bundesstraßen, der Landesstraßen, der Schiffahrt, der Luftfahrt, des Bergbaues, der Jagd und der Fischerei."
III. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Verfahrens
1.1. Gemäß Art138 Abs1 Z1 B-VG iVm §46 Abs1 Z1 VfGG besteht ein vom Verfassungsgerichtshof zu entscheidender verneinender Kompetenzkonflikt dann, wenn ein Gericht und eine Verwaltungsbehörde ihre Zuständigkeit in derselben Sache verneint haben, obwohl eine der beiden Behörden zuständig gewesen wäre.
1.2. Es ist offenkundig, dass im vorliegenden Fall in derselben Sache ein Gericht und eine Verwaltungsbehörde die Zuständigkeit abgelehnt haben, diese Ablehnung aber in einem Fall zu Unrecht erfolgt ist.
1.3. Für die Zulässigkeit eines solchen Antrages ist es nicht erforderlich, dass die Prozessparteien in den zugrunde liegenden Verfahren den Instanzenzug ausgeschöpft haben (vgl. VfSlg 18.505/2008 mwN).
1.4. Der vorliegende Antrag ist daher zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfSlg 17.785/2006 unter Heranziehung seiner eigenen Judikatur, aber auch jener des Obersten Gerichtshofes (vgl. insbesondere OGH 30.1.2001, 4 Ob 11/01y) und des Verwaltungsgerichtshofes sowie von Literatur herausgearbeitet, dass der von ihm in ständiger Rechtsprechung unterstellte Gesetzeszweck des §72 TFLG 1996, die Prüfung zu erübrigen, ob der Streit in tatsächlichem und rechtlichem Zusammenhang mit der (zB) Zusammenlegung steht, zwar insoweit durchschlägt, als es sich um Streitigkeiten über das Eigentum oder den Sachbesitz handelt oder die Angelegenheit einem solchen Streit aus besonderen Gründen gleichzuhalten ist, seine Kraft aber dann verliert, wenn der geltend gemachte Anspruch seiner Art nach damit offenkundig nichts zu tun hat.
2.2. Ein solcher Fall liegt hier vor: Weder sind Eigentum noch Sachbesitz strittig, es geht auch nicht um die Abgrenzung der Eigentumsrechte oder Besitzverhältnisse zwischen Miteigentümern oder Eigentümern benachbarter Liegenschaften oder wegen zwischen diesen als bestehend behaupteten Grunddienstbarkeiten, sondern um die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches. In einem solchen Streit geht es nicht um Eigentum oder Besitz am Grundstück und er ist einem solchen unter dem Blickwinkel des §72 Abs5 TFLG 1996 auch nicht gleichzuhalten (vgl. VfSlg 17.785/2006; OGH 7.3.2013, 1 Ob 243/12k).
2.3. Da die herangezogene Ausnahmebestimmung nicht greift, bleibt die Angelegenheit gemäß §1 JN in der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte.
IV. Ergebnis
1. Zur Entscheidung über den vom Antragsteller gegen die beteiligte Partei geltend gemachten Anspruch auf Bezahlung von € 6.784,69 samt Zinsen ist das Bezirksgerichte Reutte zuständig. Der entgegen stehende Beschluss des Bezirksgerichtes Reutte vom 5. Dezember 2016, 3 C 114/16s, ist sohin aufzuheben.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §52 erster Satz VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / Kompetenzkonflikt, Bodenreform, Flurverfassung, Agrarbehörden, Zuständigkeit, Gericht Zuständigkeit, Schadenersatz, ZusammenlegungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:KI10.2016Zuletzt aktualisiert am
17.11.2017