TE Vwgh Erkenntnis 2017/10/19 Ra 2017/20/0211

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Veröffentlicht am 19.10.2017
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1;
AVG §58;
AVG §60;
MRK Art3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §29;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revision des N M in G, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Mai 2017, Zl. I411 2117673-1/27E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 1. Der Revisionswerber, ein sudanesischer Staatsangehöriger, reiste mittels eines Visums in das Bundesgebiet ein und stellte am 15. Juli 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Im Rahmen der am selben Tag erfolgten Erstbefragung gab er an, Arzt zu sein und in seinem Herkunftsstaat von der Regierung verfolgt zu werden, weil er aus pazifistischer Überzeugung die weitere Ableistung des Wehrdienstes verweigere.

3 In der am 1. September 2015 durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) durchgeführten niederschriftlichen Einvernahme gab der Revisionswerber im Wesentlichen an, er habe im Rahmen seines Wehrdienstes bereits einmal als Arzt in einer Krisenregion gearbeitet und hätte erneut dorthin entsandt werden sollen. Dieses Mal hätte man jedoch von ihm verlangt, Waffen zu tragen und an Kampfhandlungen teilzunehmen. Die Einheit des Revisionswerbers und er selbst hätten diesen Befehl verweigert und seien nach Khartum zurückgekehrt. Dort sei der Revisionswerber elf Tage eingesperrt gewesen, wobei psychischer Druck auf ihn ausgeübt worden sei. Nach seiner Entlassung habe er den Wehrdienst ungehindert weiter ableisten können. Als der Revisionswerber jedoch erfahren habe, dass er erneut in ein Krisengebiet geschickt werden solle, sei er nach Ägypten ausgereist, habe sich dort ein österreichisches Visum verschafft und sei in das Bundesgebiet eingereist.

4 Mit Bescheid des BFA vom 3. November 2015 wurde der Antrag des Revisionswerbers hinsichtlich Asyls und subsidiären Schutzes abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht zuerkannt, eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie unter einem festgestellt, dass die Abschiebung in den Sudan zulässig sei.

5 In der am 17. November 2015 eingebrachten Beschwerde wurde vorgebracht, das Ermittlungsverfahren sei mangelhaft durchgeführt und der Sachverhalt einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung unterzogen worden. In einer Stellungnahme zu den Länderberichten vom 20. Oktober 2016 ergänzte der Revisionswerber, dass er aufgrund seiner Weigerung, in den bewaffneten Konflikt im Sudan einzutreten, in Gefahr sei, festgenommen zu werden. Angesichts der Ausführungen in den Länderberichten, wonach die Haftbedingungen im Sudan katastrophal seien und nicht einmal die Mindeststandards für Haftbedingungen erfüllen würden, drohe dem Revisionswerber im Herkunftsstaat unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und somit eine Verletzung in seinen Rechten nach Art. 3 EMRK.

6 2. Mit dem hier angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Mai 2017 wurde die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen und die Revision für nicht zulässig erklärt.

7 Das BVwG führte aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Revisionswerber im Sudan wegen Wehrdienstverweigerung oder aus sonst einem Grund verfolgt würde - das Fluchtvorbringen sei nicht glaubhaft.

Selbst bei hypothetischer Richtigkeit des Fluchtvorbringens sei eine allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren gleichermaßen drohende Strafe nur dann asylrelevant, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Motiven beruhe und den Sanktionen jede Verhältnismäßigkeit fehle. Im gegenständlichen Verfahren sei vom Revisionswerber kein Konnex zu einem der in der GFK genannten Gründe behauptet worden. Der Kampf der sudanesischen Regierung gegen Rebellengruppen könne nicht per se als Kriegsverbrechen qualifiziert werden bzw. sei dies vom Revisionswerber auch nicht behauptet worden. Ein mögliches Strafverfahren wegen Desertion im Sudan stelle für sich genommen noch keine Verletzung von Art. 3 EMRK dar. Laut den Feststellungen zur Lage im Sudan sei ein gewisser Mindeststandard bei den Haftbedingungen gewahrt. Da der Revisionswerber - bei hypothetischer Richtigkeit des Fluchtvorbringens - auch nach eigenen Angaben während seiner elftägigen Haft keiner Folter oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt gewesen sei, könne seitens des BVwG kein reales Risiko einer gegen Art. 2 oder Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung durch die dem Revisionswerber möglicherweise drohende Haftstrafe erkannt werden.

8 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

9 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

10 4. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das Erkenntnis des BVwG weiche von der Rechtsprechung zur Begründungspflicht ab: So habe der Revisionswerber darauf hingewiesen, dass sich das BFA mit einer Reihe von vorgelegten Beweismitteln nicht auseinandergesetzt habe - das BVwG habe dies ebenfalls unterlassen.

Weiters sei das BVwG nicht auf den Umstand eingegangen, dass der Revisionswerber den Sudan bereits am 29. April 2014 - und damit vor vollständiger Erfüllung seiner Wehrpflicht - verlassen habe. Zudem habe der Revisionswerber in einer Stellungnahme vom 20. Oktober 2016 unter Hinweis auf Länderberichte vorgebracht, dass die sudanesische Regierung Kriegsverbrechen begehe.

Selbst wenn das BVwG von der mangelnden Asylrelevanz des Fluchtvorbringens ausgehe, hätte es die den Revisionswerber aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung zu erwartenden, ausweislich der Feststellungen prekären Haftbedingungen, im Hinblick auf eine Verletzung von Art. 3 EMRK und die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten würdigen müssen.

Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet. 12 4.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht

der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Mai 2017, Ra 2016/20/0022, mwN).

13 Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis gegen die ihm obliegende Begründungspflicht verstoßen:

14 Zunächst hat das BVwG es unterlassen festzustellen, ob der Revisionswerber den Wehrdienst im Sudan (teilweise) abgeleistet hat oder nicht. In Ermangelung dieser entscheidungswesentlichen Feststellung ist das angefochtene Erkenntnis einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht zugänglich und weicht schon deswegen von der oben ausgeführten Rechtsprechung ab.

15 Ferner trifft das BVwG zu den Haftbedingungen wörtlich folgende Feststellungen: "Die Haftanstalten bieten den Insassen menschenunwürdige Zustände (massive Überbelegung, schwere hygienische und medizinische Mängel). Dass diese Mängel zum Tod von Häftlingen führen, ist evident. Das im Dezember 2009 durch die Nationalversammlung verabschiedete Gesetz über Gefängnisvorschriften und die Behandlung von Insassen erfüllt nach Angaben der Vereinten Nationen nicht die UN-Minimalstandards für die Behandlung von Insassen. (...)". In der rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Erkenntnisses führt das BVwG hingegen aus, dass ein gewisser Mindeststandard bei den Haftbedingungen gewahrt sei, was in Widerspruch zu den eben wiedergegebenen Länderfeststellungen steht.

Hinsichtlich der Relevanz dieses Begründungsmangels genügt es, gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die rechtlichen Ausführungen zur Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerungen im hg. Erkenntnis vom 25. März 2015, Ra 2014/20/0085, zu verweisen.

16 4.2. Im Übrigen hat das BVwG sich nicht mit den vom Revisionswerber vorgelegten Schreiben zur Bestätigung seines Fluchtvorbringens, insbesondere der behaupteten Desertion, auseinandergesetzt (Bestätigung über den bisher abgeleisteten Wehrdienst, Schreiben über den abgeleisteten Dienst in der Funktion als Arzt, Schreiben der Buchhaltungsabteilung des sudanesischen Verteidigungsministeriums). Wie aus dem Bescheid des BFA vom 3. November 2015 hervorgeht, hat der Revisionswerber diese Unterlagen schon im Administrativverfahren vorgelegt. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 2017, Ra 2016/18/0203).

17 4.3. Schon aus diesen Gründen war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

18 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 19. Oktober 2017

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017200211.L00.1

Im RIS seit

17.11.2017

Zuletzt aktualisiert am

01.12.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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