TE Vwgh Erkenntnis 2017/9/20 Ra 2017/19/0068

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Veröffentlicht am 20.09.2017
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §13;
AVG §37;
AVG §39;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des F S in W, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. Jänner 2017, W242 2142362-1/6E, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 und Anordnung einer Außerlandesbringung nach dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber stellte am 16. Mai 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. In der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung gab er im Wesentlichen an, er sei am 1. Jänner 2000 in Nigeria geboren und über den Niger und Libyen in Italien eingereist. Mit Verfahrensanordnung vom 23. Mai 2016 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: "BFA") dem Revisionswerber mit, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, weil eine Zuständigkeit Italiens für das Verfahren angenommen werde. Mit Ladungen vom 12. Oktober 2016 und 28. Oktober 2016 versuchte das BFA erfolglos, den Revisionswerber zu einer multifaktoriellen Altersfeststellungsuntersuchung zu laden.

2 Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 28. Oktober 2016 wurde dem Kinder- und Jugendhilfeträger, Magistrat der Stadt Wien, vertreten durch das Amt für Jugend und Familie für den 17., 18. und 19. Bezirk (in der Folge: "Jugendhilfeträger"), aufgrund seines Antrages vom 20. Oktober 2016 die Obsorge über den Revisionswerber übertragen.

3 Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme am 14. November 2016 ging das BFA in einer Verfahrensanordnung von der Volljährigkeit des Revisionswerbers und dem Geburtsdatum 15. Mai 1998 aus. Das BFA folgte dem Revisionswerber auf sein Verlangen eine neuerliche Ladung zu einer multifaktoriellen Altersfeststellungsuntersuchung für 25. November 2016 aus und brachte ihm und seinem bei der Einvernahme anwesenden Rechtsberater zur Kenntnis, der Revisionswerber sei als Folge der Verfahrensordnung nicht mehr als unbegleiteter Minderjähriger anzusehen und es bestehe ab sofort in seinem Asylverfahren keine gesetzliche Vertretung durch den Rechtsberater mehr. Der neuerlichen Ladung zur multifaktoriellen Altersfeststellungsuntersuchung kam der Revisionswerber in der Folge nicht nach.

4 Mit Bescheid vom 29. November 2016 wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz im Zulassungsverfahren als unzulässig zurück und sprach aus, dass für dessen Prüfung Italien zuständig sei. Gleichzeitig wurde gegen den Revisionswerber die Außerlandesbringung angeordnet und ausgesprochen, dass seine Abschiebung nach Italien zulässig sei.

5 Das BFA ging - soweit entscheidungsrelevant - davon aus, der Revisionswerber sei volljährig und habe seine Mitwirkungspflicht "im erheblichen Ausmaß" verletzt. Dazu führte es aus, der Revisionswerber habe im laufenden Verfahren an seiner Altersfeststellung wiederholt nicht mitgewirkt und sei auch "der zweiten Ladung zur multifaktoriellen Altersfeststellungsuntersuchung für 25. November 2016" unentschuldigt nicht nachgekommen, obwohl er diese nachweislich am 14. November 2016 übernommen habe. Das äußere Erscheinungsbild sei mit dem von ihm in Österreich angegebenen Geburtsdatum in keiner Weise vereinbar. Der Revisionswerber habe keine unbedenklichen qualifizierten Identitätsdokumente vorlegen können, aus denen sein vorgebrachtes Alter ersichtlich sei bzw. glaubhaft scheine.

6 Der Bescheid des BFA wurde gemeinsam mit einer Verfahrensanordnung über die amtswegige Beigebung der ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberaterin sowie einem Informationsblatt über die Verpflichtung zur Ausreise dem Jugendhilfeträger am 30. November 2016 zugestellt sowie dem Revisionswerber am 6. Dezember 2016 durch das Stadtpolizeikommando Fünfhaus der Landespolizeidirektion Wien ausgefolgt.

7 Mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2016 erhob die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH (in der Folge "Einschreiterin" genannt) Beschwerde gegen den Bescheid des BFA. Dem Beschwerdeschriftsatz lag eine vom Revisionswerber selbst unterfertigte Vollmacht bei, mit der er die Einschreiterin beauftragte und bevollmächtigte, ihn "im asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren, einschließlich Rechtsmittelverfahren, zu vertreten, Zustellungen aller Art, insbesondere Bescheide, Beschlüsse und Erkenntnis anzunehmen (...), Rechtmittel aller Art (...) zu ergreifen und zurückzuziehen (...), und überhaupt alles vorzukehren, was sie für nützlich oder notwendig erachten (wird)".

8 Ebenso langte am 14. Dezember 2016 beim BFA ein E-Mail des Jugendhilfeträgers ein, wonach sich "der Kinder- und Jugendhilfeträger Wien als gesetzlicher Vertreter gemäß Obsorgebeschluss vom 28.10.2016 hiermit der Beschwerde gegen den Bescheid vom 29.11.2016, eingebracht durch die ARGE Rechtsberatung, vollinhaltlich anschließe".

9 Mit Mängelbehebungsauftrag vom 22. Dezember 2016 trug das Bundesverwaltungsgericht dem Jugendhilfeträger auf, eine Vollmacht über die Ermächtigung der Einschreiterin zur Erhebung der Beschwerde im Original vorzulegen. Das Gericht führte dazu aus, es sei aufgrund der "derzeit anzunehmenden Minderjährigkeit" des Revisionswerbers von der Unwirksamkeit der vom Revisionswerber an die Einschreiterin erteilten Vollmacht auszugehen.

10 Am 4. Jänner 2017 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Schreiben des Jugendhilfeträgers ein, mit dem der Einschreiterin "rückwirkend" die Vollmacht zur Erhebung der Beschwerde erteilt werde.

11 Mit dem angefochtenen Beschluss vom 19. Jänner 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unzulässig zurück. Es hielt unter anderem fest, durch den Beschluss des Bezirksgerichtes Fünfhaus sei dem Jugendhilfeträger die Obsorge hinsichtlich des Revisionswerbers übertragen worden, wobei dieser Beschluss bis dato dem Rechtsbestand angehöre. Rechtlich führte es dazu aus, die vom Revisionswerber selbst an die Einschreiterin erteilte Vollmacht zur Beschwerdeerhebung sei aufgrund der fehlenden rechtlichen Dispositionsfähigkeit des Revisionswerbers unwirksam. Das Fehlen einer Vollmacht sei kein verbesserungsfähiges Formgebrechen, da nur der Mangel des Nachweises, nicht aber der Mangel der Bevollmächtigung selbst behebbar sei. Erfolge die Begründung eines Vollmachtsverhältnisses erst nach Ablauf der Frist zur Vornahme einer Verfahrenshandlung, so bewirke dies nicht die Rechtswirksamkeit der von dem nicht Bevollmächtigten seinerzeit gesetzten Verfahrenshandlung. Da in den Verwaltungsvorschriften eine dem § 38 ZPO vergleichbare Regelung nicht getroffen sei, komme die nachträgliche Genehmigung einer bis dahin von einem Scheinvertreter gesetzten fristgebundenen Verfahrenshandlung nicht in Frage. Die am 14. Dezember 2016 eingebrachte Beschwerde sei mangels einer zum Einbringungszeitpunkt vorliegenden Vollmacht der Einschreiterin zuzurechnen und aufgrund der fehlenden Verletzung ihrer eigenen subjektiven Rechte unzulässig.

Weiters sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei, was es mit einer klaren Rechtslage begründete.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Beschluss erhobene Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 gebildeten Senat erwogen:

13 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung abgewichen, wonach die Behörde verpflichtet sei, den Antragsteller zu einer Präzisierung seines Begehrens aufzufordern, wenn der Inhalt eines von einer Partei gestellten Anbringens unklar sei. Der gesetzliche Vertreter habe zeitgleich mit der Beschwerdeerhebung durch die ARGE am 14. Dezember 2016 eine Erklärung übermittelt, die so zu verstehen gewesen sei, dass die Beschwerde als vom gesetzlichen Vertreter eingebracht anzusehen sei. Unrichtigerweise habe das Bundesverwaltungsgericht ein Verbesserungsverfahren wegen eines Formmangels (Fehlen der Vollmacht) durchgeführt.

14 Mit diesem Vorbringen erweist sich die Revision als zulässig, sie ist auch berechtigt.

15 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits - zum gemäß § 17 VwGVG auch vom Verwaltungsgericht anzuwendenden § 13 AVG - ausgesprochen hat, kommt es bei der Auslegung von Parteianbringen auf das aus diesen erkenn- und erschließbare Ziel des Einschreiters an; Parteierklärungen und damit auch Anbringen sind ausschließlich nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Dem Geist des AVG ist ein übertriebener Formalismus fremd, weswegen auch bei der Auslegung von Parteianbringen im Sinn des § 13 AVG kein streng formalistischer Maßstab anzulegen ist. Wenn sich der Inhalt eines von einer Partei gestellten Anbringens als unklar erweist, ist die Behörde entsprechend den ihr gemäß § 37 iVm § 39 AVG obliegenden Aufgaben verpflichtet, den Antragsteller zu einer Präzisierung seines Begehrens aufzufordern (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 5. April 2017, Ra 2016/04/0126, mwN).

16 Das vom Jugendhilfeträger übermittelte Email vom 14. Dezember 2016, in welchem sich der gesetzliche Vertreter des Revisionswerbers der von der ARGE erhobenen Beschwerde "anschloss", ist klar als Genehmigung der Bevollmächtigung der Einschreiterin (vgl. Hengstschläger/Leeb AVG2, § 9 Rz 16) zu verstehen.

17 Somit erweist sich der Mängelbehebungsauftrag vom 22. Dezember 2016 zur Vorlage einer Vollmacht des gesetzlichen Vertreters an die ARGE zur Klärung der Beschwerdelegitimation als verfehlt und macht damit die angefochtene Entscheidung rechtswidrig. Die Beschwerde war nämlich sowohl unter der Annahme einer Prozessfähigkeit des Revisionswerbers als auch bei deren Vernehmung (vgl. zur Beurteilung der Prozessfähigkeit als Vorfrage das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 2016, Ra 2016/19/0007), als zulässig zu werten.

18 Im fortgesetzten Verfahren wird nunmehr der Umstand zu berücksichtigen sein, dass das Geburtsdatum des Revisionswerbers im zwischenzeitig aufgefundenen Reisepass mit 1. Jänner 1993 aufscheint.

19 Der angefochtene Beschluss war nach dem Gesagten gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

20 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. September 2017

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Parteivorbringen Erforschung des Parteiwillens

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017190068.L00

Im RIS seit

17.11.2017

Zuletzt aktualisiert am

20.11.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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